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Kurz Berichtet

EuGH entscheidet zur Erheblichkeit von Beeinträchtigungen

Das 2013 ergangene Urteil des EuGH unterstreicht den weitreichenden Schutz von Lebensraumtypen des Anhangs I der FFH-Richtlinie innerhalb von FFH-Gebieten des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 und die engen Maßstäbe, unter denen gewisse Beeinträchtigungen, hier Flächenverluste, noch zulässig sein können.

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Abb. 1: Prioritärer Lebensraumtyp *8240 (Kalk-Felspflaster, limestone pavements) im Westen Irlands.	Foto: Jürgen Trautner
Abb. 1: Prioritärer Lebensraumtyp *8240 (Kalk-Felspflaster, limestone pavements) im Westen Irlands. Foto: Jürgen Trautner
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Habitatschutz in irischem Natura-2000-Gebiet

Von Jürgen Trautner und Dirk Bernotat

Der Europäische Gerichtshof (Dritte Kammer) hat im April 2013 im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des irischen Supreme Court zu einem geplanten Straßenbauvorhaben in einem Natura-2000-Gebiet eine Entscheidung zur Frage der Prüfung der Verträglichkeit getroffen. Mit Urteil vom 11. April 2013 (Rechtssache C-258/11) hat der EuGH für Recht erkannt:

„Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist dahin gehend auszulegen, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, das Gebiet als solches beeinträchtigen, wenn sie geeignet sind, die dauerhafte Bewahrung der grundlegenden Eigenschaften des betreffenden Gebiets, die mit dem Vorkommen eines prioritären natürlichen Lebensraumtyps zusammenhängen, dessen Erhaltung die Aufnahme dieses Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne dieser Richtlinie rechtfertigte, zunichte zu machen. Bei dieser Beurteilung ist der Vorsorgegrundsatz anzuwenden.“

Im konkreten Fall ging es um den prioritären Lebensraumtyp *8240 (Kalk-Felspflaster, Abb. 1), welcher als natürliche Ressource eingestuft wurde, die nicht mehr ersetzt werden kann, wenn sie zerstört worden ist. Die Beschreibung des LRT ist European Commission, DG Environment (2013: 99) zu entnehmen.

Für die Situation eines nicht mehr rückgängig zu machenden, dauerhaften oder teilweisen Verlusts eines prioritären natürlichen Lebensraums im Natura-2000-Gebiet wurde insoweit eine Erheblichkeit erkannt, die der des §34 Abs.2 BNatSchG entspricht. Der Umfang des mit jenem Projekt zusammenhängenden prognostizierten Flächenverlusts beträgt 1,47 ha und liegt somit – bei einem Gesamtvorkommen des LRT von 270 ha – bei <1 % des Lebensraumtyps im Gebiet.

Vor diesem Hintergrund stellte sich vor allem die Frage, ob die BfN-Fachkonventionen von Lambrecht & Trautner (2007) einschließlich der dort genannten „Bagatellwerte“ für Lebensraumtypen noch unverändert angewandt werden können oder ggf. einer Modifikation im Sinne einer Verschärfung bedürfen.

Die Einstufung als prioritärer Lebensraum (LRT) wie auch die Frage der Regenerierbarkeit waren bereits bei der Entwicklung der Fachkonventionen berücksichtigt und entsprechende Bewertungsparameter waren bei der Ableitung von Orientierungswerten für ggf. noch tolerable Flächenverluste unterhalb einer Erheblichkeitsschwelle eingestellt worden (s. dazu u.a. Anhang I des Berichts Lambrecht & Trautner 2007: 91ff.).

Tab. 1 zeigt, dass von 21 prioritären LRT zehn (48 % ) im Rahmen der Fachkonventionen mit dem Orientierungswert „quantitativ-absoluter Flächenverlust“ von 0m² belegt sind. Mit einer Ausnahme umfassen diese bereits alle LRT, die hinsichtlich ihrer Regenerierbarkeit mit N (nicht regenerierbar) unter Bezug auf Riecken et al. (2006) eingestuft sind. Der Bezug auf diese Stufe ist – da es um die Frage der grundsätzlichen Ersetzbarkeit im Sinne der EuGH-Entscheidung geht – entscheidend. Auf Übergänge zu den Stufen der kaum oder schwer möglichen Regenerierbarkeit kann hier nicht eingegangen werden. Insoweit ist aber bei Anwendung der BfN-Fachkonvention von Lambrecht & Trautner (2007) ohnehin für nahezu alle prioritären, grundsätzlich nicht ersetzbaren Lebensraumtypen ein Flächenverlust als erhebliche Beeinträchtigung zu bewerten.

Bei der einzigen Ausnahme handelt es sich um den LRT 91D0* (Moorwälder), bei dem das Spektrum der Einstufung von X (keine Einstufung sinnvoll) über K (kaum regenerierbar) bis zu nicht regenerierbar reicht. Bei diesem Typ handelt es sich vielfach um Entwicklungsstadien auf Moorflächen, für die naturschutzfachlich andere LRT-Bestände Ziel einer weiteren Entwicklung sind. Hierzu zählen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene höherwertige LRT oder Bestände charakteristischer Arten, insbesondere der offenen Hoch- und Niedermoore (vgl. auch bei Riecken et al. 2006: 16). Die grundsätzliche Einstufung des Orientierungswertes mit 0m² war für jenen LRT bereits vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll.

Im Rahmen der BfN-Fachkonventionen von Lambrecht & Trautner (2007) wird ausdrücklich einerseits auf die Besonderheiten des Einzelfalls abgestellt, andererseits auf weitere Kriterien, die im Gesamtrahmen einer möglichen Einstufung eines Projekts oder Plans trotz Flächen­verlustes oder indirekter flächenadäquat ermittelter Beeinträchtigung als „unerheblich“ wesentlich sind. Eines dieser zwingend im Rahmen der Fachkonvention zu berücksichtigenden Kriterien ist die Frage nach qualitativ-funktionalen Besonderheiten (Kriterium A der Fachkonven­tion). Ggf. kann auch hierbei der Aspekt der Regenerationsfähigkeit des spezifisch betroffenen Bestandes eine Rolle spielen. In diesen Rahmen ist eine Differenzierung der o.g. Moorwälder einzu­ordnen.

Ansonsten wird in den Fachkonventionen auch für nicht prioritäre LRT der Regelfall einer erheblichen Beeinträchtigung bei direktem und dauerhaftem Flächenverlust unterstrichen. Es werden aber bestimmte Kriterien herangezogen, nach denen bei geringfügigen Flächenverlusten – soweit diese Kriterien gemeinsam erfüllt sind – eine Beeinträchtigung als nicht erheblich eingestuft werden kann.

Das Urteil des EuGH verdeutlicht den weitreichenden Lebensraumschutz innerhalb von FFH-Gebieten des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 und die engen Maßstäbe, unter denen gewisse Beeinträchtigungen ggf. noch zulässig sein können.

Aus den Schlussanträgen der Generalanwältin wird u.E. auch nochmals erkennbar, dass nicht nur prioritäre natürliche Lebensräume einem strengen Schutz unterliegen, wenngleich betont wird, dass es in diesen Fällen besonders wichtig ist (Schlussanträge, Rdnr. 55).

Mit den Randnummern 59 bis 61 spannt die Generalanwältin den Bogen zwischen einerseits einem vorübergehenden, zeitlich eng begrenzten Verlust oder einer Störung, die das Gebiet als solches nicht zu beeinträchtigen vermögen, und andererseits der „dauerhaften Zerstörung eines Teils des Lebensraums [], dessentwegen das Gebiet ausgewiesen wurde“ und aufgrund dessen die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele „grundlegend – und irreversibel – gefährdet sein“ können. Letzteres ist im gegenständlichen Vorabent­scheidungsersuchen der Fall. Mit Rdnr. 61 der Schlussanträge wird aber auch die Fallgestaltung von Plänen und Projekten angesprochen, „deren Auswirkungen auf das Gebiet zwischen diesen beiden Extremen liegen“; zu einer solchen Fallgestaltung wurde noch nicht entschieden.

Neben der Frage der Wirk- bzw. Beeinträchtigungsintensität im Einzelfall wird mit Rdnr. 67 der Schlussanträge sehr deutlich zudem auf die Frage der kumulativen Wirkungen hingewiesen, auf das „von der Kommission als „Tod durch 1000 Schnitte“ bezeichnete Phänomen […], d.h. ein kumulativer Verlust des Lebensraums infolge einer Vielzahl oder zumindest einer Reihe niedrigschwelliger Projekte, deren Fortführung im selben Gebiet genehmigt wird.“

Insoweit sind sowohl die engen Grenzen für tatsächliche „Bagatellfälle“ wie auch deren kumulative Betrachtung im Rahmen der Fachkonventionen (dort Bedingungen D und E) insgesamt weiterhin als rechtlich wie fachlich angemessener Weg einzustufen.

Zusammenfassend ist u.E. festzustellen, dass die BfN-Fachkonventionen von Lambrecht & Trautner (2007) einen validen Rahmen bilden, der den Vorgaben aus dem Urteil des EuGH vom 11. April 2013 (Rechtssache C-258/11) bereits ausreichend Rechnung trägt. Dass im Einzelfall gebietsspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden müssen, ist selbstverständlich.

Zitierte Quellen

EuGH, Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 11. April 2013 in der Rechtssache C258/11, betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 13. Mai 2011 (Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Besondere Schutzgebiete – Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem geschützten Gebiet – Kriterien für die Prüfung der Wahrscheinlichkeit, dass ein derartiger Plan oder ein derartiges Projekt das betroffene Gebiet als solches beeinträchtigt – Gebiet von Lough Corrib – Straßenbauprojekt N6 einer Umgehung der Stadt Galway). http://curia.europa.eu/juris (weiter mit C-258/11).

European Commission, DG Environment (2013): Interpretation Manual of European Union Habitats. EUR 28. April 2013: 144 S. http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/habitatsdirective/docs/Int_Manual_EU28.pdf .

Lambrecht, H., Trautner, J. (2007): Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP – Endbericht zum Teil Fachkonventionen, Schlussstand Juni 2007. FuE-Vorhaben im Rahmen des Umweltforschungsplanes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz – FKZ 804 82 004 [unter Mit­arb. von K. Kockelke, R. Steiner, R. Brinkmann, D. Bernotat, E. Gassner & G. Kaule]. Hannover, Filderstadt. http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/images/themen/eingriffsregelung/BfN-FuE_FFH-FKV_Bericht_und_Anhang_Juni_2007.pdf.

Riecken, U., Finck, P., Raths, U., Schröder, E., Ssymank, A. (2006): Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands, zweite fortgeschriebene Fassung 2006. Naturschutz und Biologische Vielfalt 34, 318S.

Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 22. November 2012 in der Rechtssache C258/11, (Vorabentscheidungsersuchen des irischen Supreme Court). http://curia.europa.eu/juris (weiter mit C-258/11).

Anschriften der Verfasser: Jürgen Trautner, Arbeitsgruppe für Tierökologie und Planung, Johann-Strauß-Straße 22, D-70794 Filderstadt, E-Mail info@tieroekologie.de, Internet http://www.tieroekologie.de; Dirk Bernotat, Bundesamt für Naturschutz (BfN), Fachgebiet II 4.2, Karl-Liebknecht-Straße 143, D-04277 Leipzig, E-Mail dirk.bernotat@bfn.de.

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