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Editorial

Entschleunigt, einfach, nachhaltig: auf das Wesentliche konzentrieren!

Eine Einladung flattert auf den Redaktionstisch: Slow Living Conference, Konferenz für Entschleunigung, Einfachheit und Nachhaltigkeit. Angekündigt werden ausge­wähl­te Redner aus den Bereichen „mindfulness, human ressources, retail, travel, food, design, fashion, mobility“. „Ziel der Kon­ferenz ist es, das Bewusstsein für die Bedürfnisse in unserer 24/7-Lichtgeschwindigkeitsgesellschaft zu schärfen“, heißt es im Pressetext zu der Veranstaltung am 18. September 2014 in Berlin ( http://www.slowliving-conference.de ).

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Da drängt sich auf, dass zur Entschleunigung nur geeignet zu sein scheint, wer Ang­lizismen versteht und nutzt – und in seinem bisherigen Leben so „beschleunigt“ war, dass er in der Lage ist, 580 Euro plus Mehrwertsteuer für eine Tagesveranstaltung zu berappen.

Aber das Thema betrifft wohl alle, die im Bereich von Naturschutz und Landschaftsplanung ihre Brötchen verdienen, sei es in der Naturschutzbehörde, im Planungsbüro, als Gutachter oder in der Forschung: Immer mehr, immer schneller, immer komplizierter – der Berufsalltag gleicht dem Lauf im Hamsterrad. Was sind die Ursachen? Nur für drei Erklärungsversuche genügt der Platz: Informationsflut, Regelungsflut und Personalmangel.

Erstens, die Informationsflut: Wir wissen weit mehr als vor zehn, zwanzig Jahren über Ökosysteme und Landschaften, ihre Funktionsweise und anthropogenen Gefährdungen – auch wenn wir Vieles noch nicht wissen. Vor allem Detail- und Spezialistenwissen hat zugenommen. Allein die Recherchemöglichkeiten im Web erschließen in kürzester Zeit eine Flut an Informationen. Doch es fehlt an Generalisten, welche diese Mosaiksteinchen an Details zu einem Ganzen zusammensetzen. Eigentlich ein Paradoxon: Trotz des enormen Wissenszuwachses bleibt der systemische, landschaftliche Blick nach wie vor im Ansatz stecken.

Zweitens, die Regelungsflut: Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Konventionen, Strategien etc. – allein schon ein Blick auf die rasante Vergrößerung des Artenschutzrechts zeigt, wie stark sich national wie auf europäischer Ebene die Rechtslage verkompliziert hat. Die Ziele sind berechtigt, aber die Anwendungspraxis ist außerhalb, ja zunehmend selbst innerhalb des Faches kaum erklärbar. Genauso im Förderungsbereich, Paradebeispiel ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU: Unisono fordern alle Beteiligten eine Vereinfachung, und doch produziert jede Reform mehr Bürokratie, ohne dass diese messbare Verbesserungen der Förderpraxis und ihrer ökonomischen wie ökologischen Wirkung bringt. Selbst in Brüssel durchschauen nur die wenigsten Akteure die Komplexität der GAP in Gänze.

Drittens, der Personalmangel: Die Zahl der Fachleute, die sich in Verwaltungen und Planungspraxis mit der Informations- und Regelungsflut konfrontiert sehen, ist nicht dem Anwachsen dieser „Fluten“ ge­wachsen. Im Gegenteil: Naturschutzverwaltungen werden durch Personalabbau und Struk­turreformen geschwächt. Planungsbüros stehen unter starkem wirtschaftlichem Druck, mit wenig Personal in kurzer Zeit die immer stärker differenzierten Aufgaben abarbeiten zu müssen.

Natürlich ist die Realität komplexer. Aber die drei Stichpunkte markieren zentrale Handlungsnotwendigkeiten: Konzentration auf das Wesentliche könnte auch in Naturschutz und Landschaftsplanung ein Zukunftsthema sein und zu einer höheren Effizienz beitragen. Aus der Frosch- in die Adlerperspektive gewechselt, ist zu fragen: Welches sind die wirklich wichtigen Stellschrauben, um das Artensterben, die Versiegelung und Degradation der Böden, Nähr- und Schadstoffeinträge in Grundwasser und Oberflächengewässer, Luftverschmutzung und Klimaänderung zu mindern bzw. umzukehren? Es ist an der Zeit, dass die Hochschulen mehr Generalisten mit systemischem Denken und Wissen ausbilden: Menschen mit dem nötigen Blick auf die Vernetzung von Detailwissen und das Ganze.

Und doch löst das das Problem nur zu einem Teil: Denn die relevanten Triebkräfte wirken weitgehend außerhalb des Faches, insbesondere im Wirtschafts- und im Rechtssystem. Sie bewirken, dass Naturschützer und Landschaftsplaner weit mehr reagieren müssen, als selbst agieren zu können.

Jeden Monat trägt Naturschutz und Landschaftsplanung auch selbst zur Informationsflut bei. Ja, auch wir liefern Details, aber wir bemühen uns ebenso um thematische Überblicke. Ob Mosaikstein oder integrative Arbeiten, bewerten Sie die Themen dieses Heftes selbst: Welche Auswirkungen haben Klimaänderungen auf die Arten von FFH-Gebieten mit feuchten und nassen Lebensraumtypen, mit welchen Strategien kann darauf reagiert werden? Wie ist Landwirten der Schutz von Ackerwildkräutern zu honorieren? Wie nutzen Rinder eine ganzjährige Weide in raum-zeitlicher Dimension?

Entschleunigt, einfach, nachhaltig: Die Hauptbeiträge weisen durchaus Wege, wie die Kriterien der „Slow Living Conference“ in Naturschutz und Landschaftsplanung angewendet werden können. Nicht klein-klein, sondern großflächiges Handeln mit Auendynamik, Extensivbeweidung und artenreichen Ackergesellschaften auf ertragsschwachen Standorten ist die Zukunft. Die Redaktion wünscht eine entspannte Lektüre an einem ruhigen Platz im Baumschatten!

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