Unzureichende Koordination der Ratspräsidentschaft
Die in der letzten Brüssel-Kolumne geäußerten Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen. Ein „Aufregerthema“, das in den letzten Wochen die EU-Politik ins öffentliche Interesse rückte, war die Entscheidung des EU-Rates für allgemeine Angelegenheiten (General Affairs Council) zum umstrittenen Genmais 1507 am 11. Februar. Obwohl sich nur fünf Mitgliedstaaten – Großbritannien, Spanien, Schweden, Finnland und Estland – für die Zulassung von 1507 aussprachen, 19 Mitgliedstaaten dagegen waren und sich bereits im Vorfeld eine mögliche Enthaltung von Deutschland, Portugal, Belgien und Tschechien abzeichnete, gelang es der griechischen Ratspräsidentschaft nicht, ein mehrheitliches Nein zu koordinieren.
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Wichtige Themen auf die nächste Legislaturperiode verschoben?
Nicht nur das Europäische Parlament, auch die Mehrzahl der Landwirtschaftsminister der Mitgliedstaaten und vor allem die Ratspräsidentschaft reagierten erschrocken, ja hilflos. Die Entscheidung liegt jetzt ausschließlich bei EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg (Malta), der nach vorausgegangenen Klagen des Herstellers und einer Unbedenklichkeitsbescheinigung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (efsa in Parma, Italien) gar nicht mehr anders kann, als den Genmais 1507 zu genehmigen. Dennoch kündigte die Ratspräsidentschaft an, das Thema auf dem Umweltministerrat am 03. März nochmals beraten und eventuell neu entscheiden zu lassen. Zwölf Mitgliedstaaten schrieben einen Protestbrief an die EU-Kommission, die Grünen drohten Borg im Fall der Zulassung einen Misstrauensantrag des Parlamentes an. Der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende deutsche Agrarminister Hans-Peter Friedrich meinte sogar, er könne trotz einer EU-weiten Zulassung 1507 auf nationaler Ebene verbieten. Ebenfalls ein hilfloser Vorschlag, zumal nationale Verbote angesichts der Verbreitungsfähigkeit von Genpollen völlig wirkungslos sein dürften!
Ein ähnliches Desaster deutet sich bei einem für die biologische Vielfalt ebenso gravierenden Problem an, der Ausbreitung invasiver Arten. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat in seiner Sitzung vom 30. Januar die bereits erwähnten umfangreichen Ausnahmeregelungen für kommerzielle Tier- und Pflanzenzuchtbetriebe beschlossen (Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (2): 34). Wie massiv die Lobbyattacken insbesondere der dänischen Pelzindustrie auf die Abgeordneten waren, zeigt die Tatsache, dass manche Abgeordnete zunächst davon ausgingen, die geplante Verordnung sei von Tierschützern lanciert worden, um der Pelzindustrie den Garaus zu machen. Die schon seit 1992 aus der Konvention über biologische Vielfalt bestehende Verpflichtung, aus ökologischen Gründen gegen invasive Arten vorzugehen (CBD, Artikel 8 h), geriet dabei zeitweise völlig aus dem Blick. Ebenso, dass das Parlament selbst der EU-Biodiversitätsstrategie bis 2020 zugestimmt hat, in der die Schaffung eines Rechtsrahmens zu Bekämpfung invasiver Arten als eines von sechs prioritären Zielen verankert wurde (Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (6): 162).
Zusätzlich schlug der Ausschuss in einem neuen Artikel 4a noch eine Klausel vor, die ausgerechnet in den südeuropäischen Mitgliedstaaten, in denen es massive Probleme mit invasiven Arten gibt, die Verordnung unwirksam werden lassen könnte: Falls eine Kosten-Nutzen-Analyse belege, dass die Bekämpfung extrem hohe und im Verhältnis zur Wirkung nicht adäquate Kosten verursachen würde, dürfe ein Mitgliedstaat unter Berücksichtigung seiner „sozioökonomischen Situation“ auf Maßnahmen gegen invasive Arten verzichten. Auch hier gelang es der Ratspräsidentschaft bislang nicht, einen für Parlament und Rat vertretbaren Kompromiss für den Trilog vorzulegen. Aktueller Stand ist, dass der Berichterstatter nach der ersten Trilog-Sitzung Mitte Februar gedroht hatte, sein Verhandlungsmandat wegen mangelnder Erfolgsaussichten auf eine Einigung zwischen Rat und Parlament zu beenden. Damit besteht die Gefahr, dass vor der letzten Plenarsitzung des EP in Straßburg am 17. April keine Einigung erzielt werden kann. Dies würde bedeuten, dass das Verfahren erst nach den Europawahlen am 25. Mai und Konstitution des neuen Parlaments im Herbst 2014 unter italienischer EU-Ratspräsidentschaft fortgeführt werden könnte.
Im Fall der Novelle der UVP-Richtlinie hat der Umweltausschuss am 12. Februar trotz massiver Bedenken der Grünen und einiger Sozialdemokraten mehrheitlich dem Mitte Dezember 2013 ausgehandelten Kompromiss mit dem Ministerrat in erster Lesung zugestimmt. Es ist davon auszugehen, dass das mehrheitlich konservative EP-Plenum, dessen Exponenten wie Herbert Reul (CDU) schon im gesamten Verfahren gegen die UVP-Richtlinie als „Bürokratiemonster“ wetterten, das der Wirtschaft unnötige Hürden in den Weg lege, diesem Ergebnis ebenso zustimmt wie der Umweltministerrat am 03. März. Die von Umweltverbänden erhoffte Einbeziehung des „Fracking“ in die Liste der UVP-pflichtigen Vorhaben (Naturschutz und Landschaftsplanung 46 (2): 34) ist damit definitiv vom Tisch.
Diese Beispiele zeigen sehr deutlich, dass das System der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften mit oftmals sehr koordinationsschwachen Präsidentschaften auf den Prüfstand gehört. Insbesondere verstärken diese Vorkommnisse den Eindruck der ablaufenden Legislaturperiode, dass bei den anstehenden Europawahlen am 25. Mai ambitioniertere Europaabgeordnete gewählt werden sollten, wenn die Europäische Union wieder ihre – in Sonntagsreden beschworene – Führungsrolle hinsichtlich des Klimaschutzes, der nachhaltigen Nutzung endlicher Ressourcen, der Reduzierung umweltschädlicher Subventionen insbesondere im Agrarbereich und zur Erreichung ihrer Biodiversitätsziele bis 2020 übernehmen will. Wie die Abstimmungen zur UVP oder zu den invasiven Arten zeigen, zählt jede Stimme! Die großen in Brüssel akkreditierten Umweltverbände, die „Green 10“, haben dazu bereits ihre Wahlprüfsteine vorgestellt, ebenso der NABU für die Kandidatinnen und Kandidaten der deutschen Parteien.
Link zu den Forderungen der Umweltverbände zur EP-Wahl: http://www.NABU.de/europawahl
Claus Mayr, NABU, Direktor
Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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