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Grüne Wüste im bayerischen ­Alpenvorland?

Mit dem Fahrrad mehr als 1000 km durch Südbayern bis nach Wien: Während einer Radtour war der schweizerische ­Autor erschrocken über seine Beobachtungen einer ökologischen und ästhetischen Verarmung dieser malerischen Landschaft. Sein Reisebericht gründet nicht auf wissenschaftlicher Analyse, sondern auf unmittelbaren Eindrücken vor Ort. Sie sind deshalb nicht weniger bedenkenswert und wollen Anstoß geben zu einem behutsameren Umgang mit der natürlichen und landschaftlichen Vielfalt in ganz Deutschland.

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Abb. 1: Unberührte Moorlandschaft am Staffelsee, nordwestlich von ­Murnau. 	Fotos: Roman von Sury
Abb. 1: Unberührte Moorlandschaft am Staffelsee, nordwestlich von ­Murnau. Fotos: Roman von Sury
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Betrachtungen zur Situation des Grünlands während einer Radtour – ein subjektiver ­Reisebericht

Von Roman von Sury

Im schönen und heißen Juli 2013 unternahm ich zusammen mit meiner Frau eine Fahrrad­reise, die uns über mehr als 1000 km von Lindau am Bodensee nach Wien führte. Für den westlichen, bayerischen Teil wählten wir eine Route durch das hügelige Alpenvorland, vom Allgäu zum Chiemgau. Im „Rupertiwinkel“ nordwestlich von Salzburg ließen wir Oberbayern und die Alpen hinter uns, jetzt ging es der Salzach, dem Inn und der Donau entlang weiter nach Passau und Linz. Der letzte, vollständig öster­reich­ische Streckenabschnitt lag nördlich der Donau, und so gelangten wir über die Weiten des Mühl­-, Wald- und Weinviertels erst in Wien wieder zurück zum Alpenbogen.

Es war eine unvergessliche Reise. Spannende Gespräche mit netten Leuten wechselten ab mit langen Fahrten durch oftmals malerische Landschaften, die meist viel dünner besiedelt und weniger gut erschlossen sind als unser Schweizer Mittelland. Unver­gesslich die verträumten, nordisch anmutenden Moore rund um den Staffelsee (Abb. 1) oder auch die hitzeglühenden Weiten der Getreide­felder im Weinviertel. Und immer wieder Erholung in einer der vielen an­mutigen, mit­­unter sehr farbigen Städte und Städtchen, die unseren Weg säumten: altehr­würdige Orte wie Kempten, Murnau, Bad Tölz, Burg­hausen, Passau, Zwettl oder Eggenburg sind wahre Juwelen und machten einen wichtigen Teil unseres Feriengenusses aus. Trotz ihres Alters sind sie lebendig geblieben und Zeugen einer großen kulturellen Vielfalt.

Aber da gab es ein Problem…Leider hatte diese schöne Medaille auch eine weniger vorteilhafte Seite – und diese betrifft die Landwirtschaft in Südbayern. Die von uns durchradelten Gegen­den zwischen Lindau und Waging am See gelten ja vielerorts als Inbegriff landschaft­licher Schönheit und gehören zu den wichtigsten Destinationen im deutschen Touris­mus. Über weite Strecken ist das Szenario ähnlich: Der Blick nach Süden schweift über sanft gewelltes, mit Wald, Flüssen und Seen durch­setztes Grünland, welches stetig steiler und waldreicher wird, um schließlich im fels­durch­setzten Alpenkamm zu kulminieren. Dieser ist die natürliche Kulisse für großes Natur­theater (Abb. 2). Aber wo eine Kulisse ist, gibt es auch einen Vordergrund – und der ist hier das Problem.

Für mich, den Biologen mit dem auch in die Nähe gehenden Blick, wurde auf dem ersten südbayrischen Drittel unserer Reise immer klarer, dass da etwas nicht stimmte, sowohl optisch wie auch akustisch und geruchlich: In diesem von Intensivgrünland und eingestreuten Maisäckern dominierten und auf den ersten Blick so lieblichen Landstrich herrscht vieler­orts eine fast beklemmende ökologische Monotonie! Diese Aussage ist nicht durch wissen­schaftliche Erhebungen belegt, sondern drängte sich unmittelbar über die Sinne auf; aber immerhin ist sie durch meine lange Be­rufs­erfahrung im Feld abgestützt.

Zunächst fiel mir die ausgesprochene Arten- und Strukturarmut vieler durchschnittlicher Wiesen auf, wo auf qua­dratkilometer­großen Schlägen fast nichts anderes als Raygras wuchs und wo das allgegen­wärtige Einheitsgrün kaum je durch blumige Farbtupfer, Krautsäume, durch Gehölze oder Hecken unterbrochen wurde. In diesen „grünen Wüsten“ war – zumindest vom Fahrrad aus – so gut wie kein tierisches Leben zu beobachten: keine Tagfalter, keine Heuschrecken, nichts. So begegneten wir hier oft einer bedrückenden „biologischen Ruhe“, die mir so bis anhin unbekannt war, die sich aber aus der Tier­feindlichkeit dieses extrem arten- und struktur­armen Milieus logischerweise ergibt. Auch die Vogelwelt erschien mir auffällig eintönig, denn mit Ausnahme von Buch­finken, Mönchsgrasmücken und Spatzen war kaum je ein Vogel zu hören oder zu sehen. Es war dann wie der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl, als wir uns auf der Fahrt weg vom Alpenrand südlich Burg­hausen seit langem wieder mal durch eine etwas gehölz- und ackerreichere Landschaft bewegten – und gleich einen Neuntöter auf seiner Sitzwarte entdeckten!

Die meisten der beschriebenen Wiesen unterliegen offenbar auch einem geradezu erbarmungs­losen Schnitt­regime, das zweifellos eine wesentliche Erklärung für die biologische Armut darstellt. Es äußert sich zum einen darin, dass das von uns durchradelte Grünland offensichtlich sehr häufig und gleich­zeitig auf großer Fläche genutzt wird, womit natürlich weder in Bezug auf die Bestandes- noch auf die Altersstruktur Vielfalt entstehen kann. Dazu kommt im Regelfall noch eine sehr geringe Schnitt­höhe; so konnte ich des öfteren beobachten, dass bereits in Beständen von geschätzten 20 bis 30cm Höhe große Traktoren mit modernsten Mähwerken unterwegs waren, um der Fläche den nächsten Millimeter-Schnitt zu verpassen: intensive Grünland-Industrie, wie sie im Buche steht. Dass darum viele oberbayrische Wiesen ohne Übertreibung aussehen wie abgeschleckte Golfrasen, mag auf Golfspieler einen gewissen Reiz ausüben – dies gilt aber kaum für die zahllosen Kleintiere, welche auf Schutz und Nahrung durch spät gemähte oder über den Winter stehengelassene Pflanzenbestände angewiesen sind (AGRIDEA 2010, Handke et al. 2011, Humbert et al. 2012).

Als ob das nicht genug der ökologischen Trübsal wäre, kam zu dieser Arten- und Strukturarmut vieler südbayrischen Wiesen zumindest im Juli 2013 ein offenkundig umwelt- und tourismusschädigendes Düngerregime hinzu. Wir beobachteten nämlich bei andauernder Hitze und Trockenheit vielerorts großflächiges und dementsprechend stinkendes Güllen. Das ist schon angesichts des sicher auch bei Bauern bekannten – und bei diesen Witterungsverhältnissen ausgeprägten – Schadenpotenzials hoher Ammoniakemissionen (LfU 2013) erstaunlich. Besonders verwundert hat uns aber, dass auch in ausgesprochenen Urlaubsregionen wie beispielsweise Waging am See tagsüber hemmungslos Gülle ausgebracht wurde (Abb. 3). Den Touristen blieb da wohl nichts anderes übrig, als sich dem Gestank auszusetzen oder sich in eine andere Gegend abzusetzen. Wahrlich eine schlechte Visitenkarte!

…und ein paar Gedanken dazu

Die Beobachtungen von der „grünen Wüste“ Südbayerns berührten mich trotz der zahlreichen schönen Ferienein­drücke sehr negativ. Dies war zunächst kein rationaler Vorgang, sondern geschah unmittelbar, indem ich – und zwar auch ohne Gestank – intuitiv spürte, dass in diesen Landschaften etwas nicht stimmte. Es kam mir vor, als hätten diese vielerorts einen wesentlichen Teil ihrer Eigenart und ihres Inhalts – nämlich die Vielzahl von Pflanzen, Tieren, Lebensräumen und Strukturen – verloren und dafür etwas eigenartig Seelen­loses bekommen, mit den Tierstimmen auch ihre „Stimmung“ verloren. Dazu der Philosoph Georg Simmel: „Landschaft, sagen wir, entsteht, indem ein auf dem Erdboden ausgebreitetes Nebeneinander natürlicher Erscheinungen zu einer besonderen Art von Einheit zusammengefasst wird, einer anderen als zu der der kausal denkende Gelehrte, der religiös empfindende Naturanbeter, der teleologisch gerichtete Ackerbauer oder Stratege eben dieses Blickfeld umgreift. Der erheblichste Träger dieser Einheit ist wohl das, was man die ‚Stimmung‘ der Landschaft nennt.“ (aus „Philosophie der Landschaft“ 1913, in Simmel 2001).

Diese Beobachtungen haben zweifellos mit der hier großflächig praktizierten, überintensiven Landnutzung zu tun: Sie ist wegen der großen Tierbestände auf maximalen Futterertrag auf möglichst großflächigen und rationell zu bewirtschaftenden Schlägen ausgerichtet und nimmt offenbar wenig Rücksicht auf die über viele Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft, weder auf das reiche Relief noch auf den potenziellen Reichtum an Lebensräumen. Es ist ein Vorgang der Verarmung, Entleerung und Vereinheitlichung. Er führt letztlich zu einer Landschaft, die nichts Anderes mehr ist als Produk­tionsstandort und, wenn es hochkommt, unumgängliche Staffage für den Fremden­verkehr. Welch krasser Unterschied zur kleinräumig und vielfältig genutzten Landschaft, wie sie der in München lebende Schweizer Maler Otto Fröhlicher um 1865 ebenfalls im bayerischen Alpenvorland malte (Abb. 4)!

Als wir im Jahr zuvor ebenfalls mit dem Fahrrad in Norddeutschland unterwegs waren (650km von Hannover aus, über die Elbe zur Ostsee und an die dänische Grenze), beobachteten wir im Grunde genommen bereits dasselbe wie in Bayern, nur dass dort nicht der Futterbau, sondern die hochsubventionierte Energieproduktion der Haupttreiber für eine bedenkliche Landschaftsentwicklung ist. Diese ist aber möglicherweise noch dramatischer, weil zusätzlich zur ökologischen Verarmung durch den exorbitanten Anbau von Energiemais noch eine fast flächendeckende technoide „Landschaftsmöblierung“ durch Windkraftanlagen stattfindet. Ich befürchte deshalb, dass im Norden Deutschlands – insbesondere mit der angekündigten Energiewende – immer mehr biologisch verarmte, hässliche agrar- und energieindustrielle Landschaften entstehen, die sich hauptsächlich durch die Form, Größe und Anzahl von Bioreaktoren, Windrädern und Photovoltaikanlagen unterscheiden. Auf unserer letztjährigen Tour waren wir jedenfalls immer froh, wenn wir – wie zum Beispiel rund um Celle, an der wendländischen Elbe, im südwestlichen Mecklenburg oder an der Schlei – auch mal durch mais- und anlagen­arme, authentische Landschaften radeln konnten. Andernfalls wäre diese Reise zu einer ziemlich freudlosen Angelegenheit geworden.

Nun aber zurück in den Süden. Landschaft sei das einmalige und unverwechselbare Antlitz der Erde, wird gesagt, und könne deshalb mit dem menschlichen Gesicht verglichen werden (Rodewald 1999). Wenn dem so ist, erscheint mir die „grüne Wüste“ Südbayerns wie im Übermaß mit Botox behandelt. Das faltige Gesicht, welches das Leben eines alten Menschen spiegelt, erfahrungsreich und unverwechselbar, ist einer glatten Maske gewichen, kaum mehr kenntlich in der auf ewige Jugend versessenen Entstellung. Ergeht es dieser wunderbaren bayrischen Landschaft nicht ähnlich, wenngleich aus anderen Motiven? Wird da nicht auch ein Zustand durchgesetzt, der sich durch Monotonie und starre Ausrichtung auf ein einziges Ziel, nämlich die Maximierung des Futter- und Energieertrags auszeichnet?

„Ja nun“ ist man vielleicht versucht zu sagen, „ist doch Geschmacksache, und über Geschmack lässt sich nicht streiten. Und übrigens müssen auch die Bauern ihr Auskommen haben.“ Eine solche Einstellung wäre aber doppelt irrig. So ist es verkehrt, das menschliche Landschaftserlebnis allein auf den individuellen Geschmack zurückzuführen, so plausibel das auch erscheint. Neue Forschungsergebnisse belegen, dass bei den meisten Menschen eine offenbar angestammte Vorliebe für vielfältige, strukturreiche Landschaften besteht (Schüpbach et al. 2010). Spiegelt dieses womöglich die genetische Fixierung der Tatsache, dass bereits unsere Ururahnen in einem solchen Landschafts­typ – der afrikanischen Savanne nämlich – am besten leben und überleben konnten (Bourassa 1991)? Jedenfalls ist es eine faszinierende Vorstellung, dass sich subjektive, psychologische Phänomene möglicherweise auf objektiv fassbare und evolutiv wirksame Gegebenheiten zurückführen lassen.

So weit so gut, aber das Auskommen der Bauern kann doch nicht ernsthaft bestritten werden? Gewiss nicht, aber auf das WIE kommt es an! Die beschriebene Art der Grünlandnutzung hat natürlich nicht nur nachteilige Folgen für das Landschaftsbild, sondern schädigt auch die so genannten Öko­system­leistungen, welche ihrerseits eng mit der Biodiversität verknüpft sind. Dieses stark ökonomisch ausgerichtete Konzept gründet primär auf dem direkten und indirekten menschlichen Nutzen durch die Ökosysteme und beinhaltet neben der Produktion von Nahrung und Holz auch die natürliche Regulation und Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit, Erholung und Wohlbefinden, sauberes Trinkwasser, usw. (Fisher et al 2009, Pimentel et al. 1997, Staub et al. 2011).

Die Art und Weise der landwirtschaftlichen Produktion ist also keineswegs nur eine landwirtschaftliche Angelegenheit: „Ökosystem­leistungen in Deutschland sind vielfältig und wertvoll. Basis-, Versorgungs-, Regulierungs- und kulturelle Leistungen der Natur bilden die Grundlage für unsere Wirtschaft und für das Wohlergehen jedes Einzelnen“ (Naturkapital Deutschland 2012). Oder wie es der frühere Bundes­umweltminister Peter Altmaier formulierte: „Eine intakte und vielfältige Natur ist schön, faszinierend und einzigartig – sie ist aber zugleich elementare Grundlage für die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen“.

Fazit: Die Gesellschaft geht es allein aus Eigeninteresse schon sehr viel an, wenn Raubbau an der Biodiversität und widersinnige, umweltschädigende Düngung betrieben wird, oder wenn die Landschaft großflächig zu einem gesichtslosen Produk­tions­stand­ort verkommt. Damit ist noch nicht einmal der viel breitere umweltethische Standpunkt berücksichtigt, der allen Organismen, Arten, Ökosystemen, ja der ganzen Biosphäre und auch der unbelebten Natur einen Eigenwert beimisst und entsprechend das Recht auf einen rücksichtsvollen Umgang zuspricht (Ott 2010).

Ausblick

Es ist kaum anzunehmen, dass eine derart umweltschädigende Intensiv-Grünland­wirt­schaft von der breiten Öffentlichkeit toleriert wird – falls sie denn über die Fakten und Konsequenzen Bescheid weiß. Zumindest in der Schweiz zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage unmissverständlich, dass die Erhaltung der Biodiversität der Bevölkerung zwar sehr am Herzen liegt und dass 91 % (!) der Befragten der Meinung sind, die Landwirtschaft müsse sich stärker für dieses Ziel engagieren (BAFU 2013); gleichzeitig sind aber viele dieser Befragten der Meinung, es stehe gut um die Biodiversität – trotz widersprechender Faktenlage (siehe unten). Für Deutschland hat die Naturbewusstseinsstudie 2011 ermittelt, dass 86 % der Befragten den Naturschutz als wichtige gesellschaftliche Aufgabe bewerten und 95 % als menschliche Pflicht ansehen. Nach Ansicht von 93 % der Befragten darf die Natur nur so genutzt werden, dass die Vielfalt der Pflanzen und Tiere wie auch ihrer Lebensräume auf Dauer gesichert sind (BMU & BfN 2012).

Vor diesem Hintergrund mutet es widersinnig an, wenn die öffentliche Hand diese zerstörerische Art des Wirtschaftens mit Subventionen aus Steu­er­geldern fördert1 und gleichzeitig ein Loblied auf die Bedeutung der Ökosystem­leistungen singt. So wird mit Mitteln der Allgemeinheit und gegen deren Willen am Ast gesägt, auf dem eben diese Allgemeinheit sitzt – wahrlich kein nachhaltiger Ressourceneinsatz! Dabei zeigt das Beispiel der Schweiz, dass die landwirtschaftliche Produktion durchaus in Richtung von mehr Biodiversität und Umweltschonung beeinflusst werden kann. Mit einer breiten Palette von Anreizsystemen (Qualitäts- und Vernetzungsprämien) und Flächenvorgaben (Säume, Streueflächen, Extensiv-Wiesen und -Weiden, Buntbrachen usw.) sind großflächige Exzesse wie in Südbayern jedenfalls kaum vorstellbar (BWL 2004, AGRIDEA 2011). Dabei gibt es auch in der Schweiz noch viel zu tun: Aus neuen Erhebungen geht hervor, dass auch diese „ökologischen Direktzahlungen“ ungenügend wirksam sind und hinsichtlich Flächenqualität und Vernetzungsdichte verbessert werden müssen (Meich­try-Stier et al. 2014, Walter et al. 2013).

Ich möchte darum unsere deutschen Nachbarn dringend dazu aufrufen, auch außerhalb der Nationalparks für ihre Landschaften mehr Sorge zu tragen und diese nicht – wie es zunehmend den Anschein macht – nur als Standorte für eine maximierte Nahrungs- und Energieproduktion zu missbrauchen. Ich möchte dies zum Schluss nicht einmal vorrangig mit den ökologischen Folgen begründen. Nein, ich schließe den Bogen als ein auf deutschen Straßen mittlerweile buchstäblich „er-fahrener“ Radfahrer: Da liebe ich ganz einfach die Abwechslung mehr als die Monotonie, weite Horizonte mehr als Wälder von Windrädern, bunte Wiesen, Getreidefelder und Hecken mehr als das Einheitsgrün von Mais und Bioreaktoren und den Gesang der Vögel und Heu­schrecken mehr als den Lärm über­dimensionierter Landwirtschaftsmaschinen. Und da ich gleichzeitig zu den Millionen ausländischer Touristen gehöre, ist das auch ökonomisch nicht unwesentlich.2

Geld ist aber nur das eine, hilfreich vielleicht, um eingefleischte Materialisten zu überzeugen. Ist nicht viel entscheidender, dass jede Landschaft in ihrer biologischen, ästhetischen und geschichtlichen Einmaligkeit auch Identität und Heimat ist? Güter also, welche zwar nicht käuflich, für das menschliche Wohlbefinden aber umso wichtiger sind? Auch darum erhoffe ich mir, dass die Bayern und die Deutschen mit ihren verbleibenden intakten Landschaften in Zukunft viel sorgsamer umgehen: Denn ist das Gesicht einmal verloren, so ist es kaum wieder zu retten.

1 Beispiel Bayern: Die bayerische Landwirtschaft (einschließlich Forstwirtschaft) wird jährlich mit mehr als 3,5 Mrd. € gefördert, umgerechnet auf 3,14 Mio. ha Landwirtschaftsfläche sind das >1000 €/ha (Stand 2011; StMELF 2012).

2 Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie trug der Tourismus 2010 einschließlich der indirekten und induzierten Effekte 214 Mrd. Euro zur deutschen Wirtschaftsleistung bei, entsprechend 9,7 %. Unter Berücksichtigung dieser Effekte waren 4,9 Mio. Erwerbstätige im Tourismus beschäftigt, das sind 12 % aller Erwerbstätigen. 2011 gab es gemäß der Deutschen Zentrale für Tourismus über 51 Mio. ausländische Übernachtungen in Deutschland, und die Ausländer gaben insgesamt fast 40 Mrd. Euro aus.

Literatur

AGRIDEA (2010): Ungemähte Streifen in Wiesen verbessern die Lebensbedingungen für Kleintiere (Merkblatt Landwirtschaftliche Forschung und Beratung). AGRIDEA, Lindau und Lausanne.

– (2011): Wegleitung für den ökologischen Ausgleich auf dem Landwirtschaftsbetrieb. AGRIDEA, Lindau und Lausanne.

BAFU (Bundesamt für Umwelt, 2013): Umfrage gfs.bern: grosse Handlungsbereitschaft zum Erhalt der Biodiversität. http://www.news.admin.ch/message/index.html?lang =de&msg-id=51198 (19.04.2014).

BLW (Bundesamt für Landwirtschaft, 2004): Die Schweizer Agrarpolitik. BLW, Bern.

BMU & BfN (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesamt für Naturschutz, Hrsg., 2012): Naturbewusstsein 2011 – Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Hannover, 81S. Download: http://bfn.de/0309_naturbewusstsein.html (Zugriff 19.01. 2014).

Bourassa, S.C. (1991): The Aesthetics of Landscape. Belhaven Press, London.

Fisher, B., Turner, R.K., Morling, P. (2009): Defining and classifying ecosystem services for decision making. Ecological Economics 68, 643-653.

Handke, K., Otte, A., Donath, T.W. (2011): Alternierend spät gemähte Altgrasstreifen fördern die Wirbellosenfauna in Auenwiesen. Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (9), 280-288.

Humbert, J.-Y., Ghazoul, J., Richner, N., Walter, T. (2012): Uncut grass refuges mitigate the impact of mechanical meadow harvesting on orthopterans. Biol. Conserv. 152, 96-101.

LfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt, 2013): UmweltWissen – Schadstoffe: Ammoniak und Ammonium. LfU, Augsburg.

Meichtry-Stier, K.S., Jenny, M., Zellweger-Fischer, J., Birrer, S. (2014): Impact of landscape improvement by agri-environment scheme options on densities of characteristic farmland bird species and brown hare (Lepus europaeus). Agriculture, Ecosystems & Environment (eingereicht und angenommen).

Naturkapital Deutschland (2012): Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – eine Einführung. TEEB DE. ifuplan, München; ULZ, Leipzig; BfN, Bonn.

Ott, K. (2010): Umweltethik. Zur Einführung. Junius, Hamburg.

Pimentel D., Wilson, C., McCullum, C., Huang, R., Dwen, P., Flack, J., Tran, Q., Saltman, T., Cliff, B. (1997): Economic and Environmental Benefits of Bio­diversity. BioScience 47 (11), 747-757.

Rodewald, R. (1999): Sehnsucht Landschaft – Landschaftsgestaltung unter ästhetischem Gesichtspunkt. 2. Aufl. Chronos, Zürich.

Schüpbach, B., Junge, X., Briegel, R., Lindemann-Matthies, P., Walter, T. (2010): Ästhetische Bewertung landwirtschaftlicher Kulturen durch die Bevölkerung. ART-Schr.-R. 10, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon (ART), Ettenhausen.

Simmel, G. (2001): Aufsätze und Abhandlungen 1909-1918, Band I. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 812, Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Staub, C., Ott, W., Heusi, F., Klingler, G., Jenny, A., Häcki, M., Hauser, A. (2011): Indikatoren für Ökosystemleistungen – Systematik, Methodik und Umsetzungs­empfeh­lungen für eine wohlfahrtsbezogene Umweltberichterstattung. Umweltwissen 1102, Bundesamt für Umwelt, Bern.

StMELF (Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Hrsg., 2012): Bayerischer Agrarbericht 2012 – Fakten und Schlussfolgerungen. München, 8S., Download unter http://www.stmelf.bayern.de/mam/cms01/agrarpolitik/dateien/agrarbericht2012.pdf (19.01. 2014).

Walter, T., Eggenberg, S., Gonseth, Y., Fivaz, F., Hedinger, C., Hofer, G., Klieber-Kühne, A., Richner, N., Schneider, K., Szerencsits, E., Wolf, S. (2013): Operationalisierung der Umweltziele Landwirtschaft – Bereich Ziel- und Leitarten, Lebensräume (OPAL). ART-Schr.-R. 18, Forschungsanstalt Agroscope Recken­holz-Tänikon (ART), Ettenhausen.

Anschrift des Verfassers: Dr. phil. ­Roman von Sury, Beratung & Kommunikation Umwelt, Zentralstraße 156, CH-8003 Zürich, E-Mail info@bk-umwelt.ch, Internet http://www.bk-umwelt.ch.

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