Land(wirt)schaft, Demokratie und Agro-Gentechnik
Im Rahmen der NNA-Forumsreihe „In und von der Landschaft leben“ lud die Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA) und die Forschungsnachwuchsgruppe PoNa (Politiken der Naturgestaltung) der Leuphana Universität Lüneburg nach Schneverdingen ein. Die eintägige Fachtagung stand unter dem Thema „Land(wirt)schaft, Demokratie und Agro-Gentechnik: „Wer entscheidet, was auf Äckern und Tellern landet?“.
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Wer entscheidet, was auf Äckern und Tellern landet?
Von Daniela Gottschlich, Katharina Berndt und Franz Höchtl
Im Zentrum der Veranstaltung standen Fragen nach der zukünftigen Ausrichtung der Landwirtschaft und der demokratischen Gestaltung ländlicher Räume. Diskutiert wurden sie exemplarisch an einem stark umstrittenen Politikfeld: dem Einsatz und der Nutzung von Agro-Gentechnik. Wie wirkt sie sich auf unsere Kultur- und Naturlandschaften aus? Welche Zukunft hat die bäuerliche, ökologische Landwirtschaft im Verhältnis zur industriellen Produktion? Wer entscheidet mit, welche Agrarpolitik verfolgt wird, welche Technik wann und wie eingesetzt wird? Zielgruppen der Veranstaltung waren Wissenschaftler, NGO-Vertreter, Landwirtschaftsverbände, Landwirte, Akteure der gentechnikfreien Regionen, Studierende sowie Lehrer. Zunächst lieferte Dipl.-Pol. Daniel Hertwig vom Informationsdienst Gentechnik aktuelle Informationen zum Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft. Schwerpunkte seines Vortrags waren der Gentechnik-Anbau des vergangenen Jahres, sowohl in Bezug auf die geografische Einordnung als auch auf die Zulassungsverfahren in Europa, das Produktionsausmaß, die Eigenschaften von Gentechnikpflanzen und die möglichen Folgen.
Im Jahr 2012 umfasste der Gentechnik-Anbau weltweit eine Fläche von 170 Mio. ha. Davon entfiel der größte Anteil auf die USA (41 %), gefolgt von Brasilien (21,5 %), Argentinien (14 %) und Kanada (6,8 %). Erzeugt wurden vornehmlich Soja (48 %), Mais (32 %), Baumwolle (14 %) und Raps (5,5 %). In der EU belief sich der Anbau 2012 auf 132 000 ha Fläche. Wenngleich ein Anstieg von 11 % im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen war, bleibt der Einsatz von Agro-Gentechnik in der EU bislang nur eine Randerscheinung. 2012 machte er lediglich 0,12 % der gesamten europäischen Ackerfläche (103 Mio. ha) aus und konzentrierte sich auf wenige Länder (87,3 % der Anbaufläche befinden sich in Spanien). Bisher durften in der EU seit 1998 nur der gentechnisch veränderte Mais MON810 und seit 2011 die gentechnisch veränderte Kartoffel Amflora auf den Acker. In Deutschland ist der kommerzielle Anbau von MON810 zurzeit verboten. Auch Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich, Polen und Ungarn bauen ihn nicht an. Seit dem Jahr 2012 werden in Europa keine Gentechnik-Kartoffeln mehr angebaut.
Erklärtes Ziel der Gentechniklobby sei, so Hertwig, eine Verbesserung der Produktivität von Agrarpflanzen, um höhere Ernteerträge zu erlangen. Nach 30 Jahren Forschung und 16 Jahren kommerziellem Anbau sei dieses aber nicht der Fall. Lediglich zwei Eigenschaften konnten erreicht werden: Herbizid- und Insektenresistenz. Allerdings mit problematischen Folgen, denn statt weniger Pestizide zu verbrauchen, ist laut einer aktuellen Studie in den USA bei gentechnisch veränderten Pflanzen ein Anstieg des Pestizidverbrauchs um 7 % (183 Mio. kg) zu verzeichnen. Auch die Oligopolstellung von Monsanto und Dupont hinsichtlich der Vermarktung des Saatguts und den Rückgang des konventionellen Maisanbaus um 67 % problematisierte Hertwig. Grund genug, in Europa alternative Wege zu wählen.
Dr. Franz Seifert von der Universität Wien ging auf die nationale und supranationale Anti-Gentechnik-Bewegung in Europa ein. Er erläuterte ihre Motive, analysierte ihre historische Entwicklung und identifizierte unterschiedliche Protestformen in den Ländern Österreich, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien.
Auch Dipl.-Umweltwiss. Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) berichtete über den aktuellen Stand gentechnikkritischer Bewegungen. Besonders das Anbauverbot von MON810 und der „Flop“ der Amflora-Kartoffel des deutschen Konzerns BASF, die nicht zuletzt nach einem Vertauschungsskandal mit einer anderen nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Kartoffel vom Markt genommen wurde, standen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Weiter wurden Erfolge der Anti-Gentechnik-Bewegung thematisiert, wie etwa der Beitritt von fünf Bundesländern zum Netzwerk gentechnikfreie Regionen Europas. Die Referentin lieferte zahlreiche Argumente gegen die Ansicht, dass es keine gentechnikfreien Futtermittel gäbe. So würden derzeit 50 % der deutschen Schaleneier durch Fütterung ohne Gentechnik erzeugt. Allerdings berge das kürzlich zwischen der EU-Kommission und den USA abgeschlossene Freihandelsabkommen noch Risiken, da eine große Diskrepanz zwischen den Zulassungsprozessen der beiden Länder vorliege (in Deutschland deutlich strenger) und unklar sei, welche letztlich gelten werden.
AbL-Bundesgeschäftsführer und Mitgründer der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ Dipl.-Ing. agr. Georg Janßen fokussierte er auf Kampagnen für eine nachhaltige Agrarpolitik. Besonderes Augenmerk galt der Entstehung der AbL und der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, kritische Aspekte (z.B. verschieden Fragen der Lebensmittelerzeugung) akteursübergreifend zu beleuchten und Protest auszuüben. Janßen forderte ein grundlegendes Umdenken: Statt die Interessen der Agrarindustrie zu bedienen, müssten sich regionale und nationale Regierungen entschlossen gegen den Zwang des Wachsens oder Weichens in der Landwirtschaft stellen und agrarpolitische Rahmenbedingungen schaffen, die eine qualitativ hochwertige Lebensmittelerzeugung ermögliche, tiergerecht, gentechnikfrei, klima- und umweltverträglich und solidarisch mit den Kleinbauern in der Welt zu fairen Preisen.
Komplexe Zusammenhänge wie die Nahrungsmittelproduktion in ihren verschiedenen nachhaltigkeitsrelevanten Dimensionen zu erfassen, will früh geübt sein. Bildung für nachhaltige Entwicklung, zu der sich auch das Projekt KritikGen zählen lässt, setzt hier an. KritikGen ist eine studentisch entwickelte Untergruppe des Jugendumweltnetzwerks Niedersachsen e.V. (JANUN). Sie verfolgt das Ziel, Jugendliche zum Thema Gentechnik fortzubilden. Vielen Schülerinnen und Schülern ist Gentechnik als Begriff durchaus geläufig. In Bildungsangeboten kommt der kritische Blickwinkel auf das Thema aber oft zu kurz. KritikGen entwickelte deshalb eine kreative Bildungsaktivität, die sich an freie Gruppen und Schüler der 8. bis 10. Klassen aller Schulformen richtet. Vorgestellt wurde das Projekt durch Olivia Sprengel.
Dipl.-Umweltwiss. Beate Friedrich vom Forschungsprojekt PoNa stellte ihre Beobachtungen zu den in den Anbauregionen stattfindenden Konflikten um den Einsatz von Agro-Gentechnik vor. Gerade in den Dörfern können soziale Beziehungen die Entscheidung für oder gegen Agro-Gentechnik beeinflussen. Dabei ist auch eine Politisierung vor Ort zu beobachten: Durch die Konflikte werden die Äcker nicht nur zu Orten der Produktion von Lebens- und Futtermitteln sowie Energiepflanzen, sondern auch des Diskurses um die Zukunft der Landwirtschaft und die Gestaltung von Agrarpolitik.
CIVILSCAPE-Bundesgeschäftsführer Dirk Gotzmann (Bonn) machte sich das Thema einer demokratischen Gestaltung der Land(wirt)schaft und der damit einhergehenden zentralen Forderungen der Europäische Landschaftskonvention (ELC) zu eigen. Die 2004 in Kraft getretene ELC setzt sich zum Ziel, Landschaftsschutz, -pflege und -planung sowie die Organisation der europäischen Zusammenarbeit in Landschaftsfragen zu fördern. Hierbei geht es etwa um die Festlegung von Landschaftsschutzzielen und die Bewusstseinsbildung der Gesellschaft, aber auch der Behörden und privaten Organisationen. Derzeit bemüht sich CIVILSCAPE im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative, die EU zur Unterzeichnung der ELC zu bewegen.
Abschließend wurde die Frage „Inhalte, Strukturen und Prozesse: Wo müssen wir ansetzen, um Land(wirt)schaft demokratischer zu gestalten?“ unter der Moderation von Daniela Gottschlich diskutiert. Thematisiert wurden Aspekte wie lokale Konflikte um Agro-Gentechnik in den Dörfern, Konsumeinflüsse, das Problem der Nichtrückholbarkeit, der Strukturwandel und daraus abzuleitende Handlungsmöglichkeiten sowie integrative Ansätze und Engagement vor Ort. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden können, was auf ihren Tellern landet, braucht es stärkere Transparenz, so die Forderung einer Konferenzteilnehmerin. Das Label „Ohne Gentechnik“ wurde hier als erster wichtiger Schritt gewertet. Politische Einflussnahme erfordere aber auch eine stärkere gesamtgesellschaftliche Politisierung. Orte zu schaffen, um sich über die Fragen, wie wir Landwirtschaft betreiben wollen und wie sich die Kluft zwischen Produzenten und Konsumenten (wieder) schließen lasse, beispielsweise über Community Supported Agriculture, sei auch ein Beitrag zu mehr Demokratie. In dieser Hinsicht hat die Fachtagung einen kleinen ersten Schritt getan, dem weitere folgen sollten.
Anschriften der Verfasser(innen): M. A. pol. Daniela Gottschlich und Katharina Berndt, Forschungsgruppe PoNa, Leuphana Universität Lüneburg, Scharnhorststraße 1, D-21335 Lüneburg, E-Mail daniela.gottschlich@leuphana.de; Dr. Franz Höchtl, Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz (NNA), D-29640 Schneverdingen, franz.hoechtl@nna.niedersachsen.de.
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