Citizen Science – voll cool oder nur doof?
Abstracts
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Idee, Citizen Science als neues Medium für die Umweltbildung mit Jugendlichen zu nutzen. Die dargestellten Ergebnisse beruhen auf der Arbeit mit drei Schulklassen (Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren) und ihrer Befragung. Dabei wurden von den Schülerinnen und Schülern Tagfalter, Ziesel und Trockenrasen-Lebensräume untersucht.
Aus der Sicht der Jugendlichen ist vor allem der unmittelbare Kontakt mit der Natur das wichtigste Element an Citizen-Science-Angeboten. Anders als erwartet sind die technischen Aspekte, von der Dateneingabe bis zur GPS-Verortung, weniger attraktiv. Auch das Erlernen der Fähigkeit, Arten zu bestimmen, stößt auf wenig Gegenliebe. Wie zu erwarten, leistet jedoch die soziale Komponente, wie die Gruppenarbeit oder der Kontakt mit Wissenschaftlern und Studierenden, einen positiven Beitrag zum Gesamterlebnis. Zu den Erfolgsfaktoren gehört eine bewusste Ausrichtung auf Tierarten, die leicht zu bestimmen sind. Motivationsfördernd wirkt das Gefühl, einen Beitrag zum Naturschutz zu leisten.
Die Teilnahme an Citizen Science wird von den Schülerinnen und Schülern ausdrücklich begrüßt und lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen gut zur Umweltbildung einsetzen. Die eigene Freizeit würde die Mehrheit jedoch nicht dafür verwenden. Für ein klassisches, selbständiges Laienmonitoring, das eine verantwortungsvolle und längerfristige Beteiligung erfordert, ist diese Zielgruppe aus diesem Grunde nur bedingt geeignet.
Citizen Science – Really Cool or Just Stupid? Lay monitoring as contribution to the environmental education of young people
The study investigates citizen science as a potential tool for the environmental education of adolescents. Data were collected in surveys of three high school classes with students aged 15 to 17 years who provided their opinions of and experiences with the project. This particular citizen science project focused on ecological or behavioral observations of butterflies, the European ground squirrel and dry meadow habitats.
Results show that for the students direct contact with nature and animals mattered the most. Contrary to our hypothesis technical aspects of the project such as exposure to data processing and the use of GPS were of lower importance. The majority of students were not very keen to identify more challenging species within the investigated taxa. Social aspects of the project, such as the opportunity to work in a team and the cooperation with researchers and university students were greatly appreciated. One of the key factors for the students’ motivation was their potential contribution to the protection of the species and habitats.
Despite the students’ great enthusiasm for such innovative activities as part of their school routine only a very small percentage of them would volunteer in similar projects during their spare time. Since citizen science involves regular commitment over a longer time period it can be concluded that there is limited scope for this type of environmental education with this target group.
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1 Einleitung
Das Interesse Jugendlicher an der Natur und ihr Wissen in Hinblick auf Biodiversität oder Naturschutz sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (Brämer 2010, Brickwedde et al. 2008, Hurrelmann et al. 2006, Lutz-Simon & Häusler 2006, Pröbstl et al. 2006). Darin wird bei Jugendlichen generell eine gewisse Entfremdung von der Natur festgestellt. Ihre Interessen sind in einer digital geprägten Lebenswelt zunehmend auf Medienkonsum ausgerichtet (Kromer 2006); im Jahr 2010 war Internetnutzung neben dem Treffen mit Freunden bereits die häufigste Freizeitbeschäftigung (Albert et al. 2010). Brämer (2006) konstatiert ein verändertes Naturbild, das den Menschen tendenziell ausgrenzt, Naturnutzung wie Forstwirtschaft als schädlich ansieht und in dem die Natur auf die Hilfe des Menschen angewiesen ist. Nach Brämer (2006) ist für diese Entfremdung aber nicht nur der gestiegene Medienkonsum verantwortlich zu machen, sondern auch ein „Übermaß an moralischer Emphase“ in der herkömmlichen Umwelterziehung. Über 90 % der über 2000 von ihm befragten Jugendlichen würden am liebsten ohne Erwachsene in der Natur unterwegs sein, Lehrer eingeschlossen.
Allerdings ist in der Oberstufe Zeit und Gelegenheit für Naturerlebnis nicht vorgesehen, wenngleich in den Lehrplänen, wie etwa jenem für Biologie und Umweltkunde der gymnasialen Oberstufe (14- bis 18-Jährige), naturschutzfachliche Anforderungen enthalten sind (BMUKK 2008: „Die Bedeutung des Arten- und des Biotopschutzes soll erkannt werden. […] Die Schülerinnen und Schüler sollen positive Emotionen für Natur und Umwelt entwickeln.“)
Daraus ergibt sich die Frage, wie Umweltbildung und Naturpädagogik angelegt sein müssen, um bei Jugendlichen den Trend zur Entfremdung von der Natur umzukehren. Mit diesem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, ob und inwieweit durch Citizen Science das Interesse von Jugendlichen für Naturerfahrungen gesteigert werden kann.
Das Konzept von Citizen Science ist neben dem klassischen Forschungsziel (vgl. Beitrag von Gantner et al. in diesem Heft) auch durch ein klares Bildungsziel (Bell et al. 2008) bestimmt: „Laien“ sollen durch ihre eigenen wissenschaftlichen Beiträge Artenkenntnis und die Kenntnis ökologischer Zusammenhänge erwerben. Während Krasny & Bonney (2005) die Bildungsziele von Citizen Science ursprünglich eher auf diesen Erkenntnisgewinn beschränken, zeigten weiterführende Studien, dass daraus auch klassische Ziele der Umweltbildung, wie Verhaltensänderungen, erfüllt werden können (wie z.B. die „Classroom Feeder Watch“ des Cornell Laboratory for Ornithology, die in Naturschutzaktivitäten mündete; Bell et al. 2008).
Trotz zahlreicher Veröffentlichungen über Citizen Science in den letzten Jahren (Cooper et al. 2007, Devictor et al. 2010, Encarnacao et al. 2012) sind kaum Daten im Zusammenhang mit der Altersgruppe der Jugendlichen bekannt, und wenn, dann als „Absenz-Daten“: So waren z.B. lediglich 0,8 % der Teilnehmer am Tagfalter-Monitoring in Deutschland und in Wien aus der Altersgruppe der unter 20-Jährigen (Pendl et al. 2011).
Vor diesem Hintergrund lassen sich die zentralen Fragestellungen für diesen Beitrag wie folgt formulieren:
Inwieweit kann man durch Citizen Science Jugendliche für Natur und naturschutzfachliche Themen interessieren?
Welche Faktoren begünstigen das Interesse und die erfolgreiche Durchführung von Citizen-Science-Projekten?
Welche Aspekte sind für die Motivation der Schülerinnen und Schüler entscheidend?
Aus den Ergebnissen sollen Empfehlungen für die Wissenschaft und Praxis abgeleitet werden.
2 Methode
Zur Bearbeitung der Forschungsfragen wurden Citizen-Science-Pilotprojekte mit Schulen durchgeführt und von den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern bewertet.
Die Projekte wurden im Rahmen einer Kooperation der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) mit einer ausgewählten Schule in Wien und zwei Schulen aus dem ländlichen Raum in Niederösterreich konzipiert und wiesen jeweils einen anderen Themenschwerpunkt auf, der durch eine leichte Erreichbarkeit von der Schule mitbestimmt war: (1) Ziesel, (2) Tagfalter auf Auwiesen und (3) ein Trockenrasenlebensraum in einer Weinbaulandschaft.
Das pädagogische Konzept des Pilotprojekts folgte den Prinzipien der Hochschuldidaktik (Berendt et al. 2002) mit Fokus auf forschungsgeleitetem, selbständigem Lernen in Kleingruppen. Die Schülerinnen und Schüler wurden von Wissenschaftlern der BOKU und weiteren Experten für die jeweiligen Tiergruppen sowie Studierenden der BOKU (als Mentorinnen bzw. Mentoren) betreut. Die Projekte wurden im Rahmen des Schulunterrichts abgehalten und nahmen jeweils zwei Wochenstunden (teilweise geblockt zu Halbtagen) während des gesamten Sommersemesters 2012 in Anspruch. Die Projekte setzten sich aus einer Auftaktveranstaltung in der Schule, zwei bis drei Workshops in der Schule (u.a. mit Bestimmungsübungen), mehreren Freilanderhebungen sowie ein bis zwei Terminen zur Datenauswertung und Diskussion der Ergebnisse zusammen. Alle Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit in Abschlussveranstaltungen mit Präsentationen durch die Schülerinnen und Schüler vorgestellt.
Alle teilnehmenden gleichaltrigen Schülerinnen und Schüler (pro Schule eine Schulklasse der 10./11. Schulstufe im Oberstufengymnasium, vorwiegend 15 bis 17 Jahre alt, insgesamt 77 Schülerinnen und Schüler, davon 37 weiblich und 40 männlich) wurden zu Beginn und am Ende des Projekts mittels anonymisierter, standardisierter Fragebögen (Atteslander 2006) über ihre Interessen und Einstellungen (u.a. bezüglich Naturschutz) sowie zur Bewertung der Aktivitäten befragt. Als Indikatoren für das Interesse der Jugendlichen an Citizen Science dienten die Akzeptanz der Aktivitäten (über eine Notenskala) sowie das Ausmaß des Interesses für weitere ähnliche Aktivitäten. Zur Ermittlung der Erfolgsfaktoren konnten die Schülerinnen und Schüler sowohl die angewandten Methoden und didaktischen Ansätze als auch die wissenschaftlichen Inhalte auf ihre Eignung zur Vermittlung von Naturerlebnis und Biodiversitätsverständnis bewerten. Indikatoren für die Motivation waren das Interesse in Bezug auf weitere ähnliche Projekte sowie persönliche Einstellungen zum Naturschutz.
Die Auswertung der Fragebögen mittels SPSS war Teil einer Masterarbeit (Knoll 2013). Zusätzlich erfolgte eine teilnehmende, nicht strukturierte Beobachtung der Schülerinnen und Schüler (Diekmann 2007) durch das wissenschaftliche Betreuerteam. Auch die aktiv teilnehmenden Lehrerinnen der Schulklassen wurden am Ende des Projektes mittels standardisierter Fragebögen befragt.
3 Ergebnisse
Aus den umfangreichen Ergebnissen wurden folgende Aspekte für die vorliegende Publikation ausgewählt: Fragen zum Interesse, zur Motivation und zur Durchführung von Citizen Science mit Schülerinnen und Schülern.
3.1 Interesse
Über die Hälfte der Befragten (54 %) bewerteten die durchgeführten Citizen-Science-Aktivitäten positiv (Abb. 1). Nur 6 % distanzierten sich völlig.
3.2 Erfolgsfaktoren
Bei der Bewertung der didaktischen Aspekte und der Inhalte zeigte sich ein recht heterogenes Bild (Abb. 2). Am positivsten bewerteten die Jugendlichen das Naturerlebnis und den damit verbundenen Spaß am Naturkontakt. „Draußen sein“ war das, was fast alle Schülerinnen und Schüler (87 %) am meisten begeisterte. Exkursionen bei Regenwetter (v.a. bei der Tagfalter- und der Trockenrasengruppe) führten zwar bei den schlecht ausgerüsteten Jugendlichen zu Unmutsäußerungen („bei dem Wetter müssen wir raus?“), allerdings war das bei der rückblickenden Bewertung offenbar nicht der prägende Eindruck über den Projektzeitraum hinweg. Der unmittelbare Kontakt mit Tieren und die Beobachtung ihres Verhaltens zählten auch bei dieser Altersgruppe zu den Highlights (Insekten fangen: 78 % bzw. Tiere beobachten: 76 % positive Bewertungen). Im direkten Umgang mit den Tieren (z.B. bei der Bestimmung von Tagfaltern oder Beobachtung von Wildbienen im Freiland) verhielten sie sich sehr umsichtig, verletzten keine Tiere und nutzten auch die Möglichkeit, die Folgen ihres Handelns, Implikationen für den Artenschutz oder ethische Fragen mit den Betreuern zu diskutieren (z.B. bezüglich der Freilassung von frisch geschlüpften Faltern aus dem Puppenhaus).
Es ist für die meisten Befragten interessant, Wissen über Biodiversität, Arten bzw. wissenschaftliche Methoden vermittelt zu bekommen (bis 68 %). Obwohl die Schülerinnen und Schüler den Umgang mit Bestimmungsbüchern rasch lernten und erstaunlich gute Bestimmungserfolge erzielten, können sie sich für die aufwändigere tatsächliche Anwendung von Bestimmungsbüchern weniger begeistern. Auch das Arbeiten mit anderen technischen Hilfsmitteln, wie Ferngläsern und GPS, war wenig beliebt (nur bei unter 50 % der Befragten). Ebenso wurde beobachtet, dass die Begeisterung, Ziesel zu beobachten und deren Bauten zu verorten, mit der Zeit abnahm. Smartphone-Apps wurden zur Bestimmung nicht verwendet, da Apps mit ausreichend detaillierten Informationen im Projektzeitraum noch nicht zur Verfügung standen.
Im Bereich der Datenaufarbeitung und -präsentation waren nicht alltägliche Aktivitäten spannender als gewohnte. Jene Schülerinnen und Schüler, die persönlich in die Erstellung der Filme, des Trockenrasen-Kalenders und die Präsentationen ihrer Ergebnisse vor Publikum involviert waren, bewerteten diese Aktivitäten sehr positiv. Die Arbeit auf der Website hingegen – Fotos hochladen, Texte verfassen – gefiel ihnen weniger und wurde tendenziell eher vermieden.
Besonders positiv wurde der gewählte didaktische Ansatz bewertet: Der Fokus auf selbständiger (Klein-)Gruppenarbeit, die enge Zusammenarbeit mit dem universitären Personal und die Kooperation mit Studierenden gefielen fast 80 % der Befragten gut oder sehr gut. Auch die Möglichkeit, eigenes Wissen an jüngere Schülerinnen und Schüler vermitteln zu können, kam sehr gut an. So gestaltete eine Gruppe eine Halbtagsexkursion für zwei Klassen mit zwölfjährigen Kindern, bei der an acht Stationen spielerisch Erkenntnisse über Biologie, Artenreichtum und Gefährdung von Tagfaltern vermittelt wurden. Bei allen Beteiligten konnten eine hohe Begeisterung und ein beeindruckender Lernerfolg beobachtet werden.
3.3 Motivation
Im Rahmen der Befragung wurden die Schülerinnen und Schüler auch danach gefragt, ob sie wieder an einem ähnlichen Projekt teilnehmen würden. Dabei zeigten sich Unterschiede zwischen den Gruppen und den durch sie behandelten Inhalt. Zwar würde die Mehrheit (63 %, n=71) gerne wieder an einem Citizen-Science-Projekt teilnehmen. Die Werte lagen bei der Tagfaltergruppe mit 75 % am höchsten und bei der Zieselgruppe mit 50 % am niedrigsten (Trockenrasen 65 %).
Betrachtet man die in Abb.3 dargestellten Gründe für die Teilnahme an einem Citizen-Science-Projekt, dann zeigt sich, dass anders, als das bei Jugendlichen zu erwarten wäre (vgl. Hurrelmann et al. 2006), weniger die sozialen Aspekte als vielmehr naturschutzbezogene Argumente den Ausschlag geben. Auch das Argument, einen Beitrag zur Forschung zu leisten, wurde von 22 % der Jugendlichen befürwortet. Daraus lässt sich schließen, dass zumindest ein Teil der Schülerinnen und Schüler wissenschaftlichen Fragestellungen (z.B. „Welche Tagfalterarten kommen in den Auwiesen vor?“ oder „Welche Verhaltensweisen sind beim Ziesel am häufigsten?“) gegenüber aufgeschlossen sind.
Den Ort zur Auseinandersetzung mit Biodiversität und Naturschutz sehen die Schülerinnen und Schüler eindeutig in der Schule, wie die Antworten auf zwei weitere Fragen zeigen: Eine stärkere Thematisierung von Biodiversität und Naturschutz im Unterricht ist von 78 % aller Befragten erwünscht (n=69). Fragen, was für den Naturschutz, für die Erhaltung der schönen Landschaft und gegen den Verlust der Biodiversität getan werden kann, stehen zwei Drittel mit großem Interesse gegenüber.
Darüber hinaus können sich 72 % vorstellen, im Rahmen des Unterrichts regelmäßig an einem Citizen-Science-Projekt zur Naturbeobachtung teilzunehmen. Argumentiert wird das mit „willkommener Abwechslung zum normalen Unterricht“.
Während außerhalb der Schule ein Viertel der Befragten zumindest noch informiert werden möchte über Einsatzmöglichkeiten im Bereich Citizen Science, können sich nur 10 % vorstellen, selbst als Freiwillige im Naturschutz bei Datenerfassungen mitzumachen (Abb.4). Interessant war auch, dass bei den wenigen Schülerinnen und Schülern, die bereit wären, sich an entsprechenden Projekten in ihrer Freizeit zu beteiligen, keine Person aus dem städtischen Raum (Wien) dabei war.
Der Eindruck, dass das Citizen-Science-Projekt im Wesentlichen als attraktive Abwechslung zum konventionellen Unterricht gesehen wird, wurde auch dadurch verstärkt, dass die Schülerinnen und Schüler Einladungen zu Aktivitäten, die ihnen im Rahmen des Projekts außerhalb der Schulzeit angeboten wurden, nicht folgten, wie z.B. einer Teilnahme an der Langen Nacht der Forschung an der BOKU (mit einem eigens für die Zielgruppe entwickelten Fledermaus-Programm) oder zusätzlichen Exkursionen zur Tagfalter-Bestimmung. Während Teilnehmer der Trockenrasen-Gruppe bei einem Pflegeeinsatz im Rahmen des Schulunterrichts begeistert Hand anlegten, wurde das Angebot (für alle Jugendlichen) für einen mehrtägigen Einsatz zur Pflege weiterer Trockenrasen an einem langen Wochenende nicht angenommen.
Die Befragung der beteiligten Lehrkräfte bestätigte dieses Bild. Hervorgehoben wurde aber auch, dass durch Citizen Science positive Lerneffekte erzielt und das Interesse für den Naturschutz erhöht wurden.
3.4 Eignung verschiedener Organismen aus der Perspektive der Jugendlichen
Aus wissenschaftlicher Sicht wird – auch im Hinblick auf die angestrebten Ziele in Bildung und Forschung – die Eignung verschiedener Artengruppen für Citizen Science sehr unterschiedlich diskutiert (siehe Gantner et al. in diesem Heft). Hier wurde untersucht, welche Tier- und Pflanzengruppen aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler attraktiv sind.
Wie in Abb. 5 zu sehen ist, sind größere Tiere, insbesondere Säugetiere, Greifvögel und Reptilien, für die Schülerinnen und Schüler besonders attraktiv. Kleinere, unscheinbarere Tiergruppen wie Käfer und Schnecken bildeten das untere Ende der Beliebtheitsskala. Bei den Pflanzen liegen Orchideen mit 55 % Interesse vorne, gefolgt von Neophyten.
Betrachtet man die Geschlechter getrennt, sind bei Mädchen kleine Säugetiere wie der Igel (79 %), bei den Jungen Greifvögel (76 %) am beliebtesten. Fledermäuse sind für Mädchen und Jungen gleichermaßen attraktiv. Die Begeisterung für Tagfalter (46 %) steigt offensichtlich, wenn man sie bereits kennengelernt hat: In der Schulklasse, die sich mit Tagfaltern beschäftigte, war die Zustimmung mit 63 % viel höher als in den beiden anderen Gruppen. In abgeschwächtem Ausmaß traf dieser Befund auch auf Eidechsen zu: Hier war das Interesse in der Gruppe, die im Trockenasen arbeitete und Smaragdeidechsen beobachten konnte, etwas höher.
Diese Erkenntnis darf jedoch nicht pauschal auf andere Artengruppen übertragen werden. So war das Interesse an der Fortsetzung des Ziesel- bzw. Trockenrasen-Monitorings in den entsprechenden Gruppen nicht höher als in den Vergleichsgruppen.
4 Diskussion
4.1 Ausstieg aus dem Schulalltag, aber mehr nicht?
Die Studie demonstriert, dass eine Reihe bekannter Trends und gesellschaftlicher Entwicklungen auch für den Einsatz von Citizen Science mit Jugendlichen bestimmend sind.
Citizen Science kommt im Rahmen des Schulunterrichts als „Abwechslung“ zum Normalunterricht sehr gut an. Allerdings wird von den Jugendlichen strikt unterschieden zwischen Schule und Freizeit. Eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung soll möglichst nicht betroffen sein. Diese ist, wie begleitende Fragestellungen zeigten (Knoll 2013), durch intensive Mediennutzung, insbesondere das Internet und Social Media-Kontakte, bestimmt. Freunde treffen, Musik hören und „Chillen“ gehören ebenfalls dazu und unterscheidet Jungen und Mädchen kaum. Damit bestätigen sich auch Studien zum Freizeitverhalten (z.B. von Albert et al. 2010, Brämer 2006 und 2010, Hurrelmann et al. 2006, Leitner 2011), wonach die durch Internet und Medien genutzten Anteile seit Jahren ständig zunehmen. Nur ein Viertel der von uns befragten Jugendlichen hält sich „regelmäßig“ in der Natur auf. Umso bedeutsamer erscheint es, dass Gelegenheiten, Naturerlebnis im Rahmen des Schulunterrichts anzubieten, aktiv verfolgt werden sollten, wie es auch der Lehrplan vorsieht (BMUKK 2008).
Citizen Science verfolgt als Teil der Bewusstseinsbildung auch das Ziel, zum wissenschaftlichen Denken anzuregen (Ellenbogen 2007, Krasny & Bonney 2005, Trumbell et al. 2000). Dabei sollte eine Entwicklung vom „Datensammler“ zum (Laien-)„Wissenschaftler“ erfolgen, der Sachverhalte prüft und hinterfragt. Demnach lernt der „richtige Citizen Scientist“ in der ersten Stufe, vorgegebene Fragen zu beantworten, in der zweiten Stufe dann, eigene (Forschungs-)Fragen zu formulieren und zu beantworten.
Dieser Entwicklungsschritt konnte in unserem Pilotprojekt nicht beobachtet werden, wenngleich eingeräumt werden muss, dass dieses Ziel in dem knappen Zeitrahmen auch nicht prioritär verfolgt wurde. Insbesondere bei jenen beiden Testgruppen, die sich mit einer hohen Artenvielfalt vertraut machen mussten (Tagfalter und Lebensraum Trockenrasen), war die Themenstellung offensichtlich zu komplex und der Zeitrahmen von einem Semester zu kurz, um Möglichkeiten zu schaffen, eigene wissenschaftliche Fragen zu stellen. Allerdings räumen auch Krasny & Bonney (2005) ein, dass sich bei den meisten ihrer Studierenden kein echtes Forschungsverständnis etablierte. Das ist bedauerlich, da immerhin fast ein Viertel der befragten Jugendlichen an wissenschaftlichen Fragen interessiert ist. Nach Ansicht der Autor(inn)en könnte das Forschungsverständnis durch eine längerfristige Kooperation zwischen Wissenschaftern und PädagogInnen gefördert werden.
4.2 Medium und Methoden
Bei der Diskussion von Citizen-Science-Projekten mit Jugendlichen waren wir im Rahmen der Arbeitshypothesen davon ausgegangen, dass die technische Verarbeitung der Daten, die Verortung mit Hilfe von GPS oder die Bedeutung eigener Daten für internetbasierte Foren oder Apps zur Bestimmung von Arten im Internet einen Teil der Faszination ausmachen könnten. Die Erfahrung mit den Jugendlichen bestätigt eher das Gegenteil. Die Verwendung von Internet, GPS oder der eigenen Smartphones (u.a. zum Fotografieren) ist für die Jugendlichen offenbar bereits ein so fester Bestandteil ihres Alltags, dass dieser Aspekt nicht zu den attraktiven Bestandteilen von Citizen-Science-Projekten gerechnet werden kann. Für uns überraschend deutlich wurde von den Jugendlichen herausgestellt, dass vielmehr der direkte Kontakt mit Arten besonders beeindruckend war (was man nicht kennt und eher selten erlebt, fasziniert am meisten).
An diesem Punkt sollten neue Projekte zu Citizen Science ansetzen. Im Mittelpunkt der Angebote sollten die vertiefende Kenntnis von Arten und das spezielle Naturerlebnis stehen und weniger die technische Infrastruktur, denn hier können in vielen Fällen wohl die Lehrenden von den Jugendlichen lernen. Dass dazu unbedingt auch der physische Kontakt gehört, haben u.a. auch Arbeiten von Kelemen-Finan & Eder (2011) und Randler et al. (2012) mit jüngeren Kindern gezeigt.
Dennoch muss man vorsichtig sein, aus dieser kurzfristigen Begeisterung für den abwechslungsreicheren Unterricht in der Natur weitergehendes Interesse und Handlungsbereitschaft ableiten zu wollen. Die befragten Jugendlichen trennten streng zwischen Schule und Freizeit. Nur eine Minderheit von 10 % kann sich Citizen Science als Freizeitbeschäftigung vorstellen.
Dieses passt sehr gut zusammen mit den Ergebnissen der Shell-Studie (Hurrelmann et al. 2006): Auch dort bekundeten die Jugendlichen Interesse für die Umwelt, allerdings erst auf Platz 16 (von 23) ihrer Interessen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das bekundete Interesse (vgl. dazu auch Knoll 2013) nicht automatisch in tatsächliche Handlungsbereitschaft mündet.
Allerdings können entsprechende Erfahrungen und Erlebnisse die Grundlage für spätere Änderungen der Interessenspräferenzen und Handlungen sein, die, wie Vogt (1998) zeigte, nicht unmittelbar anschließen müssen, sondern eher langfristig angelegt sind.
Dass eine gewisse Naturferne bei Jugendlichen ein temporäres Phänomen sein kann, wird auch durch die Wanderstudien von Brämer (2006) belegt: Wenn der Zwang zu familiären oder schulischen Naturbesuchen mit dem Eintritt in das Studentenleben abfällt, steigt der eigene Antrieb zu Naturaktivitäten wieder sprunghaft an. Ähnliche Beobachtungen machte auch Teufelbauer (2013): Seit einigen Jahren verzeichnet Birdlife Österreich eine stärkere Beteiligung von Studierenden in ehrenamtlichen Vogelschutz-Programmen.
Die Aussage der Jugendlichen, dass der Artenschutz die wichtigste Motivation für die Teilnahme an einem Citizen-Science-Projekt ist, geht weiterhin konform mit den Ergebnissen einer aktuellen Befragung im Rahmen des freiwilligen Tagfalter-Monitorings in Deutschland (Kühn 2013). Dabei gaben 94 % der (erwachsenen) Zähler den Tagfalter-Schutz als stärkste Motivation für ihr Engagement an.
5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Aus den Erfahrungen lassen sich einige Empfehlungen für die Konzeption und Durchführung von Citizen-Science-Projekten als Beitrag zur Umweltbildung bei Jugendlichen ableiten.
In der Schul-Praxis fehlen meist die Voraussetzungen für projekt- und kleingruppenbasierte Freilandstudien, die wiederum für den im Lehrplan zitierten Erkenntnisgewinn erforderlich sind. Citizen-Science-Projekte können hier eine attraktive Ergänzung bilden. Als Schwierigkeit stellt sich dabei das begrenzte Zeitbudget dar. Zwei Unterrichtsstunden pro Woche für die Dauer eines Schuljahres, mit der Möglichkeit von Blockveranstaltungen, wären wünschenswert, sind in österreichischen Regelschulen jedoch kaum realisierbar.
Als entscheidend wichtig erweist sich ein klar durchdachtes pädagogisches Konzept und die Reduktion der Aufgabenstellung auf wenige klar umrissene Fragestellungen. Das Interesse, sich differenziert einzuarbeiten und Unterschiede, z.B. der verschiedenen Arten, zu erlernen, ist eher gering. Wenig Einarbeitungsaufwand und viel selbstbestimmtes Erlebnis bestimmen die Erwartungen der Jugendlichen. Damit bleiben sie – wie bereits in anderen Studien dargestellt (vgl. Pröbstl et al. 2006) – eine gesellschaftlich wichtige, aber nicht leicht zu erreichende Zielgruppe.
Ein regelmäßiges Monitoring mit Jugendlichen als „Citizen Scientists“, die einen nennenswerten Beitrag zur Biodiversitätsforschung leisten, scheint ohne großen externen Input nur schwer umsetzbar, da dieses einen gewissen Zeitaufwand seitens der Jugendlichen außerhalb des Schulunterrichts voraussetzen würde. Die Bereitschaft dafür erscheint gering.
In sich geschlossene, gut betreute und ausreichend Raum für eigenständige Naturerfahrungen gewährende Schulprojekte können aber sehr wohl in der Lage sein, das Interesse der Jugendlichen für die Natur – und längerfristig eine darauf aufbauende Handlungsbereitschaft im Naturschutz – zu stärken.
Literatur
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Anschrift der Verfasser(innen): Univ.-Ass. Dr. Julia Kelemen-Finan, Dipl.-Ing. Christoph Knoll und Prof. Dr. Ulrike Pröbstl-Haider, Universität für Bodenkultur Wien, Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur, Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung (ILEN), Peter-Jordan-Straße 82, A-1190 Wien, E-Mail julia.kelemen@boku.ac.at und ulrike.proebstl@boku.ac.at.
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