Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Kurz berichtet

SLASS statt SLOSS

In der Diskussion über die Errichtung eines Nationalparks im Nordschwarzwald, die seit 2011 in der Region intensiv geführt wird, kam in letzter Zeit zunehmend auch die SLOSS-Debatte zu einer Renaissance: Was ist wirksamer – wenige große oder viele kleine Schutzgebiete? Der Beitrag versucht eine regionale Antwort: Eine Kombination ist notwendig aus großen Kernzonen des Nationalparks, mittelgroßen Bannwäldern und kleinflächigem Habitatschutz.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
SLASS statt SLOSS. Vernetzung von Schutzgebieten unterschiedlicher Größe auf der Gesamtfläche. Die große Nationalpark-Kernzone dient ­dabei als Quellgebiet, in dem auf der Fläche ein räumlich-zeitlicher ­Mosaik-Habitat-Zyklus möglich ist. Über Trittstein-Habitate (Alt- und Totholzkonzept) wird die Fläche mit weiteren kleineren und größeren Prozessschutzflächen vernetzt (Bannwälder, Naturwaldreservate).
SLASS statt SLOSS. Vernetzung von Schutzgebieten unterschiedlicher Größe auf der Gesamtfläche. Die große Nationalpark-Kernzone dient ­dabei als Quellgebiet, in dem auf der Fläche ein räumlich-zeitlicher ­Mosaik-Habitat-Zyklus möglich ist. Über Trittstein-Habitate (Alt- und Totholzkonzept) wird die Fläche mit weiteren kleineren und größeren Prozessschutzflächen vernetzt (Bannwälder, Naturwaldreservate).
Artikel teilen:

Warum ein Nationalpark im Nordschwarzwald doch die bessere Lösung darstellt

Von Marc Förschler, Charly Ebel und Wolfgang Schlund

Vor allem in den 1970er und 80er Jahren wurde die SLOSS-Debatte intensiv geführt. In dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung ging und geht es im Wesentlichen darum, welche Schutzform das geeignetere Konzept darstellt: Die Ausweisung von einigen wenigen großen Schutzgebieten oder vieler kleiner Schutzgebiete (SLOSS – Single Large Or Several Small). Auslöser dieser Diskussion war ein Beitrag von Diamond (1975) auf Grundlage der Inseltheorie von Mac­Arthur & Wilson (1967; The Theory Island Biogeography), in dem argumentiert wurde, dass die Ausweisung großer Reservatsflächen für den Erhalt der Artenvielfalt generell besser sei.

Die Debatte um diese Frage bleibt auch bis heute kontrovers. Grundsätzlich existiert keine allgemeingültige Antwort, welcher Ansatz besser ist. Eine Entscheidung muss daher pragmatisch auf Grundlage der regionalen Gegebenheiten und der darin zu schützenden Arten getroffen werden. Holsinger (2011) schrieb dazu sehr treffend: “To a large extent this whole debate seems to have missed the point. After all, we put reserves where we find species or communities that we want to save. We make them as large as we can, or as large as we need to protect the elements of our concern. We are not usually faced with the optimization choice poised in the debate.”

Im konkreten Fall des Nordschwarzwaldes ist aus unserer Sicht daher ein Gesamtkonzept notwendig, das große Schutzgebiete (Kernzonen eines Nationalparks), Flächen mittlerer Größe (Bannwälder) und kleinflächigen Habitatschutz (Alt- und Totholzkonzept) sinnvoll miteinander auf der Gesamtfläche verbindet (SLASS – Single Large AND Several Small).

In einer Publikation zum „Ökologischen Potenzial eines Nationalparks im Nordschwarzwald“ legte eine Gruppe von 35 Artspezialisten und Gebietskennern die Vorteile eines großen Wald-Schutzgebies für die Artenvielfalt und vor allem für seltene Arten dar (Förschler et al. 2012, Förschler 2013). Insbesondere Insekten, Pilze, Flechten und Moose, aber auch verschiedene Vogel- und Säugetierarten, zählen demnach zu den Gewinnern einer Nationalpark-Ausweisung im Nordschwarzwald. Grundlage dieser umfassenden Publikation war die Annahme einer Nationalpark-Fläche von mindestens 10 000 ha (d.h. 7 500 ha Prozessschutzfläche nach 30 Jahren).

In Zusammenhang mit der möglichen Ausweisung eines Nationalparks im Nordschwarzwald stellte Reif (2012) in Anlehnung an die oben erwähnte SLOSS-Debatte die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, anstatt einer großen Fläche viele kleine Flächen verteilt über den Schwarzwald als Bannwälder auszuweisen. Dieser Vorschlag wurde dankbar von den Kritikern eines solchen Großsschutzgebietes aufgenommen und als wichtiges Gegenargument zu einem Nationalpark instrumentalisiert, wobei Luick & Reif (2013) in diesem Zusammenhang zuletzt jedoch auch eine Versachlichung der zum Teil polemischen Argumentationslinie auf Gegnerseite anmahnten.

Auch wenn der Vorschlag von Reif (2012) durchaus seine Berechtigung hat, sprechen aus unserer Sicht mehrere klare Argumente für die zusätzliche Ausweisung einer großen Prozesschutzfläche im Nordschwarzwald neben den bereits existierenden Schutzgebieten:

(1) Es ist bekannt, dass die standörtliche Vielfalt (Mikrohabitate) und die ökologische Resilienz mit der Reservatsgröße zunimmt, während gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens einzelner Arten mit der Vergrößerung abnimmt (Bollmann & Müller 2012). Als allgemeine Faustregel gilt, dass eine Verzehnfachung der Schutzgebietsfläche eine Verdopplung der Artenzahl bewirkt (Bollmann & Müller 2012). Große Gebiete sind zudem deutlich geringeren Randeinflüssen ausgesetzt und nur auf einer ausreichend großen Fläche mit natürlicher Dynamik können gemäß dem raum-zeitlichen Habitat-Mosaikzyklus-Konzept (Remmert 1991) zeitgleich alle Entwicklungsphasen eines Waldes mit den an sie angepassten Lebensgemeinschaften vorhanden sein (Lehnert et al. 2013).

(2) Für die Gewährleistung aller natürlichen dynamischen Prozesse in ihrer Gesamtheit sind große Reservatsflächen notwendig, in denen sämtliche Sukzessionsphasen auch nach größeren natürlichen Störungen (z.B. Stürmen, Schneebruch, Borkenkäfer-Kalamitäten, ehemals auch Feuer) nebeneinander vorkommen können (Bollmann & Müller 2012). Dieses gilt vor allem für Waldtypen mit großflächiger natürlicher Dynamik wie Nadelwälder (Lehnert et al. 2013). Eine Fallstudie aus dem älteren Teil des Nationalparks Bayerischer Wald hat gezeigt, dass eine Fläche von 10 000 ha ausreicht, um alle Waldentwicklungstypen auch im Falle großflächiger Störung durch Borkenkäfer und Sturm auf der Gesamtfläche anzubieten (Lehnert et al. 2013) und damit die entsprechenden Habiate und deren Arten zu schützen. Die natürliche Störungsdynamik spielt dabei in diesen großen Reservatsflächen eine bedeutsame Rolle bei der Wiederherstellung natürlicher Strukturen auf ehemals genutzen Waldflächen (Entwicklung neuer „Urwald“-Strukturen).

(3) Die Gebietsgröße bildet zudem die Voraussetzung für das dauerhafte Überleben von einigen hochspezialisierten Arten. Zahlreiche Arten, insbesondere Vögel und andere Wirbeltiere, benötigen für den Aufbau langfristig überlebensfähiger Populationen sehr viel Fläche. Für den Nordschwarzwald kann beispielsweise der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) als Leitart dienen. Die durchschnittliche Reviergröße dieser Art liegt bei rund 80 bis 100 ha (Pechacek 2004). Dabei benötigt die Art eine Totholzanreicherung von > 70 m3/ha auf großer Fläche (Kratzer et al. 2011). Da auch in den Prozesschutzflächen in einem Nationalpark nicht immer überall gleich gute Bedingungen für die Art herrschen können, kann sich eine nachhaltige Population von mehr als 30 Brutpaaren erst bei sehr großen Prozessschutzflächen von mehrenen tausend Hektar langfristig etablieren.

(4) Die Großflächigkeit in Kombination mit der natürlichen Waldentwicklung bietet die Chance, dass Populationen seltener Arten so groß und stabil werden, dass sie sich weiter ausbreiten können. Ein Nationalpark kann somit für solche Arten zu einem wichtigen „Quellgebiet“ werden (vgl. zur sogenannten source-sink-Dynamik Pulliam 1988 und Pulliam et al. 1991). Die Qualität eines solchen Quellgebiets und seine positiven Wirkungen auf die biologische Vielfalt der Umgebung kann dann durch die Einbettung bzw. Vernetzung mit weiteren, auch kleinflächigen Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung (Bannwälder, Waldrefugien und Habitatbaumgruppen) zusätzlich gesteigert werden.

(5) Die Fragmentierungs-Forscher Ganzhorn & Eissenbeiss (2001) stellten das Konzept der Schachtelung (nestedness) als wertvolles Werkzeug zur Unterstützung von Entscheidungsfindungen im Naturschutz vor. Sie gehen vor allem davon aus, dass Arten mit geringem Ausbreitungspotential aufgrund der Arten-Areal-Beziehung auf großflächige Gebiete angewiesen sind, um überhaupt nachhaltige Populationen aufzubauen (vgl. auch Weller & Ganzhorn 2004), während Arten mit hohem Ausbreitungspotential auch von mehreren kleinen Schutzgebieten profitieren können. Es muss also für die unterschiedlichen Raum-Ansprüche der seltenen und schützenswerten Taxa auf allen Ebenen eine Vernetzung großer und kleiner Schutzgebiete gewährleistet sein (ganzheitlicher Ansatz).

Fazit. Im Falle der aktuellen Diskussion im Nordschwarzwald zeigt sich aus unserer Sicht deutlich, dass es nicht um ein „Entweder-oder“, sondern vielmehr um ein „Sowohl-als-auch“ im Waldnaturschutz gehen muss. Auch Kurt Bollmann von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), ein anerkannter Naturwissenschaftler auf dem Forschungsgebiet des Prozesschutzes, plädierte unlängst für einen Nationalpark im Nordschwarzwald (Stuttgarter Zeitung, 20.02.2013). Dabei spricht er sich ebenfalls für die intelligente Vernetzung von kleineren und größeren Schutzgebieten aus. Einen Nationalpark sieht er dabei als ein sehr effektives zusätzliches Instrument zur Erweiterung der Naturschutzbemühungen auf der Gesamtfläche.

In diesem Sinne fordern auch wir, die derzeit erneut aufgekommene SLOSS-Debatte (Reif 2012) sinnvollerweise in einen SLASS-Ansatz (Single Large AND Several Small) zu überführen, mit dem Ziel der integrativen Verbindung von Schutzgebieten unterschiedlicher Größe und Habitatstruktur zum Erhalt der gesamten charakteristsichen Artenzusammensetzung des Schwarzwaldes.

Literatur

Bollmann, K., Müller. J. (2012): „Naturwaldreservate: welche, wo und wofür?“ Schweiz. Zeitschrift Forstwesen 163, 187-198.

Diamond, J.M. (1975): “The Island Dilemma: Lessons of Modern Biogeographic Studies for the Design of Natural Reserves”. Biological Conservation 7, 129-146.

Förschler, M. (2013): Ein Nationalpark im Nordschwarzwald – welche Chancen bietet ein solches Großschutzgebiet für die Artenvielfalt? Fachbeiträge zum geplanten Nationalpark Schwarzwald. NABU-Landesverband Baden-Württemberg, Stuttgart, 12-25.

–, Bense, U., Berthold, P., Dietz, C., Doczkal, D., Dorka, U., Ebel, C., Hessner, W., Höfer, H., Hölzer, A., Köppel, C., Kolb, A., Laufer, H., Lieser, M,. Marx, J., Maternowski, H.-W., Meineke, J.-U., Münch, W., Murmann-Kristen, L., Rennwald, E., Römpp, I., Roth, K., Schanowski, A., Schelkle, E., Schiel, F.-J., Schlund, W., Schroth, K.-E., Späth, V., Stader, P., Steiner, A., Stübner, S., Turni, H., Waldenspuhl, T., Wolf, T., Ziegler, J., Zimmermann, P. (2012): Ökologisches Potenzial eines möglichen Nationalparks im Nordschwarzwald. Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), 261-269.

Ganzhorn, J.U., Eissenbeiss, B. (2001): The concept of nested species assemblages and its utility for understanding effects of habitat fragmentation. Basic and Applied Ecology 2, 87-99.

Holsinger, K. (2011): Theory and design of nature reserves. Online available under http://darwin.eeb.uconn.edu/eeb310/lecture-notes/reserves/reserves.html.

Kratzer, R., Straub, F., Dorka, U., Pechacek, P. (2011): Totholzschwellenwertanalyse für den Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) im Schwarzwald. Schr.-R. Nationalpark Kalkalpen 10.

MacArthur, R.H.. Wilson, E.O. (1967): The Theory of Island Biogeography. Princeton University Press.

Lehnert, L.W., Bssäler, C., Brandl, R., Burton, P.J., Müller, J. (2013): Conservation value of forests attacked by bark beetles: Highest number of indicator species is found in early succesional stages. Journal for Nature Conservation (in press).

Luick, R., Reif, A. (2012): Debatten um neue Wildnis im Schwarzwald. Wie man besser nicht gegen einen Nationalpark argumentiert. Naturschutz und Landschaftsplanung 45 (2), 37-44.

Pechacek, P. (2004): Spacing Behavior of Eurasian Three-toed Woodpeckers (Picoides tridactylus) during the Breeding Season in Germany. Auk 121 (1), 58-67.

Pulliam, H.R. (1988): Sources, sinks, and population regulation. American Naturalist 132, 652-661.

–, Danielson, B.J. (1991): Sources, sinks, and habitat selection – a landscape perspective on populations-dynamics. American Naturalist 137, 50-66.

Remmert, H. (1991): The mosaic cycle concept of ecosystems. Ecological studies 85, 168 pp.

Reif, A. (2012): Nationalpark Nordschwarzwald? Die zweitbeste Lösung fur den Naturschutz! Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (7), 218-221.

Weller, B., Ganzhorn, J.U. (2004): Carabid beetle community composition, body size, and fluctuating asymmetry aling an urban-rural gradient. Basic and Applied Ecology 2, 87-99

Anschrift der Verfasser: Marc Förschler, Charly Ebel und Dr. Wolfgang Schlund, Naturschutzzentrum Ruhestein, Schwarzwaldhochstraße 2, D-77889 Seebach, E-Mail marc.foerschler@..., charly.ebel@... bzw. wolfgang.schlund@naturschutzzentrum-ruhestein.de.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren