Naturschutz-Leitlinie für den hessischen Staatswald
Mit „Rauschen im Feigenblätterwald“ hat Norbert Panek seinen Diskussionsbeitrag zur Naturschutz-Leitlinie im hessischen Staatswald in Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (11), 2012, Seiten 348-350, überschrieben. Eine Erwiderung aus dem Landbetrieb Hessen-Forst und seiner Aufsichtsbehörde.
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„Weder Nutzung noch Naturschutz im Extrem betreiben“
Von Frank Scheler und Sebastian Stoll
Die Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald wurde durch den Landesbetrieb Hessen-Forst als Bewirtschafter des hessischen Staatswaldes entwickelt. Dieser hat den gesetzlichen Auftrag, den Wald unter Wahrung der besonderen Gemeinwohlverpflichtung zu bewirtschaften. Es ging daher nicht um die Planung neuer Nationalparks oder möglichst großer Naturschutzgebiete mit Prozessschutz, sondern darum, naturschutzfachliche Maßnahmen zu konzipieren, die in die langjährige, naturnahe Bewirtschaftung des hessischen Staatswaldes integriert werden können.
Diese Maßnahmen wurden im Rahmen einer mehrjährigen Projektgruppenarbeit diskutiert und entwickelt und anschließend mit der obersten, den drei oberen Naturschutzbehörden und der Staatlichen Vogelschutzwarte des Landes Hessen abgestimmt und mit den anerkannten Naturschutzverbänden intensiv diskutiert. Schon erstaunlich, dass dabei laut Panek „nur ein grünes Deckmäntelchen“ auf „unterstem fachlichen Niveau“ herausgekommen sein soll.
Die Naturschutzleitlinie ist durch strikte Fachlichkeit geprägt. Wichtigster Grundsatz ist der naturschutzfachliche Mehrwert einer Naturschutzmaßnahme. Dieser muss im angemessenen Verhältnis zu den dadurch entstehenden Kosten für den Waldbesitzer im Sinne der o.a. Güterabwägung stehen.
Im Rahmen dieser intensiven fachlichen Diskussion wurde festgestellt, dass es zwar viele Vorstellungen, Wünsche und Forderungen zu Prozessschutzanteilen am Wald, Habitatbaumzahlen und der Eignung von Biotopverbundsystemen gibt: Fachlich herleitbar sind aber die damit verbundenen Größenordnungen allenfalls für eine begrenzte Anzahl von Arten.
Denn die Arealansprüche verschiedener Arten unterscheiden sich sehr stark. Es gibt durchaus einige Gefäßpflanzen, Kryptogamen, Wirbellosen- und kleine Wirbeltierarten, die auf wenig Fläche effektiv geschützt werden können (Primack 1995). Xylobionten Käfern genügen mitunter einzelne alte Biotopbäume zum langfristigen Überleben. Dieses zeigt das Beispiel des Eremits (Osmoderma eremita), der oft in einzelnen Alleebäumen im Stadtbereich oder einzelnen Hutebäumen im Wald seine Habitate findet. Meyer et al. (2009) empfehlen, Biodiversitätszentren in Wäldern bereits ab einer Größe von 0,5 ha zu berücksichtigen.
Auch die meisten an Altholz gebundenen Waldvogelarten benötigen zwar alte Bestände als Rückzugsraum für ihr Brutgeschäft, meist aber nicht zur Nahrungsaufnahme. Für den Haupthöhlenbauer im Wald, den Schwarzspecht (Dryocopus martius), ist z.B. für hohe Populationsdichten der Fichtenanteil im Buchenwald wichtiger als das Vorhandensein ausgedehnter Altbestände. Das zeigen Untersuchungen im Burgwald in Hessen. Selbst dem Schwarzstorch (Ciconia nigra) ist es außerhalb eines beruhigten Horstbereichs egal, ob dort der Wald bewirtschaftet wird oder nicht. Ein Indiz dafür ist, dass die Schwarzstorchdichte im hessischen Laubwald höher ist als im Buchenurwald in den ukrainischen Karpaten. Innerhalb des hessischen Naturwaldreservate-Programms gibt es sogar das Beispiel vom Schwarzstorch, der in der bewirtschafteten Vergleichsfläche und nicht im Totalreservat brütet. Deshalb wurde in der Projektgruppe, aber auch in der anschließenden Diskussion zur Leitlinie ein Netz vieler kleinerer, aber auch großer Flächen inmitten des naturnah bewirtschafteten Staatswaldes nicht infrage gestellt.
Schon in der Vergangenheit haben die kleinen Altholzinseln, aber auch die vielen als Grenzwirtschaftswald nicht bewirtschafteten Waldflächen einen wertvollen Beitrag zum Artenschutz geleistet. Das bestätigt auch das Bundesamt für Naturschutz. Im gemeinsam mit dem Dachverband Deutscher Avifaunisten herausgegebenen Werk „Vögel in Deutschland 2009“ (Sudfeldt et al. 2009) legt das Amt dar: Kleiber (Sitta europaea), Schwarzspecht und andere höhlenbrütende Arten wie Buntspecht (Dendrocopos major), Grünspecht (Picus viridis) und Hohltaube (Columba oenas) profitieren davon, dass die Holzvorräte und höheren Altersklassen in den Wäldern weiter anwachsen, viele Bestände naturnah bewirtschaftet werden und Altholzinseln und Höhlenbäume erhalten bleiben. Dieses zeigt sich auch durch Monitoringergebnisse in Hessen. Im jüngst untersuchten großen Vogelschutzgebiet Vogelsberg mit über 63 000 ha Fläche stellte sich beispielsweise heraus, dass alle Waldvogelarten gute Erhaltungszustände aufweisen. Bei den Wiesenbrütern sieht es da ganz anders aus.
Zerlegt man die Naturschutzleitlinie nicht, wie Panek, in Einzelteile, um diese dann bezüglich ihrer naturschutzfachlichen Wertigkeit zu kritisieren, sondern sieht sie als Gesamtkonzept, dann läuft auch die Kritik Paneks zum Umgang mit ausbreitungsschwachen Totholzarten ins Leere.
Der derzeitige Stand der Wissenschaft besagt, dass es auch nach mehreren Jahrzehnten intensiver wissenschaftlicher Forschung bisher nicht gelungen ist, die Wirksamkeit eines Biotopverbunds innerhalb des Waldes zweifelsfrei zu belegen (Meyer 2010). Bei ausbreitungsschwachen Arten, und dieses sind in der Regel Urwaldreliktarten wie z.B. der Ästige Stachelbart (Hericium coralloides), ist möglicherweise die Bedeutung des Austausches zwischen Populationen zu gering, um Trittsteinkorridore und anderer Verbindungselemente ausreichend wirksam werden zu lassen (Meyer et al. 2009). Für diese Arten kann sich die gezielte Schaffung eines Biotopverbunds sogar nachteilig auswirken, da dieser zur Ausbreitung von ausbreitungsstarker Konkurrenz führen kann (Koenies et al. 2005). Ausbreitungsstarke Arten wiederum, wie Wildkatze (Felis sylvestris) oder Luchs (Lynx lynx), brauchen keinen Biotopverbund innerhalb des Waldes.
Die Naturschutzleitlinie greift diese Diskussion auf Seite 48 auf und kommt zu dem Schluss, dass eben auch unter dem Aspekt ausbreitungsschwacher Arten durch den Schutz vieler kleinerer Kernflächen ein größerer Teil der Biodiversität erhalten bleibt als durch die Konzentration auf wenige große Gebiete (Begon et al. 2006, Quinn & Harrison 1988).
Natürlich können sehr kleine Schutzgebietsflächen nicht die gesamt potenzielle Waldbiozönose abbilden. Aber zusammen mit großen Flächen, die ja auch wesentlicher Teil des Schutzgebietskonzepts der hessischen Naturschutzleitlinie sind, werden sie den Zweck erfüllen, für den sie konzipiert wurden, nämlich einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität in Hessens Wäldern zu leisten.
Nur ca. 20 % der Prozessschutzfläche der Naturschutzleitlinie werden nach gegenwärtiger Einschätzung (die Auswahl läuft derzeit noch) auf Kernflächen unter 5 ha Größe verteilt sein. 80 % erfüllen somit selbst die Forderung zur Mindestflächengröße von Altholzinseln. 73 %, wenn man den Nationalpark in der Flächenbilanz nicht berücksichtigt. Nur 1,5 % der Fläche der Kernflächen verteilt sich auf unter 1 ha große Waldbestandsteile. Meist sind dies nur kleinflächig vorhandene Sonderstrukturen oder standorte. Der Flächenmix stimmt also.
Panek kritisiert zudem das Habitatbaumkonzept Hessens mit drei Habitatbäumen pro Hektar. Auch hier gilt: Diese drei Bäume je Hektar sind ein Ausdruck der Abwägung aller Ziele, die im Staatswald verfolgt werden. Der Grenznutzen ist nach Auffassung der Verfasser bei den ersten drei Bäumen am höchsten.
Auch lassen sich notwendige Habitatbaumzahlen wissenschaftlich nicht herleiten. Für Natura-2000-Gebiete fordern die Bewertungsmaßstäbe für gute Erhaltungszustände beispielsweise durchschnittlich drei Habitatbäume/ha. Letztlich ist aber die Durchschnittszahl nicht entscheidend. Entscheidend sind die Bestandsstrukturen vor Ort und der Mix mit anderen Instrumenten des Naturschutzes im Wald. In einem Bundesland wie Hessen, das überdurchschnittlich viele Laubholz- und vor allen Dingen alte Laubholzbestände hat, sind durchschnittlich drei Habitatbäume in den über 100-jährigen Laubholzbeständen eine wesentlich höhere absolute Zahl als in Bundesländern, die deutlich stärker vom Nadelholz geprägt sind. Außerdem ist die Habitatbaumzahl auch im Zusammenhang mit den Kernflächen Naturschutz zu sehen. Dort stehen flächig Hunderttausende von vorhandenen oder sich entwickelnden Habitatbäumen. Auf fast der Hälfte der Kernflächen werden über 140-jährige Waldbestände stocken.
Es ist aber insgesamt darauf hinzuweisen, dass der Buchenwald in Hessen auch dann auf großer Fläche und mit hohen Vorräten bestehen würde, wenn es keine Naturschutzkonzepte gäbe. Die Vorräte im hessischen Wald und auch in der Buche sind insgesamt und pro Hektar gemäß Bundeswaldinventur 2002 und Inventurstudie 2008 so hoch wie nie zuvor und die Buchenwaldfläche steigt stetig. Hessen liegt damit an der Spitze in Deutschland und Deutschland an der Spitze in Europa. In keinem anderen europäischen Land gibt es insgesamt höhere Holzvorräte. Deutschland wird auch beim Vorrat pro Hektar Waldfläche nur von der Schweiz und Österreich, beide mit wesentlich höheren Anteilen an Nadelwald, übertroffen.
Für Hessen-Forst als Forstbetrieb, der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion des öffentlichen Waldes nicht nur für den Augenblick, sondern in bewährter forstlicher Tradition auch in der Verantwortung für nachfolgende Generationen erhalten will, kann der richtige Weg nur der sein, weder Nutzung noch Naturschutz im Extrem zu betreiben. Das in vielen Ländern, auch außerhalb Europas, praktizierte Konzept der Trennung von Nutzung und Naturschutz durch große Nationalparks einerseits und Kahlschläge und Plantagenwirtschaft andererseits ist für das dicht besie-delte Deutschland kein geeignetes Modell. Die Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald ist daher als ausgewogenes Konzept geeignet, hier einen wichtigen Akzent zu setzen.
Literatur
Begon, M., Townsend, C.R., Harper, J.L. (2006): Ecology – From Individuals to Ecosystems. Populations and Communities. Blackwell, Malden, Oxford, Victoria.
Koenies, H., Frühauf, S., Krettek, R., Bornholt, G., Maiwald, S., Lucan, V. (2005): Biotopverbund eine sinnvolle Naturschutzstrategie in der Agrarlandschaft? Natur und Landschaft 80 (1), 16-21.
Primack, R.B. (1995): Naturschutzbiologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
Meyer, P., Menke, N., Nagel, J., Hansen, J., Kawaletz, H., Paar, U., Evers, J. (2009): Abschlussbericht des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekts Entwicklung eines Managementmoduls für Totholz im Forstbetrieb. Internet http://www.nw-fva.de\.
Quinn, J.F., Harrison, S.P. (1988): Effects of habitat fragmentation and isolation on species richness – evidence from biogeographic patterns. Oecologia 75, 132-140.
Sudfeldt, C., Dröschmeister, R., Flade, M., Grüneberg, C., Mitschke, A., Schwarz, J., Wahl, J. (2009): Vögel in Deutschland – 2009. DDA, BfN, LAG VSW, Münster.
Anschrift der Verfasser: Frank Scheler, Landesbetriebsleitung Hessen-Forst, Sachbereichsleitung Natura 2000, Waldnaturschutz, Forschung, Bertha-von-Suttner-Straße 3, D-34131 Kassel, E-Mail frank.scheler@forst.hessen.de; Sebastian Stoll, Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Aufsicht Landesbetrieb Hessen-Forst, Staatswald, Fachbezogene Verwaltungsangelegenheiten, Mainzer Straße 80, D-65189 Wiesbaden, E-Mail Sebastian.Stoll@hmuelv.hessen.de.
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