Landschaft im Diskurs
Abstracts
Aus konstruktivistischer Perspektive kann Landschaft nicht als physische Gegebenheit verstanden werden; sie ist auf Grundlage sozialer Zuschreibungs- und Deutungsmuster sozial konstruiert. Die prinzipiell hohe Vielfalt sozialer Deutungen verringert sich dadurch, dass in Diskursen, die in diesem Falle auf Landschaft bezogen sind, das Sagbare und das Unsagbare definiert werden.
Diskurse der Fachleute, die landschaftsbezogene Planungen durchführen, sind von in Fachkreisen vorherrschenden Meinungsbildungen geformt (Berufsgeschichte, Schulmeinung, Prägung durch Verbände). Diese, und weniger die Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche der von Planung Betroffenen, prägen Landschaftsqualitätsziele und bestimmen, getragen von einer mehr oder weniger stark ausgeprägten hoheitlichen Attitüde, Inhalte von Entscheidungsgrundlagen und die Art ihrer Vermittlung. Eine Integration von Laien in Planungen erfolgt zumeist formal und nicht konstitutiv. Bei der Landschafts-Konstruktion, die in verschiedenen Teilen der Öffentlichkeit unterschiedlich ausfällt, muss aus demokratischer Sicht auf eine möglichst breite Mitwirkung in Planungs- und Entscheidungsprozessen Wert gelegt werden.
Landscape in the Discourse – Constructivist landscape theory as perspective for the future dealing with landscape
From a constructivist perspective landscape cannot be understood as physical reality; it has been constructed socially on the base of social attributive and interpretive patterns. The generally high diversity of social interpretations is limited by the fact that in discourses – in this case referring to landscape – the expressible and the inexpressible have been defined.
Discourses of specialists carrying out landscape-related planning have been formed by the prevalent professional opinion (history of the profession, received opinions, influence of organisations). These, and far less the value judgment, needs and wishes of the persons affected, are influencing the aims for the landscape quality. They determine the bases of decision-making and the way of their communication, coined by a more or less distinct sovereign attitude. The integration of the laity in the planning process usually happens in a formal way and not constitutive. The planning and decision process for the construction of landscape has to happen with a public participation as broad as possible from a democratic point of view since it reaches different results in different parts of the public.
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1 Einleitung
Die Frage, wie Landschaft in Kommunikationsprozessen konstruiert wird, rückt Gemeinsamkeiten und Unterschieden der aus verschiedenen Kommunikationsprozessen resultierenden unterschiedlichen Konstruktionen in den Fokus. Gegenwärtig bestimmen vier paradigmatisch unterschiedliche Diskurse die Praxis des Umgangs mit Landschaft:
(1) die Erhaltung und Wiederherstellung als schützenswert bewerteter Zustände, z.B. Natur-/Denkmalschutz;
(2) sukzessionistische Entwicklung ohne physische Eingriffe: Prozessen ihren Lauf lassen;
(3) Schaffung wünschenswerter Zustände durch bewusste Gestaltung und Baumaßnahmen;
(4 Umdeutung von Landschaften durch Umbewertung ohne physische Eingriffe (Kühne 2006).
Erste Ansätze, um diese vier Positionen und ihre Hintergründe zu verstehen, bieten Landschaftstheorien, die soziale Konstruktionen von Landschaft als relevant anerkennen; drei Kategorien sind auszumachen:
(a) ästhetische Theorien, die Landschaft als (vor allem visuell wahrnehmbare) Szenerien begreifen, für die sich im Laufe der Zeit verschiedene gesellschaftliche Vorlieben herausbilden;
(b) Theorien, die Landschaft als Gebiet spezieller Gebräuche und Regeln begreifen, welche Menschen in unterschiedlicher Art und Weise Identität bieten (z.B. Olwig 1996);
(c) Theorien, die auf das „Geistige“ Bezug nehmen, das Menschen mit Landschaft verbindet, etwa durch Zeichen oder Areale bestimmter assoziativer Bedeutung.
Schon diese Theorien erlauben, durch die Oberflächen physischer Materialität hindurchzusehen und danach zu suchen, welche Bedeutungen Menschen mit Landschaften verknüpfen. Diesen Zugängen gemein ist jedoch, dass sie von Landschaft als positivistisch erforschbarem Realobjekt ausgehen. Paradigmatisch unterschiedliche Diskurse zu verstehen, die den Umgang mit Landschaft bestimmen, erlauben sie nur eingeschränkt, etwa wenn auf kulturelle Besonderheiten, Klassenzugehörigkeit oder nationale und sonstige Ikonografien Bezug genommen wird (Cosgrove & Daniels 1988).
Dieser Beitrag geht von Landschaft als sozial konstruiertem Gegenstand aus, also von der Landschaft, wie sie „in den Köpfen“ der Menschen erzeugt und auf den Raum projiziert wird. Die Grundannahme dabei ist, ähnlich der Europäischen Landschaftskonvention (Council of Europe 2000), dass menschliche Umgebung erst in Wahrnehmungsprozessen Bedeutung erlangt und Menschen sich Landschaft individuell und kollektiv zu Eigen machen (Jones & Stenseke 2011: 5-10, Selman 2006). Ziel ist, weiterführende Hinweise für den künftigen Umgang mit Landschaft zu geben, insbesondere in Hinblick auf Landschaftsmanagement und -planung.
2 Konstruktivistischer Landschaftsbegriff: Landschaft als soziales Konstrukt
Bei der Konstruktion von Landschaft werden Objekte selektiert, aufeinander bezogen und bewertet. Diese Wertungen stellen eine Komplexitätsminderung von Welt dar, weil erkannte Objekte, die dem Schema „Landschaft“ als nicht zugehörig klassifiziert werden, nicht in das Konstrukt „Landschaft“ aufgenommen werden. Das gilt beispielsweise für Objekte, die zu klein (z.B. Insekten) und zu zahlreich (z.B. Blätter, Grashalme) sind, um einzeln in die Zusammenschau „Landschaft“ aufgenommen zu werden. Der sozial vermittelte, individuelle Aneignungsprozess von Landschaft beinhaltet die (vielfach stereotypen) gesellschaftlichen Interpretations- und Zuschreibungsmuster von Landschaft.
Schließlich muss der Code der Landschaft – wie die Bedeutung aller Zeichensysteme – gelernt werden (Burckhardt 1977). Dieser Code wird in der Kindheit bis in die Jugend hinein primär auf stereotypen Zuschreibungen durch signifikante Andere (z.B. Eltern) gegründet. Dadurch entstehen Deutungsmuster alltäglicher Landschaften. Von diesen unterscheiden sich Landschaftskonstrukte der Experten; es sind diese landschaftsbezogenen Sonderwissensbestände, die ihrerseits untereinander wieder verschieden sind: Bodenkundler z.B. bewerten das, was sie als Landschaft konstruieren, völlig anders als ein Landschaftsarchitekt, wobei beide auch über nicht-expertenhafte Landschaftsvorstellungen verfügen. Das Verhältnis der gleichzeitig vorkommenden Experten- und Laienverständnisse von Landschaft bei Experten selbst ist dabei vielfältig und teilweise widersprüchlich (siehe Kühne 2006): Es reicht von der Ablehnung des eigenen laienhaften Verständnisses von Landschaft als irrelevant bis hin zu dessen Verwendung als Quelle der Inspiration. Mit dem Ziel, das Phänomen Landschaft analytisch wie planerisch zu operationalisieren, lassen sich aus konstruktivistischer Perspektive vier Dimensionen von Landschaft konturieren (Kühne 2008):
(1) Die gesellschaftliche Landschaft ist die sozial-konstruktive Dimension von Landschaft und stellt „als sozial definierter Gegenstand“ und ein „Ensemble von Zeichen“ (Hard 1987: 233) sozial geteilte Wissensbestände dar. Die gesellschaftliche Landschaft lässt sich im Sinne eines gesellschaftlichen Wissensvorrates (Berger & Luckmann 1966) über die Anordnung von Objekten und Symbolen zu Landschaft verstehen (Kühne 2006), enthält also das, was kollektiv in bestimmten Gruppen als Landschaft zu verstehen ist und was nicht, was ästhetisch in welcher Form bewertbar und emotional erlebbar ist.
(2) Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft wird durch die persönliche Rekonstruktion auf Grundlage gesellschaftlicher Vorstellungen von Landschaft gebildet. Zwar ist die individuell aktualisierte Landschaft durch individuelle Deutungsmuster, ästhetische Präferenzen, Gefühle (etwa der Identität und Zugehörigkeit) und Wissensbestände geprägt (etwa im Sinne des individuellen Wissensvorrates von Berger & Luckmann 1966), doch ist sie maßgeblich von der gesellschaftlichen Landschaft geprägt, schließlich enthält diese die sozialen Codes von Landschaft und ist damit die Basis der individuellen Ausprägung des Landschaftsbezugs.
(3) Als angeeignete physische Landschaft lassen sich summativ diejenigen Objekte des physischen Raumes bezeichnen, die für die Konstruktion von gesellschaftlicher Landschaft und ihrer individuellen Aktualisierung herangezogen werden. Die Instabilität der angeeigneten physischen Landschaft ist dabei eine doppelte: Auf der Ebene der physischen Manifestationen sozialen Handelns werden gesellschaftliche Vorstellungen von Raum bzw. Landschaft materialisiert, z.B. materialisiert sie die Vorstellung einer raschen Erreichbarkeit von Ort B von Ort A aus in einer Straße. Auch ist die Ebene der gesellschaftlichen Landschaft reversibel, wenn beispielsweise die Materialisierungen der Industrieära (z.B. Fördertürme und Eisenwerke) nicht mehr als hässlich, sondern als erhaben ästhetisch beschrieben werden. Diese angeeignete physische Landschaft ist letztlich das, was in großen Teilen der Fachsprache und Alltagssprache als „Landschaft“ bezeichnet wird, ohne jedoch die sozialen Begründungsmuster von Landschaft zu reflektieren.
(4) Der physische Raum umfasst die räumlich-relationale Anordnung von Dingen im Allgemeinen – unabhängig von der sozialen oder individuellen Beobachtung und Bezeichnung als Landschaft. Er umfasst somit sowohl Dinge, die Teile der angeeigneten physischen Landschaft sind, als auch solche, die nicht zur sozialen bzw. individuellen Konstruktion von Landschaft herangezogen werden.
Die Konstruktion (und damit auch häufig die Bewertung) der prinzipiellen Veränderbarkeit von Landschaft in ihren unterschiedlichen Dimensionen wird – auf Grundlage klassen- und professionell spezifischer Deutungsmuster – unterschiedlich vorgenommen; Intellektuelle werten beispielsweise eine zur Konzerthalle umgebaute Industriehalle anders als ein Arbeiter, der im Zuge des Strukturwandels seine Arbeit in dieser Halle verloren hat. Deutungsmuster verdichten sich – jenseits des öffentlichen Interesses – teilweise zu weitgehend geschlossenen Diskursen. Der Diskurs regelt dabei „die Art und Weise, wie über ein Thema sinnvoll gesprochen und reflektiert werden kann. Er beeinflusst auch, wie Ideen in die Praxis umgesetzt werden und mit dem Ziel verwendet werden, das Verhalten anderer zu regulieren“ (Hall 2001: 72). Dabei variieren insbesondere die verfolgten Sollzustände wie auch die Bewertung von „Ist-Zuständen“ angeeigneter physischer Landschaften erheblich. Im Folgenden wollen wir die Konsequenzen aus dem sozialkonstruktivistischen Landschaftsbegriff für die landschaftsbezogene Planung ziehen.
3 Neubegründungsbedarf von landschaftsbezogener Planung: Welche Konsequenzen hat ein konstruktivistischer Landschaftsbegriff für die Planung?
3.1 Vorbemerkungen
Alle Arten von Vorüberlegungen zum künftigen Umgang mit Landschaft bezeichnen wir als „Landschaftsbezogenes Planen“. Dieses schließt alle offiziellen Instrumente territorialer Entwicklung („policy making“) sowie eine Vielzahl informeller Aktivitäten ein. Stets geht es darum, konzeptionell begründetes Handeln an die Stelle von eher zufälligen oder gar willkürlichen Entscheidungen zu setzen. Neben der (mehr oder weniger) interessierten Öffentlichkeit übernehmen – stark generalisiert – zwei (in sich heterogene) Akteursgruppen zentrale Aufgaben im landschaftsbezogenen Planen: Entscheidungsträger, wie z.B. Abgeordnete der Parlamente oder Mitglieder von Genehmigungsbehörden, sowie Planungsfachleute und Landschaftsexperten. Letzteres bezeichnet z.B. Landschaftsplaner freier Büros ebenso wie deren Fachberater, Fachberater zivilgesellschaftlicher Gruppierungen sowie Planer und Sachbearbeiter in Planungs- und Fachbehörden.
3.2 Die sozialkonstruktivistische Perspektive
Zur Reduzierung der Komplexität ihres Planungsgegenstandes bilden Fachleute „Landschaft’ üblicherweise nach bestimmten Modellvorstellungen ab, etwa indem sie Landschaft als System räumlicher Einheiten mit verschiedenen Funktionen beschreiben, und indem sie eine Reihe verschiedener Parameter wählen und diese mithilfe bestimmter Kriterien zum Einsatz bringen. Häufig verwendete Parameter sind z.B. „Naturnähe“ und landschaftliche „Eigenart“ (beides in Gesetzen zu findende Begriffe). Der Grad der „Naturnähe“ wird meistens auf Natürlichkeitsskalen anhand ökologischer Kriterien justiert (die allerdings ihrerseits durchaus ästhetisch begründet sein können) und danach auf die Bewertung des Erscheinungsbildes „Naturräumlicher Einheiten“ übertragen. Ist der Grad der Natürlichkeit bei einer Beurteilung, etwa der Gewässerökologie, noch eine praktikable Messgröße, erweist sie sich, wie gleich zu sehen sein wird, bei Beurteilungen ästhetischer Art als unzulänglich (für viele: Ivarsson & Hägerhall 2008: 116).
Zwei Beispiele illustrieren Folgen entsprechend diskursabhängiger Landschaftseinschätzungen. Im ersten Planungsfall war ein überwiegend ackerbaulich genutzter fruchtbarer Landstrich durch Fachleute als „naturfern“ eingestuft worden. Die Landwirte protestierten und sprachen ihrerseits von „naturnaher“ Bewirtschaftung. Beide Einschätzungen entsprechen bestimmten Erwartungshaltungen und sind dementsprechend konstruiert; keine ist „richtig“. Beide beziehen sich auf unterschiedliche Diskurse, in denen jeweils andere Aussagen und Urteile Gültigkeit haben. Diese Gültigkeit soll jeweils generalisiert werden. Besagte Flächen unterlagen einem speziellen, aber mit kursorischem Blick nicht sofort erkennbarem, besonders bodenschonendem Pflegeregime. Die fachliche Bewertung konnte in diesem Falle korrigiert werden und es gelang, die Bedeutung ortspezifischer Landschaftspflege gegenüber der Diskurshoheit von Landschaftsplanern im Kontext der Planung durchzusetzen. Dabei wird im Diskurs der Planer (unabhängig welcher Fachrichtung) vielfach die Soll-Vorstellung formuliert, Planung solle den physischen Raum in seiner Entwicklung umfänglich determinieren (siehe Kühne 2008).
In einem zweiten Fall geht es um die Eigenart. Hier kam vor einigen Jahren allgemeines Unverständnis auf, als die beantragte Errichtung eines Golfplatzes im Allgäu u.a. mit der Begründung abgelehnt wurde, die Vegetation der anzulegenden Flächen entspräche in ihrer Pflanzenzusammensetzung nicht dem, was für das Allgäu „typisch“ sei, nämlich dem beweideten Grünland. Unabhängig von der an Scherrasen erinnernden Artenzusammensetzung der im Planungsgebiet verfügbaren Referenzflächen (vier- bis fünfschürige sowie intensiv beweidete Flächen) wird die raumzeitliche Willkür bei der Referenzlandschaftskonzeption im Landschaftsdiskurs deutlich: Grün wurde das Allgäu erst etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Vorher dominierten dort Acker- und insbesondere Flachsanbau und Alteingesessene kennen den Ausdruck vom „blauen Allgäu“, der auf den ehemals großflächig blau blühenden Flachs zurückzuführen ist.
Ohne konkrete Nachfrage bleibt also völlig offen, was Ortsansässige unter „Naturnähe“ oder „Eigenart“ verstehen, und wie weit fachliche Einschätzungen hiermit übereinstimmen. Sie müssen nicht übereinstimmen, denn Fachleute wie Ortsansässige bedienen sich unterschiedlicher Diskurse. Wie können Landschaftsgestalter z.B. davon ausgehen, sie seien in der Lage, die „Raumwirkung“ oder „Identität“ einer bestimmten Landschaft ohne Berücksichtigung der Ansichten von Ortansässigen zu definieren? In der Selektion üblicher Parameter und Fachkriterien schlägt sich nieder, welche Wertvorstellungen sich diskursiv als „herrschende Meinung“ in Fachkreisen durchzusetzen vermögen. Von welchen Vorstellungen sich Fachleute bei regelmäßig wiederkehrenden Hinweisen auf „natürlicherweise vorhandene Landschaftselemente“ (Diskurs des Sukzessionismus) und Gestaltungen mit Bezug zur „gewachsenen umgebenden Kulturlandschaft“ (Diskurs der historischen Kulturlandschaft) jeweils leiten lassen, ist im konkreten Fall oftmals kaum nachzuvollziehen, insgesamt aber doch auf die in bestimmten Fachkreisen vorherrschenden Meinungen zurückführbar. Ein Paradox ist, wie viele der diesen Meinungsbildungen Pate stehenden Referenzlandschaften selber aus heutiger Sicht kaum „genehmigungsfähig“ wären. Das gilt z.B. für Bilder, die sich auf die oft gepriesenen kleinteiligen bäuerlich geprägten Landschaften des 19. Jahrhunderts beziehen, die den Ursprung in großflächigen Kultivierungen, Entwässerungen und Torfabbau ebenso wenig leugnen können wie eine Entwicklung durch extreme Überweidung.
Neubegründungsbedarf 1: Der Umgang mit Landschaft muss das System ablösen, in dem diskursiv definierte Wertvorstellungen weniger Fachleute die Formulierung von landschaftlichen Soll-Bestimmungen prägen, die für alle gelten sollen. Landschaft ist kein Elitenthema, sondern ein Bedürfnis aller und an ihrer Entwicklung müssten alle mitwirken.
3.3 Hoheitliche Attitüde
Dort, wo sie aufgrund eines gesetzlichen und staatlichen Auftrags erfolgt, ist landschaftsbezogene Planung nicht nur mit einem bestimmten fachlichen Anspruch, sondern nach wie vor auch mit einem hoheitlichen Auftreten insbesondere verschiedener Fachplaner und fachbehördlicher Vertreter verbunden (vgl. auch Burckhardt 1982, Kühne 2008). Das mag damit zusammenhängen, dass offiziell durchgeführte landschaftsbezogene Planungen speziell hierfür ausgebildete Fachleute nach bestimmten Mustern wie z.B. Richtlinien und Handbüchern anfertigen. Es fließen Aussagen einschlägiger Gesetze und Rechtsprechungen sowie übergeordneter Planungen verbindlich in Bewertungsrahmen und fachliche Leitbildfindung ein.
Fachleute sind zwar angehalten, sich in ihren Aussagen auch an dem Urteil eines für die Schönheit der Landschaft „aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters“ zu orientieren (Gassner 1995: 40). Dieser „aufgeschlossene Durchschnittsbetrachter“ repräsentiert – in der im vorherigen Abschnitt vorgestellten Terminologie – den sozialen Konsens der gesellschaftlichen Landschaft vor dem Hintergrund einer spezifischen Kultur (z.B. im deutschen Sprachraum), eines durchschnittlichen Bildungsgrades, in einer durch (Sub)Urbanisierung etc. geprägten Gesellschaft. Wie wir aber gesehen haben, finden bei diesem Schritt solche Parameter und Kriterien Eingang in die Bewertung, deren Bezug zum möglichen Urteil eines „Durchschnittsbetrachters“ schwer vermittelbar ist. Bei der expertenhaften Einschätzung wiederum können Landschaftspräferenzen einfließen, die nicht dem Fachwissen des Experten, sondern seinen vor-expertenhaften Vorstellungen entsprechen. Dieses Verhältnis von Laien- und Expertenpräferenzen muss dem Experten nicht bewusst sein (vgl. Kühne 2006).
Abgesehen von grundsätzlichen Zweifeln, ob und wie „der Aufgeschlossene“ als Referenz für „Durchschnitt“ geeignet sein kann, herrscht in der Praxis die Auffassung vor, des Durchschnittsbetrachters (oder besser des Betroffenen) „Urteil“ tatsächlich einzubeziehen, sei aufwendig (Selman 2006); es unterbleibt daher meistens. Die Urteilsfindung auf bloßen Annahmen Weniger ruhen zu lassen, ist aber mit demokratischen Prinzipien kaum vereinbar und fordert Erneuerung dementsprechend auch aus planungsethischen Erwägungen heraus.
Neubegründungsbedarf 2: Im staatlichen Auftrag tätig zu sein, fördert hoheitliche Attitüde, die häufig das Ignorieren der Nutzersicht impliziert. Landschaft ist aber ein Anliegen aller (siehe oben) und erfordert, alle Betroffenen und Interessierten bei Veränderungen oder deren Vorbereitung einzubeziehen.
3.4 „Qualität“ der Planungsprozesse
Die mit einer Planung Beauftragten, wie z.B. Fachleute der Planungsbüros, bereiten als nützlich erachtete Informationen für andere Akteure auf, also für Planungsfachleute in Planungsbehörden und Fachbehörden sowie für die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit. In Kenntnis ihrer verschiedenen Adressaten gehen die Planer dabei folgendermaßen vor:
Planungsfachleute in Fachbehörden haben spezielle Zuständigkeiten und interessieren sich, schon aufgrund ständig zunehmender Arbeitsbelastung, hauptsächlich für Informationen aus ihrem Bereich. Für die angeeignete physische Landschaft „als Ganzes“, also dafür, wie sie von Ortsansässigen, Interessengruppen u.a. wahrgenommen und geschätzt wird, ist selten jemand zuständig.
Planungsfachleute in Planungsbehörden interessieren sich für Informationen, die für die Aufstellung territorialer Pläne oder bei bestimmten Planungsentscheidungen etwa zu Infrastrukturprojekten wichtig sind. Sie zu bedienen bedeutet zugleich, wiederum deren Entscheidungsträger im Blick zu haben, die – als Politiker – regelmäßig mit einer Fülle von Entscheidungsaufgaben konfrontiert sind, so dass sie – durchaus im Gegensatz zu professionell agierenden Behörden – selektiv die ihnen als entscheidend erscheinenden Informationen zur Kenntnis nehmen.
Politische Gremien diskutieren während einer Zusammenkunft meist über zahlreiche Aufgaben. Planungsfachleute werden dabei nicht immer, aber doch häufig angehört, haben hierfür allerdings meist wenig Zeit, in der es ihnen gelingen muss, möglichst viele Informationen zu vermitteln.
Außerdem kommt es bei der der Informationsweitergabe im Rahmen von Entscheidungsvorbereitungen zu erheblichen Verlusten.
Nehmen wir die von Spezialisten wie etwa Ökologen für eine bestimmte Planung insgesamt generierten Kenntnisse als 100% grundsätzlich verfügbarer Information an, gehen bereits im Prozess der Übermittlung an und Aufbereitung durch Planer Informationen verloren. Ein weiterer Verlust ergibt sich mit der Übermittlung an Entscheidungsträger (Luz 2000). Dieser Informations-„Rest“ vermischt sich im Moment der Entscheidung mit den bereits vorhandenen Landschaftskonstrukten der in Entscheidungsgremien vertretenen Menschen.
Neben zumeist stereotypen Landschaftsvorstellungen der politischen Entscheidungsträger (deren Vorstellungen sich jenen des Konstrukts des „Durchschnittsbetrachters“ annähern oder von ihm abweichen können) wird die Beschlussfassung maßgeblich durch die diskursive Eigenlogik des Politischen beeinflusst. Der Umgang mit Landschaft wird dem Kalkül des Machterhalts und Machterwerbs unterworfen und ist häufig nur noch rudimentär an sachlichen bzw. fachlichen Aussagen orientiert: Nicht allen Beteiligten ist im Moment der Entscheidung das Landschaftserleben als schützenswertes Gut präsent; bei Landschaft denken die Einen vielmehr an die Ausweisung von Bauland, die Anderen an die Ausübung von Freizeitsport und wieder Andere an den Anbau von Energiepflanzen.
Angeeignete physische Landschaft ist multifunktional und Entscheidungsträger haben je „ihre“ individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft und ihre Lieblingsfunktionen „im Kopf“ (die von dem Konstrukt des „Durchschnittsbetrachters“ abweichen oder sich ihm annähern können), von denen sie sich bei Entscheidungen nicht weniger leiten lassen als von den mehr oder weniger absorbierten Informationen der Fachleute.
Bei kritischen Entscheidungen können auch Landschaftselemente oder -funktionen den Ausschlag geben, die durch besonders scharfe Vorschriften etwa des Wasser-, Denkmal- und Naturschutzes „geadelt“ sind. So sind selbst gewissenhaft vorbereitete und durchgeführte politische Abwägungen in gewisser Weise undemokratisch, obgleich die Entscheidungsträger auf demokratischem Wege in ihre Positionen gewählt wurden und die Planungsfachleute ausschließlich auf der Grundlage geltender, also demokratisch bestimmter Gesetze handeln. Langfristig kommt es zur Aushöhlung der gesellschaftlichen Unterstützung für den tatsächlichen Umgang mit Landschaft.
Neubegründungsbedarf 3: Insbesondere in formellen Verfahren nehmen Entscheider die ihnen vorgelegten Ergebnisse (etwa genauer Untersuchungen) im Moment der Abwägung mehr oder weniger peripher wahr. Entscheidungen fallen auf der Basis von Zusammenfassungen und weniger wahrgenommener „Highlights“ (örtliche oder gesetzliche) sowie aufgrund machtstrategischer Erwägungen. Dieser Art der Aushöhlung gesellschaftlicher Teilhabe an Landschaft ist entgegen zu wirken. Dieses erstreckt sich auch darauf, neue Verfahren zu Verordnungsfindung zu finden, die eine stärkere Partizipation implizieren.
3.5 Planungsbetroffene/Öffentlichkeit sind in unterschiedlichen Maßen an Planung beteiligt und können „Landscape as perceived by people“ nicht immer hinreichend einbringen
Während das Bestehen oder Fehlen öffentlicher Teilhabe bei Landschaft sofort sichtbar verändernden Großprojekten rasch an Reaktionen auf Medienberichte (und öffentliche Kundgebungen, Proteste usw.) ablesbar wird, kann sich eine kritische Haltung in Bezug auf die Summe vieler kleiner, Landschaften inkremental und über Jahrzehnte beeinflussenden Veränderungen kaum ausbilden. Erst im Rückblick, etwa wenn eine Person nach längerer Zeit wieder in eine ihr früher vertraute und zwischenzeitlich stark veränderte Region zurückkehrt, treten Verlust-Erfahrungen auf (Kühne 2008). Geht landschaftsbezogene Planung auf Phänomene schleichender Veränderung nicht ein, etwa indem sie auf bewährte Methoden wie „landscape biography“ (Roymans et al. 2009) oder das Abfragen von „landscape history“ (Shama 1995) verzichtet, untergräbt sie selber ihr Potenzial, auf gesellschaftliche Entwicklungen rechtzeitig zu reagieren. Landschaftliche Auswirkungen solcher Entwicklungen lassen sich aber nicht einfach definieren; sie müssen abgeschätzt und erforscht werden, und dieses kann nur unter Beteiligung der Öffentlichkeit und insbesondere der jeweils besonders interessierten Kreise gelingen.
Auch das mag ein Beispiel illustrieren: Für die Landschaftsplanung für ein Mittelgebirgsdorf ging es um die Einschätzung, welche Nutzungsentscheidungen sich infolge bestimmter Änderung der Agrarförderung einstellen und mit welchen Umweltfolgen diese verbunden sein würden. Alle Landwirte wurden nach ihren betrieblichen Entwicklungen befragt; auf dieser Informationsgrundlage wurde unter anderem eine Karte der innerhalb der nächsten Generation voraussichtlich von Acker zu Wald umgewandelten Flächen erstellt. Deren gesamtlandschaftlicher Effekt – im Zeitraffer ins Bild gesetzt – schreckte die Beteiligten auf (Bruns et al. 2005). In nachfolgenden Diskussionen erzielte Ergebnisse konnten in politische Gremien eingespeist werden und führten auch dort zum Umdenken. So lassen sich aus der Landschaftserfassung, -beobachtung, -analyse und -bewertung unter Mitwirkung Ortsansässiger Trends des Landschaftswandels herausarbeiten, die als Grundlage für Prognosen über die weitere Entwicklung dienen können. Landschaftsprognosen erlauben zwar keinen Blick in die Zukunft, zeigen aber auf, was in den gedanklichen Landschaftskonstrukten künftig für möglich gehalten wird.
Neubegründungsbedarf 4: Die Öffentlichkeit kann „Landscape as perceived by people“ nicht immer hinreichend in die Planung einbringen, weil die Wirkungen des aktuellen und künftigen Tuns und Unterlassens von Landschaftsveränderungen nicht immer absehbar sind. In einem stärker partizipativ ausgerichteten Umgang mit Landschaft kommt dem Planer eine stärker moderierende Funktion zu. Zudem sollte es seine Aufgabe sein, Landschaftsszenarien als Entscheidungsgrundlage zu erstellen, die die landschaftlichen Konsequenzen raumrelevanter Entscheidungen allen Beteiligten vor Augen führen.
4 Europäische Landschaftskonvention: Interferenzen zur konstruktivistischen Landschaftstheorie
Im Ergebnis der im vorangegangenen Abschnitt herausgearbeiteten Erneuerungsbedarfe sind Meinungen betroffener und interessierter Teile der Öffentlichkeit bei Festlegungen über Landschaftsziele unterrepräsentiert (= Verstoß gegen Prinzipien demokratischer Legitimation) und Entscheidungen fallen mit nur geringer gesellschaftlicher Unterstützung (= Verstoß gegen mehrere rechtstaatliche und menschenrechtliche Grundsätze). Zu den Prinzipien eines „Good Governance“ gehört, dass Betroffene und interessierte Kreise der Öffentlichkeit an jeder Umwelt – und damit Landschaft – betreffenden Planung von Anfang an mitwirken (Århus-Konvention) und dabei ihre Sicht der Dinge während des gesamten Planungs- und Entscheidungsprozesses einbringen (Europäische Landschaftskonvention, ELK). Es geht also nicht um planerische Partizipation, sondern um Mitwirkung im gesamten Planungs- und Entscheidungsprozess. In der ELK wird darauf abgehoben, dass Landschaft nicht allein auf materielle Gegenstände der physischen Umwelt und auch nicht auf wenige (bildhafte) Szenerien beschränkt ist, sondern dass vielmehr die der wahrgenommenen Umwelt beigemessenen Bedeutungen wichtig sind. Weiter wird unterstellt, dass die hieran „interessierten Kreise“ sowie Betroffene über Landschaft in dem so verstanden Sinne Wissen besitzen. Werden die Ziele der ELK mit konstruktivistischen Überlegungen verbunden, lassen sich folgende Schritte im Umgang mit Landschaft ableiten:
Landschaften insgesamt hinsichtlich unterschiedlicher sozialer und kultureller Perspektiven erfassen;
Merkmale der zu Landschaft synthetisierten Objekte und die sie verändernden Kräfte und Belastungen analysieren;
Veränderungen der physischen Objekte wie auch der sozialen Konstrukte beobachten;
die konstruierten Landschaften unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutungen, die ihnen von den direkt Betroffenen und der betroffenen Bevölkerung beigemessen werden, bewerten;
Landschaftsqualitätsziele multiperspektivisch aufstellen.
Als Aufgaben des auf Landschaft bezogenen Planens beschreibt die ELK, Landschaften – in Bezug auf die unter öffentlicher Mitwirkung definierten Landschaftsqualitätsziele – aufzuwerten, wiederherzustellen oder neu zu gestalten. Sie beschreibt Planen als eine „stark nach vorne schauende Tätigkeit“, was planungsmethodisch aus konstruktivistischer Perspektive Folgendes einschließt:
Abschätzen aktueller und absehbarer Landschaftsentwicklung (Trends, Szenarien) und deren Auswirkungen (etwa auf der Grundlage von Landschaftsbeobachtungen und landschaftsgeschichtlichen Untersuchungen); im Sinne der konstruktivistischen Landschaftstheorie bedeutet dies, dass neben der Ebene des physischen Raumes auch die Ebene der gesellschaftlichen Landschaftskonstruktionen zu beobachten ist;
Formulieren und Bewerten von Alternativen und deren Auswirkungen (etwa in Form von Visionen und Landschaftsentwürfen), Offenlegung impliziter landschaftlicher Leitvorstellungen und Stereotypen;
Empfehlung und Entscheidung für eine Alternative als Strategie für die künftige Landschaftsentwicklung (etwa in Kenntnis der Auswirkungen von Szenarien und Alternativen auf Umwelt, Gesellschaft und auf Landschaft in allen Dimensionen);
Umsetzung der gewählten Strategie (bis hin zur Umsetzung konkreter Wiederherstellungs- und Gestaltungsmaßnahmen).
Hiermit schließt sich ein Kreis, denn Landschaftserfassung, analyse, bewertung und beobachtung sowie die Aufstellung von Landschaftsqualitätszielen setzen in dem Moment erneut an, an dem Strategien und Maßnahmen umgesetzt werden, etwa um Landschaftsveränderungen weiter zu beobachten und tatsächliche Wirkung ergriffener Maßnahmen mit den zuvor abgeschätzten zu vergleichen und hieraus wiederum Schlüsse zu ziehen.
Auf das oben genannte Beispiel einer ländlichen Gemeinde zurückkommend, wo die Sichtbarmachung der Summe viele Einzelentscheidungen bereits zum Umdenken solcher Entscheidungen führte, kann im nächsten Schritt über Landschafts-Zukünfte diskutiert werden. Diese Art planerischer Prognose zeigt auf, was in den gedanklichen Landschaftskonstrukten Beteiligter künftig für möglich gehalten wird. Hierbei handelt sich um ein forschendes Erkunden, etwa im Sinne des Abtastens von Ideen zu möglichen künftigen Landschaften. Auf diese Weise können, unterstützt durch Entwurfsleistungen, momentanen Trends nun verschiedene mehr oder weniger wünschenswerte Entwicklungsalternativen gegenübergestellt werden. Zwingend ist dabei nicht, dass das Konstrukt einer materiellen Landschaft als einziger Ausgangspunkt des Diskurses vorausgesetzt wird, noch bedarf es der Aussicht auf unmittelbare materielle Veränderung. So lässt sich vereinbaren, dass in die Zusammenstellung von Planungsgrundlagen neben den üblichen Natur- und Kulturinformationen auch Informationen über „gedachte Landschaften“ einfließen. Letztere können als Ergebnis von Beobachtungen, von systematischen Befragungen und mittels anderer sozialwissenschaftlich gestützter Methoden (Ipsen et al. 2003: 59ff) oder bzw. zusätzlich nach Szenarienbewertung oder des „Kartierens möglicher Entwicklungen in der nahen Zukunft“ (Stremke 2010: 121) formuliert werden.
5 Fazit
Das dargestellte Thema der Entscheidungsfindung über die Entwicklung von Landschaft stellt ein Beispiel der Konflikte um die gesellschaftliche Verteilung von Macht zwischen Entscheidungsträgern (z.B. Politikern), Experten (innerhalb und außerhalb von Behörden) und Zivilgesellschaft – in diesem Falle in der der demokratischen Gesellschaftsordnung – dar (zu Konflikten im sozialistischen Gesellschaftssystem siehe Kühne 2003).
Unabhängig von der planungsethischen Frage, ob es überhaupt vertretbar sein kann, Expertenurteile als Interpretation („Durchschnittsbetrachter“ als Maß aller Dinge?) und anstelle öffentlicher Meinungsbildung in Planungsverfahren zu akzeptieren (Planer sind keine Mitglieder demokratisch gewählter Volksvertreter), wird ein solches Vorgehen schon angesichts globaler Phänomene zunehmend mobiler und flexibler Gesellschaften auch methodisch immer fragwürdiger. Gerade bei Landschaftsbewertungen kann man nicht (mehr?) von „Seelenverwandtschaften“ im Sinne gemeinschaftlich geteilter und in definierter Gesellschaftskollektive weitgehend einheitlich vorhandenen Vorstellungen und Vorlieben ausgehen, die Landschaftsexperten dann wiederum ihrer Urteilsfindung zugrunde legen könnten. Ob Landschaft je als Gegenstand und Gut allgemeiner Erinnerung gedient hat oder heute und künftig dienen kann, ist eine weitere offene Frage. Alle Zuschreibungen und Deutungen von Landschaft sind – aufgrund ihrer sozialkonstruktiven Basis – reversibel, die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft lassen sich als Möglichkeitsraum verstehen, in den sich soziale Prozesse einschreiben. Das impliziert den Bedarf einer Stärkung der sozialwissenschaftlichen Perspektive in der Landschaftsforschung und -praxis.
Der Umgang mit Landschaft ist bis heute im Wesentlichen durch vier Expertendiskurse geprägt, die zumeist mit einem starken Hegemonialanspruch verbunden sind. Diese Expertendiskurse sind weitgehend geschlossen und für Nicht-Experten zumeist unzugänglich. Eine systematische Beteiligung oder auch nur Berücksichtigung von „Laien“ bleibt aus. Nicht zuletzt auf Grundlage der ELK gilt es, Landschaftsforschung und den Umgang mit Landschaft partizipativ zu gestalten und damit Multiperspektivität in der Erfassung, Planung und Umsetzung zu institutionalisieren; schließlich muss Landschaft angesichts des demographischen Wandels, insbesondere der zunehmenden Bedeutung von Migration, der Pluralisierung der Gesellschaft und weiterer gesellschaftlicher Veränderungen für viele Personen mit unterschiedlicher gesellschaftslandschaftlicher Prägung anschlussfähig sein und unterschiedliche Ansprüche repräsentieren. Diese bedeutet, dass gesellschaftliche Landschaft stärker auf tolerante und kontingente Soll-Vorstellungen orientiert werden muss. Das hat zur Folge, dass Diskursgrenzen aufgelöst werden müssen, indem ihre Relativität und ihr konstruierter Charakter verdeutlicht werden. Damit ändert sich auch das Berufsbild des Planers: Anstelle eines Entwerfers wird er stärker zum Moderator und Szenarien-Ersteller.
Über das weitere Sammeln praktischer Erfahrung hinaus ergibt sich eine Reihe von Forschungsfragen. Zunächst gilt es, begonnene Arbeiten fortsetzend, gegenwärtige und künftig absehbare Landschaftsentwicklung nachzuvollziehen. Dieses betrifft einmal die materiell-physischen Dimensionen, wobei viele der „neuartigen“ sich dynamisch „transformierenden“ Landschaften bereits intensiv untersucht wurden. Zum anderen geht es um die Dimensionen der Konstruktion von Landschaft durch verschiedene Teile der Öffentlichkeit. Hierbei geht es zum einen um die Vorstellungen, die Menschen sich von ihrer Umwelt machen, und zum anderen um die wissenschaftliche Erforschung dieser Vorstellungen und ihres Zustandekommens (z.B. Kühne 2006, Ueda 2010). Auf entsprechenden Erkenntnissen werden Planungen aufbauen können, die neben den physischen auch Veränderung der sozialen Grundlagen einbeziehen und versuchen, soziale Zuschreibungen zu reflektieren, „für den gesellschaftlichen Diskurs zu öffnen und neue Perspektiven von Natur und Landschaft zu erschließen“ (Hartz & Kühne 2010: 345).
Literatur
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Anschriften der Verfasser: Univ.-Prof. Dr. Diedrich Bruns, Universität Kassel, FB06 Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung, Fachgebiet Landschaftsplanung/Landnutzung, Gottschalkstraße 26, D-34127 Kassel, E-Mail bruns@asl.uni-kassel.de; Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Fakultät für Landschaftsarchitektur, Am Hofgarten 4, D-85354 Freising, E-Mail olaf.kuehne@hswr.de .
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