Heißer Herbst in Brüssel
Nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause des Europaparlaments nehmen auch die Arbeiten in Europäischer Kommission, Ministerrat und Parlament wieder „Fahrt auf“. Für den Naturschutz ist dabei vor allem relevant, dass die Kommission in diesem Herbst Entwürfe für mehrere Themen vorlegen will, mit denen konsequent die prioritären Ziele der neuen EU-Biodiversitätsstrategie [Naturschutz und Landschaftsplanung 43 (6), S.162] umgesetzt werden sollen.
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So hat zu Ziel 2, der Verbesserung von Ökosystemdienstleistungen, der besseren Vernetzung des Natura-2000-Netzwerkes und der Wiederherstellung beeinträchtigter Ökosysteme, bereits vor der Sommerpause eine Expertengruppe ihre Arbeit begonnen, die Empfehlungen für eine „No Net Loss“-Strategie (NNL) erarbeiten soll. Die Ergebnisse sollen noch im Herbst vorgelegt werden. Zu Ziel 3, unter anderem die Forstwirtschaft ökologisch nachhaltiger zu gestalten, soll in Kürze eine neue Expertengruppe eingerichtet werden. Ein orientierendes Papier zu Zielen und möglichen Inhalten (scoping document) wurde bereits im Juli verschickt [Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (9), S. 258). Mit großer Spannung wird auch ein Legislativvorschlag zum Umgang mit invasiven Arten erwartet, Ziel 5 der Strategie.
In den zuständigen Ministerräten und im Europäischen Parlament werden weiter intensiv die Vorschläge der Kommission zur Zukunft des Umweltförderinstrumentes LIFE sowie zur Reform von Agrar-, Fischerei- und Regionalpolitik für die Periode 2014 bis 2020 diskutiert. Beschlüsse werden aber erst nach der generellen Einigung über den EU-Gesamthaushalt 2014–2020 erwartet, der derzeit zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch mit dem Parlament noch intensiv diskutiert wird. Insbesondere Deutschland beharrt hier auf einer strikten Limitierung des Haushaltes, während etliche andere Mitgliedstaaten und die Mehrheit der Parlamentarier auf eine Aufstockung drängen.
Endgültige Beschlüsse werden voraussichtlich auf einem Sondergipfel der Staatschefs am 22./23. November oder erst auf dem EU-Gipfel zum Ende der zyprischen Ratspräsidentschaft Mitte Dezember gefasst, im schlimmsten Fall auch in die nachfolgende irische Ratspräsidentschaft verschoben.
Hinsichtlich der Bedeutung der Landwirtschaft für den Naturschutz hatten BirdLife International, der Dachverband des NABU, und das European Bird Census Council (EBCC) am 13. Juli anlässlich einer Anhörung zur EU-Agrarpolitik (GAP) eine neue Studie vorgestellt, wonach in den letzten 30 Jahren mehr als 300 Millionen Feldvögel der GAP zum Opfer gefallen sind, darunter auch ehemals häufige Arten wie die Feldlerche. In Deutschland griffen unter anderem das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) diese Studie auf und forderten eine Neuausrichtung der GAP. Dennoch lehnt der Ministerrat die – aus Umweltsicht eher zaghaften – Vorschläge der Kommission vom Herbst 2011 mehrheitlich als zu weitgehend ab, allen voran die deutsche Bundeslandwirtschaftsministerin. Zu den Entwürfen im Europäischen Parlament liegen inzwischen über 6000 (!) Änderungsanträge vor. Die Beratungen werden sich noch über den Oktober hinziehen, mit Beschlüssen des Agrarausschusses wird frühestens nach der Entscheidung über das EU-Budget im November gerechnet.
Einen schönen Erfolg hat die sachlich fundierte langjährige Arbeit der Verbände BirdLife, Europäisches Umweltbüro (EEB) und Transport & Environment (T&E) zu den ökologischen Problemen von Agrotreibstoffen Anfang September erbracht. Am 10. September meldeten die Nachrichtenagentur Reuters und das EU-Nachrichtenportal ENDS einen möglichen Kurswechsel der Europäischen Kommission, namentlich Klimakommissarin Connie Hedegaard und Energiekommissar Günther H. Oettinger, in Sachen „biofuels“. Es sei ein Entwurf für eine Richtlinie „durchgesickert“, mit dem endlich die klimaschädlichen Auswirkungen und die indirekten Landnutzungsänderungen (ILUC) der angeblichen „Bio“treibstoffe berücksichtigt werden sollen.
BirdLife-Pressemeldung zur Agrarvogelstudie:
Der bei ENDS daily und Reuters „durchgesickerte“ Entwurf der Kommission zu Biotreibstoffen: http://www.endseurope.com/docs/120911a.pdf
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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