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Chancen in Prozessschutz-, Entwicklungs- und Managementzonen aus ­naturschutzfachlicher Sicht

Ökologisches Potenzial eines möglichen Nationalparks im ­Nordschwarzwald

Abstracts

Die Diskussion über einen möglichen Nationalpark im Nordschwarzwald ist derzeit in vollem Gange. Ziel der Nationalpark-Initiative ist es, eine Fläche von mindestens 10000 ha mittel- bis langfristig für den Ablauf natürlicher Prozesse im Wald freizustellen. In einer 30-jährigen Anfangsphase besteht dabei in Teilbereichen die Möglichkeit, bestimmte Waldentwicklungen durch gezielte Maßnahmen, wie der Förderung von Tannen, Buchen und Kiefern zugunsten der kommenden Waldgeneration, anzustoßen (Entwicklungs-Nationalpark).

Aus naturschutzfachlicher Perspektive besteht die zentrale Frage darin, welche positiven Wirkungen ein solches Großschutzgebiet für die Erhaltung seltener Arten und die Wiederherstellung der lokalen Artenvielfalt hat. In der Summe gehen wir davon aus, dass ein Schutz der natürlichen Prozesse in einem Gebiet dieser Größe viele gebiets- und systemtypische Arten sowie ökologische Wechselwirkungen mittel- bis langfristig fördern wird. Diese Prozesse und Entwicklungen sollten in Zukunft durch ein fachlich fundiertes Monitoring (inklusive Forschung) durch Naturschutz, regionale Artenkenner und Wissenschaftler begleitet werden.

Ecological Potential of a National Park in the Northern Black Forest – Opportunities in zones for process protection, development and management from a nature conservation point of view

The discussion about a possible national park on the Northern Black Forest is currently in full swing. The National Park initiative aims to make available an area of at least 10,000ha in the medium to long term for the cycle of natural processes in the forest. In an initial phase of 30 years it will be possible to instigate certain forest developments in partial areas, e.g. the promotion of firs, beeches or pines in favour of the upcoming generation.

The central question from a nature conservation perspective is which are the positive effects of such a large protection area for the preservation of rare species and the re-establishment of the local species diversity. Summing up, it is expected that the protection of the natural processes in an area of this size will promote many typical species and ecological interactions. These processes and developments should be accompanied by a specialist monitoring (including research) of nature conservation, regional experts of species protection and scientists.

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Abb. 1: Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und der derzeitige Suchraum für einen Nationalpark im Nordschwarzwald mit den drei diskutierten Teilgebieten (1) Kniebis/Schliffkopf/Seekopf (9145ha), (2) Hoher Ochsenkopf (2030 ha) und (3) Kaltenronn/Wildseemoor (5760 ha).
Abb. 1: Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und der derzeitige Suchraum für einen Nationalpark im Nordschwarzwald mit den drei diskutierten Teilgebieten (1) Kniebis/Schliffkopf/Seekopf (9145ha), (2) Hoher Ochsenkopf (2030 ha) und (3) Kaltenronn/Wildseemoor (5760 ha).
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1 Einleitung

Weltweit hält die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen trotz der Bemühungen im Rahmen der Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) weiter an. Das 2002 von den CBD-Beitrittsstaaten verabschiedete Ziel, bis 2010 die Verlustrate der Biodiversität signifikant zu reduzieren, wurde nicht erreicht (Global Biodiversity Outlook 3, 2010). Der weltweite Artenrückgang ist mittlerweile 100- bis 1000mal höher als die natürliche Aussterberate (BMU 2007). Ein Mittel, um dieser Entwicklung zu begegnen, ist die Ausweisung von Großschutzgebieten wie Nationalparken, in denen natürliche Prozesse wieder zugelassen werden. Solche Großschutzgebiete werden seit über hundert Jahren in allen Teilen der Welt zur Erhaltung bestimmter Biotoptypen und den darin lebenden Arten errichtet. Auch Deutschland besitzt insgesamt 14 Nationalparke. Ziel der Bundesregierung in der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ ist es, bis 2020 auf 2 % der Landesfläche Wildnisgebiete einzurichten und auf 5 % der Landeswaldfläche Deutschlands wieder ungestörte, natürliche Waldentwicklung zuzulassen (BMU 2007).

Deutschland besitzt dabei eine besonders hohe Verantwortung für die Wiederherstellung von standorttypischen Mischwäldern der gemäßigten Breiten Mitteleuropas. Echte Urwälder mit vom Menschen unbeeinflusster Sukzession gibt es heute im dicht besiedelten Deutschland nicht mehr. Es bestehen aber noch relativ naturnahe, in ihrer Struktur weniger stark anthropogen gestörte, alt- und totholzreiche Waldflächen, die als Lebensgrundlage für eine ganze Reihe von inzwischen sehr seltenen und vom Aussterben bedrohten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten von großer Bedeutung sind und dringend erhalten werden müssen. In mehreren Wald-Nationalparks wird derzeit versucht, natürliche Dynamik auf größeren Flächen ehemaliger Wirtschaftswälder wieder zuzulassen. Einige Erfolg versprechende Beispiele zeigen dabei, dass die Umwandlung vom Wirtschaftswald in Wälder ohne direkte menschliche Einflussnahme recht schnell mit einer meßbaren Erhöhung der Strukturvielfalt und damit auch der biologischen Vielfalt einhergeht (Müller & Bütler 2010, Müller & Leibl 2011).

Als einzige Flächenbundesländer besitzen nur Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland keine großen Prozessschutzgebiete. Die baden-württembergische Landesregierung möchte vor diesem Hintergrund mit der Ausweisung eines Nationalparks sowohl internationalen Abkommen (CBD) als auch der „Nationalen Strategie zum Erhalt der Artenvielfalt“ der Bundesregierung (BMU 2007) nachkommen und Lebensräume schützen. In Baden-Württemberg zählt dazu das siedlungsarme und unzerschnittene Waldgebiet des Nordschwarzwaldes mit einem der größten noch vorhandenen Vorkommen der Weißtanne (Abies alba) im Kerngebiet der Artverbreitung.

Hauptziel eines Nationalparks ist, auf ausreichend großer Fläche (mindestens 10000 ha) eine vom Menschen weitgehend ungestörte Entwicklung der Wälder zuzulassen. Das Nationalparkgebiet würde letztlich 1–2 % der gesamten Wald­fläche des Schwarzwaldes und 3–4 % des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord ­umfassen und bliebe eingebettet in die ­weiterhin bestehende, waldreiche Kul­turlandschaft des Nordschwarzwaldes (Abb. 1).

2 Nationalpark-Idee Nordschwarzwald

Erstmals wurde 1992 die Errichtung eines Nationalparks im Schwarzwald diskutiert (Späth 1992). Die Idee wurde dann von der baden-württembergischen Landesregierung 2011 wieder aufgegriffen. Der Suchraum für einen möglichen Nationalpark im Nordschwarzwald (Abb. 1) umfasst überwiegend Wälder in einer Höhenlage von 800 bis 1100 m ü. NN auf Buntsandstein. Das Klima ist hier besonders niederschlagsreich und kühl. Die potenzielle natürliche Vegetation (pnV) in diesem von sauren, nährstoffarmen Böden (Podsole) geprägten Gebiet bilden Mischwälder aus Weißtannen, Fichten (Picea abies) und Rotbuchen (Fagus sylvatica) in den Hochlagen (vor allem Hainsimsen-Fichten-Tannen-Buchenwald Luzulo-Abietetum und Beerstrauch-Tannenwald Vaccinio-Abietetum) und Rotbuchen-Wälder mit hohem Anteil an Weißtannen in den Hanglagen (Hainsimsen-Buchenwald Luzulo-Fagetum) (LUBW 2012, Müller & Oberdorfer 1978, Schloss 1978, Schülli 1959, Wolf 1992). In den Übergangsbereichen zu den Mooren sind neben der Waldkiefer (Pinus sylvestris) auch Bergkiefern (Pinus rotundata var. pseudopumilio) von Bedeutung (Müller & Oberdorfer 1978, Wolf 1992).

Bei den Erhebungen und Diskussionen zu einem möglichen Nationalpark im Nordschwarzwald hat sich herauskristallisiert, dass der Schwerpunkt eines Großschutzgebietes darauf gelegt werden sollte, die fichtendominierten Wirtschaftswälder mittelfristig aus der Nutzung zu nehmen, damit sie sich langfristig zu standortstypischen, artenreicheren und stabilen Bergmischwäldern mit den Leitbaumarten Weißtanne, Fichte, Rotbuche und auf Sonderstandorten auch Waldkiefer entwickeln können (Entwicklungs-Nationalpark, vgl. unten).

Trotz der Dominanz der Fichte im möglichen Nationalpark bestehen bereits sehr günstige strukturelle Voraussetzungen für eine solche Entwicklung, da die Stürme „Vivian“ und „Wiebke“ (1991) und der Orkan „Lothar“ (1999) und die anschließenden Borkenkäfer-Kalamitäten große Teile des ehemals vorherrschenden Fichten-Altersklassenwaldes stark aufgebrochen und neu strukturiert haben. Vielerorts wächst bereits die nächste Waldgeneration heran, die struktur- und baumartenreicher als der Ausgangsbestand ist. Außerdem wurden in den vergangenen 30 Jahren durch Änderung der forstlichen Praxis in vielen Waldgebieten Tannen und Buchen wieder gefördert. Dadurch ist auf der Gesamtfläche bereits jetzt ein Mosaik von Waldtypen entstanden und wir gehen aufgrund der unterschiedlichen standörtlichen Begebenheiten davon aus, dass großflächig betrachtet kein einheitlicher Waldtyp entstehen wird. Vielmehr kann man eine Entwicklung zu einem abwechlungsreichen Waldbild erwarten, in dem lichtdurchflutete, beerenreiche Wälder der Alters- und Zerfallsphase, baumartenreiche Verjüngungsphasen und dichte, dunkle Jungwaldbereiche bis zur Optimalphase auf engem Raum aneinander grenzen.

Diese Mosaikstruktur wird in einem sich selbst überlassenen Wald vor allem dadurch gefördert, dass Zufallsereignisse wie Stürme, Schneebruch, Blitzschlag, Insektenfraß oder Trockenheit immer wieder klein- und großflächig neue Habitate schaffen, die sich auf der Gesamtfläche räumlich und über die Zeit wiederholen (Scherzinger 2006, vgl. auch Abb. 2). Erst die damit verbundene Dynamik ermöglicht das Überleben vieler Populationen von Tier-, Pilz- und Pflanzenarten und gewährleistet eine generell hohe Artenvielfalt und Artenqualität.

Zur Initiierung der Entwicklung vom Wirtschaftswald zum Naturwald durch forstliche Maßnahmen wird im Nordschwarzwald an die Einrichtung eines so genannten Entwicklungs-Nationalparks gedacht, der in künftige Wildnisgebiete mit Kernzone und 30-jährige Entwicklungszone, die später ebenfalls Kernzone wird, sowie dauerhaft gepflegte Flächen (Managementzone) gegliedert ist. Der Suchraum für einen Nationalpark im Nordschwarzwald umfasst drei Schwerpunktgebiete (Abb. 1), deren Baumartenzusammensetzung wie folgt geschätzt wird: Fichte: 65–70 %, Weißtanne: 15– 20 %, Waldkiefer: 5–10 %, Rotbuche: 1–5 %. Genauere Zahlen können erst nach Überprüfung der Baumartenzusammensetzung der endgültigen Nationalpark-Kulisse ermittelt werden.

Durch die geplante Reduzierung der Fichte um 5–10 % in den nächsten 30 Jahren und die Förderung von wichtigen Samenbäumen und der auf einigen Flächen bereits vorhandenen Verjüngung von Tanne und Buche sowie von Waldkiefer, Vogelbeere (Sorbus aucuparia), Birken (Betula spp. und Bergahorn (Acer pseudoplatanus) in den Entwicklungszonen können zusätzliche Impulse für eine baumartenreichere Entwicklung des künftigen Bergmischwaldes gegeben werden. Zur Erreichung einer optimalen Naturverjüngung wird dabei allerdings auf längere Zeit zumindest auf Teilflächen eine Reduktion des Schalenwildbestandes zum Schutz der jungen Tannen und Buchen vor Verbiss notwendig sein.

Der Umgang mit Sonderbiotopen wie Karseen, Mooren, Missen und Felsstandorten muss im Managementplan eines Nationalparks mit den jeweiligen Experten abgestimmt werden. Zudem ist in einem Entwicklungs-Nationalpark durch Festschreibung in den Managementplänen auch künftig geplant, sowohl den Erhalt von charakteristischen Kulturlandschaften (z.B. Grinden, Bergwiesen) als auch in bestimmten Fällen den aktiven Schutz durch Habitatverbesserung in Teilgebieten (z.B. für das Auerhuhn) zu gewährleisten.

3 Artpotenzial in der Kern- und Entwicklungszone

3.1 Grundlagen

In einem vom Menschen weitgehend unbeeinflussten Wald unterliegt die gesamte Pflanzenbiomasse einem natürlichen Prozess, der über die Nutzung durch Pflanzenfresser und die Zersetzung durch verschiedene Tiere, Pilze und Mikroorganismen wieder zu organischem Material im Boden und damit zu Nährstoffen für erneutes Pflanzenwachstum führt. Vor allem in der Altersphase der Bäume entstehen dabei besondere Strukturen und Habitate wie große Mulmhöhlen, trockene, tote Starkäste, stehend abgebrochene Bäume, absterbende Wurzeln usw., die für eine Vielzahl (Tausende) von Insekten (vor allem Käfer und Fliegen), Pilze und Bakterien die Lebensgrundlage bilden. Davon profitieren wiederum zahlreiche Wirbeltierarten.

Im Gegensatz dazu ist ein normaler Wirtschaftswald – wie jede Kulturlandschaft – auf die Produktionsphasen (Optimalphase) ausgerichtet. Die Alters- und Zusammenbruchphase und ihre Habitatstrukturen wie starkes Totholz sind in Wirtschaftswäldern meist nur minimal vertreten (Schaber-Schoor 2009). Viele der auf sehr spezifische Totholz-Strukturen angewiesenen Organismen befinden sich daher auf den Roten Listen der gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten.

Vergleichende Untersuchungen über Totholzschwellenwerte in europäischen Wäldern ergaben erst ab einem Totholzvorrat von 30–50 m³ ha–1 einen Effekt für Totholz bewohnende Artengemeinschaften (Müller & Bütler 2010). Einige extreme Totholz-Spezialisten, wie die Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella) (Bässler & Müller 2010) oder auch der Drachenkäfer (Pytho kolwensis) (Siitonen & Saaristo 2000) und andere xylobionte Käferarten (Müller et al. 2007) benötigen jedoch noch weitaus höhere Totholzvorräte mit mehr als 100 m³ ha–1 (vgl. auch Schwellenwertangaben für Urwaldreliktarten in Schaber-Schoor 2008, 2009). Solche Mengen liegenden und stehenden Totholzes sind nur in unbewirtschafteten Wäldern möglich.

Die Bundeswaldinventur 2 (BWI2) hat im Gegensatz dazu für die Jahre 2000/ 2001 in baden-württembergischen Forsten einen Wert von durchschnittlich 19,1 m³ ha–1 ermittelt ( http://www.bundeswaldinventur.de ). Insgesamt liegen die Totholzmengen in unseren Wirtschaftwäldern damit deutlich unter den Mengen, die für das Überleben anspruchsvoller Arten notwendig wären (Bussler & Müller 2006, Schaber-Schoor 2009). Zur Erhaltung der Waldarten wurden daher in neuerer Zeit Zusatzprogramme wie das „Alt- und Totholzkonzept“ aufgelegt (ForstBW 2010), das aber die urwaldtypischen Totholz-Mengen flächig nicht anbieten kann.

Da manche Arten nur bestimmte, an einem einzelnen Baum meist nur wenige Jahre währende Stadien toten Holzes nutzen können, kann die vollständige Artenausstattung einer Region nur in Waldgebieten existieren, die so großflächig sind, dass alle im Entwicklungszyklus des Waldes auftretenden Strukturen und Habitate dauerhaft in räumlichem Bezug und enger Verzahnung zueinander auftreten. Bestehende Naturschutzgebiete und Bannwälder sind in der Regel zu klein, um eine nachhaltige Sicherung lokaler Populationen zu gewährleisten. Insbesondere der Aufbau von Lebensräumen für stabile und größere Populationen seltener Urwald-Reliktarten ist aufgrund der benötigten Fläche nur in Großschutzgebieten (Mindestfläche 10000 ha) möglich. Diese können dann wiederum bei hohem Populationsdruck zu Quellgebieten für eine Neuausbreitung werden.

Im Verbund mit großen Prozessschutzgebieten spielt dann allerdings das Alt- und Totholzkonzept auf der Gesamtfläche (ForstBW 2010) eine wesentliche Rolle aufgrund seiner Trittsteinfunktion bei der Ausbreitung und Rückwanderung in ehemalige Vorkommensgebiete. Je nach Artengruppe können die Wiedervernetzung von Restvorkommen seltener Arten und eine Wiederbesiedelung des Nationalparkgebietes durch verschollene Arten unterschiedlich lange Zeiträume erfordern. Bei einigen Käferarten mit sehr geringen Ausbreitungsfähigkeiten kann dieses Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauern, bei manchen sehr mobilen Arten, oder wenn Reliktvorkommen existieren, kann eine Wiederausbreitung auch sehr rasch ab­laufen.

Im Folgenden soll das Entwicklungspotenzial für einige Pflanzen-, Pilz- und Tierarten in der Entwicklungs- und Kernzone eines möglichen Nationalparks beispielhaft erläutert werden. Die Auswahl der erwähnten Arten basiert auf den Einschätzungen von Artexperten der Region, erhebt dabei aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da nicht über alle Artengruppen gleich gute Informationen vorliegen.

3.2 Entwicklung der Vegetation

Wir gehen davon aus, dass sich der gesamte Wald bei einer freien Entwicklung je nach Standort (Höhenlage, Exposition, Boden- und Gesteinsbedingungen, Vermoorungsgrad) über die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte vom fichtendominierten Nadelwald in einen strukturreichen Mischwald mit den Hauptbaumarten Fichte, Weißtanne, Rotbuche und teilweise auch Waldkiefer entwickeln wird und es dabei zu einer Anreicherung der Vorräte an liegendem und stehendem Alt- und Totholz kommt.

Über die Zukunft der Fichte im Schwarzwald wird sehr kontrovers diskutiert. Während ihre starke Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Baumarten und ihre Verjüngungspotenz für einen langen Verbleib in den Wäldern des Nordschwarzwaldes sprechen, gibt es im Gegensatz dazu Hinweise, dass sie bei der erwarteten Klimaerwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts stark unter Druck geraten wird (Müller-Kroehling et al. 2010). Entsprechend geht Reif (schriftl. Mitt. im Waldnaturschutz-Forum der FVA) davon aus, dass sich langfristig Weißtannen und Rotbuchen durchsetzen werden. Letztlich wird sich gerade auf den Prozessschutzflächen im Nationalpark herausstellen, welche Zukunft die Fichte im Schwarzwald haben wird. Entscheidenden Einfluss auf die Waldentwicklung hat dabei auch der Wildbestand, da dieser selektiv in die Baumartenverteilung zugunsten der gegen Verbiss unempfindlichen Fichte eingreift. Daher wird eine angemessene Wildbestandsregulierung längerfristig auch in den Kernzonen eine wichtige Rolle spielen, auch deshalb, weil große Beutegreifer wie Luchs (Lynx lynx), Wolf (Canis lupus) und Braunbär (Ursus arctos) im Gesamtsystem zumindest mittelfristig fehlen werden.

Im Hinblick auf die Strukturvielfalt ist vor allem die Entwicklung von Uraltbäumen von großer ökologischer Bedeutung (Bussler 2006, Bütler 2005). Während im Wirtschaftswald in der Region Nordschwarzwald Baumindividuen durchschnittlich noch in einem Alter von 120 bis 140 Jahren geerntet werden, können Bäume in Wäldern ohne Holznutzung deutlich älter und größer werden. Das bekannte Höchstalter von Fichten in Urwäldern liegt bei 900 Jahren, das von Waldkiefern und Weißtannen bei 600 Jahren (Scherzinger 1996). Dieses hohe Alter der Bäume ist nur durch besondere (stochastische) Prozesse in Urwäldern erklärbar. Die Jungbäume werden dabei zum Teil lange über das Wurzelsystem der Mutterbäume mitversorgt, können längere Zeit in der Jugendphase verharren und nach dem Auflichten der Kronenschicht rund 100 Jahre länger wachsen als vergleichbare Individuen in Wirtschaftswäldern (Scherzinger 1996). Ob auch im Nordschwarzwald Bäume ein solch hohes Alter erreichen können, wird erst die Zeit zeigen. Bei Tannen und Buchen ist das aber durchaus denkbar. Tatsache ist, dass viele Kleinstlebensräume, auf die spezialisierte Waldarten angewiesen sind, erst bei sehr alten Bäumen in Verbindung mit diversen Strukturmerkmalen wie Höhlen, Kronen- und Starktotholz und rauer Rinde entstehen können (Bussler 2006, Müller & Leibl 2011).

Neben den Hauptbaumarten der typischen Waldgesellschaften des Nordschwarzwaldes (vgl. oben) hätten bei ungestörter Sukzession, wie sie sich in Fichtenbeständen nach Käferbefall und auf Windwurfflächen abspielt, insbesondere auch typische Pionierbaumarten und Laubbäume von Sonderstandorten wie Vogelbeere, Mehlbeere (Sorbus aria), die drei Birken-Arten des Gebietes – Moorbirke (Betula pubescens), Karpatenbirke (Betula pubescens ssp. carpatica), Sandbirke (Betula pendula) –, die Waldkiefer, der Bergahorn und die zugehörigen Artengemeinschaften eine Chance zur freien Entwicklung. Im Unterwuchs wird sich in lichteren Bereichen je nach Vermoorungsgrad eine reiche Beerstrauchgesellschaft mit Heidelbeere (Vaccinium myrtillus), Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea), Besenheide (Calluna vulgaris) und Gräsern entwickeln. In trockeneren Bereichen wird auf Lichtungen auch Adlerfarn (Pteridium aquilinum) eine wichtige Rolle spielen und zum Teil ein großflächig dichtes Aufwachsen von Jungfichten verhindern und damit heterogene Waldstrukturen schaffen.

Aus naturschutzfachlicher Sicht sollten die Wälder der Kar- und Steilhänge sofort in die Kernzonen eines Nationalparks aufgenommen werden, da sie noch eine große Naturnähe aufweisen. Die Aufnahme der Moore, Moorrandwälder und Missen in Kern- oder Entwicklungszone eines Nationalparks sollte im Einklang mit der Moorschutzstategie des Landes Baden-Württtemberg erfolgen und für jedes Teilgebiet nach einer jeweiligen Einzelfallprüfung im Managementplan festgelegt werden. Eingriffe in Hochmoorkomplexe sollten im Allgemeinen auf ein Minimum reduziert werden. Hochmoore sind eine der wenigen Vegetationskomplexe, die sich ohne Eingriffe des Menschen entwickelt haben und weiter entwickeln werden, wenn die Umweltbedingungen es zulassen (vgl. ergänzende Angaben in der ausführlicheren Online-Version dieses Beitrags unter http://www.nul-online.de Service Download).

3.3 Pilze

Eine ganz besondere Rolle in ungestörten Waldflächen spielen Pilze, da sie am Abbau des Totholzes entscheidend beteiligt sind. Verschiedene Pilze zersetzen abgestorbenes Holz in unterschiedlicher Weise (Zellulose, Lignin, Weiß- und Rotfäule), schaffen so die Nahrungsgrundlage für Mikroorganismen, Würmer und Arthropoden und bereiten damit den Waldboden für neues Wachstum vor. Für die Vielfalt und Vitalität unserer Wälder sind außerdem Mykorrhiza-Pilze durch ihre enge Symbiose mit dem Wurzelsystem von Bäumen besonders wichtig. Da viele Pilzarten sehr sensibel auf Düngung, Kalkung, Waldwegebau, Bodenverdichtung oder Luftverschmutzung reagieren, ist ein Nationalpark ohne diese Eingriffe für zahlreiche mittlerweile im Vorkommen rückläufige Pilzarten, wie Samtiger Pfifferling (Cantharellus friesii), Echter Pfifferling (Cantharellus cibarius) und Stahlblauer Rötling (Entoloma nitidum), ein wichtiges Refugium.

Daneben dürften von den hohen Totholzanteilen sehr seltene oder bereits verschollene Urwaldpilze profitieren, beispielsweise der überwiegend in Naturwaldreservaten vorkommende Zunderschwamm (Fomes fomentarius), Lundells Feuerschwamm (Phellinus lundellii) und Tannenstachelbart (Hericium flagellum). Individuen von letzterem wurden im Nordschwarzwald erst vor kurzem an alten, abgestorbenen Tannen im Bannwaldgebiet „Wilder See“ (Ebel & Römpp in Schlund et al. 2011) und am Rande des Bannwalds „Wildseemoor“ (K. Dürr, Infozentrum Kaltenbronn, mündl. Mitt.) entdeckt. Dass Pilze bei verbesserten Bedingungen zurückkehren und wieder häufig werden können, zeigt das Beispiel der Zitronengelben Tramete aus dem Nationalpark Bayerischer Wald (Müller 2012).

3.4 Insekten und andere Gliedertiere (Arthropoden)

Die von Pilzen und Flechten geschaffenen Kleinsthabitate in und auf dem stehenden und liegenden Totholz sind für zahlreiche hochspezialisierte Arthropoden-Arten ein unersetzlicher Lebensraum. Der Bannwald „Wilder See“ steht hier beispielhaft für das Entwicklungspotenzial in einem Nationalpark Schwarzwald (Schlund et al. 2011). Hier wurden bisher Spinnen (Araneae), Weberknechte (Opiliones), Pseudoskorpione (Pseudoscorpiones), diverse Asseln (Isopoda), Hundert- und Tausendfüßer (Myriapoda), Käfer (Coleoptera) und Schmetterlinge (Lepidoptera) untersucht und eine artenreiche Fauna mit zahlreichen interessanten Arten nachgewiesen.

Bei den Käfern ist das Entwicklungspotenzial besonders groß (Bücking et al. 1998), da rund ein Viertel der heimischen Käferarten direkt oder indirekt von totem Holz lebt. Von solchen xylobionten Käfern gelang bisher der Nachweis von 167 Arten, von denen 13 landesweit auf der Roten Liste stehen. Der Vergleich von Fängen im Bannwald „Wilder See“ aus den Jahren 1995/1996 und 2011 (Bense 2012) zeigt, dass die Artenvielfalt der Holzkäfer mit dem erhöhten Totholzangebot anstieg und insbesondere Morschholzbewohner und Besiedler von Holzpilzen von der Zunahme der zersetzten Hölzer im Gebiet profitierten. In den Fichtenwäldern des Bayerischen Waldes hat sich die Öffnung des Kronendachs durch Borkenkäferschäden, insbesondere durch den Buchdrucker (Ips typographus), positiv auf das Vorkommen von xylobionten Käferarten der Roten Liste ausgewirkt (Müller et al. 2008, 2010), die als typische Urwaldreliktarten gelten (Müller et al. 2005). Zur Erhaltung der Vielfalt totholzbesiedelnder ­Käfergemeinschaften der Bergwälder ist laut Müller et al. (2010) mindestens eine Verdreifachung des derzeitigen Totholzvorrats sowohl in dichten als auch offenen Beständen auf über 30–60 m3 ha–1 not­wendig.

Neben den Käfern profitieren auch zahlreiche andere Arthropodengruppen von einer erhöhten Lückigkeit der Waldbestände durch Windwurfflächen, Borkenkäferlichtungen und umgestürzte Einzelbäume (Literaturangaben bei Müller et al. 2008). Dazu gehören neben Laufkäfern (Carabidae), Pflanzenwespen (Symphyta), Fliegen (Diptera), Schwebfliegen (Syrphidae), Netzflüglern (Neuropteroidea), Ameisen-, Bienen- und Wespenarten (Aculeata) und Spinnen (Araneae) auch zahlreiche Schmetterlingsarten (Lepidoptera). Neben einer Reihe von seltenen Nachtfalterarten der Moorrandwälder, die von Auflichtungen im Wald abhängen (s. unten), zählt dazu beispielsweise auch der im Bestand stark zurückgegangene Trauermantel (Nymphalis antiopa). Auch seltene Heuschrecken (Saltatoria), wie die Laubholz-Sägeschrecke (Barbitistes serricauda), finden in den entstehenden lichten und strukturreichen Waldflächen mehr Lebensraum.

Unter den Libellen (Odonata) benötigen die Quelljungfer-Arten (Cordulegaster boltonii, C. bidentata) für ihre Entwicklung naturnahe Quellrinnsale. Eine natürliche Waldstruktur mit kleinen Lichtflecken im Bereich von Schnee- oder Sturmbruchflächen, wie sie sich in einem Nationalpark finden würde, käme den Ansprüchen dieser Arten entgegen. Andere Libellenarten können die mit Wasser gefüllten Vertiefungen entwurzelter Bäume insbesondere in moorigen Bereichen zur Fortpflanzung nutzen. Neben häufigen Arten, wie Blaugrüner Mosaikjungfer (Aeshna cyanea) oder Früher Adonislibelle (Pyrrhosoma nymphula), entwickeln sich in den Hochlagen des Nordschwarzwaldes in solchen Wurzelteller-Gewässern auch seltene und hochgradig bedrohte Moor-Libellenarten, wie die Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia dubia), die Torf-Mosaikjungfer (Aeshna juncea) sowie die Alpen-Smaragdlibelle (Somatochlora alpestris) und die Arktische Smaragdlibelle (Somatochlora arctica). Zudem können Rothirsch (Cervus elaphus) und Wildschwein (Sus scrofa) im Bereich der Wurzelteller durch Suhlen und wühlende Tätigkeiten moorige Schlenken als Entwicklungsgewässer für Hochmoor-Mosaikjungfer (Aeshna subarctica) (Bönsel 1999) und Alpen-Smaragdlibelle erhalten und auch neu schaffen.

Auch die in terrestrischen Ökosystemen wichtigen Ameisen (Formicidae) werden durch das mosaikartige Auslichten von Waldbeständen stark gefördert, da die Ameisenbrut sonnenexponierte Standorte zur optimalen Entwicklung benötigt. So legen selbst die Waldameisen ihre großen Hügelnester in Lichtungen oder an Waldsäumen an. Windbruchflächen sind nach etwa zehn Jahren besonders artenreich, da sich dann neben den Waldarten auch zahlreiche Offenlandarten aus der weiteren Umgebung angesiedelt haben. Auffallend auf solchen Flächen ist neben der Erhöhung der Diversität auch eine Zunahme der Biomasse der Ameisen, die eine bedeutende Nahrungsgrundlage unter anderem für Spechtvögel bilden. Zu nennen wäre hier beispielsweise das ungewöhnlich häufige Vorkommen der Rossameise (Camponotus herculeanus) am Lotharpfad nahe dem Schliffkopf. Lichte Waldbestände am Rande großer offener Moore und Bergheiden sind zudem wertvolle Lebensräume für Eiszeitreliktarten (vgl. Angaben zu den Arten in der Online-Version).

Auch Spinnen (Araneae) können vom Prozessschutz profitieren. Zwar handelt es sich bei dieser besonders in Wäldern individuen- und artenreichen Gruppe um reine Räuber, die weder direkt von der Vegetation noch vom Totholzangebot abhängig sind. Trotzdem zeigte die Vielfalt von Waldbodenspinnen in einer Untersuchung von Bann- und Wirtschaftswäldern (Loch 2002) deutliche Korrelationen mit dem Totholzvorrat. Wie in vielen anderen Tiergruppen ist die Artenvielfalt von Spinnen, die stärker von Strukturen (Streu, niedrige Vegetation, Stämme) und Mikroklima (Feuchtigkeit, Beschattung) als von der Artenzusammensetzung der Vegetation oder den Bodenverhältnissen abhängt, auch in Wirtschaftswäldern hoch. Fichtenreinbestände sind aber individuen- und artenärmer als Buchen- und gemischte Bestände.

Die Biotopvielfalt und vor allem die klein- bis mittelskalige Dynamik in alten Wäldern (z.B. Bannwäldern) ermöglicht auch bei Spinnen eine hohe Artenvielfalt und bietet besonders stenöken Arten Lebensraum. Spinnen reagieren auf Störungen schnell und gehören zu den Erstbesiedlern von neu entstandenen Habitaten. Sie können dadurch Dynamik nachzeichnen. Ein Nationalpark böte insbesondere die große Chance, die Entwicklung der Spinnenzönosen bis in die Zerfallsstadien zu beobachten (vgl. Angaben zu den Arten in der Online-Version).

3.5 Amphibien und Reptilien

Morsches, liegendes Holz dient mehreren Amphibienarten als hervorragendes Versteck und nahrungsreicher Lebensraum – z.B. Fadenmolch (Triturus helveticus), Bergmolch (Triturus alpestris) und Feuersalamander (Salamandra salamandra) –, wenn Laichgewässer wie Bäche, Quellen und Karseen in der Umgebung vorhanden sind. Zudem können sich im Laufe der Zeit die durch Stürme entstandenen, wassergefüllten Senken und Pfützen neben den Wurzeltellern umgestürzter Bäume zu wichtigen Laichgewässern entwickeln.

Unter den Reptilien dürften Bergeidechsen (Lacerta vivipara), Blindschleichen (Anguis fragilis), Ringelnattern (Natrix natrix) und Kreuzottern (Vipera berus) von dem sehr lichten, strukturreichen Wald in der Zusammenbruchsphase profitieren. Für die Kreuzotter könnte sich hier, neben ihrem Vorkommen an den Rändern der beweideten Grindenflächen (Sekundärhabitat), ein sich natürlicherweise immer wieder einstellendes Habitat in lichten, totholzreichen und damit nahrungsreichen Wäldern (Primärhabitat) ergeben.

3.6 Vögel

Eine Artengruppe, die von der Einrichtung eines Nationalparks im Nordschwarzwald profitieren könnte, sind die Vögel (Abb. 3; vgl. auch Späth 1992). Bei einer vergleichenden Untersuchung fand Hohlfeld (1997) deutlich mehr Brutvogelarten (5 bzw. 8 Arten) und um 14–16 % höhere Siedlungsdichten in zwei Bannwäldern (Hoher Ochsenkopf, Wilder See) der Suchraum-Kulisse als in benachbarten Wirtschaftswäldern.

Neben Singvogelarten, die auf ein großes Höhlenangebot und lichte, nahrungsreiche Wälder angewiesen sind, können mittel- bis langfristig insbesondere Spechte zu Gewinnern dieses Prozesses werden (Scherzinger 2006). Der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) ist eine Charakterart totholzreicher Fichten-Altwälder, wie sie in einem künftigen Nationalpark entstehen würden. Nach langer Abwesenheit (die Art galt bis zur Wiederentdeckung durch L. Steinwand u.a. im Jahre 1982 als ausgestorben) wurde dieser Specht erst im Zuge von Kalamitäten durch den Buchdrucker, verursacht durch die gewaltigen Sturmschäden 1991 und 1999, wieder vermehrt im Nordschwarzwald festgestellt. Der erste Brutnachweis gelang 1995 im Bannwald „Hoher Ochsenkopf“ (Dorka 1996a, b). Bis 2004 nahm der Bestand in den bestehenden Bannwäldern und Naturschutzgebieten kontinuierlich zu (Straub et al. 2005), ging aber in den letzten Jahren durch das Fehlen frisch abgestorbener Altfichtenbestände wieder zurück. Wenn man den Dreizehenspecht als Brutvogel des Schwarzwaldes (und damit in Baden-Württemberg) erhalten will, sind Großschutzgebiete im Nadelwald unabdingbar, die überhaupt erst die von der Art benötigte Totholzmenge auf großer Fläche (>1 km2) zur Verfügung stellen (vgl. Bütler et al. 2004, Bütler 2005).

Im Schwarzwald wurde ein nötiger Totholschwellenwert von 70 m³ ha–1 ermittelt (Kratzer et al. 2011). Ein Nationalpark im Nordschwarzwald würde dem Dreizehenspecht, der sehr flexibel auf absterbende Fichtenbestände (Borkenkäfernester) reagiert, eine langfristige Überlebenschance bieten. Rund zehn Jahre nach der ersten Nutzung durch den Specht während des akuten Buchdruckerbefalls, werden die abgestorbenen Bäume im Fäulnisstadium für die Art erneut nutzbar, da dann die Larven von Zangenböcken (Cerambycidae) und Holzrüsslern (Curculionidae) zur Verfügung stehen (Müller & Simonis 2010).

Unter den Spechten reagiert neben dem Grauspecht (Picus canus), der im Suchraum nur im Bannwald „Wilder See“ regelmäßig beobachtet wird, vor allem der seltene Wendehals (Jynx torquilla) positiv auf ein erhöhtes Totholzangebot. Der Wendehals ist eine Vogelart, deren Primärhabitat in zusammenbrechenden Wäldern zu suchen ist (Späth 1992). Seit dem Orkan Lothar wird er vermehrt zur Brutzeit auf nicht völlig aufgearbeiteten Sturmflächen des Nordschwarzwalds mit überdurchschnittlichen hohen Totholzmengen (vgl. Werte in Schaber-Schoor 2009) und einem damit verbundenen größeren Vorkommen an Ameisen (s. oben) beobachtet (Förschler 2008). Auch im Bayerischen Wald ist der Wendehals wieder in ähnliche Totholzbereiche eingewandert (Müller & Simonis 2010).

Neben selteneren Spechtarten werden in einem Nationalpark aber auch der häufige Buntspecht (Dendrocopus major) und der Schwarzspecht (Dryocopos martius) vom hohen Totholzanteil profitieren (Scherzinger 2006). Eine hohe Spechtdichte führt wiederum zu einem weit höheren Höhlenangebot, von dem dann weitere Vogelarten – Raufußkauz (Aegolius funereus), Sperlingskauz (Glaucidium passerinum), Meisen (Parus spp.), Kleiber (Sitta europaea), Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) –, aber auch viele Fledermausarten (Chiroptera) profitieren (s.u.). Es ist bekannt, dass die Erhöhung der Höhlenbaumdichte auf mindestens fünf pro Hektar deutlich höhere Artenzahlen ermöglicht (Müller & Simonis 2010).

Auch für das Auerhuhn (Tetrao urogallus) ergeben sich aus unserer Sicht Chancen in einem Nationalpark. Das Auerhuhn ist auf die späten Stadien der Waldsukzession (späte Optimal- bis Zusammenbruchphase) angewiesen (Lieser & Roth in Hölzinger & Boschert 2001) und profitiert vom Prozessschutz auf großer Fläche, da der Wald dadurch mittel- bis langfristig älter, lückiger und insgesamt struktur- und nahrungsreicher wird (Klaus 2008). Das gilt insbesondere für das Hochgebirge und die Hochlagen der Mittelgebirge im natürlichen Verbreitungsgebiet von Nadelbaumarten (Klaus 2008). Im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet des Bayerischen Waldes und des Böhmerwaldes zeigen neue Ergebnisse eines Monitorings, dass in den totholzreichen, durch Borkenkäferfraß entstandenen Freiflächen die Nachweisdichte außerordentlich hoch ist, solange nur kleine Horste von über zimmerhohen Fichten vorhanden sind (Müller & Simonis 2010). Der dortige Bestand hat sich offensichtlich erholt und wird derzeit wieder auf 550-570 Individuen geschätzt (J. Müller, mdl. Mitt.).

Ähnliche Beobachtungen ergeben sich auch in den lichten Hochlagenwäldern des Grindenschwarzwalds mit reichlich stehendem und liegendem Totholz und Zwergsträucher-Unterwuchs (Abb. 4). Hier ist im letzten Jahrzehnt in Folge der massiven Auflichtungen des Hochwaldes durch den Sturm Lothar oberhalb 900 m ü. NN eine Stabilisierung und gebietsweise sogar eine Zunahme der Bestände des Auerhuhns zu beobachten (Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Freudenstadt). Wir gehen davon aus, dass aufgrund des bereits vorhandenen Strukturreichtums in den Prozessschutzflächen eines Nationalparks und dank künftiger Zufallsereignisse (Stürme, Schneebruch, Auflichtungen durch Baumalterung und Borkenkäferfraß) zumindest in den Hochlagen des Nordschwarzwaldes oberhalb 800m, die den größten Teil des Suchraumes einnimmt, auch in Zukunft immer wieder neue geeignete Lebensräume für die Art entstehen werden (vgl. auch Scherzinger 2006).

Um das im bewirtschafteten Wald des Schwarzwaldes seit Anfang des letzten Jahrhunderts stark zurückgehende Auerhuhn (LUBW 2007, Suchant & Braunisch 2008) aber zusätzlich in seinem Bestand zu stabilisieren, könnten zeitgleich insbesondere in den tieferen Lagen der Entwicklungszone über 30 Jahre für das Auer­huhn förderliche Maßnahmen wie Entfichtung von aufwachsenden Sturmflächen, Auflichtung und Pflege von Balzplätzen und die Förderung von wichtigen Nahrungsbäumen wie Wald- und Bergkiefern gemäß „Aktionsplan Auerhuhn“ der „Arbeitsgruppe Raufußhühner Baden-Württemberg“ (Suchant & Braunisch 2008) umgesetzt werden. Denkbar wäre dabei, die Ziele des „Aktionsplans Auerhuhn“ direkt im Managementplan eines künftigen Nationalparks zu verankern.

Da eine funktionsfähige Population des Auerhuhnes jedoch noch wesentlich größere Flächen benötigt (Klaus 2008), wird für die langfristige Stabilisierung der Gesamtpopulation des Schwarzwaldes von noch viel entscheidendere Bedeutung sein, ob es gelingt, die Auerhuhn-Habitate eines Nationalparks durch eine konsequente Umsetzung des Aktionsplans in angrenzenden Wirtschaftswäldern mit den bereits stark fragmentierten Restvorkommen von Nord-, Mittel- und Südschwarzwald zu vernetzen (Segelbacher et al. 2008, Suchant & Braunisch 2008).

Für das Haselhuhn (Bonasa bonasia) hingegen käme die Errichtung eines Nationalparks im Nordschwarzwald möglicherweise zu spät, da die Art kurz vor dem Aussterben steht (LUBW 2007). Langfristig werden allerdings in einem Nationalpark Habitatstrukturen wie strukturreiche Verjüngungsflächen mit hohem Weichholzanteil entstehen, die dem Haselhuhn entgegenkommen würden, denn laut Klaus (2008) profitiert es vom Schutz natürlicher Entwicklungsvorgänge in besonderem Maße. Prozesschutz ist für dieses Waldhuhn daher die ideale Naturschutzstrategie (Klaus 2008). Entsprechend besiedelt es im Bayerischen Wald vor allem der natürlichen Dynamik überlassene, große Sturmflächen (J. Müller, mdl. Mitt.).

Neben der Erhaltung und positiven Populationsentwicklung noch vorhandener seltener Vogelarten besitzt das Nationalparkgebiet auch das Potenzial für eine Wiederbesiedlung durch länger verschwundene ehemalige Brutvögel des Nordschwarzwaldes aus dem Alpenraum wie beispielsweise Weißrückenspecht (Dendrocopos leucotos) und Steinadler (Aquila chrysaetos) (vgl. Angaben zu den Arten in der Online-Version).

3.7 Säugetiere

Auch zahlreiche gefährdete Säugetierarten nutzen Totholz oder die durch absterbende Bäume geförderte Strukturvielfalt (großes Höhlenangebot, lichte und dichte Waldflächen) und das vielfältigere Nahrungsangebot in einem möglichen Nationalpark. Unter den Kleinsäugern profitieren insbesondere die seltene Alpenspitzmaus (Sorex alpinus), der Gartenschläfer (Eliomys quercinus), aber auch die Haselmaus (Muscardinus avellanarius) von der mosaikartigen Habitatvielfalt in naturbelassenen Wäldern. Höhere Tannen- und Buchenanteile begünstigen zudem die Lebensbedingungen zahlreicher gefährdeter und seltener Fledermausarten, wie Fransenfledermaus (Myotis nattereri), Wasserfledermaus (Myotis daubentonii), Braunes Langohr (Plecotus auritus), Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii), Großes Mausohr (Myotis myotis), Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii), Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus), Nordfledermaus (Eptesicus nilssonii) und Kleiner Abendsegler (Nyctalus leisleri).

Insbesondere für die vier erst-genannten Arten ist zudem eine große Anzahl von Baumhöhlen in ihrem Lebensraum unabdingbar und Grundvoraussetzung für große und langfristig stabile Populationen. Durch verbesserte Habitatbedingungen ist zudem auch mit der Wiederbesiedelung durch die Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus) zu rechnen, die derzeit nur noch vereinzelt im Nordschwarzwald nachgewiesen wird. Auch der Baummarder (Martes martes) und die in tieferen Lagen wieder einwandernde Wildkatze (Felis sylvestris) würden von alt- und totholzreichen Strukturen begünstigt. Neben den seltenen profitieren von den entstehenden Strukturen insbesondere auch häufige Arten (Langschwanzmäuse und Wühlmäuse), die dann wiederum, wenn sie in größeren Dichten vorkommen, Nahrungsgrundlage für viele andere Arten darstellen.

4 Arterhaltung in der ­Managementzone

4.1 Erhaltungsgebot für Grinden

Neben den Waldflächen existieren im Nationalparkgebiet auch einige Sonderbiotope, wie die charakteristischen Grinden (Feuchtheiden) der höchsten Bergrücken, die durch jahrhundertelange Beweidung und Streunutzung entstanden sind und zum Teil mit charakteristischen Beständen an Bergkiefern bewachsen sind. Von der Gesamtfläche eines möglichen Nationalparks nehmen diese Lebensräume derzeit rund 200 ha ein. Da diese Flächen aber eine besondere Artenzusammensetzung aufweisen und mehrere stark bedrohte Arten beherbergen, muss für sie auch im Nationalpark das Erhaltungsgebot gelten. Ziel wird dabei sein, neben der Prozessschutzfläche im Wald diese extensiv genutzten Kulturlandschaften langfristig zu erhalten und durch optimiertes Weidemanagement (Schlund & Brandt 2008, Wagner et al. 2001) positiv zu entwickeln („klassische“ Naturschutzstrategie). Da die Grinden historisch stark vom Menschen geprägt wurden, sind spezielle Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in der Managementzone nötig, die durch die Mittel, die dem Nationalpark zur Verfügung gestellt werden würden, langfristig gewährleistet wären und die im Managementplan eines künftigen Nationalparks festgelegt werden müssen.

4.2 Flora der Grinden

Botanisch gesehen sind neben der Erhaltung der durch Pfeifengras (Molinia caerulea), Rasenbinse (Trichophorum cespitosum), Besenheide und Rauschbeere geprägten Pflanzengesellschaften der Grinden (Murmann 1979, Wolf 1992) auch die Förderung von Restbeständen einiger seltener Blütenpflanzen wie Gelber Enzian (Gentian

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