Natura 2000 darf nicht zum „Papiertiger“ verkommen
Zum 20-jährigen Bestehen des europäischen Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 zog der NABU am 21. Mai mit einer hochrangig besetzten Veranstaltung eine kritische Bilanz. „Zwanzig Jahre, zwanzig Prozent – wie weiter mit Natura 2000?“ lautete die Leitfrage.
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Von Claus Mayr und Moritz Klose
Mit der Verabschiedung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union feierte auch das Netzwerk der Natura-2000-Schutzgebiete im Mai 1992 seine Geburtsstunde. Es umfasst die Schutzgebiete gemäß der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie (von 1979) und macht heute fast ein Fünftel der Landfläche der EU aus – das entspricht in etwa der doppelten Fläche Deutschlands. Doch gerade in Deutschland, wo die Gesamtfläche der Schutzgebiete mit gut 15 % weit unter dem EU-Durchschnitt von knapp 20 % liegt, fehlt es vielerorts an verbindlichen Schutzgebietsverordnungen und Managementplänen. Zahlreiche Flächen sind zudem durch unzulässige Eingriffe zum Beispiel durch eine intensivierte Land- und Forstwirtschaft bedroht.
Im Rahmen dieses „Natura-2000-Gipfels“ würdigte der NABU daher gemeinsam mit hochrangigen Vertretern der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, der Bundesregierung, des Bundesamtes für Naturschutz sowie Vertretern aus den Umweltministerien und Oberbehörden der Bundesländer die großen Erfolge des Netzwerks, mahnte aber auch die immer noch lückenhafte Umsetzung und eine unzureichende Finanzierung an.
In seiner Begrüßung stellte NABU-Präsident Olaf Tschimpke den über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung zunächst kurz das Natura-2000-Netzwerk und seine Bedeutung für die biologische Vielfalt vor. Er skizzierte auch das 20-jährige Engagement des NABU zur Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und Natura 2000. Zwanzig Jahre Natura 2000, so der NABU-Präsident, seien ein Grund zum Feiern, aber auch ein Grund zum Mahnen, die nach wie vor vorhandenen Umsetzungsdefizite zu beheben. Das ausgewiesene Schutzgebietsnetz müsse jetzt mit Leben gefüllt werden, nicht zuletzt um die von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf internationaler und EU-Ebene endlich erfüllen zu können.
Matthias Groote, Vorsitzender des Umweltausschusses des Europäischen Parlamentes (EP), erinnerte aus eigener Erfahrung in seinem Heimatwahlkreis an die in der Vergangenheit teilweise schwierige Umsetzung der Verpflichtungen. Insbesondere Landnutzer wie Landwirte und Fischer hätten sich anfänglich sehr gegen Natura 2000 gewehrt. Heute werde das Schutzgebietssystem von allen Beteiligten als Erfolg angesehen und entfalte insbesondere im Tourismus auch positive arbeitsmarktpolitische Effekte.
Karl Falkenberg, Generaldirektor der GD Umwelt der Europäischen Kommission, stellte Natura 2000 in den Rahmen der internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet hätten: den weiteren Verlust der biologischen Vielfalt bis 2020 zu stoppen und degradierte Ökosysteme soweit möglich wieder herzustellen. Er erinnerte daran, dass neben den auf der Tagung diskutierten Rechtsgrundlagen zum Schutz von Lebensräumen, Tieren und Pflanzen sowie den Gesetzen zum Schutz von Gewässern, Wasser und Luft aber noch eine empfindliche Gesetzeslücke bestehe: die von der Kommission und der Mehrheit der Mitgliedstaaten geforderte Bodenschutz-Rahmenrichtlinie. Er verstehe bis heute nicht, so Falkenberg, weshalb die seinerzeit von Bundesumweltministerin Angela Merkel nach dem Vorbild des deutschen Bundesbodenschutzgesetzes vorgeschlagene Richtlinie heute von Deutschland blockiert werde, und kündigte einen „neuen Anlauf“ für die Richtlinie an.
Auch Dr. Christiane Paulus, BMU, und Dr. Uwe Riecken, BfN, stellten die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und das Schutzgebietsnetz Natura 2000 in den Kontext der internationalen Verpflichtungen Deutschlands. Zudem sei es auch ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS). Riecken wies aber anhand aktueller Zahlen des BfN auch darauf hin, dass vor allem die Kohärenz des Netzwerkes noch verbessert und sichergestellt werden müsse, zudem sei das Gebietsmanagement durch die baldige Erarbeitung und Umsetzung von Managementplänen für die Natura-2000-Gebiete dringend zu optimieren.
Dr. Volkhard Wille, Vorsitzender der NABU-Naturschutzstation Kranenburg, stellte die früheren Probleme und Umsetzungsdefizite anschaulich am Beispiel des Vogelschutzgebietes Unterer Niederrhein dar. Für den Erfolg von Natu-ra 2000 und den Abbau von Vollzugsdefiziten sei nicht nur eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung der Umweltbehörden erforderlich. Es seien auch starke Umweltverbände notwendig, die mit aktiver Arbeit vor Ort bei der Auswahl der Gebiete, der Pflege und nicht zuletzt beim Monitoring unterstützen, so sein Fazit als langjähriger Praktiker.
Dr. Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut (MOIN) im NABU und Florian Schöne, Agrarreferent des NABU, stellten die ersten Ergebnisse einer Studie vor, die den Verlust von wertvollen Grünlandflächen in Natura-2000-Gebieten belegt. Daten aus FFH-Gebieten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen: Innerhalb von fünf Jahren gingen in beiden Ländern durchschnittlich 36 % Grünland in den untersuchten Schutzgebieten verloren, im FFH-Gebiet „Blumberger Pforte und Mittlere Wutach“ in Baden-Württemberg sogar 76 %. Die Gründe dafür liegen vor allem in der Intensivierung, Beweidung und Umwandlung der Grünflächen in Ackerland. Auch in Norddeutschlands Vogelschutzgebieten werden ähnliche Verluste registriert. So ist in Niedersachsen der Anteil an Grünland in den EU-Vogelschutzgebieten in den vergangenen zwölf Jahren um 31 % gesunken. Wiesen und Weiden sind als Lebensraum für Uferschnepfe, Bekassine, Kiebitz und andere Wiesenbrüter unersetzlich, doch vielerorts werden sie selbst innerhalb von Schutzgebieten in Äcker umgewandelt.
Nach einem kurzen Impulsreferat von Jörg-Andreas Krüger wurde in einer abschließenden Podiumsdiskussion mit Praktikern aus den Naturschutzverwaltungen der Länder diskutiert, wie die Trendwende hin zur vollständigen Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und des Netzes Natura 2000 zu schaffen sei. Mit Krüger waren sich Margret Brahms, Leiterin der Abteilung Naturschutz im schleswig-holsteinischen Umweltministerium, Klaus Rehda, Präsident des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, und Dr. Michael Hofmann, Leiter der Abteilung Naturschutz im rheinland-pfälzischen Umweltministerium, einig, dass der Schlüssel hierzu in der zügigen Erarbeitung und Umsetzung von Managementplänen für alle Natura-2000-Gebiete liegt.
Dabei müssten ausdrücklich alle Betroffenen beteiligt werden. So klagte Klaus Rehda darüber, dass seine Behörde bei der Erstellung von Managementplänen für waldgeprägte FFH-Gebiete in Sachsen-Anhalt von der Forstverwaltung nicht beteiligt worden war. Einig waren sich die Vertreter von NABU und Naturschutzbehörden auch, dass die Managementplanung und das Monitoring der Entwicklung von Lebensraumtypen und Arten in den Gebieten entsprechendes Personal und finanzielle Mittel erfordern. Die Podiumsteilnehmer appellierten daher an die Bundesregierung, sich bei den derzeit laufenden Haushaltsverhandlungen der EU für eine ausreichende Finanzierung des Natura-2000-Netzwerks einzusetzen.
Hintergrundinformationen und Tagungsbeiträge abrufbar unter http://www.nabu.de/themen/naturschutz/eunaturschutz/schutzgebiete/natura2000/14866.html.
Anschriften der Verfasser: Claus Mayr, NABU, Brüssel, Direktor Europapolitik, Claus.Mayr@NABU.de; Moritz Klose, NABU, Berlin, Referent Biodiversität, Moritz.Klose@NABU.de.
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