Ökosystemleistungen in die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik integrieren
Acht Leitsätze fassen die Möglichkeiten zusammen, die eine interdisziplinären Forschungsgruppe erarbeitet hat, wie die Ökosystemleistungen in der aktuell diskutierten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) berücksichtigt werden könnten.
- Veröffentlicht am
Von Tobias Plieninger, Christian Schleyer, Harald Schaich, Bettina Ohnesorge, Holger Gerdes, Mónica Hernández-Morcillo, Claudia Bieling und Janis Hoberg
Die GAP ist mit einem Budget von 97 Mrd. Euro im Jahr 2009 das weltweit größte System zur Unterstützung der Landwirtschaft (OECD 2010). In der Vergangenheit waren die Zahlungen vornehmlich auf die Förderung von Agrarbetrieben und deren Produktion ausgerichtet. Landwirtschaftlich genutzte Ökosysteme liefern aber über die klassische Nahrungs- und Futtermittelproduktion hinaus vielfältige Dienstleistungen und tragen damit erheblich zum menschlichen Wohlbefinden bei (MA 2005).
Die EU-Kommission (2010) hat für den Zeithorizont 2014 – 2020 Reformvorschläge für die GAP erarbeitet, um diese Komplexität stärker zu berücksichtigen, und nennt Nahrungsmittelsicherheit, Umwelt- und Klimaschutz und den Erhalt von rentablen ländlichen Ökosystemen als die wichtigsten Ansatzpunkte. Dieser Reformprozess bietet die Chance, die GAP so zu modernisieren, dass die effiziente Bereitstellung von vielfältigen Ökosystemleistungen in ihr Zentrum gerückt wird.
Grundvoraussetzung dafür, Ökosystemleistungen zu sichern, ist, dass diese korrekt definiert, gemessen und bewertet werden. Die Analysen sind daher in der Regel hochgradig komplex und umfassen allenfalls teilweise finanzielle Bewertungsansätze, was dazu führt, dass Forschungsergebnisse zu Ökosystemleistungen oftmals außer Acht gelassen werden, wenn es darum geht, Förderinstrumente auszuarbeiten (MA 2005). Ein Autorenteam der interdisziplinären Forschungsgruppe „Ökosystemleistungen“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Freiburg und des Ecologic Instituts formuliert auf Basis der Erkenntnisse der Ökosystemleistungs-Forschung acht Leitsätze, mit deren Hilfe die Sicherung von Ökosystemleistungen in die GAP integriert werden könnte:
I. Zahlungen müssen an identifizierbare Beiträge zum menschlichen Wohlbefinden gebunden sein.
Zahlungen im Rahmen der GAP sollten vor allem die Ökosystemleistungen fördern, welche durch Degradierung bedroht, gleichzeitig aber für die Gesellschaft von Bedeutung sind. Entscheidend ist ein effizienter ergebnisorientierter Ansatz, der die nachhaltige Bereitstellung dieser Dienstleistungen gewährleistet.
II. Zahlungen müssen auf bislang nicht marktfähige Ökosystemleistungen fokussiert werden.
Gegenwärtige Maßnahmen und Bewertungsmethoden in der GAP rücken die Versorgung der Gesellschaft mit landwirtschaftlichen Konsumgütern in den Vordergrund und vernachlässigen die regulierenden, unterstützenden und kulturellen Ökosystemleistungen (Rodríguez et al. 2006). Um die Komplexität und wechselseitige Verbundenheit von Ökosystemleistungen auf lokaler und regionaler Ebene erfassen zu können, sollten Bewertungsmethoden etabliert werden, die auf Kommunikation und Partizipation aller relevanter Nutzergruppen basieren und offen für nicht-monetären Wertzuschreibungen sind.
III. Zahlungen müssen Bündel und Trade-Offs von Ökosystemleistungen berücksichtigen.
In Übereinstimmung mit Raudsepp-Hearne et al. (2010) sollten Zahlungsvereinbarungen in der GAP breite Bündel von Ökosystemleistungen berücksichtigen, um Konflikte zwischen verschiedenen Förderzielen zu minimieren. Diese Bündel können die Produktion von landwirtschaftlichen Konsumgütern mit einschließen und lassen sich insbesondere dann umsetzen, wenn ein ganzheitlicher, auf umfassende Nachhaltigkeit ausgelegter Ansatz in der Landwirtschaft verfolgt wird.
IV. Zahlungen müssen aufgrund von standortspezifischen Gegebenheiten regional definiert werden.
Die Dezentralisierung von Zahlungen erlaubt die flexible Anpassung von Vereinbarungen an die lokalen Besonderheiten und Eigenschaften der Ökosystemleistungen, auch wenn sie im Allgemeinen höhere Transaktionskosten nach sich zieht (Schleyer & Plieninger 2011). Wie konkrete Beispiele belegen (z.B. Schaich & Konold 2012), kann jedoch eine effektive Implementierung sogar zu kostenminimierenden Ergebnissen führen.
V. Zahlungen müssen durch landschaftsbezogenen Ansatz betriebsübergreifend bereitgestellt werden.
Viele Ökosystemleistungen, wie Hochwasserschutz, Wasserreinigung oder ästhetische Werte, können nur auf der Ebene ganzer Landschaften und nicht auf der Ebene einzelner Agrarbetriebe erbracht werden. Zahlungen sollten daher in einem größeren Rahmen als bisher die überbetriebliche Kooperation zwischen Landwirten unterstützen (Goldman et al. 2007). Die Bildung von Zusammenschlüssen bietet Landwirten betriebliche Vorteile, erleichtert es, lokales Wissen zur Sicherung von Ökosystemleistungen einzubinden, und wirkt damit insgesamt auf die Sicherung von Ökosystemleistungen hin.
VI. Zahlungen müssen zur Erhaltung der Ökosystemleistungen langfristig gesichert sein.
Ökosystemleistungen, wie z.B. die Speicherung von CO2, werden oft erst über einen längeren Zeitraum erbracht und erfordern daher eine langfristig angelegte Sicherung. Eine Festlegung fixer Zahlungen auf nationaler Ebene könnte die dazu notwendige Dauerhaftigkeit gewährleisten und verhindern, dass Mitgliedsstaaten eine Maximierung der ihnen zugutekommenden Geldströme durch eine Orientierung an sich kurzfristig ändernden Förderzielen der EU betreiben.
VII. Zahlungen müssen kontinuierlich evaluiert und angepasst werden.
Konsistente Kontrollsysteme, die auch soziale und kulturelle Aspekte berücksichtigen, sind erforderlich, um unerwartete Änderungen von äußeren Umständen oder im Zahlungssystem selber zeitnah offenlegen und Veränderungen bei den Zahlungsvereinbarungen einleiten zu können. Dies umfasst auch die Überprüfung eventueller Abweichungen von Zielvorgaben im agrarpolitischen Kontext.
VIII. Zahlungen müssen mit anderen agrarpolitischen Maßnahmen kohärent sein.
Alle Anreize für Zahlungen für Ökosystemleistungen dürfen nicht im Widerspruch mit existierenden Politikmaßnahmen anderer Organisationen (z.B. UN-Klimarahmenkonvention) stehen. Allerdings sollten die Ziele dieses Rahmenwerkes klar auf Ökosystemleistungen abheben und nicht zu breit gesteckt werden, um die Verwässerung der Kerninhalte zu verhindern (Kinzig et al. 2011).
Agrarfördersysteme sind allein aufgrund ihres Finanzvolumens dazu geeignet, einen erheblichen Beitrag zur Bereitstellung und zum Erhalt von Ökosystemleistungen zu erbringen – in einer Größenordnung, die diejenige der globalen Kohlenstoffmärkte übertrifft. Die Entscheidung der EU-Kommission, 30 % aller Zahlungen dem Bereich Klima- und Umweltschutz zuzuschreiben, eröffnet vielfältige Möglichkeiten für die Gestaltung der künftigen GAP. Allerdings vernachlässigt sie die jüngsten Forschungsergebnisse zu Ökosystemleistungen und ist daher im Ansatz zu pauschal.
Die genannten acht Leitsätze können die effektive Integration von Ökosystemleistungen in der GAP ermöglichen. Sie umfassen die Fokussierung auf Ökosystemleistungen, die gesellschaftlich wertvoll, jedoch nicht marktfähig sind, die Beachtung von Bündeln und Zielkonflikten, lokalen Gegebenheiten und langen Zeithorizonten im Kontext von Zahlungen für Ökosystemleistungen, ihre ganzheitliche und betriebsübergreifende Orientierung, ihre kontinuierliche Evaluierung und letztlich ihre Kohärenz mit anderen existierenden Politikmaßnahmen. Falls die Reform der GAP diese Leitsätze integriert, könnte ein Zahlungssystem entstehen, das weltweit als vorbildhaftes Pilotprojekt dient und einen substanziellen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leistet.
Literatur
EU-Kommission (2010): The CAP towards 2020: meeting the food, natural resources and territorial challenges of the future. COM (2010) 672 final, Brüssel.
Goldman, R.L., Thompson, B.H., Daily, G.C. (2007): Institutional incentives for managing the landscape: inducing cooperation for the production of ecosystem services. Ecological Economics 64, 333-343.
Kinzig, A.P., Perrings, C., Chapin, F.S. III, Polasky, S., Smith, V.K., Tilman, D., Turner, B.L. (2011): Paying for ecosystem services – promise and peril. Science 334, 603-604.
MA (Millennium Ecosystem Assessment, 2005). Ecosystems and human well-being: synthesis. Island Press, Washington, DC.
OECD (2010): Agricultural policies in OECD countries at a glance. Organisation for Economic Co-operation and Development, Paris.
Raudsepp-Hearne, C., Petersen, G.D., Bennet, E.M. (2010): Ecosystem service bundles for analyzing tradeoffs in diverse landscapes. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 107, 5242-5247.
Rodríguez, J.P., Beard T.D. Jr., Bennet, E.M., Cumming, G.S., Cork, S.J., Agard, J., Dobson, A.P., Peterson, G.D. (2006): Trade-offs across space, time, and ecosystem services. Ecology & Society 11, 28.
Schaich, H., Konold, W. (2012): Honorierung ökologischer Leistungen der Forstwirtschaft – neue Wege für Kompensationsmaßnahmen im Wald? Naturschutz und Landschaftsplanung 44 (1), 5-13.
Schleyer, C., Plieninger, T. (2011). Obstacles and options for the design and implementation of payment schemes for ecosystem services provided through farm trees in Saxony, Germany. Environ. Conserv. 38, 454-463.
Das vollständige, englischsprachige Politikpapier “Mainstreaming ecosystem services into reformed European agricultural policies” erscheint in der Zeitschrift Conservation Letters, doi: 10.1111/j.175 5-263X. 2012.00240.x.
Anschriften der Verfasser: Dr. Tobias Plieninger, Dr. Christian Schleyer, Bettina Ohnesorge, Mónica Hernández-Morcillo und Janis Hoberg, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23, D-10117 Berlin; Dr. Harald Schaich, Dr. Claudia Bieling, Institut für Landespflege, Universität Freiburg, Tennenbacherstraße 4, D-79106 Freiburg; Holger Gerdes, Pfalzburger Straße 43/44, D-10717 Berlin.
Barrierefreiheit Menü
Hier können Sie Ihre Einstellungen anpassen:
Schriftgröße
Kontrast
100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot
Als Abonnent:in von Naturschutz und Landschaftsplanung erhalten Sie pro Kalenderjahr 100 Euro Rabatt auf Ihr Stellenangebot im Grünen Stellenmarkt.
mehr erfahrenNoch kein Abo? Jetzt abonnieren und Rabatt für 2025 sichern.
zum Naturschutz und Landschaftsplanung-Abo
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.