Windkraft über Wald
Mit der Energiewende steht in Deutschland ein Sprung im Ausbau der Windkraft bevor, der auch vor Waldgebieten nicht Halt machen wird. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat im Juli ein Positionspapier „Windkraft über Wald“ publiziert, das nachfolgend leicht gekürzt wiedergegeben wird.
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Eckpunkte des BfN für eine natur- und landschaftsverträgliche Ausgestaltung
Der Ausbau der Windenergienutzung an Land soll nach den Konzepten der Bundesregierung und vieler Bundesländer mit einem signifikanten Anteil zur Erreichung der Ausbauziele im Bereich der Erneuerbaren Energien beitragen. Die Potenziale dafür werden in einer aktuellen Studie des Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystematik (IWES 2011) mit bis zu 22 % der Bundesfläche angegeben (WEA im Wald, in Schutzgebieten und auf sonstigen geeigneten Flächen). Die potenziell in Frage kommende Waldfläche außerhalb von Schutzgebieten beträgt nach Angaben des Fraunhofer Instituts etwa 4 % der Bundesfläche. Dies entspricht 13,6 % der deutschen Waldfläche. Allerdings sind die Aktualität und verwendeten Grundannahmen der verfügbaren Kurzfassung der IWES-Studie nur bedingt nachvollziehbar. Einzelne Setzungen sind aus Naturschutzsicht auch durchaus kritisch zu sehen (z.B. Nutzung von FFH-Gebieten).
Mit einer inzwischen technisch machbaren Anlagenhöhe von bis zu 200 m ist die Errichtung von Windenergieanlagen (WEA) über Waldflächen heute grundsätzlich möglich. Sie wird in jüngerer Zeit zunehmend vorangetrieben. Der Nutzungsdruck auf Waldflächen nimmt deshalb deutlich zu. Angesichts der hochgesteckten Ausbauziele für Erneuerbare Energien ist ein grundsätzlicher Ausschluss der Windkraftnutzung über Wald einerseits nicht denkbar. Andererseits sind Wälder komplexe Ökosysteme, Lebensraum für verschiedene, auch bedrohte Arten sowie wesentliche Grundlage für die menschliche Erholung und Naturerfahrung. Wälder erbringen damit viele weitere lebenswichtige Dienstleistungen, deren Bereitstellung vielfach mit ihrer standorttypisch ausgeprägten Biodiversität im Zusammenhang steht (Millenium Ecosystem Assessment, MA 2005).
Hinsichtlich der Auswirkungen von WEA über Wäldern auf den Naturhaushalt, auf das Landschaftsbild und auf die biologische Vielfalt bestehen noch erhebliche Kenntnislücken. Das BfN hält hierfür umgehend grundlegende Untersuchungen sowie ein konsequentes bau- und betriebsbegleitendes Monitoring für erforderlich. Aktuelle Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen sind umfassend und zeitnah in Planung, Genehmigung und Errichtung von WEA über Wald einzubinden.
Aus Sicht des BfN sind im Rahmen der Nutzung von WEA über Wald in Zukunft folgende Eckpunkte zu den Auswirkungen, bei der Standortwahl und bei der künftigen Forschung im Einzelnen zu beachten.
1 Auswirkungen
1.1 Naturhaushalt und Landschaftsbild
Baubedingte Auswirkungen können sich vor allem durch auftretende Lärmemissionen und erhöhten Flächenbedarf für Transportwege ergeben. Zu den anlagebedingten Auswirkungen gehört neben den deutlich wahrnehmbaren Veränderungen des Landschaftsbildes die nicht unerhebliche Flächeninanspruchnahme. Die standortbezogenen Angaben hierzu schwanken noch zwischen 2000 m² und 1ha pro WEA.
Ein weiterer anlagebedingter Wirkfaktor ist die Landschaftszerschneidung durch die WEA selber, vor allem aber durch die zugehörigen Infrastrukturen (Zuwegung, Stromleitungen). Betriebsbedingte Auswirkungen der Anlagen können Kollisionen von Vögeln und Fledermäusen mit den WEA (Rotoren, Mast), die Störung von Brut- und Raststätten sowie Zugbahnen (auch durch Befeuerung) sowie die Beeinträchtigung oder der Verlust von essentiellen Habitaten (z.B. durch baubedingten Einschlag oder Scheuchwirkung) sein. Dies betrifft insbesondere die Luftschicht unmittelbar oberhalb der Baumwipfel, über deren Funktion als Lebensraum erhebliche Wissensdefizite bestehen. Außerdem führt eine Anlagenhöhe von bis zu 200 m zu deutlich störenden Effekten bei der Landschaftswahrnehmung.
Diese Auswirkungen sind anhand des jeweiligen Anlagentyps (Anlagenhöhe, leistung) differenziert zu betrachten. Sie müssen im Rahmen der räumlichen Steuerung solcher WEA und in Verträglichkeitsprüfungen zur Genehmigung besonders sorgfältig untersucht und beachtet werden. Die Auswirkungen insgesamt können gravierender sein, da Wälder im Vergleich zu Offenland- und insbesondere zu Agrar-Ökosystemen in der Regel naturnäher sind.
1.2 Arten und Lebensräume
Durch die direkte Überbauung und die Anlage von ergänzender Infrastruktur (Wege, Parkplätze, Stromtrassen), die Scheuch- und Barrierewirkung sowie Beunruhigung durch WEA (Bau- und Betriebslärm, Folgenutzungen, Wartungszyklen) gehen Lebensräume im Wald verloren, speziell im Kronenbereich und im Luftraum darüber. Auch bau- und betriebsbedingte Beeinträchtigungen und der Verlust von z.B. Brut-, Balz- und Nahrungsarealen (Fledermausquartiere in Altholzbeständen, Jagdhabitate, Balzareale von Greifvögeln u.a.) sowie die Beeinträchtigung von Korridoren und Zugrouten sind erhebliche nachteilige Auswirkungen. Durch die Errichtung, den Betrieb und spätere Wartungsarbeiten sind weitere störende Beeinträchtigungen zu erwarten. Es besteht noch erheblicher Forschungsbedarf (vgl. Punkt 3). Außerdem ist im Rahmen von Auswirkungsprognosen besondere Sorgfalt geboten. Im Zweifel muss von Worst-Case-Annahmen ausgegangen werden.
Auch über die Funktion des Luftraums oberhalb der Baumwipfel als Lebensraum bzw. Nahrungshabitat für weitere Tierarten gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen in Europa. WEA über Wald stellen ein zusätzliches Gefährdungspotenzial für bedrohte und geschützte Vogel- und Fledermausarten dar. Prognosen über Auswirkungen auf einzelne Arten oder gar Populationen sind bislang nur eingeschränkt möglich. Es wird angenommen, dass sich das Kollisionsrisiko für Vögel und Fledermäuse durch den Standort von WEA über Wald und die größere Höhe der Anlagen erhöhen könnte bzw. auf andere Arten verschiebt (z.B. durch Nutzung der künstlich geschaffenen Waldlichtungen durch Greifvogelarten (z.B. Schreiadler, Seeadler, über dem Kronendach und im freien Luftraum jagende Fledermäuse). Bei Errichtung von WEA in Hangbereichen kann es zu erhöhten Kollisionen mit Thermik nutzenden Vögeln kommen.
1.3 Landschaftsbild und Erholungsvorsorge
Die Möglichkeiten der Naturbeobachtung und -erfahrung werden insbesondere bei Errichtung von WEA über Wald an visuell exponierten Standorten, wie z.B. in Kuppenlagen oder an Waldrändern, beeinträchtigt. Durch akustische und optische Wirkungen von WEA (Schattenwurf, Schallemissionen, Hinderniskennzeichnungen, Befeuerung) werden die Möglichkeiten der Erholung und der Naturerfahrung in Wäldern eingeschränkt, obwohl ihnen hierfür ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Für diesen Themenbereich sind neben der dringend erforderlichen Auswirkungsforschung besonders im Rahmen der UVP und der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung sachangemessene Untersuchungen, Modellierungen und Visualisierungen durchzuführen.
2 Gebietseignung und Standortwahl
2.1 Prinzipiell geeignete Gebiete
Aus Naturschutzsicht kommen für die Windenergienutzung im Wald nur intensiv forstwirtschaftlich genutzte Wälder, insbesondere Fichten- und Kiefernforste, in Frage. Weitere bestimmende Parameter für die Eignung können insbesondere Wälder sein, die, bei gering ausgeprägtem naturschutzfachlichem Wert, einen ausreichenden Abstand zu Siedlungen sowie bereits bestehende Infrastrukturen (hoher Erschließungsgrad, geeignetes Wegenetz, Leitungen) aufweisen.
2.2 Freizuhaltende Bereiche/Ausschlussgebiete
Flächen mit besonderer Bedeutung für die Erhaltungs- und Entwicklungsziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind bei der Standortwahl auszuschließen. Dazu zählen bestimmte Schutzgebiete (Natura 2000, Naturschutzgebiete, Nationalparke, Nationale Naturmonumente, Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten), gesetzlich geschützte Biotope, Schutzwälder, Horstschutzzonen, naturnahe Wälder mit mehrstufig bzw. plenterartig ausgeprägten Beständen, Wälder mit altem Baumbestand (>160 Jahre), Wälder mit Bodenschutzfunktion und mit kulturhistorisch wertvollen oder landschaftsprägenden Beständen, Waldränder sowie Flächen, die für eine naturnahe oder natürliche Waldentwicklung genutzt werden sollen, Erholungsgebiete mit qualitativ hochwertigen Landschaftsbildern, Wanderkorridore von Vögeln und Fledermäusen und Gebiete mit Vorkommen gefährdeter bzw. störungsempfindlicher Arten.
Die Errichtung von WEA über Wald in Naturparks – soweit es sich dabei nicht um ausgewiesene strengere Schutzgebiete und gesetzlich geschützte Biotope handelt – ist vor allem im Hinblick auf Aspekte des Vogelschutzes, Veränderungen des Landschaftsbildes und Beeinträchtigungen der Erholungsfunktion im Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Vergleichbares gilt für die Errichtung von WEA über Wald in Landschaftsschutzgebieten in Abhängigkeit von den festgelegten Schutzzielen. Hier stellen sich insofern erhöhte Prüfanforderungen bei der Standortfindung.
2.3 Räumliche Grob- und Feinsteuerung
Die Standortsteuerung von WEA über Wald sollte vor allem auf regionalplanerischer Ebene durch die Festlegung von Vorrang-, Vorbehalts-, Eignungs- und Ausschlussgebieten erfolgen. Für die Ermittlung von Flächen im Wald sollte ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der auf den bisherigen Erfahrungen aufbaut, die Besonderheiten von Wäldern berücksichtigt (z.B. Ausschluss von Waldschutzgebieten) und Standards für Voruntersuchungen enthält (vgl. Punkt 3). Bei der Steuerung von WEA außerhalb von Wäldern hat sich die Anwendung von Abstandsregelungen (Siedlung, Wälder, Horststandorte, Wochenstuben und Balzquartiere) bewährt. In ähnlicher Weise sollten Abstände innerhalb des Waldes gegenüber wertvollen Lebensräumen und -stätten berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind Regionalpläne im Rahmen der strategischen Umweltprüfung und dem dazugehörigen Monitoring dahingehend zu überprüfen, ob die ausgewiesenen Gebiete für WEA vertretbar sind und erhebliche Umweltauswirkungen vermieden werden können. Dies kann auch den Aufwand von Verträglichkeitsprüfungen in Genehmigungsverfahren verringern.
Die örtliche und überörtliche Landschaftsplanung ist geeignet, die maßgeblichen naturschutzfachlichen Inhalte in die Regionalpläne einzuspeisen und somit zur Steuerungswirkung beizutragen.
2.4 Naturschutzverträgliche Standortausgestaltung und Folgenbewältigung
Da es sich bei Wäldern um komplexe Ökosysteme handelt, sollte unabhängig von der Anzahl der WEA eine frühzeitige und sorgfältige einzelfallbezogene Analyse (im Rahmen von UVP und Eingriffsregelung) hinsichtlich Erheblichkeit, Vermeidungsmöglichkeiten und zu leistender Kompensation durchgeführt werden (räumlich, zeitlich und funktional). Wenn erhebliche nachteilige Auswirkungen von WEA auf bisher nicht betroffene, streng geschützte Arten erwartet werden, sind Bereiche mit Vorkommen dieser Arten vorsorglich von einer Windkraftnutzung auszuschließen. Ausnahmen und Befreiungen hiervon bleiben im Einzelfall unbenommen. Bei möglicher Beeinträchtigung eines Natura-2000-Gebietes ist in jedem Falle eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.
Flächeninanspruchnahme und Landschaftszerschneidung sind durch die konsequente Bündelung mit vorhandenen Infrastrukturen sowie durch weitere Minimierungsmaßnahmen so gering wie möglich zu halten. Vorhandene und entsprechend ausgebaute Wege und Leitungstrassen sind vorrangig zur Erschließung zu nutzen. WEA sind dem Erkenntnisfortschritt technisch so anzupassen, dass Konflikte mit Natur und Landschaft gemindert werden. Außerdem sind sie möglichst nicht an visuell exponierten Standorten aufzustellen. Bei der Errichtung von Anlagen sind bezogen auf den Vogelzug und beim Nachweis erhöhter Fledermausaktivität Abschaltzeiten in Abhängigkeit von Jahreszeit, Tageszeit, Witterung und Windgeschwindigkeiten festzulegen (individuelle Abschaltalgorithmen).
In die Kompensation von Eingriffsfolgen ist neben den Anlagen selbst auch die begleitende, damit verbundene Infrastruktur mit einzubeziehen.
3 Forschungsbedarf, Ökologische Baubegleitung, Monitoring
Hinsichtlich der Auswirkungen von WEA entsprechender Höhe und Technik auf waldbewohnende und den Wald nutzende Arten sowie generell hinsichtlich der Auswirkungen dieses Anlagentyps auf Naturhaushalt, Landschaftsbild und biologische Vielfalt bestehen noch erhebliche Kenntnislücken. Deshalb sind umgehend Grundlagenuntersuchungen (z.B. zu Flugrouten und Zugwegen) sowie ein konsequentes bau- und betriebsbezogenes Monitoring durchzuführen.
Über die Ökologie der Regionen oberhalb der Baumkronen ist bisher relativ wenig bekannt. Daher ist aus Naturschutzsicht unklar, welcher Abstand zwischen unterer Rotorspitze und den Baumwipfeln notwendig ist. Die Barrierewirkung der WEA beim Zuggeschehen ist dabei unabhängig von der Höhe der Anlagen. Die Nachweislage von Kollisionen im Wald ist noch schwieriger als im Offenland. Deshalb sind neben Methoden zur Erfassung von Vögeln und den Aktivitäten von Fledermäusen in verschiedenen Höhen auch Erfassungsmethoden für Kollisionsopfer von WEA über Wald zu entwickeln und zu erproben sowie bundesweit zu standardisieren. Dies gilt auch für die mögliche Beeinträchtigung der Lebensstätten.
Auch liegen noch keine Erkenntnisse zu den Folgen der Sogwirkung der WEA auf das Mikroklima zumindest der oberen Baumschicht in Wäldern Mitteleuropas vor.
Weiterer, drängender Forschungsbedarf besteht zu den Auswirkungen von WEA über Wald auf Landschaftsbild, Naturerfahrung, Erholungsvorsorge und generelle Akzeptanz in der Bevölkerung.
Vor Genehmigung von WEA über Wald sind entsprechend des Kenntnisstandes verpflichtend gründliche, standardisierte Untersuchungen der Schutzgüter des Naturhaushaltes, des Landschaftsbildes und der biologischen Vielfalt durchzuführen. Für den Bau von WEA über Wald ist eine ökologische Bauüberwachung und begleitung entsprechend der einschlägigen Standards verbindlich vorzusehen.
Zusätzlich ist mit der Genehmigung von WEA über Wald grundsätzlich ein betriebsbezogenes Monitoring festzulegen und vom Vorhabensträger durchzuführen. Werden dabei erhebliche nachteilige Auswirkungen festgestellt, die nicht anderweitig prognostiziert und bewältigt wurden, sind vom Vorhabensträger mittels entsprechender Nebenbestimmungen in den Genehmigungsbescheiden Abhilfemaßnahmen zu erbringen.
4 Schlussbemerkung
Die Anlage von Windkraftanlagen im Wald erfordert eine sehr sorgfältige Standortwahl, vorrangig in bereits intensiv genutzten Wirtschaftswäldern, eine fallbezogene Wirkungsprognose der damit verbundenen Auswirkungen sowie eine naturschutzverträgliche Standortgestaltung und adäquate Folgenbewältigung, die die begleitende Infrastruktur mit einschließt. Insbesondere sind die hier dargelegten Ausschlussgebiete zu beachten; auf sie bei den Ausbauplanungen zu verzichten ist möglich, ohne dabei die energiepolitischen Ausbauziele zu gefährden. Bei Einhaltung dieser Rahmenbedingungen kann auch Windkraft im Wald ihren Beitrag zur Energiewende und zu einem naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien leisten.
Kontaktadresse: Bundesamt für Naturschutz, Konstantinstraße 110, D-53179 Bonn, E-Mail info@bfn.de , Internet http://www.bfn.de (auf der Startseite unter Positionspapiere“ findet sich das Dokument in vollem Wortlaut zum Download).
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