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Editorial

Nach dem Atomkraft-Zeitalter: eine neue Landschaft?

Die Energiewende wird die Landschaft verändern: Weg von der Atomkraft bedeutet mehr Windräder – die regenerative Energie mit den mit Abstand geringsten CO2-Vermeidungskosten –, mehr Photovoltaik-Paneele, mehr Biogasanlagen und neue Pumpspeicherbecken. Das Sankt-Florians-Prinzip („Verschon mein Haus, zünd’s andere an“) wird vor Ort für viele Proteste sorgen:

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Unterschriftensammlungen, Demos, Bürgerbegehren – aber in Masse neutralisiert eine breite „Dagegen-Bewegung“ auch die fachlich wirklich wichtigen Einwände gegen einzelne Standorte. Bei aller wünschenswerten Demokratie: Auf das richtige Augenmaß kommt es an.

Wichtiger denn je ist der berühmte Blick über den Tellerrand, fachlich wie räumlich. Schon lange kein Geheimnis mehr ist, dass unreglementierter Maisanbau zum Füttern von Biogasanlagen alles andere als nachhaltig ist und nicht zuletzt auch unerwartete Risiken zeigen kann. Die Ausbringung der Biogas-Gärreste auf dem Acker steht unter dem Verdacht, unter Umständen Botulismus-Erreger verbreiten zu können. Und in der EHEC-Diskussion tauchte auch die Möglichkeit auf, dass die lebensgefährlichen Darmbakterien über Gärreste vermehrt werden könnten. Kein Grund, Biogas-Nutzung generell zu verteufeln – es geht um eine effektive Technikfolgen-Abschätzung und die Entwicklung wirksamer Minderungsstrategien für Risiken. Für die Bakterien-Welt der Gärreste etwa steht sie mit dem Verfahren der Hydrothermalen Carbonisierung (HTC) bereits weit entwickelt zur Verfügung; eine dezentrale Technologie, welche die Humusbilanz von Ackerböden verbessern helfen kann (welche unter dem Maisanbau gravierend leidet). Was hier fehlt, ist lediglich eine verstärkte bodenkundliche Forschung.

Wer sich auf Ökobilanzierung von Produkten und Technologien „von der Wiege bis zur Bahre“ – neudeutsch: Life Cycle Assessment – spezialisiert hat und/oder als Planer mit intelligenten Konzepten zur räumlichen Steuerung künftiger Landnutzungen, gerade auch im Bereich regenerativer Energien, überzeugen kann, sollte sich über mangelnde Arbeit in den kommenden Jahren nicht beklagen können. Unter der Voraussetzung allerdings, dass Politik und Verwaltungen diese Expertise auch nachfragen. Denn darin liegt eine große Gefahr: dass die fundierte Abwägung der vielschichtigen Umweltwirkungen politischer Rahmengebungen und planerischer Einzelfall-Entscheidungen zugunsten des Ausbaus regenerativer Energien auf der Strecke bleibt. „Wir müssen Alternativen schaffen zur Atomkraft“ ist zwar richtig, aber nicht als Totschlag-Argument nutzbar.

Die aktuell diskutierte Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird eine erste Nagelprobe liefern. Leider ist im derzeitigen Entwurf lediglich eine Verordnungsermächtigung zu Nachhaltigkeitsanforderungen für Biomasse (§64b) vorgesehen: Das BMU kann im Einvernehmen mit dem BMELV den Vergütungsanspruch für Strom aus Biomasse an ökologische Anforderungen an einen nachhaltigen Anbau koppeln. Ist der Wildwuchs an Biogasanlagen – man denke an Penkun im Süden Vorpommerns mit einem „Park“ von 40 Biogas-Anlagen à 500 kW, zusammengenommen mit 20MW die größte Biogasanlage der Welt – nicht schon groß genug, um sofort im Gesetz klare Vorgaben zu liefern?

Wendezeiten sind auch Zeiten mit großen Chancen – erinnern wir uns an das Nationalparkprogramm in Ostdeutschland. Visionäre Initiativen sind also gefragt! Regionalität hat auch in der Energieversorgung Zukunft: Der lautstark diskutierte überre­gionale Netzausbau, von den großen EVU offenbar verschlafen, kann zumindest viel geringer ausfallen, wenn die Energie zu hohen Anteilen vor Ort erzeugt und verbraucht wird. So können aus „Wutbürgern“ Anteilseigner an Anlagen regenerativer Energie werden, die Sankt-Florians-Proteste reduzieren sich folglich. Unabdingbar sind zur räumlichen Steuerung (über)regionale Vorgaben (Leitplanken) auf fachlicher Basis: wie die Ausweisung von Vorranggebieten für Windräder hier, Tabuzonen dort; oder Nachhaltigkeits-Checks für den Biomasse-Anbau als Genehmigungs-Voraussetzung für neue Biogasanlagen.

Ein erster Praxistest für die Ernsthaftigkeit der Politik startet in Baden-Württemberg: Laut grün-rotem Koalitionsvertrag soll dort auch die Biogasproduktion auf den Prüfstand gestellt und die Ausbreitung von Mais-Monokulturen verhindert werden. Nicht vergessen: Die primäre Aufgabe der Landwirtschaft, die Versorgung der Menschen mit gesunden Nahrungsmitteln, darf nicht dem Profit der Bioenergie-Gewinnung geopfert werden. Stuttgart muss jetzt beweisen, dass und wie es funktioniert.

So oder so werden Kurzumtriebsplantagen (KUP), wie im ersten Hauptbeitrag beschrieben, künftig häufiger zu sehen sein – auch wenn ihre Bewertung als Lebensraum für Vögel keine überragende Habitateignung ergibt. Weniger Pestizide, weniger Störungen durch Nutzung, bedeckter und ungestörter Boden sind auf jeden Fall Pluspunkte. Wenngleich die Pappelklone beispielsweise dem Pappelblattkäfer (Chrysomela populi) gut schmecken, wie die skelettierten Blätter auf dem Titelbild zeigen.

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