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Schnelle Evolution bei Schnecken

Veränderungen bei Lebensräumen und Fressfeinden können Tiere zu schnellen evolutionären Anpassungen zwingen. Das schlussfolgert ein internationales Forscherteam aus der Auswertung von historischen und aktuellen Daten über Gehäusefarben und mustern von über einer halben Million Schnecken der in Europa weit verbreiteten Schwarzmündigen Bänderschnecke (Cepaea nemoralis).

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Insbesondere im Darwin-Jahr 2009 haben viele Freiwillige mitgemacht und Daten von der Schwarzmündigen Bänderschnecke (Cepaea nemoralis) auf der Internetplattform EvolutionMegalab eingetragen.
Insbesondere im Darwin-Jahr 2009 haben viele Freiwillige mitgemacht und Daten von der Schwarzmündigen Bänderschnecke (Cepaea nemoralis) auf der Internetplattform EvolutionMegalab eingetragen. André Künzelmann, UFZ
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Ergebnisse eines europaweiten Mitmach-Projekts

Von Tilo Arnhold

Die aktuellen Daten kamen durch das Mitmach-Projekt „Evolution MegaLab“ zustande, an dem Tausende Freiwillige in 15 Ländern Europas teilgenommen und es dadurch zur größten Datenerhebung dieser Art gemacht haben, die jemals stattgefunden hat, schreiben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals PLoS One.

Tiere und Pflanzen zählen zu den sensibelsten Indikatoren des globalen Wandels. Vor allem Arten, die sich schnell vermehren, sind prinzipiell in der Lage, sich in kurzer Zeit genetisch an veränderte Lebensbedingungen anzupassen. Es gibt jedoch kaum historische genetische Daten aus einem großen Verbreitungsgebiet, mit denen man solche rasche Evolution zeigen könnte. Eine seltene Ausnahme ist die Schwarzmündige Bänderschnecke (Cepaea nemoralis), deren Gehäuse eine außergewöhnliche Vielfalt an Farben und Mustern aufweist, und die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts in ganz Europa intensiv untersucht wird. Die Bänderschnecke ist ein Meister der Anpassung: Sie kommt in den verschiedensten Lebensräumen von Küstendünen bis hin zu Gebirgswäldern vor, und es ist bekannt, dass die Vielfalt der Schneckengehäuse mit der Anpassung an verschiedene Lebensräume und Fressfeinde zusammenhängt.

Das häufige Vorkommen dieser markanten Art in Gärten und Städten machte sie zum idealen Studienobjekt für eine große Feldstudie zur Evolution. Am 200. Geburtstag von Charles Darwin, dem 12. Februar 2009, hatten das Museum für Naturkunde Berlin, der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die deutsche Version des europaweiten Mitmach-Projektes gestartet (wir berichteten in Heft 4/2009, Seite 124f.). „Evolution MegaLab“ war einer der Gewinner des Wettbewerbs „Evolution heute“ der VolkswagenStiftung und wurde von ihr mit rund 97000 € gefördert.

Während Biologen fast ein Jahrhundert brauchten, um Daten über rund 6000 Populationen der Art zu sammeln, gelang es mithilfe von Freiwilligen, innerhalb von zehn Jahren Daten über rund 3000 Populationen zu sammeln, wobei die Mehrzahl im Darwin-Jahr 2009 auf der Internetplattform http://www.evolutionmegalab.org eingetragen wurde. Dort wurden die Informationen zur Erhebung der Daten und schließlich auch die Ergebnisse angezeigt.

Gleichzeitig wurden alle Freiwilligen aufgefordert, ein Quiz durchführen, um sicherzustellen, dass sie die gesuchte Art nicht mit ähnlichen Schneckenarten verwechseln. Das Wissen der Hobbybiologen überraschte selbst die Profiwissenschaftler: Lediglich ein Prozent der Daten erwiesen sich als falsch und wurden entfernt, um das Endergebnis nicht zu verfälschen. „Dies war eine der größten Studien zur Evolution, die es jemals gegeben hat“, freut sich Professor Jonathan Silvertown von der Open University (OU) in Großbritannien, der die Idee dazu hatte. „Durch die Beobachtungen wollten wir der Öffentlichkeit und damit auch Familien und Schulkindern die Möglichkeit geben, an der Forschung teilzunehmen. Sie konnten dadurch selbst erleben, welchen Reiz es hat, etwas zu ent­decken.“

Die durchschnittliche Landtemperatur ist in Europa im 20. Jahrhundert nach Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA aus dem Jahr 2010 um 1,3°C angestiegen. „Wir hatten erwartet, dass dieser Temperaturanstieg zu einer Zunahme der hellen Gehäusefarben und zu einem Rückgang der dunklen führen würde“, erklärt Dr. Christian Anton, der das Projekt für Deutschland vom UFZ aus koordinierte. Bei den gelben Gehäusen, die sich in der Sonne am wenigsten erwärmen, konnten die Wissenschaftler eine Zunahme feststellen – jedoch nur bei den Tieren, die im Lebensraum Düne zu Hause sind. Offenbar kriechen die Schnecken in den anderen Lebensräumen einfach in den Schatten, wenn es ihnen zu warm wird. „Überrascht waren wir aber, als wir festgestellt haben, dass der Anteil der Schnecken, die nur einen Streifen auf dem Gehäuse haben, europaweit angestiegen ist. Das ist schnelle Evolution.“ Die Wissenschaftler vermuten, dass dies mit kleinräumigen Änderungen der Umwelt oder mit dem natürlichen Feind dieser Schneckenart, der Singdrossel, zusammenhängt. „Wenn wir bedenken, wie viele Menschen sich für das Beobachten von Vögeln interessieren, dann könnte ein Freiwilligenprojekt zur Entwicklung der Vogelpopulationen hier Licht ins Dunkel bringen“, blickt Anton voraus.

Im Schnitt lag zwischen den historischen und den aktuellen Datenerhebungen ein halbes Jahrhundert. Das entspricht etwa 15 bis 20 Generationen der kleinen Schnecken mit den vielfältigen Gehäusen. Dank des Einsatzes von Tausenden Freiwilliger konnte bestätigt werden, dass diese Vielfalt ein Ergebnis von Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen ist, und es wurde deutlich, wie schnell Evolution passieren kann, wenn die Umwelt sich ändert.

Die Original-Publikation von J.Silvertown et al. (2011), Citizen Science Reveals Unexpected Continental-Scale Evolutionary Change in a Model Organism, PLoS One, 27.04.2011, ist im Internet zu finden unter http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0018927 .

Anschrift des Verfassers: Tilo Arnhold, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Presse- und Öffentlichkeits­arbeit, Permoserstraße 15, D-04318 Leipzig, E-Mail presse@ufz.de .

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