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Naturschutz revisited
Der Naturschutz hat in Deutschland eine über hundertjährige Geschichte, in der sich sein Selbstverständnis mehrfach gewandelt hat. Immer wieder sind neue Schutzziele hinzugekommen. So hat sich der Naturschutz zu einem vielschichtigen Handlungsfeld entwickelt, in dem Unklarheit und auch Uneinigkeit herrscht, welche Natur aus welchen Gründen geschützt werden soll.
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Reinhard Piechocki kommt das Verdienst zu, mit dem Buch „Landschaft – Heimat – Wildnis“ einen theoretisch fundierten und doch sehr gut lesbaren Überblick über den Naturschutz in Deutschland zu geben. Er unterscheidet dabei drei Bedeutungen von Natur und prüft, welchen Beitrag die Berufung auf sie jeweils zu einem effektiven Naturschutz liefern kann: Natur als Ressource/Dienstleister, als Sinnbild und als Selbstwert.
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert. Im ersten, „Natur und Mensch“, wird gezeigt, dass im Naturschutz unterschiedliche Naturbegriffe und Ideale des Mensch-Natur-Verhältnisses miteinander konkurrieren, was zu unterschiedlichen Naturschutzzielen und begründungen führt. „Natur als Wissenschaftsobjekt“ widmet sich acht zentralen Schutzgütern des Naturschutzes: Naturhaushalt, Arten, Biozönosen, Biotope, Ökosysteme, Prozesse, Biodiversität und Naturkapitel. Behandelt wird ihre jeweilige wissenschaftliche Grundlage, ihr spezifischer gesellschaftlicher Hintergrund, und dass man zwischen ästhetischen, ökonomischen, ökologischen, ethischen und kulturhistorischen Schutzzielen unterscheiden muss. „Natur als Sinnbild“ thematisiert Natur als Naturdenkmal, Landschaft, Heimat, Wildnis und Gaia, wobei wiederum historische Hintergründe und konkurrierende Interpretationen expliziert werden. Im Kapitel Natur als Moralobjekt wird zunächst die wichtige Differenzierung getroffen, dass es neben instrumentellen Nutz- und intrinsischen Selbstwerten auch inhärente Eigenwerte gibt. Danach werden der Anthropo-, Patho-, Bio- und Ökozentrismus sowie der Holismus erörtert.
Vermisst habe ich den methodischen Hinweis, dass die Gegenüberstellungen konträrer Positionen, z.B. von Individualismus und Organizismus in der Ökologie, vereinfachend sind, insofern vermittelnde Positionen unbeachtet bleiben. Sie zu berücksichtigen hätte den Zweck des Buches konterkariert; aber dass auf diese sinnvolle Vereinfachung nicht klar hingewiesen wird, birgt die Gefahr, dass der Leser die Gegenüberstellungen als überzogen verwirft.
Zwei Darstellungen möchte ich differenzieren: (a) Die Tabelle auf S. 30 suggeriert, ein Naturalismus impliziere einen Organizismus. Zu beachten ist jedoch: Diese Verbindung ist zwar im Naturschutz sehr verbreitet, nicht aber zwangsläufig. Charakteristikum des Naturalismus ist nicht eine bestimmte Naturauffassung, sondern ein fragwürdiger erkenntnistheoretischer Realismus und der problematische Versuch, aus dem Sein der Natur Normen für menschliches Handeln abzuleiten. (b) Der Autor konstatiert, man könne in kulturalistischer Perspektive nicht von der Zerstörung eines Ökosystems sprechen (S. 30). Dieser Hinweis ist ein wichtiges Gegengewicht zur verbreiteten naturalistischen Rede über zerstörte und gesunde Ökosysteme. Zu beachten ist jedoch: Auch dann, wenn man Ökosysteme nicht als naturgegebene organismenähnliche Ganzheiten begreift, sondern als kulturelle Konstrukte, kann man von einem Ökosystem – wie von einer Maschine und Fabrik – sagen, es sei zerstört; nämlich dann, wenn es die Funktion für uns nicht mehr erfüllt, mit Blick auf die wir es definiert haben. Gesund oder krank kann man es jedoch nicht nennen, weil es kein Lebewesen ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Leser erhält einen umfassenden und doch kompakten Überblick über den Naturschutz in Deutschland. Das Buch hat, bei aller Kürze, den Charakter eines Handbuches, das auch die Hintergründe des Naturschutzes behandelt, Kontroversen um Schutzziele verständlich macht und zeigt, wie bestimmte Argumentationen zu Akzeptanzproblemen des Naturschutzes führen.
Dr. Thomas Kirchhoff, Heidelberg
Landschaft – Heimat – Wildnis. Schutz der Natur – aber welcher und warum? Von Reinhard Piechocki. 267 Seiten mit 15 Schwarzweiß-Abbildungen. Kartoniert. 14,95 €. Verlag C.H. Beck, München 2010. ISBN 3-406-54152-6.
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