Erheblichkeit bei graduellen Funktionsverlusten durch Bodenfeuchte-Änderung
Abstracts
Der Beitrag zeigt eine Möglichkeit zur Bestimmung der Erheblichkeit bei Eingriffen in den Bodenwasserhaushalt im FFH-Lebensraumtyp (LRT) 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder mit Quercus robur auf Sandebenen) auf. Für diese Fragestellung ist die Bodenfeuchte die zentrale Kenngröße. Sie wird als Ordinalwert in Abhängigkeit von Bodenart und Grundwasserflurabstand dargestellt.
Der Standortbereich des Lebensraumtyps wird aus den Standorttoleranzen der ihn charakterisierenden Pflanzenarten bezüglich der Ordinalwerte der Bodenfeuchte abgeleitet. Außerhalb der Toleranzgrenzen liegt ein Übergangsbereich, der sich aus den unterschiedlichen, z. T. unscharfen Standortansprüchen der Pflanzenarten sowie aus der allgemeinen Variabilität von Ökosystemen ergibt. Der Bereich, in dem keine Standorteignung vorliegt, wurde auf +/– 1 Stufe außerhalb des angegebenen Standortbereiches festgelegt. Innerhalb des Übergangsbereiches nimmt die Standorteignung von 1 auf 0 ab.
Zur Skalierung der Intensität der Bodenfeuchteänderung werden Betroffenheitsgrade definiert. Diese sind auf den Standort- und den Übergangsbereich bezogen und mit den Konsequenzen für den Erhaltungszustand des LRT korreliert. Die Betroffenheitsgrade werden in Anlehnung an die Orientierungswerte der Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung gewichtet.
Relevance of Gradual Functional Losses Caused by Changes of Soil Humidity – Suggested Approach in the Context of FFH compatibility studies
The paper presents a possibility to identify the relevance of interferences into the water balance of soils in the habitat type 9190 (Old acidophilous oak woods with Quercus robur in sandy plains) according to Natura 2000. To answer this question soil humidity is regarded as central parameter. It has been used as ordinal value referring to soil type and depth to ground water.
The ecological range of the habitat type has been derived from the site tolerances of its characteristic plant species regarding the ordinal values of soil humidity. Outside the tolerance thresholds a transition zone can be defined on the base of the different, partly varying site demands of the plant species and from the general variability of ecosystems. The range without site suitability has been defined to one level outside the defined site range. Within the transition zone site suitability decreases from 1 to 0.
In order to scale the intensity of the changing soil humidity the study has defined “levels of concernment”. These refer to the ecological range and to the transition zone, and they correlate with the consequences for the state of preservation of the habitat type. The levels of concernment are weighted depending on the assessment values of the conventions for the identification of the relevance in the context of assessments of plans and projects significantly affecting Natura 2000 sites.
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1 Methodische Grundlagen
Im Hinblick auf Grundwasserstandsänderungen ist der Boden mit seinen physikalisch-chemischen und biologischen Qualitäten die zentrale Einwirkungsgröße, von der fast alle weiteren Auswirkungen auf die Naturhaushaltskomponenten, insbesondere die Vegetation, ausgehen (Kelschebach & Nesselhauf 1997).
Bei der von uns seit 1995 angewendeten Methode zur Verknüpfung von Boden und Vegetation (im Folgenden Methode Dahmen genannt) wird das heutige ökologisch relevante Standortpotenzial des Bodens ermittelt, dargestellt und bewertet. Dabei werden langfristig wirksame (teils anthropogene) Einflüsse und Veränderungen in die Standortansprache miteinbezogen.
Im Zentrum der Probefläche wird ein Bohrstockprofil von 1,0 oder 1,5 m Tiefe (je nach Bodentyp) gezogen. Die beschreibende und messende Erfassung des Bodenprofils erfolgt differenziert nach Oberboden, Unterboden und Untergrund und berücksichtigt somit die Unterschiede in der Horizontenfolge.
Die Messwerte erlauben eine differenzierte Beurteilung der einzelnen Bodenhorizonte und erfassen die pflanzenökologisch bedeutenden Standortfaktoren Bodenfeuchte, Basenversorgung, Sauerstoffversorgung im Wurzelbereich und Nährstoffversorgung. Die Werte werden für jeden der vier Faktoren einzeln in 5- bis 7-stufige Skalen eingeordnet. Die einer Telefonnummer ähnelnde Kombination der so ermittelten Wertstufen der Standortfaktoren wird als Ökoschlüssel des Bodens bezeichnet. Er charakterisiert die momentane Standortsituation des Bodens (Dahmen & Dahmen 2003).
Die Vegetationsaufnahme der Probefläche wird in ähnlicher Weise analysiert. Aus den der elektronischen Datenbank „Terra Botanica“ (Dahmen & Dahmen 1994) zu entnehmenden Standortansprüchen der einzelnen Arten an die Faktoren Bodenfeuchte, Basen-, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung, die ebenfalls in 5- bis 7-stufigen Skalen dargestellt werden, wird durch Schnittmengenbildung der Ökoschlüssel der heutigen Pflanzendecke bestimmt (Dahmen & Dahmen 2003).
Während der Ökoschlüssel des Bodens räumlich und zeitlich einen stichprobenartigen Charakter aufweist, stellt der Ökoschlüssel der Pflanzendecke einen über einen längeren Zeitraum und eine größere Fläche integrierenden Wert dar. Erst die Verknüpfung der getrennt vorgenommenen standörtlichen Interpretationen von Boden und Pflanzendecke ergibt eine breit fundierte Standortansprache.
Hierzu wird der Ökoschlüssel der Pflanzendecke mit dem des Bodens verglichen. Dieses trägt den kausalen Wechselwirkungen zwischen Boden und Vegetation als Teile einer standörtlichen Einheit Rechnung. Der durch Abgleich der beiden Teilökoschlüssel gebildete integrierte Ökoschlüssel des Standorts ermöglicht die Beurteilung der Probefläche in Bezug auf die aktuell vorherrschende Standortsituation.
Im Verlauf wiederholter Untersuchungen (Monitoring) sind Veränderungen der Standortbedingungen u.U. im Ökoschlüssel erkennbar, bevor sie in der Vegetationsaufnahme wirksam werden.
Die Schätzung der Mächtigkeit der Pflanzenarten auf der Probefläche erfolgt nach der Wilmanns-Skala (Wilmanns 1998). In Tab. 1 sind die verbalen Bezeichnungen und die ökologischen Bedeutungen der Stufen der Ökoziffern dargestellt.
Die Kennzeichnung vertikaler und horizontaler Differenzierungen ermöglicht die Darstellung bereits geringer Abweichungen der edaphischen Standortfaktoren vom einfachen, ganzzahligen „Hauptwert“. Die Integration der Teilökoschlüssel Boden und Vegetation führt häufig zu solchen Differenzierungen, die der kleinräumigen Standortdiversität im Gelände entsprechen. Für die Verknüpfung des Ökoschlüssels mit der Prognose des Grundwasserflurabstands und mit dem Standortbereich der Lebensraumtypen (LRT) wurden die Nominalwerte in eine relativ vielstufige Rangskala transformiert. So ist z.B. 3s4 („frisch, stellenweise feucht“) eindeutig trockener als 4s3 („feucht, stellenweise frisch“). Die erarbeitete Klassifikation der Ökoschlüsselwerte und Zuordnung der Rangzahlen als Ausdruck von Zwischenstufen ist in Tab. 2 dargestellt. Die Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten zwischen Haupt- und Nebenwerten bedingt, dass die Klassifikation in Tab. 2 nicht abschließend ist, sondern ggf. im Einzelfall ergänzt werden muss.
2 Veränderungen der Bodenfeuchte durch Veränderungen des Grundwasserflurabstandes
Zwischen Grundwasserstandsveränderungen und der Bodenfeuchte (erste Ziffer des Ökoschlüssels) bestehen enge Wirkungszusammenhänge. Die Bodenfeuchte ist die zentrale Kenngröße für eine grundwasserabhängige Auswirkungsprognose. Für die Kennzeichnung der Feuchtesituation eines Standorts sind bodenkundliche, bodenhydrologische, morphologische und klimatische Einflussgrößen zu berücksichtigen.
Die Ableitung der Bodenfeuchte erfolgt in Anlehnung an die Methode des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung (Müller 2004). Die Methode wurde dort über mehrere Jahre in der praktischen Anwendung getestet. Die bodenkundliche Feuchtestufe wird bereits in ähnlichen Verfahren zur Ermittlung pflanzenökologischer Entwicklungspotentiale als Eingangsgröße verwendet (z.B. Brahms et al. 1989, Müller 2004).
Differenzierendes Kriterium für die Ermittlung der bodenkundlichen Feuchtestufe ist zunächst der Bodentyp. Das in Tab. 3 dargestellte Rahmenschema kann auf Gleye und die meisten terrestrischen Böden im nordwestdeutschen Tiefland angewendet werden.
Für die bodenkundlichen Parameter wird auf die Bodenarten nach KA 5 (AG Boden 2005) zurückgegriffen. Die einzelnen Bodenarten sind zu sieben Bodenartengruppen entsprechend ihrer nutzbaren Feldkapazität im effektiven Wurzelraum zusammengefasst (siehe Tab. 3).
Als bodenhydrologische Parameter fließen die mittleren Grundwasserflurabstände ein. Das Rahmenschema eignet sich grundsätzlich auch für die Beurteilung staunasser Standorte, da die Wirkung gleicher Stau- und Grundwasserstände auf die Standorteigenschaften ähnlich ist.
Klimatische Parameter sind bei der Anwendung des Rahmenschemas insbesondere in Untersuchungsgebieten mit deutlichen klimatischen Unterschieden zu berücksichtigen. Die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Klimabereichen wird hierzu nach der klimatischen Wasserbilanz des Sommerhalbjahres ermittelt (Müller 2004).
Für die Beurteilung der Feuchtesituation wurden die vom Niedersächsischem Landesamt für Bodenforschung verwendeten bodenkundlichen Feuchtestufen in die Feuchtestufen der Methode Dahmen transformiert, die in Tab. 3 dargestellt sind. Die Transformation erfolgte auf Basis der seit 1999 alle zwei bis drei Jahre erhobenen Dauerbeobachtungsdaten des ca. 6 100 ha großen Monitoringgebiets des Steinkohlenbergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. Das Untersuchungsgebiet ist naturräumlich auf die Münsterländische Tieflandsbucht (Haupteinheit D34 gemäß FFH-Richtlinie) und das Niederrheinische Tiefland (Haupteinheit D35) aufgeteilt.
Eine Anwendung des in Tab. 3 dargestellten Rahmenschemas in anderen naturräumlichen Haupteinheiten sollte durch Erhebungsdaten aus dem jeweiligen Raum abgesichert werden.
3 Standortbereich des LRT 9190 bezüglich der Bodenfeuchte
Die Identität der LRT wird weitgehend durch ihre dominanten und typischen Pflanzenarten bestimmt, die sowohl direkt der Charakterisierung der LRT als auch indirekt als Zeigerarten für die jeweils charakteristischen Standortverhältnisse dienen. Wesentlich für die Prognose der Betroffenheit eines LRT durch Veränderungen der Bodenfeuchte ist die standörtliche Toleranz dieser für den LRT charakteristischen Pflanzenarten, d.h. ihr Standortbereich bezüglich des Standortfaktors Bodenfeuchte.
Die Auswahl der dominanten und typischen Pflanzenarten folgt dem BfN-Handbuch zur Umsetzung der FFH-Richtlinie und der Vogelschutz-Richtlinie (Ssymank et al. 1998).
Exemplarisch wurden für den LRT 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder mit Quercus robur auf Sandebenen) für jede Art die Standortbereiche in Bezug auf die Bodenfeuchte, Säure-/ Basenversorgung, Sauerstoffversorgung und Nährstoffversorgung aus der Datenbank des Wildpflanzen-Informationssystems TERRA BOTANICA (Dahmen & Dahmen 1994) ermittelt (Tab. 4).
Dabei bildet sich deutlich ab, dass der LRT 9190 in eine trockenere („Deschampsia“-) und eine feuchtere („Molinia“-)Variante aufgeteilt ist, für die getrennte Standortbereiche bestehen, die sich bei der Bodenfeuchte 3 („frisch“) berühren. Die Arten Quercus robur, Betula pendula, Agrostis capillaris, Calluna vulgaris, Ilex aquifolium, Sorbus aucuparia und Vaccinium myrtillus sind in beiden Varianten vertreten. Der Standortbereich des LRT 9190 ergibt sich aus der Summe der Standortbereiche dieser beiden Subtypen (s. Abb. 1).
Bei der Bildung des Standortbereichs wird bewusst auf mathematische Operationen verzichtet, die aufgrund des ordinalen Charakters der Stufen des Ökoschlüssels nicht zulässig sind.
Der in Abb.1 dargestellte Standortbereich ist so eng abgegrenzt, dass innerhalb dieser Spanne mit großer Sicherheit von einer Standorteignung für den LRT 9190 ausgegangen werden kann. So werden artenarme Bestände mit für den LRT extremen Standortbedingungen nicht in den Standortbereich des LRT einbezogen. Das gilt beispielsweise bei der trockenen Variante für die Bodenfeuchte 1, die von Quercus robur, Betula pendula, Festuca filiformis, Hieracium murorum und Holcus mollis toleriert wird, so wie bei der feuchten Variante für die Bodenfeuchte 6, die von Betula pubescens, Frangula alnus und Lonicera periclymenum toleriert wird. Die letztgenannten Arten leiten über zum Birken-Bruchwald, der dem LRT 91D0 angehört. Andererseits würde der Standortbereich für den LRT unrealistisch eng gefasst, wenn in die Schnittmengenbildung die Standortansprüche sämtlicher, z.T. stark spezialisierter, typischer Arten einbezogen würden, die für die Charakterisierung des LRT nicht zwingend am Standort vertreten sein müssen. Dieses gilt beispielsweise für die Arten Festuca filiformis, Polypodium vulgare und Trientalis europaea, die bezüglich einiger Standortfaktoren einen engeren Standortbereich aufweisen als die zugehörige Variante des LRT 9190. Der Aspekt ist von Bedeutung für die Verwendung des Betroffenheitsgrades B3 (vgl. Abschnitt 4).
Außerhalb der „Toleranzgrenzen“ ist ein vager Übergangsbereich anzunehmen (und auch auf den Dauerbeobachtungsflächen nachweisbar), dessen Unschärfe sich aus den unterschiedlichen Standortansprüchen der für den LRT charakteristischen Pflanzenarten, unscharfem Wissen über die Standortansprüche und allgemein hoher Variabilität ökologischer Systeme ergibt. Der Bereich, in dem mit großer Sicherheit keine Standorteignung vorliegt, wurde auf +/– 1 Stufe über und unterhalb des angegebenen Standortbereiches festgelegt.
Innerhalb des vagen Übergangsbereiches nimmt die Standorteignung von 1 (entsprechend der Fuzzy-logic Zugehörigkeitsgrad 1) auf 0 (entspricht Zugehörigkeitsgrad 0) ab (Nickel et al. 2008). Nach der in Tab. 2 dargestellten Klassifikation der Ökoschlüsselwerte und Zuordnung der Rangzahlen treten im Übergangsbereich für die Bodenfeuchte Werte auf, die vertikale oder räumliche Differenzierungen von Haupt- und Nebenwerten darstellen. Für solche Kombinationen liegt es nahe, dass sie einen unscharfen Bezug zum Standortbereich des LRT aufweisen. Eingriffe in den Bodenwasserhaushalt führen häufig zu kleinräumig variierenden Kombinationen von Haupt- und Nebenwerten, weil die vor dem Eingriff stabilen Standortverhältnisse gestört werden und sich ein neues Gleichgewicht zwischen Boden und Bewuchs erst entwickeln muss.
4 Charakterisierung der Betroffenheitsgrade
In den Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) (Lambrecht & Trautner 2007: 83) wird im Kapitel „Hinweise zur etwaigen Anwendung der Fachkonventionsvorschläge bei graduellen Funktionsverlusten“ ausgeführt: „Voraussetzung für eine Anwendung ist, dass die jeweilige Intensität des Wirkfaktors skaliert werden kann, wobei der für die Orientierungswerte herangezogene vollständige (Funktions-)Verlust (…) einer Beeinträchtigungsintensität von 100 % entspricht.“
Das für Grundwasserstandsänderungen infolge des Steinkohlenbergbaus ab 1993 entwickelte System der Betroffenheitsgrade (Kelschebach & Nesselhauf 1997) ermöglicht eine solche Skalierung. Für die Anwendung auf FFH-LRT wurden die Betroffenheitsgrade neu definiert. Im Folgenden wird die Skalierung der Betroffenheitsgrade (B) für den LRT 9190 vorgestellt, die in entsprechender Weise auch auf andere LRT angewendet werden kann.
Eine Betroffenheit des LRT setzt grundsätzlich eine signifikante Änderung der Bodenfeuchte (oder eines anderen Standortfaktors) voraus. Die Signifikanzschwelle für eine Bodenfeuchteänderung liegt nach den Erfahrungen aus dem Biomonitoring Prosper-Haniel bei einem Stufenunterschied von 0,25 auf der Ordinalskala nach Dahmen (vgl. Tab. 2). Kleinere Änderungen sind aufgrund der begrenzten Auflösungsgenauigkeit von Grundwassermodellen und Ökoskalierungen nicht sicher detektierbar und erst recht nicht zu einem Eingriff in Beziehung zu setzen.
Es ist prinzipiell unerheblich, ob die Änderung der Bodenfeuchte durch Grundwasseranstieg, absenkung oder eine andere Änderung des Bodenwasserhaushalts (z.B. Staunässe) verursacht wird. Der Bezug der Betroffenheitsgrade zum Standortbereich des LRT ist in Abb. 1 dargestellt.
Als Maßstab für die Gewichtung der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung sind grundsätzlich die für das zu prüfende Schutzgebiet festgesetzten Schutz- und Erhaltungsziele heranzuziehen. Dies ist insbesondere für die prozentuale Gewichtung der Betroffenheitsgrade B3 und B4 sowie die Abgrenzung dieser beiden gegeneinander von Bedeutung (vgl. Abschnitt 5).
Das entscheidende Kriterium für die Gewichtung einer Beeinträchtigung ist die Konsequenz für den Erhaltungszustand des LRT im zu prüfenden Gebiet. Laut FFH-Richtlinie, Art. 1e, ist der „Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können.
Der „Erhaltungszustand“ eines natürlichen Lebensraums wird als „günstig“ erachtet, wenn
sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und
die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden und
der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist“ (Rat der Europäischen Gemeinschaften, 21.05.1992).
Demnach stellt eine Veränderung der Bodenfeuchte eine erhebliche Beeinträchtigung dar, wenn sie dauerhaft den Fortbestand des LRT oder der für ihn charakteristischen Arten gefährdet und somit eine nachhaltige Verschlechterung des Erhaltungszustands nach sich zieht. Dabei ist es nach der geltenden Rechtsprechung (BVerwG 17.01.2007, EuGH 07.09.2004) für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung ausreichend, wenn sie wissenschaftlich nicht ausgeschlossen werden kann.
Lediglich temporäre Veränderungen, die in ähnlicher Weise im Rahmen der natürlichen Dynamik des LRT, beispielsweise infolge einer vorübergehenden Häufung von Nass- oder Trockenjahren, ablaufen würden, sind nicht erheblich. Ebenso sind Veränderungen, die mit den gebietsspezifischen Erhaltungszielen in Einklang stehen, nicht erheblich.
5 Anwendung der Betroffenheitsgrade auf den LRT 9190
Für den LRT 9190 gelten gemäß den Fachkonventionen (Lambrecht & Trautner 2007) bei direktem Flächenentzug die folgenden Orientierungswerte:
100 m² in Stufe I (relativer Verlust ≤ 1 %),
500 m² in Stufe II (relativer Verlust ≤ 0,5 %),
1000 m² in Stufe III (relativer Verlust ≤ 0,1 %).
Als Formel für die Umrechnung von Beeinträchtigungen mit partiellem Funktionsverlust wird in den Fachkonventionen (Lambrecht & Trautner 2007: 83) der im nebenstehenden Kasten genannte Rechenweg vorgeschlagen.
Für die folgenden Fallbeispiele werden eine Beeinträchtigungsfläche von 2000 m² und ein Orientierungswert der Stufe II, also 500 m², angenommen (zur Nachvollziehbarkeit der angegebenen Bodenfeuchtewerte siehe Abb. 1).
Fall 1 (nebenstehender Kasten):
Da der Betroffenheitsgrad B1 den Verlust des LRT zur Folge hat, entspricht der prozentuale Funktionsverlust mit 100 % dem Orientierungswert.
Fall 2:
Da eine „signifikante Verschlechterung der Standorteignung“ eine deutliche Verschlechterung des Erhaltungszustandes des LRT nach sich ziehen wird, sollte mindestens ein prozentualer Funktionsverlust von 50 % angesetzt werden, so dass bei B2 gegenüber dem Orientierungswert die doppelte Flächengröße in jedem Fall zur Erheblichkeit des Eingriffs führt.
Für Bestände des LRT, die die Sandbirke (Standortbereich 1 bis 4) enthalten, bedeutet die Bodenfeuchte 5 bis 6 einen Totalausfall dieser Baumart. Wie schwerwiegend dieser Verlust für den LRT ist, hängt von der Mächtigkeit der Sandbirke im betroffenen Bestand ab. Der Verlust nur vereinzelt vorkommender Sandbirken stellt für den LRT 9190 keine über die allgemeine Verschlechterung der Standorteignung hinausgehende Beeinträchtigung dar. Der Verlust zahlreicher oder gar dominanter Sandbirken verursacht dagegen großflächige Auflichtungen, die über Folgeschäden wie z.B. Windwurf oder Einwanderung LRT-fremder Arten den Fortbestand des LRT langfristig gefährden können.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass für die Höhe des prozentualen Funktionsverlustes bei B2 eine Spanne vorgegeben und der genaue Wert nach Lage des Einzelfalls festgesetzt werden sollte. Für den Fall, dass der Fortbestand des LRT langfristig gefährdet ist, werden 70 % vorgeschlagen, um einerseits die relative Nähe der Beeinträchtigung zum Totalverlust und andererseits zu würdigen, dass Zeit und Möglichkeit zur Gegensteuerung/Minderung (z.B. durch Schutzpflanzungen auf den betroffenen Flächen) besteht, was eine deutliche Abschwächung gegenüber dem vergleichsweise schnell auftretenden Totalverlust bei B1 darstellt.
Fall 3:
Die Bodenfeuchte 2 bis 3 entspricht dem Standortbereich der trockenen („Deschampsia“-) Variante des LRT 9190 und die Bodenfeuchte 3 bis 5 entspricht dem Standortbereich der feuchten („Molinia“-) Variante (siehe Abb. 2).
Wie schwerwiegend der Betroffenheitsgrad B3 für den LRT 9190 ist, hängt zunächst von der Ausprägung der pflanzensoziologischen Varianten und ihrem Verhältnis zueinander (relative Flächenanteile und gegenseitige Durchdringung) im betroffenen Schutzgebiet ab. Ausschlaggebend für die Gewichtung des Betroffenheitsgrads sind die Konsequenzen für den Erhaltungszustand des LRT.
Wenn in einem Schutzgebiet mit hoher Diversität der pflanzensoziologischen Varianten durch den Eingriff eine Reduzierung auf eine pflanzensoziologische Variante erfolgt und dies eine Verschlechterung des Erhaltungszustands nach sich zieht, so sollte ein prozentualer Funktionsverlust von 30 % gewählt werden. Verschieben sich dagegen lediglich die relativen Flächenanteile der nach wie vor vorhandenen Varianten, ist ein prozentualer Funktionsverlust von 10 % zu wählen. In diesem Fall eine Erheblichkeit unabhängig von der betroffenen Flächengröße generell auszuschließen, wäre unangemessen, weil zumindest ein Teil der einen günstigen Erhaltungszustand des LRT kennzeichnenden charakteristischen Arten in seinem Bestand so weit reduziert werden kann, dass das dauerhafte Überleben der Populationen nicht mehr gesichert ist.
Werden dagegen im Schutzgebiet Anzahl und relative Flächenanteile der pflanzensoziologischen Varianten durch den Eingriff nicht verändert, so ist eine Verschlechterung des Erhaltungszustands auszuschließen und B3 nicht zu vergeben, selbst wenn die prognostizierte Bodenfeuchte in den o.g. Intervallen liegt (vgl. B4).
Die Wahl zwischen B3 und B4 sowie die prozentuale Gewichtung von B3 sind außerdem von den konkreten Schutz- und Erhaltungszielen des zu prüfenden Schutzgebietes abhängig, die unter Umständen bestimmte pflanzensoziologische Ausprägungen des LRT explizit fördern oder ausschließen.
Fall 4:
Der Bereich der prognostizierten Bodenfeuchte entspricht prinzipiell demjenigen des Betroffenheitsgrads B3 (s.o.). Welcher der beiden Betroffenheitsgrade gilt, hängt von der Ausprägung der pflanzensoziologischen Varianten, ihren relativen Flächenanteilen im betroffenen Schutzgebiet und den Konsequenzen für den Erhaltungszustand des LRT ab. Den Ausführungen unter B3 entsprechend gilt B4, wenn Anzahl und relative Flächenanteile der pflanzensoziologischen Varianten konstant bleiben und der Erhaltungszustand des LRT nicht verschlechtert wird.
Fall 5:
Bei Eingriffen in den Bodenwasserhaushalt stellen sich in der Regel Gradienten der Bodenfeuchte ein, die in Verknüpfung mit dem betroffenen LRT zu Gradienten der verschiedenen Betroffenheitsgrade führen. Für die Bestimmung der Erheblichkeit ist daher letztlich die Summe aller auf den LRT wirkenden Betroffenheitsgrade entscheidend.
Führt beispielsweise eine Veränderung der Bodenfeuchte dazu, dass der LRT 9190 (Stufe II) auf 400 m² von B1, auf 600 m² von B2 und auf 1000 m² von B3 betroffen wird, so resultiert die im Kasten unten aufgeführte Berechnung für B1, B2 und 3. Die Summe B1 + B2 + B3 ergibt einen Äquivalenzwert von 800 m² und damit eine Erheblichkeit der Beeinträchtigung.
6 Ausblick
Die entwickelte Methode lässt sich auf alle terrestrischen LRT und alle im Ökoschlüssel erfassten Standortfaktoren übertragen. Analog zur Bodenfeuchte sollten auch für die Basen-, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung die Standortbereiche der LRT aus der Datenbank Terra Botanica abgeleitet werden.
So ließen sich mit dem gleichen geringen Aufwand im Gelände wertvolle Informationen über die Ausprägung mehrerer Standortfaktoren gewinnen. Schließlich haben die verschiedenen Faktoren über die ökologische Gesamtsituation des Standortes Einfluss aufeinander. Auch wenn der zu untersuchende Eingriff primär am Faktor Bodenfeuchte ansetzt, ist für die Bedeutung der künftigen Standortbedingungen für die betroffenen LRT die Ausprägung aller Standortfaktoren wichtig. Außerdem können Änderungen der Bodenfeuchte sekundär Änderungen der anderen Standortfaktoren verursachen (z.B. abnehmende Basenversorgung durch Absenkung von basischem Grundwasser).
Die Lage der realen Standortausprägung zum Standortbereich des LRT gibt für alle erfassten Standortfaktoren einen Hinweis darauf, wie tolerant der konkret untersuchte Standort gegenüber weiteren Belastungen ist. Diese Information ist bei der Beurteilung der oft nicht umfassend bekannten Vorbelastung hilfreich.
Da die im Vorschlag verwendete Methode Dahmen ausschließlich terrestrische Biotope erfasst, erfordern aquatische LRT eine spezielle Anpassung an den hier vorgestellten Rahmen.
Vor einer breiten Anwendung der hier vorgestellten Methode in verschiedenen naturräumlichen Haupteinheiten ist die Gültigkeit der dargestellten Verknüpfung von Bodenart und Grundwasserflurabstand mit der Stufe der Bodenfeuchte zu überprüfen. Es ist davon auszugehen, dass die dafür nötigen Erhebungsdaten in der bodenkundlichen Fachliteratur bereits hinreichend vorhanden sind.
Die Definition und die Gewichtung der Betroffenheitsgrade sind in der Fachwelt zu diskutieren, um dafür notwendige Konventionen zu etablieren. Kommentare und Anregungen sind erwünscht.
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Anschrift der Verfasser: Dipl.-Biol. Michael Kelschebach und Dipl.-Ing. (FH) Anika Klüver, Institut für Landschaftsentwicklung und Stadtplanung, Frankenstraße 332, D-45133 Essen, E-Mail h334@ils-winter.de.
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