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Überflutungen an der unteren Oder naturverträglich gestalten

Bereits 13 Jahre nach dem verheerenden Sommerhochwasser an der Oder ist im Mai 2010 das nächste so genannte Jahrhunderthochwasser durch das Untere Odertal gerauscht. Die in der Zwischenzeit mit Millionenaufwand erhöhten Deiche haben standgehalten, der wirtschaftliche Schaden war deutlich niedriger als vor 13 Jahren.

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Von Ansgar Vössing

Aber im August dieses Jahres suchte bereits das nächste Hochwasser das Land zu beiden Seiten der Lausitzer Neiße heim und setzte vor allem das Oderbruch unter Wasser. Dieses fruchtbarste Agrargebiet Brandenburgs, vor 250 Jahren unter Friedrich dem Großen trockengelegt, ist 60km lang und 10km breit. 30 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche standen bis zu 40cm unter Wasser. 30 % des Getreides und die gesamten Maisernte standen noch auf dem Halm und konnten nicht eingebracht werden. Auch die Aussaat des Wintergetreides war nicht möglich. Das Oderbruch hat in den letzten 180 Jahren nichts Vergleichbares erlebt.

Nach dem letzten Sommerhochwasser 1997 hieß es unisono: Lasst den Flüssen ihren Raum! Aber im politischen Alltagsgeschäft folgten diesen Ankündigungen keine Taten, nur die Deiche wurden aufwändig erhöht. Aber statt der in Aussicht genommenen 6000 ha wurden lediglich 60 ha zusätzliche Überflutungsflächen geschaffen. Auch diesmal versprechen Politiker auf deutscher wie auf polnischer Seite wieder, neue Überflutungsflächen zu schaffen und nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Aber alle infrage kommenden Flächen werden bewirtschaftet und – wie schon in der Vergangenheit – so wird wohl auch in Zukunft der politische Mut und die Kraft fehlen, gegen die zu erwartenden Widerstände der Nutzer solche Überflutungsflächen durchzusetzen. Dazu müsste Ackerland in Grünland umgewandelt und das Baurecht geändert werden.

Im Unteren Odertal, das seit 1995 in wesentlichen Teilen als Nationalpark ausgewiesen ist, stellt sich die Situation günstiger dar, denn hier und nur hier gibt es für die Oder ausreichend Überflutungsflächen. Bei den wasserbaulichen Maßnahmen vor 100 Jahren legten die Bauern selbst darauf Wert, dass die winterlichen Überflutungen, die ihnen eine kostenlose Düngung auf die Wiesen brachte, erhalten bleiben. Im Sommerhalbjahr hingegen wird das Wasser seit 100 Jahren über ein kompliziertes System von Ein- und Auslassbauwerken ausgesperrt, und hohe Wasserstände werden sogar bis heute kosten- und energieaufwendig auf Veranlassung der Nationalparkverwaltung abgepumpt – ein anachronistisches Vorgehen, das im einzigen Auennationalpark Deutschlands eigentlich unvertretbar und unverantwortlich ist. Nur im Notfall, also bei Jahrhunderthochwassern, wird das Wasser auch im Sommer in die so genannten Überflutungspolder, insgesamt 4720 ha groß, gelassen, so in den Jahren 1997 und 2010. Rund 100 Mio.m³ Wasser können die Polder aufnehmen.

In diesem Jahr war das am 28. Mai der Fall. Der Hochwasserscheitel rückte bedrohlich näher und höher, so dass rasch die politische Entscheidung getroffen wurde, alle Überflutungspolder mehr oder weniger plötzlich und auf einmal zu fluten, um die Hochwasserspitze zu kappen.

Wasser in der Aue zu lassen, ist gerade in einem Auennationalpark auch im Sommer nun wirklich nichts Verwerfliches, aber die plötzliche Flutung, die ausschließlich aus Hochwasserschutzgründen erfolgte, wirkt dennoch völlig unökologisch und widernatürlich. Durch das mehr oder weniger gleichzeitige Öffnen aller Einlassbauwerke stieg das Wasser im Polder innerhalb von wenigen Stunden um mehrere Meter an. Nicht flug- oder schwimmfähige Tiere haben keine Chance, ihr Leben zu retten. Im Mai 2010 ging dadurch ein großer Teil der noch nicht flüggen Vogelbrut verloren. Aber selbst große Säugetiere wie Rehe und Wildschweine konnten sich nicht mehr rechtzeitig retten und wurden in großer Zahl ertrunken an die Deiche gespült, wie der Verwaltungsleiter selbst zugibt. Allerdings waren alle Deiche rechtzeitig für Besucher gesperrt worden, so dass ihnen dieser traurige Anblick erspart blieb.

Hochwasserereignisse sind in einer Aue natürliche Ereignisse, die viele Tiere auch unter natürlichen Bedingungen nicht überleben. Weit besser aber als die sturzbachartigen Überschwemmungen der Polder wäre eine sanfte Überflutung der Aue, die sich einfach und billig erreichen ließe, wenn die Ein- und Auslassbauwerke, beispielsweise im Fiddichower Polder (10), ganzjährig offen blieben, so wie es die Gewässerstudie des Brandenburgischen Umweltministeriums auch selbst vorschlägt. Dann hätten viele Tiere des Polders, die nicht fliegen oder schwimmen können, die Möglichkeit, sich nach und nach zurückzuziehen und müssten nicht, von der ansteigenden Flut völlig überrascht, elendig verenden.

Übrigens haben die im Fiddichower Polder (10) wirtschaftenden Landwirte praktisch alle schriftlich zugestimmt, dass der kosten- und energieaufwendige Pumpbetrieb eingestellt und die Ein- und Auslassbauwerke ganzjährig offen bleiben können. Sie wurden dafür vom Verein der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparkes Unteres Odertal anderweitig schadlos gehalten. Diese schriftliche Zustimmung der Landwirte wird aber von der Nationalparkverwaltung bewusst ignoriert. Diese im Grunde genommen albernen Rivalitäten zwischen Verwaltung und ehrenamtlich tätigem Förderverein müssen endlich aufhören! Die aktuellen Jahrhunderthochwasser in Brandenburg sind eine gute Gelegenheit, über ein ökologisches Überflutungsregime der Zukunft nachzudenken und vernünftige und nachhaltige Entscheidungen zu treffen.

Anschrift des Verfassers: Dr. Ansgar Vössing, Vorstand der Nationalparkstiftung Unteres Odertal, Schloss Criewen, D-16303 Schwedt/Oder, E-Mail Nationalparkstiftung@unteres-Odertal.info .

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