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Editorial

Die Erosion der Artenkenntnis – selbst mitverschuldet?

Wer wird in zehn, geschweige denn zwanzig Jahren noch in der Lage sein, heimische Pflanzen- und Tierarten zu bestimmen? Gut, für Vögel, Amphibien und Tagfalter wird es sicher genügend Artenkenner in den Naturschutzverbänden geben. Aber wer wird zum Beispiel Schleimpilze, Torfmoose, Brombeeren, Pilzmücken oder Springschwänze determinieren können?

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Sie alle repräsentieren Biodiversität, schaffen Ökosystemleistungen und haben unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen ethische Werte. Und nur was man kennt, lässt sich bekanntlich schützen. Nicht zuletzt verpflichten rechtliche Normen zu Monitoring und Schutz von Arten und Biozönosen.

„Digitale Artenerfassung im ehrenamtlichen Naturschutz“ lautet das Thema des ersten Hauptbeitrags in der vorliegenden Ausgabe. Mehr denn je liegen die Kenntnisse zu Artvorkommen bei den NGO. Das ist gut so – einerseits. Andererseits ist zu fragen, ob sich – hart formuliert – die Verbände indirekt nicht zum Totengräber der Artenkenntnis entwickeln, zumindest ob sie nicht deren Erosion Vorschub leisten. Denn sie bieten den angesichts Personalknappheit und fehlender Spezialkenntnis überforderten Behörden, aber auch Planungsbüros vielfach Artdaten zum Dumpingpreis an. Das schont die knappen öffentlichen Haushalte. Aber kein Freiberufler, kein professionelles Büro kann damit konkurrieren – deren wirtschaftlichen Grundlagen schwinden. Dieses ist ein traditioneller Konflikt zwischen Haupt- und Ehrenamt, der nicht spezifisch nur in Naturschutz und Landschaftsplanung auftritt.

Beispiel Rheinland-Pfalz: Das Umweltministerium stattete vergangenes Jahr Naturschutzverbände mit Outdoor-Notebooks und GPS aus, damit diese im Gegenzug künftig ihre Daten gleich aus dem Gelände an eine zentrale Datenbank funken können (wir berichteten). Künftig wird das mit einem App mittels iPhone funktionieren. Prima, denn natürlich ist es richtig, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, um Datenerfassung und haltung zu vereinfachen und zu beschleunigen, wie das auch die nachfolgend vorgestellte Software eMapper leistet. Nur: Solche Hilfsmittel sollten nicht missbraucht werden, um mit der Faszination der Technik „für lau“ an Art­daten zu gelangen.

Jeder ehrenamtlich tätige Kenner von Artvorkommen kennt die lästigen Anrufe von Büros, die auf die Schnelle für die Straßenplanung XY wissen möchten, was in einem Gebiet an vielleicht interessanten Arten vorkommt. Aber solcherart Arbeit kann systematische Erhebungen nicht ersetzen. Dafür braucht es gut ausgebildete Artenkenner, die sowohl die Artansprache sicher durchführen als auch die Methoden der Artenerfassung beherrschen und mit Unwägbarkeiten der Geländearbeit (wie Witterungseinflüsse auf den Erhebungszeitpunkt) umzugehen wissen. Und diese Professionalität muss Geld kosten!

Was folgt? Gefordert sind alle gleichermaßen: Behörden, Büros, Verbände und Hochschulen.

Erstens benötigen Behörden – und das muss die Politik bei den Haushaltsberatungen beachten – ausreichend Finanzmittel, um die zur Umsetzung von Natura 2000 geforderten Arterhebungen durchzuführen und die Biodiversitätsstrategien des Bundes und der Länder fundiert umsetzen zu können, um nur zwei Anwendungsbeispiele zu nennen. Zugleich müssen die Behörden Eingriffsverursacher dazu drängen, die Belange des Biodiversitätsschutzes im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfung, spezieller artenschutzrechtlicher Prüfung, UVP usw. solide abzuarbeiten – und das beginnt mit einer belastbaren (will sagen: gerichtsfesten) Artenerfassung. Diese können Profis am besten leisten.

Zweitens liegt es an den Planungs- und Gutachterbüros, ihre Leistungen nicht zum Dumpingpreis zu verkaufen, sondern reale Preise für eine qualitativ gute Leistung zu nehmen. Und andererseits auch nicht billige Hilfskräfte zum Billiglohn anzuheuern, die die „Drecksarbeit“ im Gelände erledigen – nach dem Motto: Die Ergebnisse „werden so schon durchgehen“.

Drittens sollten die Naturschutzverbände nicht die Artenkenner in ihren Reihen dazu missbrauchen, die wirtschaftliche Existenz derer zu untergraben, die mit Erfassung und Bestimmung von Arten sowie der Interpretation der Daten ihre Brötchen verdienen. Wer von den Honoraren Büro, Optik und EDV zahlen sowie Sozialversicherung, Altersvorsorge und Steuern abführen muss, kann beim besten Willen nicht mit Halb-Ehrenamtlichen ohne diese finanziellen Lasten konkurrieren. Mehr Kooperation ist gefragt!

Und viertens ist die Vermittlung von Artenkenntnis und Bestimmungstechniken an den Fachhochschulen und Universitäten heute ziemlich out. Wer jung ist und dennoch Arten kennt und mit dichotomen Bestimmungsschlüsseln umzugehen weiß, ist normalerweise ein Autodidakt oder – und da springen sie vielfach positiv in die Bresche – innerhalb von Naturschutzverbänden „in die Lehre gegangen“. In der Wissenschaft braucht es dringend neue Taxonomen wie generell eine Revitalisierung der Freiland-Ökologie. Denn beide befinden sich, sieht man sich in Deutschland um, im freien Fall hin zur Bedeutungslosigkeit.

Sicher, es gibt nicht den ­einen richtigen Weg. Viele Schritte sind vonnöten, jeder in seinem Arbeitsbereich, aber auch mit Blick nach links und rechts. Auch die Daten der Naturschutzverbände sollten genutzt werden, keine Frage. Aber sie können nur einen Baustein liefern zu dem Gesamtgebäude einer möglichst guten Kenntnis der Biodiversität, für dessen Bau viele verschiedene Handwerker benötigt werden. Dazu bräuchte es gerade jetzt im internationalen Jahr der Biodiversität eine Initiative! Ja, drei Jahre ist es her, als die „Initiative Taxonomie – zehn Stiftungsprofessuren für Deutschland“ ( http://www.taxonomie-initiative.de ) das für die Universitäten versucht hat, leider bis dato ohne wirklichen Erfolg. Aber ist das ein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken?

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