Schauen, tasten, graben
Abstracts
Die Kenntnis der Lebensweise der Bachmuschel (Unio crassus) bildet die notwendige Grundlage für ein zielorientiertes Vorgehen bei der Kartierung und Beurteilung von Populationen. Um dem hohen Schutzstatus von Bachmuscheln gerecht zu werden, müssen bislang zu wenig beachtete biologische und ökologische Aspekte stärker berücksichtigt werden. Vor allem das individuelle Verhalten sowie populationsdynamische Aspekte finden in den zurzeit vorliegenden Anleitungen und Bewertungsverfahren von Bund und Ländern zu wenig Beachtung.
Drei Fallbeispiele zeigen, wie unterschiedlich die Ergebnisse von Bestandserfassungen ausfallen können. Die großen Abweichungen bei so entscheidenden Parametern wie Populationsgröße und Populationszustand sind in der Regel methodisch begründet. Da eine Vergleichbarkeit von Erhebungen speziell für das FFH-Monitoring in den Bundesländern wünschenswert ist, müssen unterschiedliche Erfassungsstufen, deren jeweilige Zielsetzungen und die anzuwendenden Methoden präzisiert werden.
Die Autoren empfehlen, bei Populationsanalysen zwischen Ersterfassung, Übersichts- und Detailkartierung klar zu unterscheiden. Bei der Durchführung müssen sowohl die individuelle Mobilität von Bachmuscheln als auch populationsdynamische Aspekte, in Abhängigkeit vom jeweiligen Habitat, beachtet werden.
Looking, Feeling, Digging – Strategies and Methods for the Mapping of the Thick-shelled River Mussel
Knowledge about the behaviour and life history of the thick-shelled river mussel, Unio crassus, is prerequisite for any successful approach to mapping and evaluating its populations. Unfortunately, some biological and environmental aspects have been neglected in the past and should be more carefully assessed, in particular, to comply with the elevated protection status of the species. The existing national and regional manuals and evaluation schemes have failed, for example, to pay due attention to individual behaviour and population dynamics.
The study presents three case studies illustrating that considerable discrepancies can be found in population surveys regarding estimated population size and small or medium scale distribution. The estimated numbers and the rating of the population status vary enormously. The differences can be explained with methodological shortcomings. Surveys should be comparable on regional and national level, especially when monitoring is to comply with the Flora-Fauna-Habitat directive. Therefore, different survey levels must be defined along with their specific goals and appropriate methods. Population studies should clearly differentiate between initial, basic and detailed surveys. The procedures must take into account the individual mobility of mussels and other factors affecting the dynamics of their distribution, many of which are related to the respective substratum properties of the habitat.
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Abb. 2: Versinterte Bachmuscheln (Foto: Nagel, Bodenseegebiet, 10.07.2009).
Abb. 3: Spritzende Bachmuschel und Wanderspuren in einem „Muschelnest“ (Foto: Vicentini, Klettgau, Kanton Schaffhausen, 24.05.2003).
Abb. 4: Aus Schlamm ausgegrabene Bachmuschel (Foto: Nagel, Osthessisches Bergland, 04.09.2008).
1 Einleitung
Die Bachmuschel (Unio crassus Philipsson 1788) ist eine der fünf in der FFH-Richtlinie (92/43/EWG) erwähnten Großmuscheln des Süßwassers. Sie gehört zu den Arten von gemeinschaftlichem Interesse, die streng zu schützen sind und für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen (Auflistung in den Anhängen II und IV der Richtlinie). In Deutschland ist sie in weiten Gebieten bereits ausgestorben oder nur noch mit Reliktpopulationen vertreten; Schwerpunkte der aktuellen Verbreitung liegen in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Bayern (Colling & Schröder 2003, Zettler 1997, Zettler & Jueg 2001).
Um die Anforderungen der FFH-Richtlinie erfüllen zu können, muss der Erhaltungszustand der Art definiert, erfasst und bewertet werden. Dies beinhaltet eine Beschreibung und Bewertung des Zustandes von Populationen, ihrer Habitate und der Beeinträchtigungen (Ellwanger et al. 2006). Kobialka & Colling (2006) liefern hierfür einen zusammenfassenden Vorschlag, der im Rahmen der mehrjährigen Tätigkeit des Bund-Länder-Arbeitskreises Arten erstellt wurde. Zentrale Parameter zur Beschreibung einer Population sind dort die Siedlungsdichte, die Populationsgröße und der Anteil der Jungtiere. Die Habitatqualität wird über die Naturnähe und den Ausbauzustand des Gewässers, die Fließgeschwindigkeit, die Beschaffenheit des Bodensubstrates, die Nitratkonzentration im Wasser sowie über Größe und Aufbau der Populationen potenzieller Wirtsfischarten definiert.
Die Erfassung einiger der genannten Parameter bereitet nicht unerhebliche Schwierigkeiten (Siedlungsdichte, Populationsgröße, Anteil der Jungtiere an der Population) oder ist in seiner Bedeutung umstritten (Naturnähe eines Gewässers, Fließgeschwindigkeit, Nitratkonzentration). Schon die Abgrenzung einer Population setzt voraus, dass die Verbreitung der Art im lokalen und regionalen Maßstab bekannt ist, was zumindest in einigen Regionen Deutschlands nicht der Fall ist (vgl. z.B. Nagel 2009b, Pfeiffer 2009a). Auch die Größe und der Altersaufbau einer Population sind nicht leicht zu ermitteln. Besonders an diesem Punkt spielt die angewendete Methode eine entscheidende Rolle (Ellwanger et al. 2006). Die diesbezüglichen Vorschläge unterscheiden zwischen Übersichtskartierungen und Detailaufnahmen (= –kartierungen). Bei der Übersichtskartierung liegt der Schwerpunkt auf der visuellen Erfassung (Hilfsmittel: Sichtkasten oder rohr). Ergänzend werden der Einsatz eines Siebkeschers, das Abtasten des Gewässergrundes und das „Abwedeln“ der Feinsedimentauflage am Gewässergrund insbesondere zur Erfassung von jungen Muscheln vorgeschlagen. Die Detailaufnahme, die vor allem zur Bestimmung der Populationsgröße und im Rahmen des Monitorings eingesetzt werden soll, sieht die Bearbeitung von Transekten oder Zählflächen vor (Colling & Schröder 2003).
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass mit optischen Methoden die Populationen nur unzureichend erfasst und letztlich auch nicht ausreichend beurteilt werden können (Colling 2001). Sehr unterschiedliche und kaum vergleichbare Ergebnisse bei der Bestandschätzung sind die Folge. Jüngere Erfahrungen zeigen, dass die Untersuchungsmethoden auf die jeweiligen Zielsetzungen abgestimmt und routinemäßig angepasst werden müssen. Im vorliegenden Artikel werden eigene Befunde dazu vorgestellt und ältere und neue Erkenntnisse über das Verhalten der Bachmuschel hierzu in Beziehung gesetzt.
2 Für die Erfassung wichtige Aspekte der Biologie und Ökologie der Bachmuschel
2.1 Individuelles Verhalten
horizontale Bewegungen: Bachmuscheln sind, ebenso wie alle anderen Süßwasser-Großmuscheln, zu aktiver Fortbewegung fähig (Abb. 1). Untersuchungen in zwei Bächen an markierten Tieren ergaben Ortsveränderungen von bis zu 6 m, ganz selten auch bis 9 m im Zeitraum von vier bis maximal zwölf Wochen (Lang 2000, Zajac & Zajac 2006). Dabei suchen die Tiere offenbar bestimmte, von ihnen als Aufenthaltsorte bevorzugte Bereiche des Gewässergrundes auf (Zajac & Zajac 2009), wobei sie auch stromaufwärts wandern. Auf diese Weise können sie auf Veränderungen des Bodensubstrates bei Umlagerungs-, Erosions- und Sedimentationsvorgängen reagieren und geschützte oder stabile Bereiche aufsuchen. Auch können die Tiere so bei sinkendem Wasserstand und dem Trockenfallen von Uferzonen in tiefere Bereiche ausweichen. Das Ausmaß der möglichen Ortsveränderung ist dabei stark substratabhängig. Während die Tiere auf sandigen, feinkiesigen und schlammigen Böden offenbar recht beweglich sind, legen sie in grobkiesigem Substrat nur geringe Strecken zurück (Zajac & Zajac 2006 und in Vorb.). Im Extrem sind sie zwischen Grobkies und Steinen durch Kalkablagerungen festgesintert (H. Vicentini mdl. Mitt., eigene Beobachtungen, vgl. Abb. 2).
Ortsveränderungen stehen offenbar auch im Zusammenhang mit der Fortpflanzung. Dabei wurden allerdings gegensätzliche Verhaltensweisen beschrieben. Zum einen zeigen Bachmuscheln ein Verhalten, dass vermutlich zum Anlocken potenzieller Wirtsfische dient. In Gewässern mit flachen Ufern kriechen die Muscheln soweit an den Rand des Gewässers, dass ihre Ausströmöffnung über die Wasseroberfläche ragt, woraufhin sie in regelmäßigen Abständen einen Wasserstrahl ausstoßen (Abb. 3). Dieser enthält jeweils kleine Mengen reifer Larven. Wo dieser Strahl auf die Wasseroberfläche trifft, versammeln sich bald neugierige Fische, die sich auf diese Weise mit Muschellarven infizieren können (Gelei 1933, Vicentini 2005). Engel (1990) dagegen sieht in den jahreszeitlich unterschiedlichen Verteilungsmustern in einem Mühlgraben ein Anzeichen dafür, dass zu Beginn der Fortpflanzungszeit die Tiere verstärkt zur Mitte des Gewässers wandern und dass sie am Ende dieser Periode wieder in Ufernähe zurückkehren.
Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass die Tiere zum Nahrungserwerb herumkriechen. Flussmuscheln sind nämlich offenbar in der Lage, auch Nahrungspartikel aus dem Sediment aufzunehmen, indem sie dieses aufwühlen oder Bestandteile unmittelbar über die Oberfläche ihres Fußes in das Körperinnere befördern (Nichols et al. 2005, Schwalb & Pusch 2007).
vertikale Bewegungen: Dass sich die Großmuscheln des Süßwassers vollständig im Gewässerboden vergraben und sich dort auch bis in größere Tiefen zurückziehen können, ist schon lange bekannt (Hazay 1881, Literaturangaben in Schwalb & Pusch 2007), doch wurde dieses Phänomen nur wenig erforscht und noch weniger in der Praxis des Arten- und Biotopschutzes beachtet. Im Freiland wurden etwa von Statzner (1979) in Bohrproben des Winters und Frühjahrs vier Aufgeblasene Flussmuscheln (Unio tumidus) und fünf Malermuscheln (U. pictorum) in Tiefen bis zu 35 cm gefunden. Die Bachmuschel wurde in Tiefen von 10 cm (Tudorancea & Gruia 1968) bis 30 cm (Engel 1990) in überwiegend sandigen Substraten gefunden. Tudorancea & Gruia (1968) stellten auch fest, dass kleine (= junge) Bachmuscheln tiefer eingegraben sind als größere Tiere. Auch Schwalb & Pusch (2007) beobachteten an U. tumidus, dass kleine Tiere tendenziell im Substrat vergraben und aktiver beim Eingraben sind. Fleischauer-Rössing (1990) fand im gesamten Jahresverlauf U. tumidus und U. pictorum, die kleiner als 5 cm waren, stets eingegraben vor, teilweise mehrere Zentimeter tief. Auch das Ausmaß der vertikalen Ortsveränderungen ist vom Substrat abhängig.
Niedrige Wassertemperaturen (+6 bis +3 °C) scheinen ein Auslöser dafür zu sein, dass sich die Tiere vollständig ins Substrat zurückziehen, wie Versuche von Hazay (1881) und Engel (1990) zeigten. Damit übereinstimmend registrierte Engel (1990) die scheinbare Abnahme der Siedlungsdichte, ermittelt über die Zahl der an der Substratoberfläche sichtbaren Tiere, in den Wintermonaten. H. Vicentini (mdl. Mitt.) beobachtete, dass sich die Tiere im Winter eingraben und erst wieder im Frühjahr an der Oberfläche erscheinen. Außer vor extrem niedrigen Wassertemperaturen kann das vollständige Vergraben die Muscheln auch vor starker Strömung und dem Verdriftetwerden schützen, vor der Besiedlung durch andere Organismen (Epizoen), hier vor allem problematisch Dreissena polymorpha (Schwalb & Pusch 2007), oder vor Fraßfeinden. Nicht zuletzt ist es eine Strategie, um sich beim Austrocknen von Gewässern in feuchte, temperierte Refugien zurückzuziehen, wenn ein Abwandern nicht möglich war. So können die Tiere Niedrigwasserperioden in Flüssen und Seen, den Abschlag von Gräben oder das Trockenlegen von Teichen für eine gewisse Zeit überdauern.
Vertikalbewegungen stehen vermutlich auch in Zusammenhang mit dem Fortpflanzungsverhalten. Schwalb & Pusch (2007) beobachteten an U. tumidus das wiederholte Eingraben und Wiedererscheinen an der Oberfläche während des Sommers. Dies könnte durch die u.U. mehrfach erfolgende Abgabe und Aufnahme von Spermien sowie die Abgabe von Glochidien die Tiere veranlasst sein. Bei der Bachmuschel ist ein gleichartiges Verhalten denkbar.
2.2 Populationsdynamik
Ausbreitung: Bachmuscheln sind, wie alle anderen Süßwassergroßmuscheln auch, in der ersten Phase ihres Lebens Fischparasiten. Die Larven (Glochidien) setzen sich überwiegend auf den Kiemen fest. Innerhalb weniger Wochen entwickeln sie sich zur jungen Muschel, doch gelingt dies nicht auf allen Fischarten. Geeignete Wirte sind z.B. Flussbarsch (Perca fluviatilis), Elritze (Phoxinus phoxinus), Stichling (Gasterosteus aculeatus), Groppe (Cottus gobio), Döbel (Squalius cephalus) und Rotfeder (Scardinius erythrophthalmus) (vgl. Übersicht in Nagel 2002, 2009a). Das Wirtsartenspektrum hat zur Folge, dass Bachmuscheln in nahezu allen dauerhaft wasserführenden limnischen Systemen geeignete Wirte finden können. Deshalb umfasst die Liste möglicher Lebensräume neben den Unter- und Mittelläufen von Bächen und Flüssen auch deren Oberläufe, weiterhin die großen Ströme sowie kleine Gräben, Altwässer und sogar Seen (Pfeiffer 2009b, Vicentini 2004). Die parasitische Phase ermöglicht es der Bachmuschel auch, mit wandernden Fischen größere Entfernungen stromaufwärts zurückzulegen. Durch die oft zielgerichteten Wanderbewegungen vieler Fischarten, beispielsweise zu geeigneten Laichhabitaten, ist ein regelmäßiger Transport von Jungmuscheln auch bis weit in die Oberläufe von Fließgewässern möglich. Ob und wie nahe den Quellen sich Bachmuscheln im Oberlauf eines Gewässers dauerhaft ansiedeln können, hängt von den konkreten Standortfaktoren wie Gefälle, Abflussregime, Substratzusammensetzung und Nahrungsverfügbarkeit ab. Beispiele für eine quellnahe Besiedlung in Hügelländern und Mittelgebirgsregionen finden sich z.B. bei Modell (1966). Durch wandernde Fische können auch neu entstandene Lebensräume spontan besiedelt werden. In diesem Zusammenhang ist die lineare Durchgängigkeit von Fließgewässern ein entscheidender Faktor für die Ausbreitung auch von Flussmuscheln.
kleinräumige Verbreitung: Die kleinräumige Verteilung von Bachmuscheln, wie auch der übrigen Süßwasser-Großmuscheln (Strayer et al. 2004), ist typischerweise ungleichmäßig oder inselartig. In der Größenordnung von 10 bis 20 m tragen hierzu die aktiven Bewegungen der Tiere bei (vgl. weiter oben, 2.1.1). Daneben spielen aber andere Faktoren eine Rolle, die jenseits der genannten Größenordnungen dominieren. Hierzu gehören dynamische Vorgänge im Gewässer, die daraus resultierende Gewässermorphologie sowie Lebensweise und bevorzugte Standorte der Wirtsfische.
Die Elritze ist der vielleicht wichtigste Wirtsfisch für die Bachmuschel. Von April bis zum Spätsommer erfolgen, besonders wenn es an geeigneten Laichplätzen mangelt, stromaufwärts gerichtete Laichzüge von großen Schwärmen zu den geeigneten Kiesflächen (Dussling & Berg 2001). Dabei laichen Weibchen auch mehrfach ab. Daneben erhöhen bestimmte Strukturen, wie Unterstände oder gewisse Substrateigenschaften, die Verweildauer der Fische in bestimmten Uferabschnitten (Bless 1992). An solchen bevorzugten Aufenthaltsorten ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass Jungmuscheln von ihren Wirten abfallen. Da die Verweildauer der Glochidien auf den Wirten fischarten- und temperaturabhängig ist, gelangen junge Muscheln über einen längeren Zeitraum und an unterschiedlichen Orten ins Gewässer. Schwankungen in der Art und Anzahl geeigneter Wirtsfische kompensiert die Bachmuschel auf verschiedene Weise. Zum einen erfolgt die Larvenabgabe in einem Zeitraum von bis zu vier Monaten (April/Mai bis Juli/August). Zum anderen können einzelne Tiere in dieser Zeit bis zu fünfmal nacheinander Larven produzieren und abgeben (Hochwald 1997). Die Zahl der Glochidien pro Laichschub liegt dabei im Bereich von 5000 bis 400000, abhängig von der Größe der Tiere (Engel 1990). Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die (passive) Verbreitung von Jungmuscheln in einem Fließgewässer räumlich und zeitlich sehr variabel sein kann (Zettler & Jueg 2007).
Schließlich können Umlagerungen und Sedimentationsvorgänge die Struktur und Qualität des Substrates so weit verändern, dass Jungmuscheln in den davon betroffenen Abschnitten absterben und sie nur in geeigneten, räumlich und zeitlich stabilen „Inselhabitaten“ überleben. Vor diesem Hintergrund ist das Erscheinen und Verschwinden von Muscheln in einem bestimmten Gewässerabschnitt, der dynamischen Veränderungen unterliegt, sowohl räumlich als auch zeitlich ein natürliches Phänomen. Diese durch lokales Aussterben und Wiederbesiedlung geprägten Verhältnisse entsprechen dem Modell einer Metapopulation (Pfeiffer 2009b, Zajac & Zajac in Vorb., vgl. auch Zajac 2002).
Sämtliche Süßwasser-Großmuscheln sind durch ihre Fortpflanzungs- und Verhaltensstrategien an die natürliche Gewässerdynamik angepasst (Nagel 2002, 2009b). Auch katastrophale Störungen, vor allem Hochwasserereignisse, die lokal hohe Verluste von Muscheln bedeuten können (durch Sedimentüberlagerung, Verdriften oder Anspülen an die Ufer), führen in der Regel in einem naturnahen, vor allem strukturreichen und vernetzten Fließgewässer nicht zum Aussterben der Tiere.
Populationsgröße: Die Dynamik des Lebensraumes, die sich auch in Schwankungen des Bestands der Fischfauna widerspiegelt, führt zu wechselnden Reproduktionserfolgen und damit zu natürlichen Schwankungen in der Größe und Zusammensetzung einer Muschelpopulation. Die größte Rolle spielt dabei wahrscheinlich das Entstehen, die Stabilität und das Verschwinden von geeigneten Jungmuschelhabitaten durch Erosions-, Umlagerungs- und Sedimentationsprozesse.
Auch Fressfeinde können die Populationsgröße erheblich beeinflussen. Während die Zahl der potenziellen Konsumenten für die Jungmuscheln aufgrund ihrer geringen Größe (0,22 mm am Ende der Metamorphose) hoch sein dürfte, ist der Bisam (Ondatra zibethicus) hierzulande der einzige relevante Räuber für adulte Tiere. In kleinen und strukturarmen Gewässern kann seine Einwirkung auf eine Bachmuschelpopulation kurzfristig erheblich sein. Ob aber allein durch die Nachstellungen durch den Bisam ein ganzer Bestand erlöschen kann, ist fraglich, denn kleine Tiere, die aber sehr wohl schon reproduzieren können, werden kaum gefressen (Zahner-Meike & Hanson 2001).
3 Drei Fallbeispiele für die Erfassung von Bachmuschelbeständen
3.1 Ein Bach im Osthessischen Bergland
Nach einer Schätzung aus dem Jahr 1997 umfasste die Population 10000 Tiere. Dieser Schätzung lagen vier Stichproben sowie Annahmen über die Länge der mit jeweils gleicher Dichte besiedelten Strecken zugrunde. Bei dieser Untersuchung wurde eine maximale Dichte von 62 Tieren auf 1,0 m Gewässerlänge bei 1,5 m Breite gefunden. Die Länge der besiedelten Gewässerstrecke betrug ca. 1 800 m. Die Bestandsschätzung erfolgte abschnittsweise an insgesamt sieben Terminen zwischen Oktober 1996 und Mai 1997.
Eine erneute Bestandsschätzung nach zwei Jahren (1999) ergab eine Populationsgröße von ca. 10 112 Tieren. Der Schätzung zugrunde lagen 58 Totalerfassungen in jeweils 2 m langen Abschnitten und einem 76 m langen Abschnitt sowie 76 Stichproben in jeweils 20 m langen Abschnitten, die für jeweils 20 Minuten abgesucht wurden. Außerdem wurde nach 15 Tagen ein Wiederfangversuch in acht zusammenhängenden 2-m-Abschnitten durchgeführt. Die Untersuchungen fanden im Zeitraum Juni bis August (Totalerfassungen) sowie im September und Oktober (Zeitsuche) an insgesamt 18 Tagen statt. Bei diesen Untersuchungen wurden insgesamt 1340 Muscheln markiert und vermessen. Die Länge der besiedelten Bachstrecke betrug diesmal 1 712 m.
Im Jahr 2008 wurde durch Transektuntersuchungen im Kernsiedlungsabschnitt (1200 m) eine Bestandsgröße von nur noch 240 (erster Durchgang) bis 400 Tieren (zweiter Durchgang) ermittelt. Darunter befanden sich aber auch ein diesjähriges und drei einjährige Tiere. Beim ersten Durchgang wurde die Untersuchungsstrecke in zwölf je 100 m lange Abschnitte unterteilt. In jedem Abschnitt erfolgte die Suche in einem 1 m langen Transekt über die gesamte Bachbreite (1,5 bis 2,5 m) zunächst visuell, anschließend wurde die Sedimentoberfläche abgetastet und zusätzlich noch an geeigneten Stellen bis in ca. 15 cm Tiefe mit der Hand durchwühlt. Im zweiten Durchgang betrug die Länge der Abschnitte nur noch 50 m, die Transektlänge aber 5 m. Die Untersuchungen erfolgten im September, sie dauerten fünf Tage. Ursache für den Zusammenbruch der Population ist vermutlich der extreme Sommer 2003, in dem fast die gesamte damals bekannte Siedlungsstrecke der Bachmuschel über mehrere Wochen trocken fiel.
Bei einer Kartierung im Jahr 2009 wurde nach einer Lücke von ca. 900 m unterhalb der bis dahin vermuteten Ausbreitungsgrenze (Kläranlagenauslauf) ein weiterer Teilbestand entdeckt, dessen Größe vorläufig auf etwa 200 bis 300 Tiere geschätzt wurde (Abb. 5, Kartierungen durch A. Schwarzer und Mitarbeiter, K.-O. Nagel, M. Pfeiffer).
3.2 Ein Bach im Bodenseebecken
Die folgenden Ausführungen betreffen eine ca. 530 m lange Bachstrecke, die 2009 im Detail kartiert wurde. Sie wurde zuvor bei Übersichtskartierungen in verschiedener Intensität mit untersucht.
Im Jahr 2005 erfolgte eine Stichprobenuntersuchung auf 53 m Länge unter Einsatz eines Sichtkastens und mit Abtasten des Bodengrundes. Die Untersuchung fand im Juni im Laufe eines Tages statt. Für den hier betrachteten Abschnitt ergab sich eine geschätzte Populationsgröße von 988 Tieren.
Im Folgejahr (2006) wurde die Strecke bis auf ein 40 m langes Teilstück komplett abgegangen, wahrscheinlich innerhalb eines Tages. Der Zeitraum ist nicht näher bezeichnet (evtl. November). Zum Einsatz kam teilweise ein Sichtrohr, vermutlich wurden zusätzlich Siebkescherfänge durchgeführt. Für den fraglichen Abschnitt errechnete sich eine Bestandsgröße von 88 Tieren.
Die Detailkartierung des Jahres 2009 erfolgte in 27 Abschnitten. In jedem Abschnitt wurde ein Transekt von 2 m Länge mittels Sichtkasten und durch Abtasten von Hand vollständig abgesucht, danach bei geeignetem Substrat auch von Hand durchwühlt. Die abgesuchte Bachstrecke umfasste insgesamt 10,3 % des betroffenen Gewässerabschnitts. Die Mehrzahl der Muscheln fand sich beim Abtasten oder dem Durchwühlen des Substrats, darunter auch zehn einjährige Tiere. Die Bestandsschätzung belief sich auf 2 273 Tiere. Die Untersuchung dauerte zwei Tage, sie erfolgte im Juli (Abb. 6, Kartierungen durch S. Heitz, M. Colling, M. Pfeiffer, K.-O. Nagel).
3.3 Gewässer in der Offenburger Oberrheinebene
Das Gewässernetz zwischen Kinzig und Rench gilt als eines der ökologisch wertvollsten Fischgewässersysteme in Baden-Württemberg. Die dortigen Bachmuschelvorkommen haben eine überregionale Bedeutung, sie zählen zu den bedeutendsten in Südwestdeutschland. Seit etwa 20 Jahren werden in verschiedenen Gewässern des Gebietes Bestandskontrollen durchgeführt (z.B. Heitz 2004 und 2006, Heitz et al. 1990, Rupp 1996-2001, Röck 2006 und 2008).
2009 wurden in dem Gebiet ausgewählte Gewässerstrecken erneut oder erstmals nach Bachmuscheln abgesucht. Dies waren häufig solche kleinen Gräben und Bäche, die bei früheren Untersuchungen kaum Beachtung fanden. Sie wurden an geeignet erscheinenden Stellen auf 50 bis 100 m Streckenlänge abgetastet. In Einzelfällen wurde auch nach Muscheln gegraben. Der Sichtkasten kam dagegen nur selten zum Einsatz. In der Folge gelang in drei Bächen erstmals der Nachweis von Bachmuscheln. In einem weiteren Gewässer wurden Bachmuscheln wiederentdeckt, die dort seit über 25 Jahre als verschollen galten. Auffällig oft waren nur kurze, wenige Meter lange Gewässerabschnitte von relativ jungen Tieren besiedelt, was auf eine kürzlich erfolgte Neu- oder Wiederbesiedlung hinweist. Auch fanden sich Hinweise darauf, dass eine schubweise und diskontinuierliche Ansiedlung im Gebiet vermutlich eher die Regel denn die Ausnahme ist. Zum einen war die Altersstruktur der Tiere eines Transekts in sieben von neun Fällen auffällig unausgewogen, indem in einem Transekt jeweils wenige, nahe beieinander liegende Altersklassen dominierten. Die Altersunterschiede betrugen bei den nur bis zu zehnjährigen Tieren i.d.R. nur ein bis drei Jahre, maximal fünf Jahre. Gleichzeitig wurden aber auch große Bestandseinbußen an bereits bekannten Standorten festgestellt. In einem ehemals gut besiedelten Bach wurden nur noch wenige, sehr alte Tiere aus dem Sediment gewühlt. Die Muscheln schienen in der Tiefe zurückgezogen zu leben. Aus lokal unterschiedlichen Gründen fehlen Jungmuscheln gegenwärtig in den Mittel- und Unterläufen mehrerer größerer Fließgewässer.
4 Diskussion
Das Bild der überwiegend passiven, ohne erkennbares Verhalten vor sich hinlebenden Großmuscheln des Süßwassers, darunter auch der Bachmuscheln, muss revidiert werden. Bachmuscheln führen aktiv gerichtete Orts- und Lagewechsel durch. Ortswechsel an der Substratoberfläche können im Jahresverlauf im Meterbereich (vermutlich bis ca. 20 m) stattfinden. Sie treten vorwiegend während der Reproduktionsphase und als Reaktion auf Veränderungen der Habitatbedingungen auf. Je stärker dabei ein Gewässer von Umlagerungsprozessen betroffen ist, desto bestimmender und die Verbreitung limitierend werden die passiven Transportvorgänge für die Tiere. Die räumliche Verbreitungsdynamik und die zeitlichen Schwankungen der Bestandsgröße von Bachmuschelpopulationen sind daher wahrscheinlich in Mittelgebirgsbächen besonders ausgeprägt. Daraus folgt, dass in naturnahen Fließgewässerstrecken eine Ungleichverteilung der Art die Regel sein dürfte. Deshalb sind aus Stichproben extrapolierte Angaben zur Populationsgröße in der Form von Anzahl Muscheln pro laufenden Meter Gewässerstrecke bei längeren Abschnitten mit großer Unsicherheit behaftet (vgl. Abschnitt 3.2). Werden bei der Untersuchung lokale Häufungen („Muschelnester“) nicht erfasst, so kann die tatsächliche Bestandsgröße erheblich unterschätzt werden. Für eine Bestandserfassung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, ein enges Stichprobenraster anzuwenden. Bei regelmäßigen Überprüfungen (Monitoring) ist es dagegen nicht unbedingt erforderlich, dass jeweils identische Transekte abgesucht werden. Wichtiger ist, die Untersuchungsflächen (Transekte, Probeflächen) in gleicher Dichte und Verteilung zu platzieren. Bei geringer Siedlungsdichte ist eventuell einer Zeitsammelmethode der Vorzug zu geben (vgl. Strayer et al. 1997).
Erhebliche Konsequenzen für die Nachweismethode hat die Fähigkeit der Bachmuschel, sich vollständig und bis weit über einen Dezimeter in hierfür geeignetes Substrat zu vergraben (Abb. 7). Dabei bestimmen die Zusammensetzung des Substrates sowie die chemisch-physikalischen Milieubedingungen im Interstitial, ob und bis in welche Tiefen sich die Tiere von der Substratoberfläche zurückziehen können. Weil diese Bedingungen in einem natürlichen Gewässer nicht konstant sind, kann das Verhältnis von sichtbaren und im Bodengrund verborgenen Tiere auch kleinräumig sehr verschieden sein (vgl. Colling 2001). Der Anteil der nicht sichtbaren Tiere schwankt darüber hinaus in Abhängigkeit von der Jahreszeit, vom Fortpflanzungsverhalten und von äußeren Einflüssen wie Wasserstandsänderungen oder – wie wir beobachten konnten – auch Beeinträchtigungen der Wasserqualität. Alle Schätzungen von Bestandsdichten und größen sowie Angaben über den Altersaufbau einer Population, die auf der visuellen Erfassung von Tieren an der Substratoberfläche beruhen, sind deshalb mit einer nicht kalkulierbaren Unsicherheit behaftet. Bei geeigneten Substraten, in das sich Muscheln eingraben können, tendieren rein visuell erhobene Angaben dazu, die tatsächliche Bestandsgröße grob zu unterschätzen (Schwalb & Pusch 2007).
Der Nachweis von Jungtieren hat besonderes Gewicht für die Beurteilung des Zustands einer Population (vgl. Bewertungsschema in Kobialka & Colling 2006). Junge Muscheln scheinen ganz überwiegend im Substrat verborgen zu leben. Allerdings legen Befunde von Gross (1997) und eigene Erfahrungen auch nahe, dass sich die Jungmuscheln, nachdem sie den Wirtsfisch verlassen haben, in den ersten Wochen oder auch Monaten sehr oberflächennah in der Grenzschicht zwischen der freien Welle und dem hyporheischen Interstitial aufhalten. Für die gezielte Suche nach jungen Bachmuscheln ist daher eine entsprechend angepasste Suchstrategie notwendig, bei der das Abtasten, der Substratoberfläche, das Graben und auch das Durchsieben von Sediment an geeignet erscheinenden Stellen routinemäßig angewandt werden sollten. Dabei sind vor allem die Gewässerstrecken zu berücksichtigen, in denen sich auch die potenziellen Wirtsfische aufhalten und vermehren. Je nach dominierender Wirtsfischart kann die Verteilung der Jungmuscheln von Gewässer zu Gewässer unterschiedlich sein bei ansonsten ähnlicher Biotopausstattung. Deshalb sind aktuelle Daten über die Fischfauna eines Gewässers eine wichtige Grundlage für die Suche nach (Jung-)Muscheln.
Das Ausbreitungspotenzial der Süßwassergroßmuscheln wird durch die Mobilität ihrer Wirtsfische bestimmt. Aus diesem Grund sind lokale Defizite der Gewässerstruktur oder der Wassergüte keine Verbreitungsgrenzen, solange ihre Wirte solche Abschnitte durchwandern können. Auch müssen unter diesem Gesichtspunkt die für Fische erreichbaren Zuläufe zu bekannten Muschelgewässern als potenzielle Lebensräume von Muscheln entsprechend untersucht werden. Beispiele hierfür liefern die unter 3.1 und 3.3 beschriebenen Kartierungen, bei denen nach teilweise erheblichen Verbreitungslücken weitere Teilpopulationen, Restvorkommen oder auch Neuansiedlungen festgestellt wurden oder wo die Besiedlung kleiner Zuläufe erstmals dokumentiert werden konnte.
Colling (2001, ebenso Colling & Schröder 2003, Kobialka & Colling 2006) legt den Schwerpunkt bei Ersterfassung und Übersichtskartierung von Bachmuschelpopulationen in bewatbaren Gewässern bzw. Gewässerabschnitten auf die visuelle Erfassung. Ergänzend empfiehlt er den Einsatz von Keschern und das Abtasten der Substratoberfläche. Zur Abschätzung der Populationsgröße werden Transektuntersuchungen empfohlen, für deren konkrete Durchführung aber keine näheren Angaben getroffen werden. Bei der zugrunde liegenden beispielhaften Erfassung in einem Bach wurde die oberste Sedimentschicht mit einem Kescher bis in eine Tiefe von 4–5 cm „abgegriffen“ und das entnommene Material sowie die freigelegte Substratoberfläche nach Muscheln abgesucht (Colling 2001). Unter Bezugnahme auf diesen Vorschlag wurde das Monitoring in Mecklenburg-Vorpommern zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der FFH-Richtlinie durchgeführt (Zettler & Jueg 2007).
Die empfohlenen Methoden sind prinzipiell geeignet, um Bachmuscheln nachzuweisen und Daten über die Verbreitung und Schätzwerte für die Populationsgrößen zu erhalten. Allerdings scheinen die Erkenntnisse über die Mobilität von Muscheln noch nicht genügend berücksichtigt. Dies mag zum Teil daran liegen, dass praktikable Kompromisse gefunden werden sollten, die den üblichen zeitlichen (= finanziellen) Rahmenbedingungen für Kartierungsvorhaben entgegenkommen. Angesichts der prekären Bestandssituation in weiten Teilen des ehemaligen Verbreitungsgebietes der Bachmuschel ist hier aber ein Umdenken erforderlich. Dazu gehört, dass bereits bei einer Ersterfassung, ganz besonders aber bei Übersichts- und Detailkartierungen, die Erkenntnisse über die Horizontal- und Vertikalwanderungen berücksichtigt werden müssen. Auf allen Untersuchungsstufen sollte deshalb die Erfassung von im Substrat lebenden Tiere durchgeführt werden. Auch bei der Abgrenzung einer Population und der Bestimmung der Verbreitungsgrenzen ist die Nachsuche in allen besiedelbaren Teilhabitaten, und hier vor allem in deren Interstitial, wichtig. Schließlich sollte der Suchraum, ausgehend von bereits lokalisierten Beständen, nach der Möglichkeit zur Ausbreitung von Muschellarven durch ihre Wirtsfische in einem zusammenhängenden Gewässersystem bemessen werden.
Die oft ungleichmäßige Verteilung der Bachmuscheln in Verbindung mit der Möglichkeit zu einer weitgehend verborgenen Lebensweise im Sediment erschwert naturgemäß die Bestimmung von Siedlungsdichten und Populationsgrößen. In diesem Zusammenhang ist eine ausreichende Zahl und Dichte von Stichprobenflächen entscheidend, auf denen Detailkartierungen erfolgen. Colling (2001) empfiehlt, wiederum als Kompromiss, zwei bis drei Transekte pro Gewässerhauptabschnitt (Ober-, Mittel-, Unterlauf eines Gewässers). Damit vergleichbar sind die Angaben von Zettler & Jueg (2007), die in 23 Gewässern insgesamt 55 Gewässerabschnitte mit je zwei Transekten von 1 m Uferlänge beprobten. Bei 134 km besiedelter Strecke in 18 Gewässern dürfte dies einem durchschnittlichen Abstand der Probestellen von etwa 1,5 km entsprechen. Diese Probestellendichten und Transektlängen erscheinen angesichts der Heterogenität und Dynamik eines Fließgewässers sehr gering. Eine schematische Anwendung der empfohlenen Probestellendichte dürfte in vielen Fällen zu einer großen Fehlerspanne bei den hierauf basierenden Angaben führen. Dagegen muss die Auswahl und Zahl der Detailkartierungsflächen in jedem Gewässer individuell und nur nach genauer Kenntnis der Substratverhältnisse erfolgen. Das wiederum setzt eine entsprechend detailreiche Übersichtskartierung voraus, wobei den Substrat- und Strömungsverhältnissen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.
5 Empfehlungen für eine angepasste Erfassungsmethode
Um eine Vergleichbarkeit von Bestandsaufnahmen und etwa den FFH-Monitoringprogrammen der Bundesländer zu gewährleisten, müssen die Kartierungsstufen (Ersterfassung, Übersichtskartierung, Detailkartierung) definiert und ihre jeweilige Zielsetzung präzisiert werden. Die nachfolgenden Empfehlungen (Tab. 1) leiten sich aus den oben dargelegten Befunden zur Biologie und Ökologie der Bachmuschel sowie aus den Erfahrungen in den Fallbeispielen sowie bei der Ersteinrichtung der Monitoringstrecken für das FFH–Stichprobenmonitoring der Bachmuschel in Baden-Württemberg (AG Mollusken BW 2009) ab. Sie zielen hauptsächlich auf bewatbare Gewässer bzw. die entsprechenden Abschnitte tieferer Flüsse und Seen ab. In großen Gewässern wird sich die Durchführung von Detailkartierungen auf einzelne bewatbare Bereiche beschränken müssen. Für ein Monitoring ist es vermutlich ausreichend, einzelne Probeflächen mit höherer Muscheldichte („Muschelbänke“) in Transekten zu beproben. In besonderen Fällen kann durch den Einsatz von Tauchern auch in größeren Tiefen eine Detailerfassung erfolgen. Wenn möglich, sollte vor der Detailkartierung eine Elektrobefischung erfolgen. Diese muss schon auf die Hauptwirtsfischarten ausgerichtet sein (Methoden, artspezifische Biotope auch in Oberläufen). Eine (stichprobenartige) Befischung ist auch vor Beginn einer Übersichtskartierung sinnvoll, wenn keine aktuellen oder methodisch adäquaten Daten vorliegen.
Ziel der Ersterfassung ist festzustellen, ob und wo in einem Gewässer mit lebenden Bachmuscheln zu rechnen ist. Bei der Übersichtskartierung gilt es, die Verbreitungsgrenzen der Population festzustellen, um auf diese Weise die Grundlagen für nachfolgende Detailuntersuchungen und ggf. auch für das Monitoring nach FFH zu legen. Dabei hat die Erfahrung gezeigt, dass es durchaus Verbreitungslücken von mehreren Kilometern geben kann, weshalb sich die Suche nach den Ober- und Untergrenzen einer Population sehr aufwendig gestalten kann. Der Suchraum ist in beiden Fällen das gesamte Einzugsgebiet, soweit es für potenzielle Wirtsfische als Lebensraum geeignet ist. Die Detailkartierung schließlich liefert die für das „Management“ (Schutz und Bestandserhalt, Wiederausbreitung, Abwehr und Reduktion von Beeinträchtigungen) notwendigen Daten, die auch für die Statusberichte nach FFH erforderlich sind.
Dank
Wir danken K. und T. Zajac (Kraków) für die großzügige Mitteilung noch unveröffentlichter Forschungsergebnisse, C. Dümpelmann (Marburg), H. Vicentini (Zürich) und M. Zettler (Rostock) für wertvolle Informationen und Kommentare zum Manuskript und J. Plant (Wien) für die Korrektur der englischen Zusammenfassung.
Literatur
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