Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Diskussion

Bildungspolitik und Naturschutz

Naturfreunde und Naturschützer haben inzwischen gelernt, dass der Gegenstand ihres Interesses auch politische Wachheit erfordert. Die Zeiten der reinen Freude an der Natur, der bloß heiteren Vogelbeobachtung, die sich unsere alten Vorfahren noch leisten konnten, sind ein für alle Mal vorbei.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Bildung für Naturschutz – und das unter freiem Himmel unter Ansprache aller Sinne: im deutschen Bildungssystem nicht mehr wirklich vorgesehen und selten geworden, selbst in ökologischen Studiengängen (Geoökologie-Studierende kartieren Waldquellen).   Foto: Eckhard Jedicke
Bildung für Naturschutz – und das unter freiem Himmel unter Ansprache aller Sinne: im deutschen Bildungssystem nicht mehr wirklich vorgesehen und selten geworden, selbst in ökologischen Studiengängen (Geoökologie-Studierende kartieren Waldquellen). Foto: Eckhard Jedicke
Artikel teilen:

Ein Trauerspiel auf Kosten der Zukunft

Auf allen politischen Ebenen ist die Umwelt zum Thema geworden, und dessen Bedeutung wächst. Aber es reicht nicht, nur auf die Umweltminister zu schauen, um sich ein Urteil darüber zu bilden, welchen Stellenwert Natur und Mitwelt für eine Landes- oder eine Bundesregierung besitzen. Ich möchte dies an einem Beispiel zeigen.

Vor einiger Zeit sind Schüler und Studenten auf die Straßen gegangen, um gegen ihre unzumutbaren Lern- und Studienbedingungen zu demonstrieren. Sie haben dies zu Recht getan, denn die Bildungspolitik ist im „Land der Dichter und Denker“ nicht erst seit der letzten Bundestagswahl ein höchst trauriges Kapitel. Doch ist fast alles nur noch schlimmer geworden. Marode Schulgebäude ohne die nötige Ausstattung, viele fehlende Lehrer, für die vorhandenen oft schlechte Arbeitsbedingungen, wie sie sich ein leitender Angestellter in der Wirtschaft nicht bieten lassen würde, machen Schule, Lehren und Lernen oft zur Qual – statt zu etwas, auf das man sich freuen kann.

Den ohnehin schon kaputt gesparten Universitäten wurde mit dem Bachelor-Master-System von der Politik eine rein ökonomisch geplante Umkremplung verordnet, die die letzten Reste freien, forschungsnahen Studierens zugunsten schneller Kurzstudiengänge zerschlug, welche die Absolventen der Massenuniversität mit angelerntem Lehrbuchwissen wirtschaftstauglich machen sollten. Die Entwicklung eigener Kreativität, Gewinnung von Überblick, das Denken in Zusammenhängen: All dies, in der Gegenwart wichtiger denn je, ist angeblich kein allgemeines Bildungsrecht, denn bei der Hauptmasse der abhängig Beschäftigten stört es nur und bleibt daher den wenigen vorbehalten, die länger studieren und dann später leitende Positionen einnehmen können. Offen so genannte „Eliteuniversitäten“ verschlingen die wenigen Mittel, die hierfür zur Verfügung gestellt werden.

Eine solche von ideologischen und ökonomischen Zwängen geleitete Bildungspolitik markiert einen Tiefstand der politischen Kultur in diesem Lande. Doch was hat dies alles mit dem Naturschutz zu tun? Sehr viel, denn auch er ist ein Leidtragender dieser Entwicklung.

Nur wenige Schulen können eine Umweltbildung anbieten, die den Erfordernissen gerecht wird. Sind schon die meisten Biologielehrer Absolventen einer Kreide-und-Folien-Biologie, denen manchmal ein besonders interessierter Schüler mit seinen Vogelkenntnissen etwas vormachen kann, ist von denen, die sie (wenn überhaupt) ersetzen, kaum mehr ein lebendiger, naturnaher Unterricht zu erwarten, der diejenigen stützt und fördert, die sich um die Rettung von heimischen Lebensräumen kümmern möchten. Dort, wo die besten Grundlagen wären, um rechtzeitige, wirkungsmächtige Umweltbildung zu praktizieren: im Kindes- und Jugendalter, mit der Begeisterungsfähigkeit dieser frühen Jahre, dem Raum des von Alltagszwängen noch weitgehend freien Lernens, der Lust an Abenteuer, Entdecken und Experimentieren, dort, an den Schulen auf allen Ebenen, tötet eine desorientierte, administrativ gelenkte, lebensferne Schulpolitik viel von dem, worauf eigentlich aufgebaut werden könnte und müsste.

Die biologischen Fachbereiche der Universitäten haben infolge der ihnen oktroyierten Sparzwänge so viel Substanz verloren, dass sie sich selbst am Verteilungskampf der verbliebenen Restmittel beteiligen mussten. Fast überall zog dabei die organismische, sich noch wirklich mit Natur, Pflanzen und Tieren befassende Biologie gegenüber der Molekularbiologie den Kürzeren. Sicherlich haben hierbei auch innerwissenschaftliche Tendenzen eine Rolle gespielt. Doch wenn von den Wissenschaftsministerien angesichts eines erheblichen Vorsprungs der USA in den ökonomisch attraktiven, nutzenorientierten Anwendungsdisziplinen die völlig unsinnige Alternative „Genetik oder Ökologie“ aufgemacht wird, muss sich niemand darüber wundern, wer schließlich obsiegt.

Es ist wissenschaftstheoretisch schlicht falsch, die noch auf die Natur bezogene Biologie als „überholt“, als Relikt des 19. Jahrhunderts abzuqualifizieren, wie dies leider auch von einigen Wissenschaftlern getan wird. Verhaltensforschung und Ökologie, zum Beispiel, sind Kinder des 20. Jahrhunderts, die in mancher Hinsicht erst jetzt ihre Blütezeit und ihre Erkenntnishöhepunkte erleben. Angesichts noch hunderttausender unbekannter Arten und einer in zunehmendem Tempo schwindenden Biodiversität ist es buchstäblich ein hochschulpolitischer Wahnsinn, Lehrstühle für Botanik und Zoologie zugunsten von Zellforschung oder Genetik abzuschaffen. Hier muss der Verdacht aufkommen, dass Kompetenzen mit zunehmend unbequemem Störpotenzial zugunsten anderer entsorgt werden, mit denen man nicht nur jene Störungen vermeiden, sondern sogar kurzfristigen ökonomischen Gewinn machen kann.

Dem Naturschutz fehlen damit immer mehr Brückenbasen an den Universitäten. Der kleine Biologie-Bachelor vertut kostbare Zeit, wenn er sich nebenbei noch in Verbänden ehrenamtlich organisieren möchte. Von seinen Professoren erhält er keine Schubkraft für dieses Verlangen, sondern eher Druck, es mit Blick auf die nächsten Prüfungen besser nicht zu tun. Naturwissenschaftliche Vereinigungen und Naturschutzverbände verlieren diejenigen, welche sie an den Schulen und Hochschulen mit der Vergabe interessanter und wichtiger Untersuchungsthemen stützten und mit Nachwuchs versorgten; Artenkenntnisse sind von den neuen Biologiestudenten ohnehin kaum noch zu erwarten, wo schon ihre Dozenten damit Probleme haben. Der blinden Politik aber fällt daran nichts Negatives auf.

Die gegenwärtige Bundesregierung, deren Kanzlerin die Bildungspolitik besonders hochhalten wollte und auf Biodiversitätsgipfeln schöne Worte findet, unterbietet die bisherigen Negativrekorde noch einmal. Sie selbst, auch als Klimaschützerin wenig erfolgreich, könnte/sollte die Richtung der Politik vorgeben, tut aber weder dies, noch setzt sie in Sachen Bildungspolitik und Naturschutz außer verbalen reale Zeichen. Sie lässt auch ihren Umweltminister schön über Natur und Biodiversität reden, aber auch hier bleiben es bisher Worte. Das Wachstums-Mantra eines überforderten Wirtschaftsministers und die ganz konventionelle Mittelverteilungs- und Schuldenmachermentalität des Finanzministers bestimmen den Kurs anders. Hier sitzt das Zentrum der Regierung und es agiert auf Kosten der Zukunft der Menschen wie der Natur. Die Agrarministerin vertritt wie anno dazumal die Interessen des Bauernverbands (hier waren wir schon einmal weiter); die Feldlerchen werden mit den kleineren Höfen wahrscheinlich weiter abnehmen. Auch vom Verkehrsminister ist trotz bahnfreundlicher Worte keine autokritische Politik zu erwarten.

Wir haben viele Anti-Naturschutzminister, nicht zuletzt die Bildungsministerin. Umweltbildung ist ihre Sache nicht. Sie setzt auf das schon bisher nicht Bewährte, auf ein kaum gelockertes, steinzeitliches, dreigliedriges Schulsystem, und sie hält an der schon jetzt gescheiterten Bologna-Universität fest, als gälte es, ausgerechnet hier standhaft zu sein. Das Gegenteil wäre richtig. Die geringfügige Erhöhung ihres Etats, die jetzt als „Durchbruch“ gefeiert wird, verblasst im Lichte der skandinavischen Bildungsanstrengungen und im Schatten der Milliarden, die in die Banken gepumpt werden. Zuzugeben ist, dass die schlechte Politik, die ich hier kritisiere, nicht erst von der jetzigen Bundesregierung erfunden worden ist. Sie hat Tradition in Deutschland. Aber niemand hat den Mut, mit dieser zu brechen und Bildung und Natur zu geben, was Bildung und Natur benötigen. Der Ruf des Vizekanzlers nach einer „geistig-politischen Wende“ ist so verbal und substanzlos wie fast alles, was unsere Führung an Ideen und Kraft aufbringt.

Bildungspolitik und Naturschutz: Es ist ein Trauerspiel, was politisch in unserem Lande auf Kosten der Zukunft aufgeführt wird. Auch die ohnehin zu gering ausgestatteten Umweltbildungseinrichtungen des Staates spüren die Einschränkungen. Umso wichtiger wird die Rolle der NGOs, der Naturschutzverbände, der mutigen Einzelnen. Auch früher schon haben engagierte Kämpfer, die als grüne Spinner galten, die nötige Basisarbeit gemacht. Auch früher schon hatten sie keine Unterstützung durch die Regierenden, ja Gegenwind. Leider ist es immer noch so, droht sogar eine neuerliche Verunglimpfung als Fortschrittsfeinde, werden Nachhaltigkeit und Ökologie zwar zunehmend gerühmt, tatsächlich aber zum Synonym für ökonomische Chancen eines technischen Umweltschutzes verkürzt.

Ich erschrecke selbst: Mein Beitrag kommt fast durchweg zu einem negativen Urteil. Ist dies gerecht? Schließlich ist unsere jetzige Regierung knapp ein halbes Jahr im Amt. Doch was als Hoffnung klingen könnte, kann im Umkehrschluss auch noch eine bange Frage sein: Geht es jetzt etwa noch über dreieinhalb Jahre so weiter? Es ist auch keine wirkliche Hilfe, sich daran zu erinnern, dass es frühere Regierungen nur selten besser gemacht haben. Die verflossene große Koalition bemühte sich um eine offene Umweltpolitik, die vorherige rot-grüne Koalition ebenfalls. Auch setzte die damalige Agrarministerin, die erste und einzige, die nicht aus der Landwirtschaft kam, Zeichen eines zukunftsweisenden Verbraucherschutzes. Nur wenige weitere Politiker früherer Regierungen versuchten, einiges zu bewirken, aber das war’s auch schon. Sonst und leider auch jetzt wieder wurden und werden Bildung und Natur nur verbal gehätschelt, aber real als nachrangig behandelt.

Der Naturschutz verliert weitere wertvolle Zeit – Zeit, die beim grassierenden Vielfaltsschwund nicht bleibt. Zu seinen Verursachern gehört eine realitätsferne, wirtschaftsgelenkte Politik mit Weichenstellern in den verschiedensten Ressorts. Die Kanzlerin erscheint als eine Getriebene. Fast alle Hoffnungen ruhen so auch weiterhin auf den Naturschützern selbst, sich unvermindert gegen die Trends unserer Wall-Street-Kultur zu stemmen, die den Wert unserer natürlichen Mitwelt und Lebengrundlagen beschädigt. Zwar sind sie durch andauernde Gegenwehr zum Durchhalten entschlossen und besitzen im Unterschied zur trostlosen Beschwörung künftigen Wachstums eine positive, zukunftsfähige Vision. Aber gegen die herrschende politische Unkultur wird es ein schwieriger Weg.

Literatur

Finke, P. (2005): Die Ökologie des Wissens. Exkursionen in eine gefährdete Landschaft. Alber, Freiburg/München (insbesondere Kapitel 10 „Die Zerstörung des Wissens“ und 11 „Die Zukunft des Wissens“).

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Finke, Telgenbrink 79, D-33739 Bielefeld, E-Mail peter.finke@t-online.de.

* Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Finke hat von 1982 bis 2006 Wissenschaftstheorie an der Universität Bielefeld und zeitweise zusätzlich Kulturökologie an der Privatuniversität Witten-Herdecke gelehrt. Er war als Gastprofessor im In- und Ausland tätig. Er hat viele Jahre lang eine naturforschende Gesellschaft geleitet und Aufgaben im ehrenamtlichen Naturschutz wahrgenommen. Er ist Vorstandsmitglied des Verbandes für ökologische Ökonomie und Sprecher des Netzwerks der Naturwissenschaftlichen Vereinigungen in Mitteleuropa. 2006 hat er aus Protest gegen die Konsequenzen der in seinen Augen falschen Bildungs- und Wissenschaftspolitik freiwillig vor Erreichen der Pensionsgrenze seinen wissenschaftstheoretischen Lehrstuhl aufgegeben, der inzwischen abgeschafft wurde. Finke ist seit Jahrzehnten Mitglied des NABU.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren