Ein Lehrstück des „Wegwägens“
Realsatire aus Niedersachsen: Im Einwirkungsbereich einer zu erweiternden oder geplanten Tierhaltungsanlage befindet sich ein Waldbereich, der durch Ammoniakemissionen oder Stichstoffdeposition aus der Anlage erheblich geschädigt werden könnte.
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Aus immissionsschutzrechtlichen Gründen könnte somit die Genehmigung zu versagen sein. Wie gut, dass es findige Juristen gibt, die im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium (ML) mit List und Tücke den Weg dennoch ebnen: Das ML liefert mit einem Rundschreiben vom 28.01.2010 – ausdrücklich „im Einvernehmen“ mit dem Umweltministerium – die Handlungsanleitung:
Bestehen „erhebliche wirtschaftliche Interessen der Wald besitzenden Person“, dann kann die Waldbehörde nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 NWaldG eine Waldumwandlung genehmigen. „Erheblich“ heißt, dass die ökonomische Situation des landwirtschaftlichen Betriebs durch die geplante Tierhaltung maßgeblich verbessert wird – nicht aber, dass im Falle einer Versagung der Genehmigung eine Existenzgefährdung droht. Grundbedingung: Bei Waldbesitzer und Bauherrn handelt es sich um dieselbe Person.
Zweite Voraussetzung: Die erheblichen wirtschaftlichen Interessen müssen das öffentliche Interesse an Schutz-, Erholungs- und Nutzfunktion des Waldes überwiegen. Bei dieser Abwägung – ein sprichwörtlicher „Äpfel-mit-Birnen-Vergleich“ – „hat die Waldbehörde Ersatzmaßnahmen nach § 8 Abs. 4 und 5 Satz 5 und Maßnahmen nach § 8 Abs. 5 Satz 1 NWaldG zu berücksichtigen“, so der O-Ton des Schreibens. Das heißt eigentlich: Anlage einer Ersatzaufforstung oder Zahlung einer Walderhaltungsabgabe.
Und jetzt kommt’s, Zitat: „Verpflichtet sich der Waldbesitzer, den Wald nicht tatsächlich zu beseitigen, kann auch dieser nicht beseitigte Wald unter Berücksichtigung der Schädigung des Ökosystems als Kompensation angerechnet werden.“ Wer das nicht versteht, bekommt die Erklärungshilfe gleich nachgeschoben: „Die ‚fiktive‘ Waldumwandlungsgenehmigung hat zur Folge, dass der Wald in seiner immissionsschutzrechtlichen Bedeutung als nicht vorhanden zu bewerten ist.“ Punkt, „im Auftrage“, Unterschrift.
Noch Fragen? Vereinfacht im Klartext: Real befürchtete Immissionsschäden aus der Tierhaltung werden ganz einfach „weggewogen“: Für den betroffenen Waldbestand ist eine Ersatzmaßnahme notwendig. Damit wird eine Genehmigung zur Waldumwandlung ausgesprochen, der Wald ist auf dem Papier nicht mehr vorhanden. In Realität aber doch: Weil die Waldumwandlung fiktiv ist, also nicht realisiert wird, kompensiert der Bauherr die Schädigung durch Nichtstun. Ob er die Schadstoffe domptieren kann, künftig um den Wald herum zu wabern?
Ist Klimaschutz ein Fremdwort in niedersächsischen Ministerien? Trägt doch die Landwirtschaft und besonders die (Massen-)Tierhaltung erheblich zum Klimawandel bei. Da kommt die Nutzung der Bioenergie gerade recht, um das Image aufzupolieren und die betriebliche Erlössituation zu verbessern. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange im Sinne echter Nachhaltigkeit eine ganzheitliche Betrachtung erfolgt, also sowohl eine Treibhausgas-Bilanz der gesamten Produktionskette als auch eine fundierte Analyse der Wirkungen auf die verschiedenen Umweltmedien. Beide Saldi müssen positiv ausfallen.
Dazu können verschiedene Beiträge im vorliegenden Heft anregen: Kathrin B. Greiff et al. schlagen eine Flächenprämie vor, die für konkrete Räume und die verschiedenen Energiepflanzen zu differenzieren ist. Im Unterschied zur derzeit undifferenzierten und hinsichtlich der Relevanz für die Schutzgüter Boden, Wasser und Biodiversität nicht mit Kriterien unterlegten Förderung durch die Energiepflanzenprämie und den NaWaRo-Bonus des Erneuerbare-Energien-Gesetzes könnte sie eine nachhaltige Steuerung des Anbaus von Energiepflanzen bewirken. Hierfür stellten die Autoren ein interessantes Modell vor – hoffentlich findet es in der Politik Gehör.
Das gilt ebenso für das 30-seitige Positionspapier „Bioenergie und Naturschutz“ aus dem Bundesamt für Naturschutz. In der Rubrik „Kurz berichtet“ stellen wir dessen Eckpunkte vor. Es enthält in komprimierter Form viele Praxisanregungen, wie Konflikte zumindest teilweise in Synergien umgewandelt werden können. Nun braucht es Modellprojekte, die diese Ideen und Erfahrungen in die Praxis umsetzen. Die Bioenergie-Regionen des Bundeslandwirtschaftsministeriums böten eine gute Chance dazu.
Und in einem Tagungsbericht referieren wir die Resultate eines Projekts zur energetischen Verwertung von Material aus der Landschaftspflege. Die Botschaft: Sie funktioniert, bedarf aber u.a. technischer Weiterentwicklungen. Wir bleiben dran an diesen Themen des modernen Kulturlandschaftswandels!
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