Regenmantel fürs Selbstbewusstsein
Ich lerne Johanna bei einem Seminar mit dem Titel „Kommunikation auf der Baustelle“ kennen. Johanna ist in meinem Alter, eine unscheinbare, auf den ersten Blick sehr schüchterne Frau. Wir werden gemeinsam mit zehn anderen Teilnehmern, die meisten davon Frauen, die nächsten zwei Tage verbringen.
von Franziska Schmitz erschienen am 30.04.2025Unsere Referentin heißt Frau Huber, ist eine gepflegte, selbstbewusste Frau Ende 50. Sie will den Teilnehmern beibringen, wie man mit schwierigen Situationen auf der Baustelle umgeht, wie man sich ruhig und besonnen verhält, wenn Stimmungen hochkochen.
Bei meiner Arbeit als Umweltbaubegleiterin kommen so viele unterschiedliche Menschen zusammen, daher interessiert mich das Thema besonders. Da ist zum einen der Projektleiter, der die Interessen seines Unternehmens vertritt, und das Bauvorhaben günstig und schnell über die Bühne haben möchte. Die von ihm beauftragte Baufirma, vertreten durch einen Polier oder Vorarbeiter, soll das Bauvorhaben fachgerecht durchführen. Auf der anderen Seite steht die Naturschutzbehörde, deren Hauptanliegen Natur und Umwelt sind, und deren Vorgaben eingehalten und Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Und eben ich, in der Position der Umweltbaubegleiterin, die oftmals als Vermittlerin zwischen allen Parteien steht, und daher bestenfalls die Sprache jedes am Bau Beteiligten sprechen sollte.
Zu Anfang des Seminars soll sich jeder der Teilnehmer vorstellen und seine Erwartungen an den Kurs aufzählen. Als Johanna an der Reihe ist, wagen die anderen Teilnehmer kaum zu atmen, so leise spricht die zarte Frau, als sie mit dünnem Stimmchen, fast weinerlich, ihre Geschichte erzählt.
Sie arbeitet als Umweltbaubegleiterin in einem Büro, das aus vier Personen besteht. Der Chef scheint ein ziemlicher Chaot zu sein, „zieht die Arbeit an Land“ und lässt seine drei Mitarbeiterinnen dann alleine „machen“ und sich die Arbeit aufteilen. Als die Umweltbaubegleitung in den Aufträgen häufiger wird, wird Johanna ins kalte Wasser geworfen: Die eine Mitarbeiterin ist sich anscheinend zu fein, um sich mit den Bauarbeitern draußen abzugeben, sie will Planungen am Computer machen. Die andere hat sich auf vegetationskundliche Kartierungen spezialisiert und sieht nicht ein, warum sie wenige Jahre vor der Rente noch was anderes machen sollte. Nur Johanna ist nicht gefestigt, dazu kennt sie sich sehr gut mit Reptilien aus. Daher liegt es für alle anderen auf der Hand: Johanna kümmert sich um die Umweltbaubegleitung.
Der erste Tag des Seminars vergeht mit vielen praktischen Übungen. Abends gehen einige aus der Gruppe, darunter auch Johanna und ich, gemeinsam Abendessen. Nach einem Gläschen Wein taut sie auf: „Franziska, ich bin irgendwie fehl am Platz, mir macht das Seminar schon Spaß, aber wenn ich Freitag wieder bei dem Vor-Ort-Termin bin, dann weiß ich jetzt schon, dass ich totale Schweißhände habe, kein Wort rausbekomme, und durchsetzen kann ich mich auch nicht. Ich bin total gestresst, wenn es lauter wird, und die sind immer alle so laut, die Umgebung ist einfach schon laut durch die Maschinen. Ich mag auch den Umgangston nicht, ich werde dann immer gleich rot, das ist vielleicht peinlich. Mir kommt es dann vor, als wenn alle über mich lachen.“
„Sag mal, Johanna“, frage ich sie. „Sei mal ganz ehrlich, macht dir dein Job wirklich Spaß? Klar, bei mir ist auch nicht jeder Tag schön, und manche Projektbeteiligte könnte ich wirklich an die Wand klatschen, aber grundsätzlich überwiegen die schönen Momente und ich geh mit Leidenschaft und Freude an meine Arbeit.“
Da sinkt sie noch tiefer in den Stuhl und ich befürchte, sie fängt zu weinen an. „Ja, du hast recht, ich mach es gar nicht gerne. Es liegt mir einfach nicht.“
Wir reden noch lange an dem Abend, tauschen Nummern aus. Einige Zeit später erfahre ich, dass sie das Büro gewechselt hat und es ihr nun viel besser geht. Sie ist nun zuständig für das Kartieren und Monitoring von Zauneidechsen.
Als Umweltbaubegleiter braucht man Verständnis und Empathie, um die unterschiedlichen Projektbeteiligten da abzuholen, wo sie stehen. Um vermittelnd auch mal zwischen den Fronten zu stehen und Streit zu schlichten. Ein dickes Fell, oder wie ich mir immer denke, so einen gelben Regenmantel, wie die im Norden, woran manch blöder Spruch oder „schiefer Blick“ einfach an einem abperlt. Und das kann der eine besser und der andere eben nicht.
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