Schmerzhafte Lehre
Ein befreundeter Biologe bittet mich kürzlich, den Studenten, der gerade bei ihm Praktikum macht, mit ins Gelände zu nehmen. Ich muss an einem sehr steilen Bahndamm die Vegetationsschutzzäune kontrollieren. Die Fläche ist floristisch sehr interessant, es hat sich ein Kalkmagerrasen etabliert. Dieser soll während der Bauzeit natürlich unversehrt bleiben. Mein Bekannter Robert meint, das soll sich der Student mal ansehen.
von fs erschienen am 05.09.2024Auf dem Kalkmagerrasen hat sich zudem eine besondere Pflanze angesiedelt: Der Diptam (Dictamnus albus), der auch den bedeutsamen Namen „Brennender Busch“ trägt. Der Name kommt von dem brennbaren, ätherischen Öl, welches die Früchte der Staude im Hochsommer abgeben. Doch auch die Haut kann bei Berührung empfindliche Verbrennungen davontragen.
Ich fahre also mit dem Studenten Matthias zum Bahndamm. Auf dem Weg dorthin erkläre ich ihm, dass wir, um die Zäune kontrollieren zu können, einen ziemlich steilen Hang hinaufklettern müssen und dass wir vorsichtig sein müssen, um nicht allzu viele Pflanzen zu beschädigen. Auch auf den Diptam soll er achten und ihn möglichst nicht berühren. Matthias ist mir schon nach wenigen Minuten unsympathisch. Er weiß alles besser, ist altklug und mir kommt der Verdacht, dass Robert sich einfach mal eine kleine Auszeit von seinem nervigen Studenten nehmen wollte.
Als wir im Gelände ankommen, zeige ich Matthias einige besondere Pflanzen, die auf der Fläche wachsen – darunter auch den Diptam. Anschließend klettern wir den hohen Bahndamm hinauf. Ich gehe voraus und achte dabei besonders darauf, keine Blätter vom brennenden Busch zu berühren. Den kompletten Tag lang werde ich von „Radio Matthias“ beschallt, der die Art, wie ich mir Notizen für meinen späteren Bericht mache und vieles mehr in Frage stellt. Auf der Uni machen sie das freilich alles ganz anders, besser und moderner, aber mein Studium sei ja schon einige Jahre her und die damals gelehrten Vorgehensweisen überholt.
Seis drum, auch dieser Tag ist am Abend vorbei und wir fahren zurück, als er mir noch grinsend erklärt, dass er den Diptam als „Griff“ benutzt hat, um den Damm gut hochzukommen. Ich schaue ihn entsetzt an: „Das ist jetzt nicht dein Ernst? Ich hatte dich gewarnt!“
„Pffhhh, völlig übertrieben.“ Er hält mir seine Hände und Arme vor die Nase. „Sieht du irgendwas? Eben, gar nix passiert.“ Ich erwidere nichts, denn diesem Mensch ist nicht zu helfen!
Am nächsten Tag habe ich einen Bürotag, an dem ich meinen „vorsintflutlichen“ Bericht verfasse, als mein Telefon klingelt. Robert ruft an.
„Sag mal Franziska, was hast du denn mit meinem Studenten gemacht? Der sieht ja übel aus.“
Mir schwant bereits, was passiert ist: Die phototoxische Wirkung des Diptams hat in Kombination mit Sonnenlicht eingesetzt – Matthias hat Sonnenbrand. Ich erkläre Robert, wie der Tag gestern verlaufen ist. Er schickt mir ein Foto der Arme des Studenten, die wirklich schrecklich aussehen. Ich empfehle, erstmal nicht in die Sonne zu gehen, sich gut einzucremen und die Stellen, die gestern mit der Pflanze Kontakt hatten, zu bedecken.
„Aber ich vermute, dass wird dein Matthias sich nicht sagen lassen, er wusste ja gestern schon alles besser.“ Ich kann Robert am anderen Ende der Leitung grinsen sehen: „Ja, da hast du schon recht. Aber vielleicht ist ihm das eine schmerzhafte Lehre, auch mal auf uns antiquierte alte Leute zu hören.“
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.