Lücke im Informationsfluss
In 90 % der Fälle ist die Bahn mein Auftraggeber und fast genauso häufig geht es um Zauneidechsen. Das liegt daran, dass sowohl die Bahn als auch die kleinen Reptilien den gleichen Lebensraum bevorzugen: Schotteriges Material in besonnter Lage mit spärlichem Bewuchs an den Randbereichen. Solange an den Gleisen nichts baulich verändert werden muss, kommen sich beide Spezies nicht in die Quere. An einem alten Bahnhof, der in meinem Wohnort liegt, ist dies aber nun der Fall.
von fs erschienen am 01.08.2024Der Bahnhof selbst wird schon lange nicht mehr genutzt. Nur ein Müllzug fährt einmal die Woche vom Hafen, an dem die Müllumladestation meiner Stadt liegt, los und nutzt diese Nebenstrecke. Nun werden auf einer Länge von einem Kilometer Schwellen, Gleise und Bahnschotter ausgetauscht.
Lange im Vorfeld wurden Reptilienschutzzäune gestellt, damit die Asphaltfläche, die sich an den Gleisen befindet, zauneidechsenfrei ist. Hier soll der neue Schotter gelagert werden, der dann mit den speziellen, auf den Gleisen fahrenden Maschinen, eingebaut wird.
Der Großteil meiner Arbeit ist getan, im Vorjahr hatte ich Eidechsen abgesammelt, den Reptilienschutzzaun kontrolliert und die Arbeiter auf die tierischen Kollegen im angrenzenden Bereich hingewiesen. Nun muss ich nur noch sporadisch die Baustelle begutachten.
Am Montagmorgen spaziere ich also zum alten Bahnhof als mich quasi der Schlag trifft. Der Reptilienschutzzaun ist weg. Als ich die Sache näher betrachte sehe ich: er mag schon noch da sein, aber er ist auf etwa 25 m komplett mit dem gerade angelieferten Schotter überschüttet. Wütend stapfe ich zum Polier der beim LKW-Fahrer steht. Doch der Polier, der ansonsten hier Dienst tut, ist nicht da, ich sehe in ein mir unbekanntes Gesicht. Herr Kunze, die Vertretung, erklärt er mir der eigentliche Polier ist erkrankt und fällt für mehre Wochen aus.
„Warum ist der Zaun überschüttet? Haben Sie Tomaten auf den Augen?“ blaffe ich beide Männer an. „Sofort mitkommen!“
Wir gehen zum Tatort, während mich Herr Kunze und der Fahrer irritiert ansehen. „Ups. War das was Wichtiges? Mir hat keiner was gesagt, dass ich darauf aufpassen soll.“ Der LKW-Fahrer sagt seinerseits: „Junge Frau, dann kommen Sie bitte jetzt auch mal mit!“ und beordert mich in seine Fahrerkabine. „Was sehen Sie?“ „Äh. Nichts“ Tatsächlich ist vom Fahrersitz durch die Böschung der grüne Zaun kaum zu erkennen.
Äußerst dumm gelaufen! Der Polier ist einsichtig, ich kläre die Situation mit der Behörde. Wir sprechen ab, dass die Firma sofort den Zaun freilegt und repariert.
Was hätte anders laufen können? Natürlich hätte der Vorgesetzte auf dem Schirm haben müssen, dass er den „Ersatzmann“ auf die Reptilien und den Zaun hinweisen muss. Allerdings war er wohl so mit der Frage beschäftigt, wie er die Baustelle weiter am Laufen hält, dass das Thema Zauneidechsen in den Hintergrund gerutscht ist.
Aber auch ich denke mir, nachdem ich selbst in der Fahrerkabine saß: ein paar einfach in den Boden eingeschlagene hohe Holzpflöcke wären ausreichend gewesen, damit der LKW-Fahrer hätte bemerken können, dass er hier auf irgendetwas achten muss. Daher werden noch einige Pflöcke entlang der Anlieferzone zum Schutz für die Zukunft angebracht.
Am Abend ist alles gerichtet und ich hoffe, dass kein Tier zu Schaden gekommen ist.
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