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Leserbrief

Windenergie - keine artenschutzrechtliche Ausnahme für Vögel

In der Juniausgabe von Naturschutz und Landschaftsplanung kommentierten Klaus-Ulrich Battefeld und Raimund Kamm das Urteil des VG Gießen vom 21. Januar 2020, bei dem sich das Gericht mit der Frage auseinandersetzte, inwieweit bei Windenergieanlagen die Ausnahmegründe des §45 Abs. 7 BNatSchG für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme herangezogen werden können. Die beiden Leserzuschriften veranlassten Harry Neumann ebenfalls zu einer Wortmeldung, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.

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Windenergie - keine artenschutzrechtliche Ausnahme für Vögel

VG Gießen, Urteil vom 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI

Eine Ausnahme von den Zugriffsverboten des besonderen Artenschutzes zulasten der europäischen Vögel kann es nur dort geben, wo das Artenschutzrecht dies explizit zulässt. Maßgeblich ist der Katalog der Ausnahmen in § 45 Abs. 7 BNatschG, der im Lichte der Vorgaben des Unionsrechts zu verstehen ist.

In der Diskussion um die Entscheidung des VG Gießen vom 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI tut eine klare Orientierung an den verschiedenen Ausnahmetatbeständen Not. Diese Entscheidung mag aus mancherlei Perspektive unliebsam sein, wenn sie weder in § 45 Abs. 7 S. 1. Nr. 4 BNatSchG noch in der „Auffangvorschrift“ des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG eine Rechtsgrundlage für eine Ausnahme zulasten der europäischen Vögel und zugunsten der Windenergienutzung erkennen kann. Gerade deshalb hat die Entscheidung es verdient, dass man sie in ihrer Differenzierung dieser beiden Ausnahmemöglichkeiten betrachtet.

Anders als dies Battefeld in Naturschutz und Landschaftsplanung Juni 2020, Seite 268 dargestellt hat, hat das VG Gießen gerade nicht pauschal eine Unvereinbarkeit „der Ausnahmegründe“ des § 45 Abs. 7 BNatschG mit Artikel 9 Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG (VRL) angenommen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht nur den Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 („… andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“) als nicht anwendbar gesehen, weil dieser Ausnahmegrund mit den vorrangigen Bestimmungen Art. 9 VRL nicht in Einklang steht. Der Katalog der Ausnahmen dieser Richtlinie ist nach dem Verständnis immerhin des EuGH in ständiger Rechtsprechung abschließend. In einer gleichlautende Norm des polnischen Rechts sah der EuGH einen Verstoß gegen die Vorgaben der VRL (Urteil vom 26.01.2012 – C-192/11).

Den Ausnahmegrund in § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG („… im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung …“) hingegen hält das VG Gießen als für die europäischen Vogelarten grundsätzlich anwendbar. Das Tatbestandsmerkmal der „öffentlichen Sicherheit“ sei jedoch nicht erfüllt. Dieses erfasse nur die Existenzsicherung des Staates und die Bekämpfung von Gewaltanwendungen im Inneren und von außen. Das Verwaltungsgericht sieht nicht in jedem Windpark eine bedeutende Infrastrukturmaßnahme wie die Errichtung eines Flughafens oder den Bau einer Fernstraße. Wenn auf Basis von § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG verschiedene obergerichtliche Entscheidungen für derartige Vorhaben Ausnahmen zulasten der europäischen Vogelarten für rechtmäßig erklärt haben, steht das also nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Gießen. In der Berufung wird der VGH Kassel zu dieser Norm zu entscheiden haben, ob auch die Errichtung jeder einzelnen Windenergieanlage den Tatbestand ausfüllt.

Gellermann hat in NuR 42, 178 zurecht darauf hingewiesen, dass dem VGH Kassel die Möglichkeit offensteht, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV klären zu lassen, ob - zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen - über den Katalog des Art. 9 Abs. 1 VRL hinaus eine Anreicherung der Ausnahmemöglichkeiten durch ein weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erfolgen soll. Solange diese durch den allein zur Letztentscheidung berufenen EuGH nicht entschieden ist, bleibt § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG zulasten der europäischen Vogelarten unanwendbar. Ausnahmen vom Tötungsverbot sind daher unionsrechtswidrig.

 

 

Harry Neumann ist Bundes- und Landesvorsitzender der Naturschutzinitiative e.V. (NI) mit ca. 15.000 Mitgliedern. Er war Landesvorsitzender des BUND Rheinland-Pfalz und sollte 2013 zum stv. Bundesvorsitzenden gewählt werden. 2016 trat er aus dem BUND aus. Er organisierte zahlreiche Demonstrationen für die Energiewende, den Ausbau der Windenergie und für den Atomausstieg. Eine „Energiewende“ jedoch, die den sogenannten Klimaschutz als alleinigen Faktor für die ökologischen Probleme rücksichtslos zum Maß aller Dinge erklärt und Landschaften, Lebensräume und Wälder in Industriegebiete umwandelt, ist für ihn eine der größten Gefahren für die Biologische Vielfalt und daher inakzeptabel.

Kontakt: info@naturschutz-initiative.de