Keine wirkliche Wechselstimmung in der Bundespolitik
100 Milliarden Euro „für die Grünen“!? Wann begreifen die Medien, dass die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen kein Privatvergnügen einer Partei, sondern essenzielle und existenzielle Aufgabe für die Gesamtgesellschaft, ergo aller politischen Parteien ist? Ein Fünftel des geplanten 500 Milliarden Euro großen Sondervermögens für Infrastruktur soll über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für Klimaschutz über zwölf Jahre in den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen. Mit diesem Zugeständnis buhlte der designierte Kanzler Friedrich Merz um die Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen. Auch die Parteien haben offensichtlich nicht begriffen, dass die Klimakrise lediglich eine der multiplen Krisen ist, die sich nur gemeinsam lösen lassen. Blau-grüne Infrastruktur wäre mindestens so investitionsbedürftig wie die graue.
von Eckhard Jedicke erschienen am 31.03.2025Umwelt ein Fremdwort
Frustrierend: Im elfseitigen Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD kommt „Natur“ überhaupt nicht vor, der Wortstamm „Umwelt“ lediglich einmal im Kontext der Bauwirtschaft. Mit schlanken fünf Zeilen bekennen sich die Parteien zu den Klimazielen. Die Zwischenüberschriften sprechen eine andere Sprache: Finanzierung, Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Migration. Einmal mehr erweckt die Politik den Eindruck, dass sie bei der Suche nach einfachen Lösungen den Blick auf die Komplexität der Herausforderungen verliert. Stattdessen schüren CDU/CSU mit einer kleinen Anfrage im Bundestag düstere Befürchtungen, bürgerschaftliches Engagement für genau diese Zukunftsaufgaben, die sie selber nicht adäquat angehen, mundtot machen zu wollen: Mit 551 (!) Fragen möchte die Fraktion Fördermittel für BUND, Greenpeace, Campact, Foodwatch, Umwelthilfe, Agora Agrar und Agora Energiewende geprüft wissen.
Gelangt der von der Bundesregierung berufene Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) dann auch bald auf die „schwarze Liste“? Dieser kritisierte wie viele NGOs auch unverblümt, dass der „Schutz von Natur und Umwelt eine Leerstelle im Sondierungspapier“ sei und forderte dringende Nachbesserungen. Der Rat empfahl unter anderem die zügige Umsetzung der EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (WVO).
Natur fördert Ökonomie
Zu dieser liefern wir in dieser Ausgabe eine grundlegende Analyse und Impulse aus Sicht der Wissenschaft, mitverfasst vom SRU-Mitglied Josef Settele. Diesen Beitrag würden wir gerne auf den Tisch der Koalitionsverhandlungen in Berlin legen. Denn die WVO überführt lediglich schon lange getroffene Beschlüsse auf globaler und europäischer Ebene ins Handeln. Insofern dürfte es nicht mehr um ein Ob, sondern allein um das Wie der Umsetzung gehen. Aber halt, da liegt schon das erste Problem: Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt verhandelt gemeinsam eine Arbeitsgruppe. Mit am Tisch soll der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Günther Felßner, als Kandidat für das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers sitzen. Und das ist keine Lobbyorganisation, wie sie CDU/CSU von staatlichen Förderungen abschneiden wollen?
All das macht wenig Hoffnung, dass die Zukunftsfragen der Nachhaltigkeit akzeptiert werden. Denn die gehörten als übergeordnetes Metathema in eine eigene Arbeitsgruppe. Und das selbst unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten: Die Europäische Kommission schätzt, dass die 90-%ige Wiederherstellung degradierter Ökosysteme bis 2050 einen ökonomischen Wert von 1,86 Billionen Euro schafft, das Zwölffache der erwarteten Renaturierungskosten. Braucht es da noch mehr Argumente?
- jonnie 02.04.2025 11:01Im Kern kann ich dem sehr zurückhaltend formulierten Artikel nur zustimmen. Wir haben in den letzten jahren eine grüne Politik erlebt, die zumindest 50% des Klimaschutzes, also insbesondere den natürlichen Klimaschutz als Basis der Lebensgrundlagen, nahezu komplett ausgeklammert ja negiert hat. Hier wurde nur mit alternativen Wahrheiten, Tunnelblick auf CO2 und mit der neuen Strom- und Gierlobby im Rücken agiert und in letzter Konsequenz etwas ins Werk gesetzt, was, (s.o.) mit nachhaltigem Klimaschutz nichts mehr zu tun hat. Man hat sich damit als konsequenter und hocheffizienter Steigbügelhalter für die politischen Schritte bestätigt, die nun sichtbar werden und folgen. Nur zwei Beispiele: die Landwirtschaftsminister der Länder haben den Bund gerade gebeten, die Abschaffung der WiederherstellungsVO zu betreiben. Zudem wird hinter den Kulissen stärker an der Anschaffung des Verbandsklagerechtes gearbeitet als je zuvor. Aber, wie der Artikel schon beschreibt, von natürlichem Klimaschutz, Naturschutz und nachhaltigem Umweltschutz -also dem, was die Basis der Bemühungen um den Schutz unserer Lebensgrundlagen (z.B. Art. 20a GG) sein muss, spricht niemand mehr.Antworten
- EckhardJedicke 02.04.2025 11:22Danke @jonnie für den Kommentar! 13.000 Wissenschaftler:innen haben eine ambitionierte Klimaschutzpolitik durch die neue Koalition gefordert - mit nahe Null Widerhall in Politik und Medien. Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Komplexität und die Vernetzung der Herausforderungen mit den notwendigen vernetzten Lösungen so schwer vermittelbar ist. Die meisten Verantwortlichen brauchen einfache Antworten. Und dennoch: mutig und laut weiterarbeiten an den Grundlagen für das Überleben der Menschheit, nicht aufgeben und nicht nur klagen, sondern konstruktive Vorschläge zu bringen, lautet meine Devise!Antworten