Vilmer Akademie als Thinktank und Verhandlungsort
Die mächtige tote Eiche am Spülsaum, einst die Steilküste herabgestürzt: Wer beruflich im Naturschutz arbeitet, weiß das Titelmotiv dieser Ausgabe ziemlich sicher einem Ort zuzuordnen – der Insel Vilm vor der Küste Südost-Rügens. Allein in den Jahren von 1990 bis 2015 nahmen dort über 45.000 Personen aus mehr als 160 Ländern an Veranstaltungen der Internationalen Naturschutzakademie Insel Vilm (INA) teil. „Einmal im Jahr gönne ich mir eine Tagung dort“, sagt etwa ein früherer Leiter einer höheren Naturschutzbehörde.
von Eckhard Jedicke erschienen am 18.04.2024Kraftquelle für den Beruf
Vilm als Kraftquelle für die berufliche Arbeit im Naturschutz: Es liegt auch an der besonderen Atmosphäre Vilms, dass die Veranstaltungen der Akademie einen einzigartigen Ruf haben. Trotz oft langer Anreise taucht man mit der Überfahrt per Kutter in eine andere Welt ein. Nur 94 ha groß, bieten die 2,7 km Küstenlinie nahezu alle Küstenformen der südlichen Ostsee. Ein ehemaliger Hudewald mit uralten Eichen und Buchen grenzt unmittelbar an Kliff- und Ausgleichsküste. All das macht den Kopf frei für neue Perspektiven und eine intensive thematische Arbeit in Workshops und Tagungen, während der Seeadler vor dem Fenster vorbeistreicht.
Die vorliegende Ausgabe widmet sich der zurückliegenden Arbeit des weltweit einzigartigen Thinktanks in gut drei Jahrzehnten, ergänzt durch eine kritische Reflexion zur Situation der Naturschutzbehörden in den Ländern. Hier wie dort machen viele Menschen mit einer hohen intrinsischen Motivation und starkem Engagement einen herausragenden Job. Und doch gibt es starken Anlass zur Sorge: Es steht nicht gut um die Zukunft der Akademie wie der Naturschutzbehörden!
Wegweisende Beiträge der INA
In mehreren Beiträgen dokumentieren wir ein Stück jüngere Naturschutzgeschichte mit der vielfältigen Arbeit auf dem Vilm seit der Akademiegründung 1990 als Teil des Bundesamtes für Naturschutz. Die „kreative Komponente für die Naturschutztheorie“, wie es Reinhard Piechocki formuliert, hat vieles bewegt. Zu den etablierten Veranstaltungsreihen zählen die Vilmer Sommerakademien über Grundsatzfragen im Naturschutz, die Winterakademien zur Geschichte des Naturschutzes, das Austauschformat zur Biodiversitätsforschung „Treffpunkt Biologische Vielfalt“, die Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz mit der Konzeption einer Agrar-Natur-Beratung, die global wirksame Vorbereitung der Vertragsstaatenkonferenzen zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik sowie viele weitere Beiträge zu internationalen Konzepten und Richtlinien. Für viele Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesamtes bot Vilm einen inspirierenden Rahmen zum Weiterdenken, etwa das Konzept für Naturqualitätsziele – auch wenn dieses leider nicht Eingang in die Planungspraxis fand.
Naturschutzverwaltung in der Krise
Bewusst widmen wir diese Ausgabe der Sichtweise an der Arbeit auf Vilm maßgeblich Beteiligter. Sie möchten damit auf die aktuelle Entwicklung hinweisen: Der Genius Loci, die Symbolik und besondere Aura des Verhandlungsortes, droht verloren zu gehen, weil das Bundesamt für Naturschutz dort nur noch ein Veranstaltungsmanagement angesiedelt sieht. Mit diesen Beiträgen möchten wir ebenso eine Diskussion anstoßen wie mit dem zweiten Hauptbeitrag zur Situation der Naturschutzverwaltung in den Ländern: Sie kann ihren stark gewachsenen Aufgaben immer weniger gerecht werden. Dahinter steht ein großes Bündel komplexer Herausforderungen – zu deren Lösung dann in der Juni-Ausgabe Visionen und Vorschläge entwickelt werden. Wir hoffen auf eine intensive und konstruktive Debatte!
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