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Editorial | Eckhard Jedicke

Infantilisiert die Politik? Lange Planungszeiten brauchen neue Antworten

Also, geht doch! Eine Woche vor Weihnachten wurde in Wilhelmshaven das erste schwimmende Flüssiggasterminal in Deutschland eröffnet. Kanzler Olaf Scholz hatte dessen Bau erst Ende Februar angekündigt, drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Bau eines Windrads kostet schlappe sieben Jahre Planungs- und Genehmigungszeit – und dieses Bauwerk geht in nur zehn Monaten über die Bühne? Zwar hatte es eine Vorgeschichte, aber dennoch drängt sich die Frage auf: Liegt es nur am Wollen, nicht aber am Können, dem langatmigen Planungssystem in Deutschland „Beine zu machen“?

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Das Eis ist dünn. Für das LNG-Terminal Wilhelmshaven wurde auf die Durchführung einer UVP verzichtet. Möglich wurde das durch das eilends geschaffene LNG-Beschleunigungsgesetz. Dessen Bedingung: Das geplante Vorhaben müsse durch „eine beschleunigte Zulassung (...) geeignet [sein], einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden“. Es ist also nicht als Präzedenzfall für die Beschleunigung von Bauvorhaben generell geeignet. Es mag im Einzelfall statthaft sein, in einer begründeten Abwägung ein Rechtsgebiet gegenüber anderen zu priorisieren, so wie es für das Bergrecht gilt – doch das darf nicht Schule machen. Eindringlich sei davor gewarnt, eine einzelne Krise einseitig zulasten von natürlichen Ressourcen lösen zu wollen. Die multiplen Krisen erfordern synergistische Lösungen!

Erodieren die Umweltstandards?

Es scheint im Moment, als drohe eine sukzessive Erosion der über Jahrzehnte aufgebauten Umweltstandards. Nach der Artenschutz-Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes zugunsten des Ausbaus der Windenenergie im Juli verabschiedete das Bundeskabinett Mitte Dezember einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich. Es opfert den Eilrechtsschutz der Energie- und Wirtschaftskrise: Verwaltungsgerichte könnten künftig Fehler der Genehmigungsentscheidung außer Acht lassen, wenn offensichtlich sei, dass diese in absehbarer Zeit behoben sein werden. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) sieht darin einen Verstoß gegen verfassungs-, europa- und völkerrechtlich gebotene Prinzipien. So könnten kaum mehr Fehler ein Vorhaben vorläufig stoppen – bei vielen großen Vorhaben, die grundsätzlich auf den Prüfstand gehörten. Das Bundesverkehrsministerium arbeitet derweil an einem weiteren Gesetzentwurf, um die Planungen für Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenprojekte zu beschleunigen.

Grundlegende Fragen statt simpler Antworten

Immer komplexere Herausforderungen provozieren den Ruf nach einfachen Lösungen. DieNeue Züricher Zeitung beobachtet mit dem „Doppelwumms“ des Kanzlers als Antwort auf die Energiekrise eine „Infantilisierung der deutschen Politik“, eine „Rhetorik der Realitätsverleugnung“: Sei ein Ziel erkennbar nicht erreichbar, so werde dennoch betont, dass man an dieser Intention festhalte. Wie wahr: Kaum jemand widerspricht dem 1,5-Grad-Ziel oder der Umkehr des Biodiversitätsverlusts bis 2030. Die tagespolitischen Entscheidungen sprechen aber leider eine ganz andere Sprache. Wie wär's bei diesen Zukunftsfragen mal mit einem echten Wumms mit Wirkung? Komplexe Probleme brauchen systemische Lösungen, keine populistisch anmutenden Versuche unter Beschneidung elementarer Rechte. Antworten auf die großen Krisen können nur durch grundlegendes Infragestellen von Ziel- und Planungssystemen gefunden werden, nicht durch Herumdoktern an Symptomen.

 

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