Ökophysiologie, Trollblumen und Schmetterlinge: Naturschutz verträgt keine einfachen Lösungen
Ökophysiologie ist eine Grundlagenwissenschaft für den Naturschutz, auch verinselte Populationen der Trollblume können durch Ex-situ- und In-situ-Maßnahmen erfolgreich entwickelt werden und selbst wärmeliebende Schmetterlinge gewinnen nicht automatisch durch den Klimawandel. Diese drei Hauptthemen in der neuen Ausgabe unserer Zeitschrift verdeutlichen einmal mehr, wie komplex die Grundlagen des Naturschutzes und der Landschaftsplanung als dessen Fachplanung sind – und dass lebenslanges Lernen notwendig ist, um den fachlichen Anschluss nicht zu verlieren. Mehr denn je braucht es interdisziplinäre Zusammenarbeit, um die multiplen Aufgabenstellungen zu lösen. Und einen noch engeren Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis.
- Veröffentlicht am

Der Puls als Indikator
Ein Braunbär auf dem Titel steht als Beispiel für den Forschungsbereich der Ökophysiologie: Untersuchungen zeigen, dass menschliche Störungen im Winterschlaf die Herzfrequenz steigen lassen und einen erhöhten Energieverbrauch bewirken. Der Klimawandel könnte den Beginn des Winterschlafs verzögern, sodass die Bären für die Ruhephase vorgesehene Energiereserven bereits im verlängerten Wachzustand verbrauchen. Beides sind Veränderungen, welche die Überlebensfähigkeit der Population beeinträchtigen könnten. Das Wissen um solche ökopyhsiologisch begründeten Gefährdungsursachen kann der Naturschutzpraxis Augen öffnen für zusätzliche Aspekte des Managements.
Aufwendiger Artenschutz
Bestände stark bedrohter Pflanzenarten können mit einer Kombination aus gezieltem Management in der Landschaft (in situ) mit Erhaltungskulturen (ex situ) entwickelt werden. Das zeigt eine Studie zu verinselten Trollblumen-Vorkommen an ihrem nordwestlichen Verbreitungsrand im Rothaargebirge. Diese Leitart für den Naturschutz im montanen Grünland verfügt offenbar weder über eine persistene Diasporenbank noch über effiziente Ausbreitungsmechanismen. Bei der Maßnahmenplanung müssen auch faunistische Aspekte berücksichtigt werden, denn die Hauptbestäuber – Blumenfliegen der GattungChiastocheta – besitzen einen Aktionsradius von nur wenigen hundert Metern. Alles in allem liefert die Trollblume ein eindrückliches Beispiel für den hohen Aufwand solcher Bestandsstützungen – für prominente Einzelarten lässt sich dieser vielleicht bewerkstelligen, für artenreiche Biozönosen hingegen kaum. Das unterstreicht die hohe Bedeutung des Schutzes noch vorhandener Relikte besonders biodiverser Biotope und Landschaften.
Wer gewinnt durch den Klimawandel?
Trockenheits- und wärmeliebende Arten gelten vielfach pauschal als Gewinner des Klimawandels, der unter anderem mit steigenden Temperaturen und länger andauernden Trocken- und Hitzeperioden verknüpft ist. Dass diese Theorie auf tönernen Füßen steht, beweist eine Studie zu nachtfliegenden Schmetterlingen in Mecklenburg-Vorpommern. Der Teufel steckt im Detail: Niedrige winterliche Temperaturen sind ein wesentlicher Faktor für das Überleben der Larven, sodass diese zum Schlüsselfaktor werden könnten. Echte Gewinner des Klimawandels gibt es anscheinend auch bei diesen xerothermophilen Arten nicht. Wirksamer Klimaschutz ist somit auch für den Artenschutz essenziell, selbst für wärmeliebende Arten. Ein Faktum, das bei der Abwägung für den Ausbau Erneuerbarer Energien mit in die Waagschale geworfen werden muss!
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.