Arbeitseifer vor Sommerpause
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Deutschland bestätigt FFH-Verträglichkeitsprüfungs-Pflicht für Landnutzung
Bevor ich in die größeren EU-Themen einsteige, erlaube ich mir einen Hinweis auf ein schon etwas älteres Schreiben der Bundesregierung, welches ich im Rahmen einer „access to document“-Anfrage an die EU-Kommission kürzlich einsehen konnte. Erneut auf die Agenda kam das naturschutzrelevante Thema wegen verschiedener Klagverfahren des NABU, zum Beispiel bezüglich des Anbaus von Folienspargel in Natura-2000-Gebieten. Jedenfalls hatte die Hüterin der Verträge Deutschland im Mai 2018 auf NABU-Anregung hin gefragt, ob landwirtschaftliche Tätigkeiten von den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 und/oder Abs. 3 der FFH-Richtlinie ausgenommen seien und falls nein, wie die Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 und 3 in der Praxis auf landwirtschaftliche Tätigkeiten angewendet würden.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 antwortete die Bundesregierung unter anderem, dass eine Privilegierung der Landwirtschaft oder gar eine Ausnahme (von der in § 34 Abs. 1 BNatSchG normierten Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung) zugunsten der Landwirtschaft auf bundesrechtlicher Ebene nicht vorgesehen ist und auch keine davon abweichenden landesspezifischen Regelungen bestehen. Konkret bezog sich die hinter der Frage stehende Beschwerde auf das Brandenburgische Naturschutzgesetz, welches bis zum Zeitpunkt der Beantwortung bereits korrigiert worden war.
Interessant ist die Antwort aber in dieser Absolutheit für weitere Fälle der Landnutzung. Wenn die Bundesregierung (entsprechend den Vorgaben der FFH-Richtlinie) eingesteht, dass die Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich auch für die Landwirtschaft gilt, sollten größere land- und dementsprechend natürlich auch forst- und fischereiwirtschaftliche Tätigkeiten, die sich vielfach unter den Begriff eines Projekts oder Plans im Sinne der FFH-Richtlinie subsumieren lassen, regelmäßig eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchlaufen. Diese These hatte übrigens unter anderem auch Stefan Möckel in der Zeitschrift Agrar- und Umweltrecht 1/2021 bekräftigt. Meiner Erfahrung nach findet eine solche Verträglichkeitsprüfung bisher aber nahezu gar nicht statt.
Fraglich ist, ob es hier proaktiv von Seiten der Politik beziehungsweise Behörden zu einer Änderung der Anwendungspraxis kommt (was zu wünschen wäre), oder aber ob es wieder aufwendiger Klagverfahren bedarf, um die Anwendung des Naturschutzrechts (und letztlich auch des Naturschutzes selbst) durchzusetzen.
Chance für grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vertan
Mein Kollege André Prescher hatte in der Juli-Ausgabe berichtet, dass die GAP-Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stünden. Jetzt herrscht Gewissheit, der Trilog ist beendet, die Einigung steht. Leider mit schalem Ergebnis, Prescher titelte: „Kniefall des Europaparlaments vor EU-Agrarministern“. Warum der Rat sich – zum Beispiel bei massiven Verwässerungen der verpflichtenden Vorgaben zur Fruchtfolge oder den nun lediglich maximal 3 – 4 % nicht-produktiven Elementen in der Agrarlandschaft – durchgesetzt hat, können Sie in unserem GAP-Ticker nachlesen (Webcode NuL4061 ).
Lobbying gegen EU-Waldstrategie
Sie ist bereits im European Green Deal angekündigt und in der EU-Biodiversitätsstrategie dahingehend erwähnt, dass sie auf die Schutzgebietsziele aufbauen soll: die EU-Waldstrategie. Nachdem ihre Veröffentlichung zuletzt verschoben worden war, soll sie nun am 20. Juli von der EU-Kommission verkündet werden.
Dass sich etwas bewegt, merkt man in Brüssel oft daran, dass „Leaks“ der entsprechenden Dokumente „durchgestochen“ werden. Dies erfolgt in der Regel mit dem konkreten Ziel, den Entwurf als zu ambitioniert zu diskreditieren oder zumindest die Reaktionen zu testen. Anfang Juni fand sich jedenfalls ein Entwurf der EU-Waldstrategie auf einem der (zahlungspflichtigen) Medienportale. Dieser sorgte sogleich bei Agrarministerinnen und -ministern für Abwehrreflexe, Vertreterinnen und Vertreter der Forstlobby liefen Sturm. Leider sind soweit ersichtlich die Umweltministerinnen und -minister der EU-Mitgliedstaaten bisher nicht aktiv geworden, um der EU-Kommission den Rücken zu stärken. Umweltverbände wie auch der NABU-Dachverband BirdLife versuchten mit einem offenen Brief ( NuL4061 ) gegenzuhalten, federführend war die Organisation FERN.
Aus NABU-Sicht ist der Kommissionsentwurf zu begrüßen. Der „neue“ Ansatz sieht vor, vom Ökosystem her zu denken und die Wälder zu stabilisieren beziehungsweise „klimafit“ zu machen. Ein besonderer Fokus liegt auf den aus der Biodiversitätsstrategie bekannten Zielen, alte natürliche Wälder zu schützen. Kahlschlag soll vermieden, Monitoring verstärkt werden. Begrüßenswert ist auch, dass die Strategie als „Gemeinschaftsprodukt“ der Generaldirektionen Landwirtschaft und Umwelt verabschiedet wird. Hier kann sich die Bundesregierung sicher ein Stück abschauen. Leider ist die Strategie selbst unverbindlich. Bund und Länder sollten sie trotzdem aufgreifen, schon um bundesweit die eigenen Wälder zu erhalten.
Das „Fit for 55“-Paket
So, nun zum Klimaschutzpaket. Dieses enthält nach bisherigen Ankündigungen zunächst eine Anpassung des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS). In den Emissionshandel sollen vermutlich auch Schifffahrt und Flugverkehr einbezogen werden. Bisherige Leaks lassen weitreichende Ausnahmen für die Industrie vermuten. Ebenfalls mit großer politischer Sprengkraft und bei effektiver Ausgestaltung auch mit erheblichen (gewünschten) globalen Auswirkungen ist das mit dem sperrigen Namen „Carbon Border Adjustment Mechanism“ bezeichnete Instrument. Für die Umsetzung in Deutschland aufgrund der bisher eher zögerlichen bis blockierenden Haltung der Bundesregierung relevant sind zudem sicherlich die CO2-Flottengrenzwerte und die Überarbeitung der Vorgaben für Gebäudeenergieeffizienz. Daneben sind noch verschiedene andere EU-Rechtsakte betroffen.
Aus Naturschutzsicht ist demgegenüber vor allem die Überarbeitung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) sowie der Vorgaben zu LULUCF (Land Use, Land Use Change and Forestry) relevant. Mit Unterstützung des NABU setzt sich BirdLife Europe gegenüber der EU-Kommission vor allem dafür ein, dass das Verbrennen von Wäldern beziehungsweise Wald-Biomasse nicht mehr als erneuerbar gilt (Hintergrundinformationen hierzu unter NuL4061 ). Eine entsprechende Petition wurde im Juni der EU-Kommission übergeben. Obwohl auch der Weltklimarat IPCC der Verbrennung von Waldbiomasse keine gute Klimabilanz zugesteht, lassen Hintergrundgespräche mit der EU-Kommission befürchten, dass die Novelle den Systemwechsel vermeidet. Weder die mahnenden Bilder kahlgeschlagener Wälder in Nordeuropa, Polen, Rumänien oder dem Baltikum noch die Katastrophenmeldungen über Rekordtemperaturen oder anderer Wetterextreme scheinen die Dringlichkeit ausreichend zu betonen. Auch bei der LULUCF-Verordnung drohen Stolpersteine: Zu vermeiden ist hier unter anderem, dass Mitgliedstaaten Aufforstung dafür nutzen, Emissionen zum Beispiel aus der Tierhaltung schönzurechnen, anstatt das Problem an der Wurzel anzugehen.
Grundsätzlich ist aber zu begrüßen, dass die EU-Kommission von der Ziel-Ebene nun in die Maßnahmenplanungs-Ebene einsteigt (dies fehlt bisher in Deutschland, wo als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG lediglich die Anpassung des 2030-Ziels im Klimaschutzgesetz erfolgte, merkbare Maßnahmen zur Erreichung der neuen Zielsetzung aber noch nicht festgeschrieben sind).
Zu guter Letzt bleibt mir der Hinweis, dass vermutlich Mitte und/oder Ende Juli das nächste „Infringement Package“, also das Paket der EU-Kommission mit Maßnahmen zu Vertragsverletzungsverfahren, veröffentlicht werden könnte. Beim letzten Paket war Deutschland zwar nicht zum Thema Naturschutz bedacht, dafür aber mit einer Kritik der EU-Kommission an der Praxis des Bundesverkehrsministers, Infrastrukturvorhaben qua Gesetz zu genehmigen. Anhängige NABU-Beschwerden etwa zum Rebhuhn oder auch auf NABU-Beschwerden zurückgehende Vertragsverletzungsverfahren lassen vermuten, dass Deutschland demnächst auch im Naturschutzbereich erneut zu mehr Tempo aufgefordert wird. Ihnen wünsche ich nun aber einen schönen Sommer!
Autor
Der Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.
Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel
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