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100 TAGE VON-DER-LEYEN-KOMMISSION

Schlechtes Klima Bei der EU

In der April-Ausgabe dieser Kolumne erfahren Sie das Wichtigste zur 100-Tage-Bilanz von Kommissionspräsidentin von der Leyen, vom andauernden Streit der EU-Staats- und Regierungschefs zum nächsten Haushalt und einem neuen Gutachten, welches Greenwashing in den Klimaschutzbemühungen der EU aufdeckt.
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Zum Thema Renaturierung – hier die Lippe bei Paderborn – hat die Kommission noch keine gemeinsame Strategie gefunden.
Zum Thema Renaturierung – hier die Lippe bei Paderborn – hat die Kommission noch keine gemeinsame Strategie gefunden.Julia Schenkenberger
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Am 9. März konnte Ursula von der Leyen ihr 100-tägiges Amtsjubiläum als EU-Kommissionspräsidentin feiern. Viel hatte sie sich für diesen Zeitraum vorgenommen und stellte bereits nach wenigen Tagen im Amt die ersten Grundzüge ihres Flagschiffprojekts „European Green Deal“ vor. Mein Kollege Raphael Weyland hatte dieses Papier bereits in der Februarausgabe dieser Kolumne bewertet und kam zu dem Schluss, dass vor allem bei den Themen Naturschutz und Biodiversität noch Lücken bestehen.

Die meisten Details zu den künftigen Biodiversitätszielen der EU-Kommission wurden auf die noch ausstehende Neuauflage der Biodiversitätsstrategie verschoben. Nachdem deren Veröffentlichung zuerst für Februar terminiert war, verzögerte sich diese, Stand Redaktionsschluss, auf Ende März. Um deren inhaltliche Ausrichtung wurde hinter den Kulissen der Brüsseler Behörde zuletzt heftig gestritten. Einen Beitrag dazu finden Sie unter Webcode NuL4061 . Der von der Generaldirektion für Umwelt vorgelegte und in der Presse durchgesickerte Entwurf enthielt einige aus Naturschutzsicht sehr positive Elemente. Eines war etwa das Ziel, 10 % der landwirtschaftlichen Fläche der EU für nicht produktive Flächen und Landschaftselemente zur Verfügung zu stellen.

Eine klare Strategie zum Thema „Renaturierung“ fehlt jedoch – hier waren die Entwürfe bisher wenig überzeugend. Notwendig wäre der Anstoß für eine verbindliche Gesetzgebung, welche den Mitgliedstaaten konkrete Zielmarken setzt und diese zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme verpflichtet. Für die Generaldirektion für Landwirtschaft ging selbst dieses Dokument jedoch deutlich zu weit. Sie bezeichnete unter anderem das 10-%-Ziel für Landschaftselemente als exzessiv. Das Papier liegt nun beim Generalsekretariat der Kommission – am Ende muss womöglich Kommissionspräsidentin von der Leyen oder ihr Vize Frans Timmermans entscheiden, wie ambitioniert die Biodiversitätsstrategie ausfallen wird.

Die erste große Feuerprobe war jedoch das angekündigte Klimagesetz. Bei diesem konnte die Von-der-Leyen-Kommission zwar ihren eigenen Zeitplan einhalten und dieses am 4. März noch vor Ablauf der selbstgesteckten 100-Tage-Frist veröffentlichen. Vonseiten der Umweltverbände hagelte es jedoch Kritik. Zwar ist es richtig, dass das Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 nun gesetzlich festgeschrieben wird. Vor allem die Verschiebung der Entscheidung über die Verschärfung der Klimaziele für 2030 stieß jedoch auf Unverständnis. Die Kommission möchte diese erst im September treffen. Das ist nach Meinung der Kritiker deutlich zu spät, um auf dem nächsten UN-Klimagipfel in Glasgow die anderen Vertragsstaaten mitziehen zu können. Ferner fehlen in dem Gesetzesvorschlag Sofortmaßnahmen, um nötige weitere Einsparungen bis 2030 erreichen zu können. Das Potenzial beispielsweise von Wäldern und Mooren als Kohlenstoffsenken wird in dem Vorschlag zudem völlig verkannt.

Von der Leyen hatte den Green Deal als Europas „Mann zum Mond“-Moment bezeichnet. Nach 100 Tagen ist ein frischer Wind deutlich zu spüren. Aber um das Ziel zu erreichen, bedarf es noch weiterer Anstrengungen aller Institutionen, wie der nächste Abschnitt zeigt.

(K)ein Budget für den Green Deal?

Der Erfolg des Green Deals wird auch davon abhängig sein, ob für diesen eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung steht. Die Entscheidung darüber liegt aber nicht bei der EU-Kommission, sondern vor allem bei Bundeskanzlerin Merkel und ihren Amtskollegen im Europäischen Rat. Der derzeit diskutierte Vorschlag für den nächsten EU-Haushalt (der sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen, MFR) wurde 2018 noch von der Juncker-Kommission eingebracht. Umweltverbände hatten diesen bereits damals als unzureichend kritisiert. Eine geringe und vor allem ungezielte Finanzierung des Klimaschutzes ist darin enthalten und noch weniger Geld für den Naturschutz. So wurden überproportionale Kürzungen des Fonds für ländliche Entwicklung vorgeschlagen, der in Deutschland bisher unter anderem Agrar-Umweltmaßnahmen finanziert.

Seitdem dümpelte die Haushaltsdebatte vor sich hin und das Thema verschwand mehrmals von der Agenda diverser EU-Gipfel, etwa aufgrund aufflammender Brexit-Querelen. Mit dem vorläufigen Ende dieser Baustelle und vor allem mit der Amtsübernahme des Postens des Ratspräsidenten durch den ehemaligen belgischen Premierminister Charles Michel kam jedoch frischer Wind auf. Ein Sondergipfel am 20. Februar sollte den Durchbruch bringen, bevor der jetzige Haushalt Ende dieses Jahres ausläuft.

Trotz allseitiger Willensbekundungen fiel der Gipfel jedoch nach wenigen Stunden auseinander. Zu groß waren die Differenzen zwischen der Gruppe der sogenannten „Sparsamen Vier“ sowie der „Freunde der Kohäsion“. Erstere umfasst die Nettozahler Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich, die unter keinen Umständen mehr Geld als bisher in den EU-Haushalt einzahlen möchten. Die zweite Gruppe, zu welcher vor allem Nettoempfänger aus Ost- und Südeuropa gehören, wünschten sich dagegen einen deutlich größeren EU-Haushalt, eine Beibehaltung der bisherigen Ausgaben im Agrarbereich und in den Kohäsions- und Regionalfonds. Zwei Positionen also, die schwer vereinbar sind. Das Loch, welches das Ausscheiden Großbritanniens in den Haushalt reißt, macht diese Aufgabe nicht leichter. Auch intensive nächtliche Vermittlungsbemühungen durch den französischen Präsidenten Macron sowie Bundeskanzlerin Merkel konnten diese Differenzen nicht überbrücken.

Bedauerlich ist, dass es in dem Streit vor allem darum ging, wer wie viel zahlt. Inhaltliche Fragen, etwa zur Qualität der Ausgaben, gingen völlig unter. Auch der Umwelt- und Naturschutz blieb so auf der Strecke. Hatte die finnische Ratspräsidentschaft Ende 2019 noch vorgeschlagen, das Budget des Fonds für ländliche Entwicklung um 10 Mrd. € zu erhöhen, so wurde diese Aufstockung in den Verhandlungen fast vollständig zurückgenommen. Stattdessen wurde ein „Just Transition“-Fonds ins Spiel gebracht, der soziale Umbrüche, etwa aufgrund von verschärften Klimaschutzbemühungen, abfedern soll. Mit 7,5 Mrd. € über sieben Jahre fällt dieser jedoch eher dürftig aus.

Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Staats- und Regierungschefs vor allem daran interessiert sind, möglichst wenig in den Haushalt einzuzahlen und einen möglichst hohen Betrag herauszubekommen. Was mit diesem Geld bewirkt wird, scheint eher zweitrangig zu sein. Dass in allen Verhandlungsdokumenten die hoch umstrittenen Direktzahlungen der GAP, die ohne nationale Ko-Finanzierung zu 100 % aus dem Brüsseler Topf an die Mitgliedstaaten fließen, geschont wurden, passt daher sehr gut ins Bild. Noch steht kein Datum für den nächsten Gipfel fest. Aber eins ist klar, dass auch dieser kein befriedigendes Ergebnis liefern wird, sollten nationale Egoismen und eine Fixierung auf reine Nettofinanzströme weiter vorherrschen.

Heiße Luft in EU-Klimaschutzbemühungen

Neben der Höhe der Klimaschutzausgaben im kommenden Haushalt spielt vor allem die Qualität eine maßgebliche Rolle. Ein vom NABU beim europäischen Institut für Umweltpolitik (IEEP) in Auftrag gegebenes Gutachten zeigt nun, dass der von der EU-Kommission angenommene Beitrag der GAP zum Klimaschutz deutlich übertrieben ist (Gutachten unter NuL4061 ). 25 % des künftigen Haushalts sollen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das wären über die kommenden sieben Jahre etwa 320 Mrd. €. Eine höhere Finanzierung wäre sicherlich angebracht und wird zum Beispiel vom Europäischen Parlament gefordert (Entschließungsantrag unter NuL4061 ). Nach Vorstellungen der EU-Kommission stellen jedoch die Direktzahlungen aus der GAP den Löwenanteil an diesem Ausgabenziel. Sie geht davon aus, dass von jedem Euro, der in die Direktzahlungen fließt, 40 Cent als Klimaschutzausgabe anrechenbar sind. Noch ist die GAP nicht fertig verhandelt und noch ist nicht klar, wie viel Geld genau in die Direktzahlungen geht. Im ungünstigsten Fall könnten diese das Klimabudget bereits zu 30–35 % erfüllen. Andere EU-Fonds müssten dementsprechend weniger beitragen.

An dieser Stelle setzt das Gutachten an und stellt die Frage, ob die 40 %-Quote zu rechtfertigen ist. Bereits in der jetzigen Programmierungsperiode nahm die EU-Kommission an, dass 20 % der Direktzahlungen als Klimaschutz anzusehen sind, vor allem aufgrund der Greening-Standards. Schon diese moderate Zahl bezeichneten Experten wie der Europäische Rechnungshof als überhöht, unter anderem, weil Ausnahmen für bestimmte Gruppen von Landwirten vom Greening nicht berücksichtigt wurden. Weiter Infos dazu finden Sie im Spezial-Report aus dem Jahr 2016 unter NuL4061 . Die nun vorgenommene Verdoppelung auf 40 % sieht das Gutachten deshalb auch doppelt kritisch. Zum einen haben sich die neuen Standards, an welche die Direktzahlungen gebunden sind, gegenüber dem heutigen Stand nicht grundlegend verschärft. Zum anderen könne die EU-Kommission deren Wirkung erst bewerten, wenn die Mitgliedstaaten diese im Rahmen der nationalen Implementierung definiert haben. Eine ex-post-Evaluation der Effektivität der Klimaausgaben wird in der vorgeschlagenen Methodik jedoch gar nicht erst berücksichtigt. Am Ende könnten selbst Subventionen für den Maisanbau auf Niedermoorstandorten als Klimaschutz gelten.

Ob von der Leyens Mondmission wirklich abheben wird, steht noch in den Sternen. An gutem Willen mangelt es nicht. Das Beispiel EU-Haushalt zeigt aber, dass die Unterstützung der Mitgliedstaaten keineswegs sicher ist. Auch die EU Kommission muss noch zeigen, dass sie sich wirklich traut, heiße Eisen anzufassen, etwa wenn es darum geht, verbindliche Ziele beim Naturschutz festzulegen oder beim Klimaschutz eventuell unpopuläre Maßnahmen noch für diese Dekade aufzulegen.

Autor

Der Landschaftsplaner André Prescher arbeitet seit 2017 für den NABU in Brüssel, vor allem zur Gemeinsamen Agrarpolitik, zum MFR sowie zum LIFE-Programm. Email: Andre.Prescher@NABU.de

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