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Urteil

Hohe Hürden für Abfang oder Abschuss von Bibern

Seit der Rückkehr des Bibers(Castor fiber) an zahlreiche Bäche und Flüsse in Deutschland kommt es immer wieder zu Konfliktsituationen, in deren Folge der Abfang oder der Abschuss der Tiere gefordert wird.

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Die Rückkehr des Bibers hat vielerorts Konfliktsituationen zur Folge.
Die Rückkehr des Bibers hat vielerorts Konfliktsituationen zur Folge.Julia Schenkenberger
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VG Sigmaringen, Urteil vom 2.4.2019 – 3 K 74/17

Da der in Anhang II und IV der FFH-Richtlinie aufgelistete Biber eine streng geschützte Tierart ist, ist der Abfang oder Abschnuss nur in begrenzten Ausnahmefällen möglich. Eine solche Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Verboten kann nur zur Abwendung erheblicher Schäden oder zum Schutz vor Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert.

Im vorliegenden Fall siedelten sich Biber 2014 an einem naturnahen Bachlauf an. Aktuell befinden sich im Revier der Biberfamilie ein Biberbau und acht Biberdämme. Die Aktivitäten der Biber führten dazu, dass in einem Wald oberhalb einer Ortslage ein See aufgestaut wurde. 2016 führten ungewöhnliche starke und lang anhaltende Regenfälle dazu, dass sich der halbvolle Bibersee vollständig füllte und der Biberdamm schließlich unter dem Druck des aufgestauten Wassers brach. Dadurch wurde der Maximalpegel des Hochwassers, das einige Häuser in einem nahe gelegenen Ort flutete, verstärkt. Die betroffene Gemeinde beantragte daraufhin beim Regierungspräsidium den Abfang der Biber. Das Regierungspräsidium lehnte diesen Antrag ab, weil der Abfang der Biber gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstoße. Eine Umsiedlung sei nur bei einzelnen, erwachsenen Bibern möglich. Jungbiber seien hingegen auf die älteren Tiere angewiesen und anderen Artgenossen bei Revierkämpfen unterlegen. Bei einer separaten Umsiedlung hätten Jungtiere kaum Überlebenschancen, sodass zur Verhinderung eines leidvollen Ablebens eine Tötung notwendig sei. Siedelte man die Jungbiber dennoch separat aus, werde aufgrund des signifikant erhöhten Tötungsrisikos ebenso gegen das Tötungsverbot verstoßen. Eine gemeinsame Umsiedlung der Biberfamilie sei aus praktischen Gründen nicht möglich. Die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbotstatbestand scheide auch aufgrund bestehender zumutbarer Alternativen (zum Beispiel Dammdrainagen) aus. Die Gemeinde erhob gegen diesen Bescheid Klage beim VG Sigmaringen. Das Gericht wies die Klage als unbegründet ab.

Für die Gewährung einer Ausnahme von den Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG müssen stets folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

  • Es muss einer der Ausnahmegründe aus § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG vorliegen.
  • Es darf keine zumutbaren Alternativen geben.
  • Der Erhaltungszustand der Populationen der von der Ausnahme betroffenen Art darf sich nicht verschlechtern.

Von den in § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG genannten Gründen könne „eine Ausnahme u.a. im wohlverstandenen, überwiegenden öffentlichen Interesse zugelassen werden“, allerdings sei „eine restriktive Auslegung der Ausnahmemöglichkeiten geboten“, so das Gericht. Im vorliegenden Fall kamen die Ausnahmegründe aus § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 4 in Betracht. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erlaubt Ausnahmen von den Verboten des § 44 im Einzelfall zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden. Das angeführte Hochwasser war vor allem auf die völlig ungewöhnlichen extremen Regenmengen zurückzuführen, sie wurden durch den Bruch der Biberdämme lediglich verstärkt. Da die klagende Gemeinde nicht Eigentümerin der gefluteten Häuser ist, ist sie nicht durch das Eigentumsgrundrecht geschützt, sondern handelt in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben, wozu auch Maßnahmen zum Hochwasserschutz zählen. Kosten für diese Präventivmaßnahmen können jedoch keinen wirtschaftlichen Schaden i. S. d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG begründen.

Auch liegt kein Grund nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG vor, der Ausnahmen im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt erlaubt. Das Gericht führt hierzu aus: „Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst hier lediglich die Belange im Zusammenhang mit der Existenzsicherung des Staates, der Bekämpfung von Gewaltanwendung im Inneren oder von außen sowie der Abwehr unmittelbarer oder absehbarer Gefahren für grundlegende gesellschaftliche Interessen. Dieses Normverständnis zugrunde gelegt, ist der von der Klägerin angenommene Ausnahmegrund nur in Einklang zu bringen mit dem weiteren Ausnahmegrund Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen.“ Die geltend gemachten Gründe müssen zwingend sein, es muss also eine „gewisse greifbare Gefährdung“ des Schutzguts „Leben und Gesundheit“ bestehen, was hier nicht der Fall war.

Weiter hat sich das Gericht auch mit der Frage befasst, ob zumutbare Alternativen zum Abfang/Abschuss der Biber vorhanden sind: „Eine anderweitige zumutbare Alternative ist dann gegeben, wenn die durch die Biber verursachten Schäden oder Gefahren auch auf andere Art und Weise vermieden werden können. Da bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Alternativen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, dürfen betriebswirtschaftliche Erwägungen allein nicht ausschlaggebend sein. Auch finanziell aufwendigere Lösungen sind grundsätzlich als zumutbare Alternativen in Betracht zu ziehen. Eine Alternative ist dann nicht mehr zumutbar, wenn der durch sie zu erreichende Vorteil für die Belange des Artenschutzes außer Verhältnis zu den Nachteilen für das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel steht.“

Die im vorliegenden Fall zur Verfügung stehenden Alternativmaßnahmen sind sowohl geeignet als auch zumutbar. Zum Beispiel könnten durch den regelmäßigen Abbau der Biberdämme auf eine gewisse Höhe oder den Einbau von Dammdrainagen größere Anstauungen verhindert sowie eine definierte Einstauhöhe bewirkt werden.

Die von der klagenden Gemeinde erwähnte Gefahr einer Verschlammung der Drainagerohre bestehe nicht, da diese nicht auf dem Grund des Bibersees, sondern in der gewünschten Einstauhöhe angebracht und deshalb nicht mit Sediment gefüllt werden. Bei den vom Biberbeauftragten und dem Regierungspräsidium vorgeschlagenen Alternativlösungen handle es sich um in der Praxis bewährte Standardmaßnahmen, die auch für das hier betroffene Gebiet tauglich seien, so das Gericht.

Der Einwand der Gemeinde, der Einbau von Drainagen sei hier bereits deshalb unzumutbar, da Biber sehr aktiv seien und stets neue Rohre in die neu erbauten Dämme verlegt werden müssten, verfängt nicht. Die Zumutbarkeit einer geeigneten Maßnahme kann nicht mit dem Argument, diese möglicherweise öfter vornehmen zu müssen, infrage gestellt werden. Das künftige Verhalten der Biber kann nicht als Grundlage für die Bewertung der Zumutbarkeit herangezogen werden. Wo und wie viele Dämme die Biber künftig bauen, ist nicht sicher vorhersehbar. Vor dem Hintergrund, dass die Materialkosten vollständig und die Einbaukosten hälftig vom Land übernommen werden, relativiert sich zudem der Investitionsaufwand.

Auch die weiter vorgeschlagene Alternativmaßnahme, ein Hochwasserrückhaltebecken zu bauen und dieses biberverträglich auszugestalten, ist geeignet und zumutbar. Die Notwendigkeit des Hochwasserschutzes besteht für die Gemeinde nicht allein aufgrund der Tätigkeit der Biber, weshalb sie den Bau des Rückhaltebeckens auch ohne Bibervorkommen durchführen würde. Die Mehraufwendungen, die durch eine „biberverträgliche“ Konzeption hinzukommen, stellen sich als zumutbar dar. Das Rückhaltebecken muss auch ohne die Anwesenheit der Biber gewartet und regelmäßig auf Funktionsfähigkeit kontrolliert werden. Zwar mag die Aktivität der Biber diese Kontrollaufwendungen erhöhen, jedoch steht dem das europarechtlich verankerte Ziel des Erhalts der streng geschützten Art gegenüber. Der biberverträgliche Ausbau von Hochwasserrückhaltebecken in gefährdeten Gebieten ist mittlerweile Stand der Technik; die Mehraufwendungen können aus Landesmitteln bezuschusst werden.

Autoren

Ass. jur. Jochen Schumacher und Dipl.-Biol. Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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