Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Und die EU bewegt sich doch

Karmenu Vellas Vermächtnis

Nachdem die August-Ausgabe meiner Brüssel-Kolumne mein Kollege André Prescher übernommen hatte, verfasse ich diesen September-Beitrag noch vor der hiesigen Sommerpause. Dabei finde ich lobende Worte für den scheidenden EU-Umweltkommissar Karmenu Vella und analysiere die im Juli veröffentlichte politische Agenda der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Magere Mähwiesen sind in Deutschland vielerorts in einem schlechten Zustand.
Magere Mähwiesen sind in Deutschland vielerorts in einem schlechten Zustand.Julia Schenkenberger
Artikel teilen:

Die EU-Kommission hat im Juli ein umfangreiches Vertragsverletzungspaket vorgelegt. Auch Deutschland ist darin im Rechtsbruch.

Sie erinnern sich: Des Öfteren schon habe ich – zuletzt in der Juli-Ausgabe – das Thema unzureichende Durchsetzung der bestehenden EU-(Naturschutz-)Gesetze durch die EU-Kommission Jean-Claude Junckers kritisiert. Nachdem klar wurde, dass die Europäische Union ihre aktuelle Biodiversitätsstrategie bis 2020 erneut verfehlen wird, haben sich die in Brüssel vertretenen Umweltverbände wie der NABU-Dachverband BirdLife Europe erneut für zügigere Vertragsverletzungsverfahren starkgemacht. Am 25. Juli hat die EU-Kommission nun ein umfangreiches Paket mit Vertragsverletzungsverfahren veröffentlicht (siehe Pressemitteilung der Kommission unterNuL4061 ). Dieses enthält allein im Bereich Naturschutz 14 Fälle gegen neun verschiedene Mitgliedstaaten (plus viele weitere etwa zur Luftreinhaltung oder zur Umweltverträglichkeitsprüfung).

Deutschland kommt dabei nicht gut weg und muss seinem Gehabe als angeblicher „Musterschüler“ beim Umweltschutz endlich Taten folgen lassen. Konkret geht es im Naturschutzbereich um zwei schon anderweitig bekannte Verfahren, die den Grünlandschutz und die Düngeverordnung betreffen.

In Sachen Grünlandschutz beziehungsweise Schutz von blütenreichen Wiesen hat die EU-Kommission nun den ersten Schritt eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet und ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik versandt. Damit greift sie die NABU-Beschwerde aus 2014 auf, die seit dem 7. Mai 2018 als sogenanntes Pilotverfahren geführt wurde (EUP(2018)9300). In dem jetzt verschickten Mahnschreiben kritisiert die EU-Kommission laut Pressemitteilung, dass Deutschland seiner Verpflichtung aus der FFH-Richtlinie, die Verschlechterung zweier Lebensraumtypen zu verhindern, nicht nachkomme. Dies betrifft magere Mähwiesen und Berg-Mähwiesen, die sich in den letzten Jahren aufgrund schädlicher Agrarpraktiken verkleinert haben oder ganz verschwunden sind. Bereits an der Überwachung des Erhaltungszustands dieser Lebensraumtypen mangelt es. Aus NABU-Sicht ist das Verfahren sehr zu begrüßen, denn lebendige Wiesen und Weiden sind für unsere Artenvielfalt und auch als Kohlenstoffspeicher im Kampf gegen die Klimakrise extrem wichtig. Die Pressemitteilung des NABU hierzu lesen Sie unter dem WebcodeNuL4061 . Deutschland sollte es jetzt nicht auf weitere Verfahrensschritte oder gar ein EuGH-Urteil ankommen lassen; die Bundesländer müssen für ihre Mähwiesen in der Natura-2000-Kulisse stattdessen beschleunigt Erhaltungsmaßnahmen treffen. Hierzu gehören auch der Verzicht auf Pestizide und die Reduktion von Düngereinsatz und Tierbestand.

Auch in Sachen Düngeverordnung reißt der EU-Kommission nun offenbar erneut der Geduldsfaden. Der EuGH hatte im Juni 2018 festgestellt, dass Deutschland die bereits seit 1991 bestehende Nitratrichtlinie (immer noch) nicht hinreichend umsetzt. In den letzten Monaten hatten sich Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium auf einen Kompromiss an Nachbesserungen geeinigt und diesen nach Brüssel gemeldet. Der NABU hatte die Flickschusterei als wenig ambitioniert abgetan und vor allem Ausnahmen im Grünlandbereich sowie die Vollzugsuntauglichkeit wegen zu komplexer Regelungen kritisiert. Die EU-Kommission hat nun eine Aufforderung mit Bitte um Stellungnahme gemäß Art. 260 EUV (Vertrag über die Europäische Union) an Deutschland geschickt. Als nächster Schritt folgt hier also zwangsweise das erneute Anrufen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), um Strafzahlungen festzulegen. Aus Sicht des NABU schadet die Bundesregierung mit ihrer Haltung nicht nur dem Grundwasser, sondern auch Landwirten, denen weiterhin jede Rechts- und Planungssicherheit fehlt.

Die grünen Versprechen der Ursula von der Leyen

Das Ringen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ein Ende gefunden. Am 16. Juli wurde Ursula von der Leyen von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg als Präsidentin der nächsten EU-Kommission gewählt. Mit ihrer Rede veröffentlichte sie zugleich ihre „Politischen Leitlinien“ für 2019 bis 2024 (NuL4061 ). Diese Agenda ist – auch um den Fraktionen der Sozialisten, Liberalen und Grünen im Europaparlament entgegenzukommen – deutlich umweltorientierter ausgefallen als etwa die „Strategische Agenda“ (NuL4061 ) der Staats- und Regierungschefs vom 20. Juni 2019 (an die sich die Leitlinien natürlich anlehnen). Die Politischen Leitlinien gliedern sich auf 26 Seiten in sechs Kapitel. Neu im Vergleich zur Strategischen Agenda der Regierungschefs ist der als erster Punkt genannte europäische Grüne Deal. Die anderen Punkte widmen sich wiederum dem wirtschaftlichen Europa, dem digitalen Europa, einem schützenden Europa, einem starken Europa in der Welt und einem demokratischen Europa.

a) Ein europäischer Grüner Deal

Von der Leyen verspricht, in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit einen „Grünen Deal“ vorzuschlagen. Europa soll das gesetzlich verankerte Ziel verfolgen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Hierzu soll auch das bestehende Jahr-2030-Reduktionsziel von 40 Prozent auf 55 Prozent angehoben werden. Die Leitlinien nennen in diesem Zusammenhang ein paar weitere Instrumente wie Emissionshandel, CO2-Grenzsteuer oder einen Fonds für den fairen Übergang.

Für Herausforderungen jenseits der Klimakrise bleiben die Ankündigungen deutlich unbestimmter. Zwar wird zum Erhalt der Biodiversität angekündigt, eine Biodiversitätsstrategie für das Jahr 2030 vorzulegen; nachdem die jetzige Strategie 2020 ausläuft, war dies aber eh zu vermuten. Weitere Details werden nicht genannt, außer dass die EU eine Führungsrolle für die Verhandlungen auf globaler Ebene – bei der CBD-COP im Jahr 2020 – einnehmen solle. Zum Einfluss der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) auf die Biodiversität schweigt sich das Papier aus, betont indes, dass Landwirte angemessen von ihrer Arbeit leben können sollen.

Erfreulich ist, dass von der Leyen eine umfassende Schadstoffstrategie ankündigt, um die Gesundheit der Bürger vor Schadstoffen (Chemikalien, Pestiziden, endokrinen Disruptoren etc.) zu schützen. Im Bereich Kreislaufwirtschaft soll ein neuer Aktionsplan vorgelegt werden.

b) Weitere Themen der Leitlinien

Im Wirtschaftskapitel stellt die designierte Kommissionspräsidentin auf die soziale Marktwirtschaft ab und kommt mit Ankündigungen zur fairen Besteuerung von digitalen Unternehmen sowie zur sozialen Säule der EU den Sozialisten entgegen. Umweltbedeutsam ist, dass von der Leyen das Instrument des Europäischen Semesters anhand der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) neu ausgerichtet haben möchte. Im Kapitel zum „schützenden Europa“ stellt von der Leyen auf die Rechtsstaatlichkeit als Grundwert der EU ab und verkündet, einen Neuanfang in der Migrationspolitik zu suchen. Bei der Rolle Europas in der Welt betont sie die Bedeutung eines starken, offenen und fairen Handels und verspricht, dass Handelsabkommen zukünftig eigene Kapitel zur Nachhaltigkeit enthalten sollen, um Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutz auf höchstem Niveau zu garantieren (wie sich dies allerdings mit ihrer Position, das Mercosur-Abkommen zu unterstützen, verträgt, ist fraglich). Im letzten Kapitel der Leitlinien wird schließlich ein neuer Schwung für die Demokratie – unter anderem durch eine Bürger-Konferenz zur Zukunft der EU und zu transparenteren Gesetzgebungsverfahren – angekündigt.

Kritisch zu sehen ist aus Umwelt- und Naturschutzsicht, dass die SDGs nicht als übergeordnetes Leitbild für diese Agenda gewählt wurden, dass der Schutz der Biodiversität etwas zu kurz kommt und dass die Leitlinien keine Vision für eine nachhaltige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) enthalten. Ansonsten klingt dieser Katalog zunächst nach einer passablen Basis für die künftigen EU-Politiken. Eine genauere Analyse der Stärken und Schwächen dieser Leitlinien aus Umweltsicht findet sich zum Beispiel bei der Denkfabrik IEEP (NuL4061 ).

Wir sollten aber bedenken: Noch handelt es sich hierbei nur um Ankündigungen auf dem Papier. Ob Ursula von der Leyen tatsächlich den Umbau der EU-Kommission und bisher wenig nachhaltiger Politikbereiche wie etwa der GAP angeht, ist offen. Ebenso unklar ist, ob die designierte Kommissionspräsidentin sich aus dem ihrer Nominierung anhaftenden Schatten der Mitgliedstaaten freischwimmen kann und ihre Rolle als eigenständige Führungspersönlichkeit findet, die sich nicht scheut, gegen die Mitgliedstaaten vorzugehen, wenn diese beim Umweltschutz oder bei der Umsetzung von EU-Recht bremsen.

Autor

Der Rechtsanwalt und Umweltrechtsexperte Raphael Weyland arbeitet seit 2015 für den NABU in Brüssel, unter anderem zum Thema EU-Naturschutzrecht.

Dr. Raphael Weyland, NABU, Büroleiter Brüssel

Raphael.Weyland@NABU.de

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren