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EU sortiert sich neu

Agrarpolitik in der Schwebe

Vorsichtige inhaltliche Neuausrichtung nach der Europawahl
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Die Strategische Agenda der EU soll den Verlust der Artenvielfalt, wie hier auf artenreichen Magerrasen, stoppen.
Die Strategische Agenda der EU soll den Verlust der Artenvielfalt, wie hier auf artenreichen Magerrasen, stoppen.Julia Schenkenberger
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Neustart mit Stolperfallen

In der August-Ausgabe dieser Kolumne berichte ich von der Neuaufstellung der EU nach der Europawahl, der Übergabe des Staffelstabes an Finnland im Ministerrat sowie dem aktuellen (Still-)Stand bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik.

Auch mehrere Wochen nach der Europawahl sind die europäischen Institutionen noch dabei, sich neu zu finden. Im Vordergrund standen in den Medien die Personaldebatten, vor allem um die Besetzung des Postens des Präsidenten der Europäischen Kommission und den damit verbundenen Machtkampf zwischen dem Europäischen Parlament sowie dem Rat der Staats- und Regierungschefs. Bis zum Redaktionsschluss für diese Ausgabe war das Personaltableau für die EU-Spitzenposten noch nicht abschließend geklärt. Eine diesbezügliche Bewertung erfolgt deshalb erst in den nächsten Ausgaben.

Deutlich weniger Beachtung fand der Beschluss der neuen „Strategischen Agenda“ der EU (NuL4061 ) durch die Staats- und Regierungschefs auf deren Gipfel am 20. Juni, die die inhaltlichen politischen Leitplanken für die nächsten fünf Jahre setzen soll. Bereits im Mai hatte diese Diskussion auf dem letzten Treffen des Europäischen Rats in Sibiu begonnen, dort jedoch nur zu einem sehr dünnen Abschlusspapier geführt (Raphael Weyland hatte hierzu in der Juni-Kolumne berichtet). Umwelt- und Naturschutz wurden in dieser „Sibiu-Erklärung“ (NuL4061 ) nur in einem Nebensatz im letzten von zehn Punkten genannt.

Im Zeichen der Europawahl wurde die neue „Strategische Agenda“ nun tatsächlich ambitionierter und gibt dem Umwelt- und Naturschutz wesentlich mehr Raum. Sie enthält ein klares Bekenntnis zum Vertrag von Paris und sieht für die EU eine globale Führungsrolle bei Klima- und Naturschutz vor. Klimaneutralität wird als Ziel definiert, einhergehend mit einem entsprechend notwendigen tief greifenden Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft. Neu ist auch ein Bekenntnis, den Verlust an biologischer Vielfalt zu Wasser und an Land zu stoppen sowie die Wasser- und Luftqualität in den Städten und in ländlichen Gebieten zu verbessern. Die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft wird dabei im gleichen Atemzug erwähnt.

Papier ist geduldig und der Teufel steckte dann doch im Detail. Direkt rechtlich bindend ist diese „Strategische Agenda“ nicht. Sie soll vielmehr als Leitbild für die weitere Arbeit des Europäischen Rates, aber auch für die der anderen europäischen Institutionen dienen, insbesondere der Europäischen Kommission, die als Einzige das Initiativrecht für neue Gesetzgebung besitzt. Wie schwer die Umsetzung in der Realität sein wird, zeigte sich schon am selben Gipfeltag, als es darum ging, ein Datum für die Erreichung der Klimaneutralität festzulegen. Hier stellten sich vier Mitgliedstaaten quer, das Jahr 2050 als Zielmarke zu akzeptieren, und verhinderten so eine Einigung. Mehr dazu lesen Sie unter dem WebcodeNuL4061 .

Die Arbeit an konkreten Vorhaben geht unterdessen weiter und die Frage stellt sich, inwiefern diese von der neuen „Strategischen Agenda“ positiv beeinflusst werden können. Direkt verantwortlich sind die Staats- und Regierungschefs etwa für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR 2021–2027), der das Budget der EU für die nächsten sieben Jahre festlegt. Die Kommission hatte im letzten Jahr ihren Vorschlag veröffentlicht, der im Rat aber noch auf Verabschiedung wartet. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf und es sind noch lange Verhandlungen zu erwarten. Leider sind der vorliegende Budgetentwurf und der bisherige Verhandlungsstand beim Thema Nachhaltigkeit kein großer Wurf. So werden die Ausgaben zum Klimaschutz nur marginal angehoben und für den Schutz der Biodiversität sind kaum konkrete Mittel vorgesehen.

Ein weiteres Beispiel für die Rückwärtsgewandtheit des Vorschlags ist das Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik. Während die erste Säule, aus der die als wenig effizient angesehenen Direktzahlungen finanziert werden, ungeschoren davonkommt, muss sich der Fonds für ländliche Entwicklung (zweite Säule) auf eine Kürzung von zirka 25 Prozent einstellen – Geld, das unter anderem in die Agrar-Umwelt-Programme (AUKM) geflossen wäre. Im Oktober steht der MFR wieder auf der Agenda des Europäischen Rats. Dann können die Staats- und Regierungschefs konkret unter Beweis stellen, inwieweit der Wille zu einer ökologischen Neuausrichtung der EU wirklich vorhanden ist.

Finnland übernimmt die Führung im Ministerrat

Auch im Ministerrat stand ein Wechsel an: Zum 1. Juli hat Finnland turnusgemäß von Rumänien für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Kurz zuvor hatten in Finnland noch Parlamentswahlen stattgefunden, bei denen die bestehende Mitte-rechts-Regierung abgewählt und durch eine Mitte-links-Regierung unter Beteiligung der Grünen ersetzt wurde. Dies dürfte die Vorbereitungen der Ratspräsidentschaft noch einmal entscheidend beeinflusst haben. Vier Kernthemen hat sich die Präsidentschaft auf die Fahnen geschrieben: Zum einen sollen weiter die Punkte Wettbewerbsfähigkeit und innere Sicherheit abgearbeitet werden. Daneben werden nun aber auch Rechtsstaatlichkeit und Klimaschutz als dritte und vierte Priorität genannt. Das gesamte Regierungsprogramm finden Sie unterNuL4061 .

Anders als unter den Rumänen steht der Umweltschutz ganz oben auf der Agenda: Finnland will die EU wieder zum globalen Vorreiter machen. Konkret beinhaltet das Arbeitsprogramm ein erneutes Bekenntnis zum Vertrag von Paris und ausdrücklich auch eines zum Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Die entsprechende Langzeitstrategie der EU bis 2050 soll noch in diesem Halbjahr bis Ende 2019 beschlossen werden. Zum Naturschutz nennt das Dokument keine Details, aber zumindest wird versprochen, die Umsetzung der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) voranzutreiben.

Die finnische Ratspräsidentschaft hat damit einen vielversprechenden Start hingelegt und ein gewisser Vertrauensvorschuss ist gerechtfertigt. Aber auch sie muss nun bei den anstehenden politischen Vorhaben zeigen, dass sie diese Ziele durchsetzen kann. Beispiele, wo eine stärkere Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten dringend geboten wäre, gibt es genug. Bereits erwähnt wurde der MFR. In ihrem Arbeitsprogramm plant die Präsidentschaft, die Verhandlungen noch in diesem Herbst zu Ende zu bringen. Der bisherige Verhandlungsstand ist aus Umweltsicht in keiner Weise zufriedenstellend.

Neuanfang bei der Gemeinsamen Agrarpolitik?

Ein für den Umweltbereich sehr wichtiges Gesetzesvorhaben, das Finnland fortführen muss, ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Die letzten sechs Monate unter rumänischer Führung hatten deutliche inhaltliche Differenzen unter den Mitgliedstaaten gezeigt, die nun angegangen werden müssen. Gerade bei den Umweltaspekten der GAP gab es große Uneinigkeit. Die Versuche einer Reihe von Mitgliedstaaten, die wenigen „grünen Elemente“ im Vorschlag der Kommission zu verwässern, waren unübersehbar. Konkret ging es um Frage, ob die EU-Staaten in Zukunft verpflichtend aus der „Ersten Säule“ der GAP freiwillige Umweltmaßnahmen durch Landwirte fördern müssen. Aus diesem Fonds werden bisher allerdings die in die Kritik geratenen pauschalen Flächenprämien gezahlt. Die von der Kommission vorgeschlagenen Ökoregelungen (sogenannte „Eco-Schemes“) würden eindeutig zulasten der traditionellen Förderung gehen, könnten aber mehr und ambitionierteren Umweltschutz in die breite Fläche bringen.

Die rumänische Ratspräsidentschaft hatte auf den letzten Metern noch alles gegeben, um eine Einigung bei allen noch strittigen Punkten zu finden, jedoch vergebens. So blieb der Widerstand einiger Mitgliedstaaten gegen die Ökoregelungen bestehen. Ob die Finnen ihre hohen Ziele im Umweltschutz auch in die Agrarpolitik übersetzen werden und sich bei den Ministerkollegen im Agrarrat durchsetzen können, muss sich zeigen. Dass das Thema Umweltschutz gleich im Mittelpunkt des ersten Agrarrates im Juli steht, zeigt, dass diesem zumindest eine hohe Priorität eingeräumt wird.

Im mitentscheidenden Europäischen Parlament steckt die Reform der GAP währenddessen fest und Fortschritte sind nicht vor Herbst zu erwarten. Vor der Wahl hatten sowohl der Umwelt- als auch der Agrarausschuss ihre Stellungnahme zu dem Vorschlag der Kommission abgegeben. Während der Umweltausschuss eine vorsichtige Neuausrichtung der Agrarpolitik an Umweltbelangen gefordert hatte, lag der Fokus im Agrarausschuss vor allem auf der Beibehaltung der flächenbasierten pauschalen Direktzahlungen. Ein Schritt, der sowohl von Umweltverbänden als auch von Experten heftig kritisiert wurde. Das letzte Wort hätte das Plenum des Parlaments gehabt, das vor der Wahl aus Zeitgründen nicht mehr darüber entscheiden konnte. Im neuen Parlament muss auf Ausschussebene nun entschieden werden, ob der Prozess von vorn beginnt oder ob die ursprünglichen Berichte, eventuell in abgeänderter Form, direkt ins Plenum gebracht werden sollen. In allen Fällen dürfte eine Abstimmung im Parlament frühestens Ende dieses oder zum Beginn des nächsten Jahres anstehen. Erst danach können die Verhandlungen im sogenannten Trilog beginnen – eine Art Vermittlungsverfahren zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Diese Beispiele zeigen, dass es an guten Vorsätzen im Umweltschutz auf europäischer Ebene derzeit nicht mangelt. Das Problem bleibt weiter die Umsetzung in konkrete Gesetzesvorhaben, wo sich Fortschritte allenfalls nur zaghaft andeuten. Die neue Europäische Kommission, die ihr Amt im November antritt, muss zeigen, dass sie diese Blockade lösen kann. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Die nächsten fünf Jahre müssen endlich den entscheidenden Durchbruch bringen, sollen etwa die Nachhaltigkeitsziele der UN (SDGs) für 2030 überhaupt noch erreichbar sein.

Autor

Der LandschaftsplanerAndré Prescher arbeitet seit 2017 für den NABU in Brüssel, vor allem zur Gemeinsamen Agrarpolitik, zum MFR sowie zum LIFE-Programm.

André Prescher, NABU, Brüssel

Andre.Prescher@NABU.de

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