Trauerseeschwalbe auf Eiderstedt die unendliche Geschichte BVerwG, Beschluss vom 26.2.2019 - 7 C 8.17
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Mit der Umwelthaftungsrichtlinie sollte eine Regelung zu Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden geschaffen werden. Die Regelung ist bislang nur in wenigen Fällen zum Tragen gekommen. Das BVerwG will mit seinem Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH eine Klärung der europäisch geprägten Begriffe „Bewirtschaftung“, der „normalen“ beziehungsweise „früheren Bewirtschaftungsweise“ sowie der „beruflichen Tätigkeit“ i. S. d. Umwelthaftungsrichtlinie erreichen.
Das Vogelschutzgebiet auf der Halbinsel Eiderstedt wird überwiegend als Grünlandgebiet großflächig traditionell bewirtschaftet und ist insbesondere wegen seiner Größe das wichtigste Brutgebiet der Trauerseeschwalbe (Chlidonias niger ) in Schleswig-Holstein. Das Gebiet bedarf zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung der Entwässerung. Zu den Aufgaben des beigeladenen Deich- und Hauptsielverbands gehört kraft Gesetzes die Unterhaltung oberirdischer Gewässer als öffentlich-rechtliche Verpflichtung, hierfür betreibt er unter anderem das Siel- und Schöpfwerk Adamsiel. Da durch die Bewirtschaftung der Bestand der Trauerseeschwalbe erheblich zurückgegangen ist, begehrt die klagende Nichtregierungsorganisation (NGO) die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz (USchadG) gegenüber dem Beigeladenen, da dieser zulasten der Trauerseeschwalbe Umweltschäden auf Eiderstedt zu vertreten habe. Das BVerwG hat den Rechtsstreit ausgesetzt und ein Vorabersuchen an den EuGH gerichtet.
1. Zu der Vorlagefrage „Bewirtschaftung “:
Ausgehend vom Wortlaut der Norm kann der Begriff „Bewirtschaftung“ i. S. von Anhang I Abs. 2 Spiegelstrich 2 UH-RL (Umwelthaftungsrichtlinie) einen weiten Kreis wirtschaftlicher Betätigungen umfassen. Das OVG hat in seiner Entscheidung ein enges Verständnis des Begriffs zugrunde gelegt und nur die landwirtschaftliche Betätigung im Sinne einer Bodenertragsnutzung als „Bewirtschaftung“ angesehen. Das BVerwG ist der Auffassung, dass jedenfalls der Betrieb eines Siel- und Schöpfwerks, der wie hier zur notwendigen Be- und Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen dient, wegen des untrennbaren Zusammenhangs mit der Bodenertragsnutzung vom Begriff der „Bewirtschaftung“ umfasst wird.
Geklärt werden muss auch, unter welchen Voraussetzungen eine Bewirtschaftungsweise i. S. d. UH-RL den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zufolge als „normal“ anzusehen ist. Insoweit dürfte vorrangig ein gebietsspezifischer Maßstab anzulegen sein. Ergänzend zu vorhandenen gebietsbezogenen Dokumenten könnten bei der Maßstabsbildung gegebenenfalls allgemeine, normativ bestimmte Grundsätze herangezogen werden. Für die unmittelbare Bodenertragsnutzung kommen dafür die Grundsätze der guten fachlichen Praxis nach § 5 Abs. 2 BNatSchG in Betracht.
Der Klärung bedarf auch, was unter „früherer Bewirtschaftungsweise“ der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber i. S. d. UH-RL in zeitlicher Hinsicht zu verstehen ist. Denkbar erscheint, eine „frühere Bewirtschaftungsweise“ für jede über eine gewisse Dauer vor dem Inkrafttreten der UH-RL praktizierten Bewirtschaftungsweise anzunehmen. Denkbar erscheint aber auch, dass die Bewirtschaftungsweise auch noch bei Inkrafttreten der UH-RL tatsächlich ausgeübt wurde.
Der Wortlaut der Umwelthaftungsrichtlinie lässt nicht eindeutig erkennen, ob die Beantwortung der Frage, ob eine Bewirtschaftung „der früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber entspricht“, unabhängig von den Aufzeichnungen über den Lebensraum beziehungsweise den Dokumenten über die Erhaltungsziele erfolgt. Dies erscheint dem BVerwG jedoch als naheliegend. Die Regelung würde dann als Auffangtatbestand in dem Sinne dienen können, dass bei fehlenden hinreichenden Anhaltspunkten in den Aufzeichnungen über den Lebensraum oder den Dokumenten über die Erhaltungsziele zur Maßstabsbildung eine tatsächliche Betrachtung erfolgt.
2. Zu der Frage „berufliche Tätigkeit “:
Auch die Frage, ob eine Tätigkeit, die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt wird, eine „berufliche Tätigkeit“ i. S. d. UH-RL darstellt, ist in der EuGH-Rechtsprechung nicht geklärt und auch nicht offenkundig zu beantworten. Aus dem Wortlaut von Art. 2 Nr. 7 UH-RL ergibt sich zwar, dass es für die Qualifikation einer Tätigkeit als „berufliche Tätigkeit“ weder auf die privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Organisationsform noch auf die Verfolgung eines Erwerbszwecks ankommt. Klärungsbedürftig bleibt jedoch, ob eine aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit eine „wirtschaftliche Tätigkeit“, eine „Geschäftstätigkeit“ oder ein „Unternehmen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 UH-RL darstellt.
Aus der Sicht des BVerwG erscheint es als nicht fernliegend, die Begriffstrias „wirtschaftliche Tätigkeit“, „Geschäftstätigkeit“ und „Unternehmen“ dahin gehend zu verstehen, dass eine hiervon umfasste Tätigkeit einen Marktbezug beziehungsweise einen wettbewerblichen Charakter aufweisen muss. Ein solcher Bezug zu einem Markt beziehungsweise der Wettbewerbscharakter fehlt einer aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübten Tätigkeit, vorliegend der Unterhaltung oberirdischer Gewässer durch einen Wasser- und Bodenverband einschließlich der Erhaltung und Sicherung eines ordnungsgemäßen Wasserabflusses, bei der es dem Aufgabenträger zudem nicht möglich ist, sich der Erfüllung der gesetzlich übertragenen Aufgabe zu entziehen.
Bis zu einer endgültigen Entscheidung über das Vorliegen eines Umweltschadens und dessen Sanierung werden noch einige Jahre verstreichen. Leidtragende sind in diesem Fall die Trauerseeschwalben. Da es sich hierbei jedoch auch um eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Trauerseeschwalben im Vogelschutzgebiet handelt, ist die Landesregierung im Rahmen des Verschlechterungsverbots nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gefordert, dem entgegenzuwirken.
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