Abschaltung von Windenergieanlagen für MäusebussardeOVG Lüneburg, Beschluss vom 12.12.2018 – 4 LA 389/17
Frisch abgeerntete, gemähte oder gepflügte landwirtschaftliche Flächen ziehen in der Nähe brütende Greifvögel an, was zu einer signifikanten Erhöhung des Kollisionsrisikos an Windenergieanlagen (WEA) führen kann. Zur Einhaltung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG kann daher die Anordnung von Abschaltzeiten während bodenwendender Bearbeitungen, Grünlandmahd und Ernte erforderlich sein.
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Das artenschutzrechtliche Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verbietet es, wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen, zu töten oder ihre Entwicklungsformen der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Dieser individuenbezogene Verbotstatbestand greift, sobald ein signifikant erhöhtes Risiko für Verluste von Einzelexemplaren besteht.
Durch Pflügen, Mahd und Ernte entsteht auf den bearbeiteten landwirtschaftlichen Flächen kurzzeitig ein erhöhtes Nahrungsangebot, weshalb diese für Greifvögel besonders attraktiv sind. Im vorliegenden Fall enthält die Genehmigung der WEA die Nebenbestimmung, dass die WEA vom 1. Mai bis zum 15. Juli eines jeden Jahres bei bodenwendenden Bearbeitungen, Grünlandmahd oder Ernte auf Ackerflächen im Umkreis von 100 m um den Mastfuß abzuschalten sind, und zwar jeweils für drei Tage ab Beginn der Tätigkeit in der Zeit von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis einer Stunde nach Sonnenuntergang. Gegen diese Nebenbestimmung richtete sich die Klage. Die Klägerin führte an, dass die in der Begründung des Genehmigungsbescheids genannten Vogelarten Mäusebussard (Buteo buteo ) und Kiebitz (Vanellus vanellus ) als Gast- und Rastvögel innerhalb des Beschränkungszeitraums vom 1. Mai bis zum 15. Juli gar nicht vorkämen. Der auch als Brutvogel genannte Mäusebussard zähle zwar zu den innerhalb des Beschränkungszeitraums vorkommenden Arten, sei aber keine kollisionsgefährdete Vogelart. Daher sei das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG gar nicht berührt, sodass keine Vermeidungsmaßnahmen zur Senkung des Tötungsrisikos unter die Signifikanzschwelle hätten angeordnet werden dürfen.
Das OVG Lüneburg wies die Klage ab und erklärte die Anordnung der Abschaltzeiten für rechtmäßig. Für das Gericht steht es außer Frage, dass Greifvögel wie der im Umkreis der Windenergieanlagen brütende Mäusebussard von „bodenwendenden Bearbeitungen, Mahd und Erntearbeiten besonders angezogen werden und dementsprechend das Risiko, dass die besonders angezogenen Individuen dieser Art allein durch ihre gesteigerte Flugaktivität in unmittelbarer Nähe der Windenergieanlagen getötet werden, erheblich steigt“. Es komme dabei nicht darauf an, ob der Mäusebussard zu den allgemein schlaggefährdeten oder generell windenergieanlagenempfindlichen Arten gehöre, so das Gericht. Tatsächlich stellt der Mäusebussard unter den Vögeln in Deutschland das am häufigsten gefundene Kollisionsopfer an WEA dar (562 Funde, Stand: 7.1.2019, sieheNuL4733 ). Für das OVG Lüneburg liegt eine Gefährdung von Greifvögeln „auch für andere Zeiten, in denen Erntearbeiten und vergleichbare Bodenbearbeitung“ stattfinden, auf der Hand, weshalb die angeordnete Betriebszeitenbeschränkung daher möglicherweise sogar zeitlich hätte ausgedehnt werden müssen. Auch die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) weist in ihrem Beschluss 2017-1-1 vom 25.4.2017 auf das erhöhte Tötungsrisiko für Greifvögel und Störche bei bestimmten landwirtschaftlichen Arbeiten hin. Zur Einhaltung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG empfiehlt die LAG VSW das zeitweise Abschalten von WEA in den Monaten April bis Oktober im Umkreis von 300 m um ein Windrad ab Beginn der Feldbearbeitung (Ernte/Mahd/Pflügen) und an den drei Folgetagen jeweils für den Zeitraum von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Das Gericht hatte zudem über die Berechnung von naturschutzrechtlichen Ersatzzahlungen auf der Grundlage von § 15 Abs. 6 Satz 3 BNatSchG und § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG (Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz) zu entscheiden. Normalerweise bemisst sich die Höhe der Geldleistung in erster Linie nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme. Lassen sich diese Kosten nicht beziffern, folgt in Niedersachsen aus § 6 Abs. 1 Satz 1 NAGBNat SchG, dass die Berechnung des Ersatzgeldes auf der Grundlage der Gesamtinvestitionskosten einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer vorzunehmen ist, indem diese mit einem Bemessungsfaktor, der sich allein nach Dauer und Schwere des Eingriffs bestimmt, multipliziert werden.
Autoren
Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.
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