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Stickstoffeinträge in Natura-2000-GebieteEuGH, Urteil vom 7. November 2018 – C-293/17 und C-294/17

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 7. November 2018 das mit Spannung erwartete Urteil zu Stickstoffeinträgen aus der Landwirtschaft in Natura-2000-Gebiete gefällt. Dabei ging es um die Frage, ob die Weidehaltung von Vieh und die Ausbringung von Düngemitteln unter den Projektbegriff von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie fallen, ob eine FFH-Verträglichkeitsprüfung auch im Voraus durch einen programmatischen Ansatz durchgeführt werden kann und welche Maßnahmen hierbei in Anrechnung gebracht werden können.

Der Eintrag von Stickstoff in stickstoffempfindliche FFH-Lebensräume stellt EU-weit ein großes Problem dar. So waren nach Angaben der Europäischen Umweltagentur im Jahr 2010 73 % aller Natura-2000-Gebiete von übermäßigen Stickstoffablagerungen betroffen. In den Niederlanden soll dieses Problem über ein gesetzlich verankertes Programm gelöst werden, das dafür sorgen soll, dass die Stickstoffeinträge in Natura-2000-Gebieten verringert und die Erhaltungsziele für die stickstoffempfindlichen Lebensräume in diesen Gebieten erreicht werden können („Programma Aanpak Stikstof 2015–2021“, PAS). Gleichzeitig soll das Programm auch dazu dienen, weitere wirtschaftliche Tätigkeiten zu ermöglichen, die Stickstoff in Natura-2000-Gebiete eingetragen. Im Rahmen des Programms kann die Hälfte der durch Maßnahmen „eingesparten“ Stickstoffablagerungen als „Ablagerungspuffer“ zur Genehmigung neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten eingesetzt werden. Für jedes Natura-2000-Gebiet und für die ausgewiesenen Lebensraumtypen wird eine bestimmte Gesamtmenge an Stickstoffablagerungen als für „mit den Erhaltungszielen vereinbar“ erklärt. Nach der niederländischen Regelung wird erst bei Überschreitung der kritischen Ablagerungswerte die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung gesehen. Das PAS nimmt deshalb Projekte und andere Handlungen, die Stickstoffablagerungen von unter 0,05 mol N/ha/Jahr verursachen, von der Genehmigungspflicht aus. Einträge von über 0,05 mol N/ha/Jahr, aber unter 1 mol N/ha/Jahr, sind ebenfalls ohne vorherige Genehmigung zulässig, jedoch meldepflichtig. Vollständig genehmigungspflichtig sind in den Niederlanden nur Projekte und andere Handlungen, die Ablagerungen von über 1 mol N/ha/Jahr verursachen.

Der EuGH hatte nun zu prüfen, ob diese Regelungen des PAS mit EU-Recht vereinbar sind. Dabei hat sich das Gericht zunächst mit den Projektbegriffen der UVP- und der FFH-Richtlinie befasst und deutlich gemacht, dass der Begriff „Projekt“ in den Regelungen zu Natura-2000 weiter gefasst ist als in der UVP-Richtlinie. Eine Tätigkeit, die ein Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie darstellt, fällt daher auch immer unter die FFH-Richtlinie. Dagegen kann man aus der Tatsache, dass eine Tätigkeit nicht als „Projekt“ im Sinne der UVP-Richtlinie eingestuft wird, nicht folgern, dass sie nicht FFH-relevant ist. Das entscheidende Kriterium für die Einstufung als „Projekt“ nach Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie ist die Frage, ob die Tätigkeit ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen kann. Übermäßige Stickstoffablagerungen führen in zahlreichen Natura-2000-Gebieten zu einer erheblichen Beeinträchtigung von FFH-Lebensraumtypen. Dementsprechend können auch die Weidehaltung von Vieh und die Ausbringung von Düngemitteln in der Nähe von Natura-2000-Gebieten „Projekte“ im Sinne der FFH-Richtlinie sein. Projekte, die ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, dürfen ohne eine vorherige Verträglichkeitsprüfung nicht genehmigt werden, vgl. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.

Allerdings wurden viele landwirtschaftliche Flächen bereits vor Inkrafttreten der FFH-Richtlinie genutzt und dabei regelmäßig gedüngt oder beweidet. Bei diesen Flächen stellt sich die Frage, ob tatsächlich jede Ausbringung von Dünger beziehungsweise jede Beweidung als gesondertes Projekt anzusehen ist oder ob es sich aufgrund des „wiederkehrenden Charakters“ der Tätigkeit um „ein und dasselbe Projekt“ handelt. Hierzu führt der EuGH aus, dass es nur dann „ein und dasselbe Projekt“ sein kann, wenn es sich eine einheitliche Maßnahme handelt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass diese Tätigkeit an denselben Orten und unter denselben Ausführungsumständen fortgesetzt wird. War eine solche einheitliche Maßnahme vor der Ausweisung des betroffenen Natura-2000-Gebiets zulässig und wurde regelmäßig ausgeübt, ist sie von einer FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) und einer erneuten Genehmigung befreit, da Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur auf die Genehmigungsphase von Plänen und Projekten anwendbar ist. Gleichwohl dürfen die Stickstoffeinträge nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets führen, da dies gegen das Verschlechterungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verstoßen würde. Ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot kann dabei schon dann vorliegen, wenn die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass eine Tätigkeit in einem Schutzgebiet erhebliche Störungen verursacht (EuGH, C-399/14). In diesem Fall muss die zuständige Behörde durch geeignete Maßnahmen oder Anordnungen sicherstellen, dass sich die geschützten Lebensräume und Habitate der Arten im betroffenen Natura-2000-Gebiet nicht verschlechtern.

Ändert sich die Ausführung der Düngung, indem sie zum Beispiel auf verschiedenen Parzellen, in wechselnden Mengen und anhand unterschiedlicher Techniken durchgeführt wird, handelt es sich nicht um „ein und dasselbe Projekt“ im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, sondern um ein neues Projekt, das nur genehmigt und durchgeführt werden darf, wenn keine Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des Schutzgebiets besteht. Dies ist gegebenenfalls durch eine FFH-VP festzustellen. Der EuGH hatte nun zu klären, ob diese Prüfung auch im Voraus durch einen programmatischen Ansatz wie den PAS durchgeführt werden kann.

Nach Ansicht des EuGH erlaube die im Voraus durchgeführte PAS-Gesamtprüfung zwar eine Untersuchung der möglichen kumulativen Auswirkungen der verschiedenen Stickstoffablagerungen in den betreffenden Gebieten, dies bedeute jedoch nicht, dass damit zwangsläufig auch alle Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie erfüllt seien. Die FFH-VP dürfe nämlich nicht lückenhaft sein und müsse vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, die geeignet seien, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der in dem betreffenden Schutzgebiet beabsichtigten Pläne oder Projekte auszuräumen. Dies bedeute auch, dass die Möglichkeit, Tätigkeiten zu genehmigen, die später die ökologische Lage der betreffenden Gebiete beeinträchtigen können, bei einem ungünstigen Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums zwangsläufig begrenzt sei.

Eine programmatische Regelung darf bestimmte Projekte und Tätigkeiten, die in Bezug auf Stickstoffablagerungen einen bestimmten Schwellenwert nicht erreichen oder einen bestimmten Grenzwert nicht überschreiten, nur dann vom Erfordernis einer Einzelgenehmigung befreien, wenn die im Voraus durchgeführte FFH-VP sicherstellt, dass kein vernünftiger wissenschaftlicher Zweifel an der Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Natura-2000-Gebiets besteht. Insbesondere sei zu überprüfen, ob nicht schon unterhalb der festgesetzten Schwellen- oder Grenzwerte die Gefahr bestehe, dass erhebliche Auswirkungen entstünden, die die betreffenden Gebiete als solche beeinträchtigen könnten, so der EuGH.

Weiter stellte sich die Frage, ob bestimmte Kategorien von Projekten – hier die Ausbringung von Düngemitteln und die Weidehaltung von Vieh – allgemein von der Genehmigungspflicht und der damit verbundenen individuellen FFH-VP befreit werden können oder ob dies einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL darstellt. Das Gericht stellte klar, dass durch eine allgemeine Freistellung von der Genehmigungspflicht nicht gewährleistet werden kann, dass diese Tätigkeiten das Schutzgebiet nicht beeinträchtigen (EuGH, C-538/09). Auch die Befreiungsregelung des PAS, die davon ausgeht, dass „im Durchschnitt“ ein durch diese Tätigkeiten verursachter Anstieg der Stickstoffablagerungen ausgeschlossen wird und die betreffenden Tätigkeiten daher unabhängig von ihrem gegenwärtigen Ort und unabhängig von den von ihnen verursachten Stickstoffablagerungen ausgeübt werden können, genügt den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht. Ob eine Beeinträchtigung tatsächlich ausgeschlossen werden kann, ist nämlich immer von den besonderen örtlichen Gegebenheiten abhängig. Entscheidend für die Beurteilung sind zum Beispiel der Umfang und die Intensität der Tätigkeiten, die Nähe zwischen ihrem Durchführungsort und dem betreffenden Schutzgebiet sowie das Zusammenwirken mit anderen Stickstoffquellen, die das Gebiet gegebenenfalls kennzeichnen. Deshalb muss auch eine nationale programmatische Regelung anhand objektiver Umstände mit Gewissheit jede Möglichkeit ausschließen, dass Projekte einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Projekten diese Gebiete erheblich beeinträchtigen können. Kann sie dies nicht gewährleisten, kann sie nicht als im Voraus durchgeführte FFH-VP eingestuft werden.

Wieder einmal musste sich der EuGH auch mit der Frage befassen, ob und, wenn ja, welche Maßnahmen bei der Bewertung der Auswirkungen eines Projekts oder einer Tätigkeit im Rahmen der FFH-VP Berücksichtigung finden können. Konkret ging es darum, ob die positiven Auswirkungen von Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL (das heißt die in Managementplänen festgelegten Maßnahmen) und von Maßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL (Maßnahmen, die einer Verschlechterung von Natura-2000-Gebieten entgegenwirken sollen), herangezogen werden können. Dem hat der EuGH eine klare Absage erteilt: Die positiven Auswirkungen der nach Art. 6 Abs. 1 und 2 der FFH-Richtlinie nötigen Maßnahmen können nicht herangezogen werden, um Projekte, die sich auf die Schutzgebiete negativ auswirken, nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu genehmigen. Auch Kohärenzmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, mit denen die negativen Auswirkungen des Plans oder Projekts auf das Gebiet ausgeglichen werden sollen, dürfen im Rahmen einer FFH-VP nicht in Anrechnung gebracht werden. Lediglich Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen, die die durch ein Projekt unmittelbar verursachten schädlichen Auswirkungen verhindern oder verringern sollen, werden in der FFH-VP berücksichtigt. Voraussetzung ist allerdings, dass ausreichend Gewissheit darüber besteht, dass diese Maßnahmen so wirksam sind, dass eine Beeinträchtigung des betreffenden Gebiets als solches vermieden wird. Dies scheint dem EuGH bei PAS nicht gewährleistet zu sein, da der in diesem Programm gewählte Ansatz darauf abzielt, Stickstoffablagerungen in Natura-2000-Gebieten durch sich langfristig auswirkende Maßnahmen in den bereits betroffenen Bereichen zu verringern. Daher sind einige Maßnahmen noch nicht ergriffen worden oder noch ohne Ergebnisse, sodass ihre Auswirkungen noch ungewiss sind.

Mit seinem Urteil hat der EuGH damit nochmals deutlich gemacht, dass die Regelungen von Art. 6 FFH-RL ein hohes Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleisten sollen. Für stickstoffempfindliche FFH-Lebensräume besteht die Verpflichtung, die Stickstoffeinträge so weit zu reduzieren, dass ein günstiger Erhaltungszustand dieser Lebensräume erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Tätigkeiten, die Stickstoff in Natura-2000 ablagern, können daher nur genehmigt werden, wenn diese Stickstoffeinträge keine erhebliche Beeinträchtigung empfindlicher Lebensräume hervorrufen können.

Autoren

Ass. jur.Jochen Schumacher und Dipl.-Biol.Anke Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Das Institut ist interdisziplinär orientiert und befasst sich insbesondere mit Fragestellungen, die sowohl naturschutzfachlich-ökologische Aspekte als auch (umwelt- und naturschutz-)rechtliche Problemstellungen aufweisen.

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