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Ergebnisse einer Handlungsfeldanalyse

Umwelt- und sozialverträgliche Windenergieentwicklung

Abstracts

Die Windenergie zählt in Deutschland zu den am schnellsten wachsenden Energiesektoren, wobei die Herausforderungen bei der konkreten Standortsuche jedoch zunehmen. Die von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Handlungsfeldanalyse verfolgte das Ziel, einen trans- und interdisziplinären Überblick über den aktuellen und zukünftigen Handlungsbedarf bei der Windenergieentwicklung aus Sicht relevanter Akteursgruppen zu schaffen. Mittels Expertengesprächen und -workshops wurden iterativ Handlungsoptionen aus den Handlungsfeldern Natur- und Artenschutz , Planung und Technologien und Kommunikation und Teilhabe ermittelt.

Resuktierende Handlungsoptionen sind vielfältig. Teilweise erscheinen mehr Fakten nötig, um zur Versachlichung von Debatten beizutragen, in anderen Bereichen bedarf es Modelllösungen und Machbarkeitsstudien sowie gemeinsamer Diskussionen um Nachhaltigkeitskonkurrenzen bzw. darum, wie mit solchen Konkurrenzen umgegangen werden kann. Gemeinsam haben die Handlungsoptionen jedoch, dass sie einer akteursgruppenübergreifenden Umsetzung bedürfen. Wesentlich wird es darauf ankommen, die ausgeprägte Polarisierung zur Thematik zu überwinden.

Socially and environmentally compatible development of wind power – horizon scan results

Funded by the German Federal Environmental Foundation (DBU), the horizon scan aimed at identifying the emerging need for – at best collaborative – action at the nexus of wildlife conservation and wind energy development. The study applied a multi-faceted, inclusive and peer-reviewed research process, building on about 50 explorative expert interviews, previous research, and a relevant literature review. Interviewees ranged across academia, agencies, wind developers, consultants, associations, and environmental groups. The process yielded 18 pivotal emerging issues at the nexus of wind and wildlife, planning & technologies, and social aspects, which would often require collaborative approaches. As collaborative action is apt to dealing with complex and changing systems, it can assist in building bridges. Inter alia, in focusing on the problem and not who to blame, collaboration can foster trust among different stakeholders and engender ownership of processes. Similar formats as the US-American ‘collaboratives’ could be road-tested in the German setting to overcome existing barriers in wind energy and wildlife planning.

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Abb. 1: Verschneidung des Konzepts der planetaren Grenzen mit den Sustainable Development Goals (SDGs) im sog. „Wedding Cake“ – Integrität der Biosphäre und die entsprechenden SDGs als Basis für eine nachhaltige Entwicklung. © Azote Images for Stockholm Resilience Centre Combination of the ‘Sustainable Development Goals’ (SDGs) with the Planetary-Boundaries-Concept resulting in the so called „Wedding Cake“ with Biosphere Integrity and the adjacent SDGs as basis for Sustainability and Resilience.
Abb. 1: Verschneidung des Konzepts der planetaren Grenzen mit den Sustainable Development Goals (SDGs) im sog. „Wedding Cake“ – Integrität der Biosphäre und die entsprechenden SDGs als Basis für eine nachhaltige Entwicklung. © Azote Images for Stockholm Resilience Centre Combination of the ‘Sustainable Development Goals’ (SDGs) with the Planetary-Boundaries-Concept resulting in the so called „Wedding Cake“ with Biosphere Integrity and the adjacent SDGs as basis for Sustainability and Resilience.Azote
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1 Einleitung und Ziel

Im 21. Jahrhundert stehen zwei Ziele der Umweltpolitik unter besonderer Spannung: So formuliert die Agenda 2030 der UN mit den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) globale Ziele, darunter auch „bezahlbare und saubere Energie“ (7) und „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (13) (UN 2015). Unter den SDGs werden jedoch auch der Schutz und die nachhaltige Nutzung von „Leben an Land“ (15) sowie „Leben unter Wasser“ (14) gleichermaßen als Ziele aufgeführt (UN 2015). Der Ausgleich der Ziele zum Schutz der Biodiversität sowie des Klimas durch den Ausbau Erneuerbarer Energien bleibt dabei ein zentrales Anliegen (Köppel2017). Die Windenergie zählt weltweit wie auch in Deutschland zu den am schnellsten wachsenden Energiesektoren, deckt damit einen immer größeren Teil des Energiebedarfs und gilt etwa im Vergleich zur Solarenergie als insgesamt kosteneffektiver. Ende 2017 waren in Deutschland 28 675 Windenergieanlagen mit einer Ausbaukapazität von ca. 50 GW (Deutsche WindGuard 2017) installiert. Dieser Erfolgsgeschichte steht gemäß einem im November 2017 vom IASS Potsdam vorgelegten „Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende“ ein Ruf nach verbesserter gesellschaftlicher Teilhabe gegenüber; 55 %–60 % der dort Befragten möchten gerne den Bürgerinnen und Bürgern die letzte Entscheidung über die lokale Realisierung von Windenergieanlagen überlassen (Settonet al. 2017).

Neben Fragen zur politischen Umsetzung der Energiewende wurde in Deutschland während der vergangenen Dekade vielfältiges Wissen zu den Wirkungen der Windenergie gewonnen. Diese Erkenntnisse sind oftmals verbunden mit mehr oder minder großen Unsicherheiten. Im Handlungsfeld Natur- und Artenschutz existieren Erkenntnisse zum einen für das Binnenland, u. a. zu Windenergieanlagen (WEA) im Wald, zu Greifvögeln und zu Fledermäusen (Behret al. 2015, Grünkornet al. 2016,Hötkeret al. 2013,Reichenbachet al. 2015), und zum anderen für die Windenergie auf See durch die ökologische Begleitforschung etwa zum Offshore-Windpark alpha ventus (Beiersdorf&Wollny-Goerke2014). Auch im Handlungsfeld Kommunikation und Teilhabe wurden bereits zahlreiche Aspekte untersucht, etwa die Akzeptanz von Hinderniskennzeichnung, die Beeinträchtigung von Anwohnern durch Geräuschemissionen sowie zur gesellschaftlichen Teilhabe (Hübner&Pohl2010,Pohlet al. 2014,Schweizer-Rieset al. 2010). Zugleich versuchten synoptische Analysen (Bauer & Köppel2017, Biehlet al. 2017, Daiet al. 2015,Gartmanet al. 2016a, 2016b,Schusteret al. 2015,Weber & Köppel2017) Wissen um mögliche Auswirkungen der Windenergie zusammenzutragen und zu einer Standortbestimmung zu nutzen. Gleichzeitig besteht ein lebendiger Austausch in der betreffenden Fachgemeinschaft, in Europa nicht zuletzt durch die Etablierung der internationalen CWW-Konferenzserie seit 2011 (u. a. 2015 Conference on Wind Energy and Wildlife in Berlin) sowie durch die Publikation der CWW-Tagungsbände (z. B.Köppel2017).

Auch die Etablierung vermittelnder Institutionen wie der Fachagentur Windenergie an Land e.V. (FA Wind) und dem Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) sowie die langjährige Befassung der Bund-Länder-Initiative Windenergie an Land (BLWE) tragen ihren Teil zu einem umwelt- und sozialverträglicheren Ausbau der Windenergie bei.

Analog zu den eingangs erwähnten SDGs fokussieren auch die vonRockströmet al. (2009) undSteffenet al. (2015) beschriebenen planetaren Grenzen auf zentrale Herausforderungen u. a. in den Bereichen Biodiversität sowie Klima- und Landnutzungswandel. Das Konzept basiert wesentlich auf der Identifizierung sogenannter Tipping Points (Kipppunkte), nach deren Überschreitung das Erdsystem in einen instabilen Zustand gerät (Steffenet al. 2015). Hieraus folgt für die Betrachtung der SDGs, dass vor allem die Ziele „Leben an Land“, „Leben unter Wasser“, „Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen“ und „Maßnahmen zum Klimaschutz“ die Basis sowohl für die Integrität der Biosphäre als auch für das Erreichen der anderen 13 SDGs in den Bereichen Gesellschaft und Ökonomie sind (Folkeet al. 2016) – s. Abb. 1.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) hat ihre Förderleitlinien ab dem Jahr 2016 am Konzept der planetaren Grenzen und den SDGs ausgerichtet (s. https://www.dbu.de/doiLanding1314.html) und fokussiert in diesem Kontext u. a. auf das Thema „Entwicklung neuer Konzepte und technischer Lösungen zur umwelt- und naturschutzverträglichen Nutzung Erneuerbarer Energien“.

Die Transformation des Energiesektors (Energiewende) leistet einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung der planetaren Grenze „Klimawandel“ im sogenannten sicheren Handlungsraum. Damit einhergehend ist ein weiterer substanzieller Ausbau an technischen Anlagenkapazitäten zu erwarten. Doch die Herausforderungen bei der konkreten Standortsuche für WEA in Deutschland werden größer, vor allem unter Berücksichtigung des zunehmenden Flächendrucks sowie des neuen Förderregimes nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Die Energiewende als komplexes System stellt uns folglich vor gemeinsame Herausforderungen; so sind etwa einige Akteure eine primär sektorale Arbeit im Handlungsfeld Windenergie gewohnt. Es erscheinen jedoch integriert-systemische und kollaborative Lösungsansätze erforderlich, um bislang als Dilemmata wahrgenommene Aspekte auflösen zu können (vgl.Bodin2017 für Governance-Ansätze,Innes & Booher2016 für sogenannte „wicked problems“ – komplexe Probleme –,Wondollek & Yaffee2000 für Umwelt- und Ressourcenmanagement). Solche Ansätze können nur gelingen, wenn man die Beziehungen zwischen handelnden Akteuren in betroffenen Bezugsräumen betrachtet und Potenziale der Kooperation oder besser noch der Kollaboration identifiziert. In der aktuellen Nachhaltigkeitsforschung werden solche sozio-ökologischen Systeme verstärkt zum Ausgangspunkt für Forschung, aber auch für die Entwicklung von Lösungsansätzen (Folkeet al. 2016,Moberg&Simonsen2014,Rockströmet al. 2014).

An diese Erfahrungen im internationalen Kontext anknüpfend hat sich die DBU entschlossen, die hier beschriebene Handlungsfeldanalyse anzustoßen, um ein besseres Verständnis des sozio-ökologischen Systems „Windenergie und Naturschutz“ zu erlangen. Die Handlungsfeldanalyse richtet den Blick in die Zukunft auf die Themen „von übermorgen“ – sie bietet einen trans- und interdisziplinären Überblick über den Handlungsbedarf bei der Windenergieentwicklung aus Sicht relevanter Akteursgruppen. Ähnlich den Horizon Scans für den globalen Naturschutz und die Biodiversität vonSutherlandet al. (2017) widmet sich die Handlungsfeldanalyse u. a. folgenden Fragestellungen: Wie gelingt der umwelt- und sozialverträgliche Ausbau der Windenergie in Zukunft? Welche Themen sind bisher in Praxis und Forschung noch nicht ausreichend berücksichtigt worden und welche aussichtsreichen Lösungsansätze gibt es? Die Handlungsfeldanalyse identifiziert und priorisiert Handlungsoptionen etwa für Modellprojekte und Machbarkeitsstudien und benennt übergeordnete Hinweise, worauf bei DBU-Vorhaben in Folge dieser Handlungsfeldanalyse besonders geachtet werden kann.

2 Methode

Unter Horizon Scanning versteht man das systematische Monitoring bekannter Trends und die Früherkennung neuer, relevanter Entwicklungen in einem bestimmten Themenfeld (vgl. Europäische Kommission 2015, UK Cabinet Office und HM Government Office 2014). Zunächst wurde diese Methode in der Medizin, der Rüstungsindustrie sowie von Regierungen angewandt, um neue Technologien und Themen zu identifizieren (Sutherlandet al. 2012). Auch im Themenfeld Naturschutz und Biodiversität sind Horizon Scans etabliert und werden jährlich vonSutherlandet al. in einem kollaborativen Review durchgeführt und veröffentlicht. Für die Handlungsfeldanalyse Windenergie haben wir einen „manuell-kombinierten“ (vgl.Amanatidouet al. 2014) Horizon-Scanning-Ansatz verfolgt. Dieser stützt sich auf Literaturanalyse, narrative Experteninterviews sowie ergänzende Umfragen (via SurveyMonkey).

Zu Beginn der Handlungsfeldanalyse haben wir auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes initiale Rahmenthemen ermittelt, darunter beispielsweise Modellierungen, Auswirkungsprognosen, Vergrämung, Repowering oder „Adaptive Management“. Diese Zusammenschau basierte auf einer Literaturanalyse, auf der langjährigen Befassung des Fachgebietes Umweltprüfung und Umweltplanung der TU Berlin mit der Energiewendethematik und der Erforschung und Beratung der Windenergieentwicklung (z. B.Bulling&Köppel2016,Gartmanet al. 2014,Geissleret al. 2013,Huesca- Pérezet al. 2016) sowie auf der Expertise der DBU in ihren Förderthemen Erneuerbare Energien und Naturschutz. Darauf aufbauend wurden die initialen Rahmenthemen schrittweise mithilfe von weitgehend offenen, narrativen Experteninterviews, vor allem hinsichtlich des bestehenden Handlungsbedarfes, erörtert und erweitert. Zunächst fanden Gespräche mit bekannten Akteuren aus der Bund-Länder-Initiative Windenergie an Land (BLWE), der Conference on Wind Energy and Wildlife (CWW) und des Wind and Wildlife Research Meeting der US-amerikanischen National Wind Coordinating Collaborative (NWCC) statt. Hinweise auf weitere Gesprächspartner wurden aufgenommen und so der Expertenkreis im „Schneeballverfahren“ erweitert (vgl.Akremi2014). Ein wesentlicher Teil der so ermittelten Handlungsoptionen wurde im Anschluss in einem Konsolidierungsworkshop vorgestellt und mit Experten gemeinsam diskutiert, die bereits an vorherigen empirischen Erhebungsphasen teilgenommen hatten. Die wesentlichen Ergebnisse wurden mit der teilnehmenden Fachöffentlichkeit auf Expertentagungen diskutiert und konnten über einen längeren Zeitraum kommentiert werden. Prozess und Ablauf der Handlungsfeldanalyse werden in Abb. 2 veranschaulicht.

Die ermittelten Handlungsoptionen wurden in drei Cluster „Faktencheck“, „Modelle schaffen“ und „Proof of Concept“ (Erläuterung s. Abschnitt 3) eingeordnet (s. Abb. 4). Die genannten Cluster wurden induktiv aus den (Zwischen-)Ergebnissen hergeleitet und mit den Experten konsolidiert. Insgesamt wurden 51 narrative Experteninterviews geführt, die Verteilung der Experten auf Disziplinen und Institutionen ist in Abb. 3 dargestellt. Alle wesentlichen Akteursgruppen sind vertreten, mit Ausnahme der Banken/Finanziers (aus Kapazitätsgründen nicht angefragt). Zu jedem Themengebiet wurden bedeutsame Meinungen gegenübergestellt, auf eine namentliche Zuordnung einzelner Aussagen wurde verzichtet. Die Grenzen der Handlungsfeldanalyse liegen darin, dass weder eine Repräsentativität angestrebt noch erlangt wurde, weder bei den Experten noch bei den behandelten Themen. So wurde beispielsweise die Akteursgruppe der Banken nicht befragt und weniger Gewicht auf die Offshore-Windenergie oder auf juristische Aspekte gelegt. Andererseits hatten alle Teilnehmer stets die Möglichkeit, weitere wichtige Akteure zu benennen, den Schlussbericht zu kommentieren und am Workshop teilzunehmen, um so auf fehlende Aspekte oder Experten aufmerksam zu machen. (Der Abschlussbericht der „Handlungsfeldanalyse Windenergie“ ist unter www.dbu.de/HandlungsfeldanalyseWind verfügbar.)

3 Ergebnisse & Diskussion

Abb. 4 stellt die 18 identifizierten Themengebiete im Überblick dar. Im Cluster „Faktencheck“ finden sich Themen wieder, bei denen eine Versachlichung bislang noch nicht in befriedigender Weise erreicht wurde. Dabei mag es im Einzelfall an erforderlichen empirischen Erhebungen mangeln oder es bedarf noch einer verbesserten Kommunikation der Ergebnisse, etwa in Bezug auf ihre Aussagekraft und ihre Grenzen. Das Cluster „Modelle schaffen“ beschreibt Handlungsoptionen, die Modelllösungen und die Entwicklung integrierter Lösungskonzepte erfordern, wobei häufig vielfältige Akteure für eine Umsetzung gefragt sind. Das Cluster „Proof of Concept“ umfasst Themen, zu denen zwar (häufig international) bereits Fakten und Konzepte vorliegen. Oft sind diese in Deutschland jedoch kaum praktisch erprobt und bedürften z. B. Machbarkeitsstudien und Demonstrationsprojekte.

Die wichtigsten Themengebiete und deren einzelne Handlungsoptionen werden nun im Einzelnen vorgestellt. Eine ausführliche Beschreibung aller Themengebiete findet sich im schon erwähnten Schlussbericht des Vorhabens.

3.1 Faktencheck

3.1.1 Meta-Analysen und kumulative Wirkungen

Nach aktueller Genehmigungslage werden in Deutschland reichlich (Monitoring-)Daten von Projektierern und Betreibern erhoben und bei den Behörden eingereicht. Eine Veröffentlichung oder Weitergabe dieser Daten ist bislang in der Regel nicht einvernehmlich zu erreichen. Die Errichtung einer Plattform zur Zusammenschau von Forschungsvorhaben, Gutachten, Monitoringdaten, wissenschaftlichen Publikationen und weiterer Literatur, etwa nach dem Vorbild der Plattform Tethys (s. https://tethys.pnnl.gov/), könnte die von verschiedenen Akteursgruppen geforderte systematische Auswertung von Daten ermöglichen. Meta-Analysen könnten dazu beitragen, z. B. Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen zu optimieren und kumulative Wirkungen von Windpark-Clustern zu untersuchen; auch könnten Informationen zu Vogel- und Fledermausaktivitäten oder auch zur Kollisionshäufigkeit und -ursache gewonnen werden (vgl.Mayet al. 2017,Voigtet al. 2015). Zu große Hoffnung sollten in diese Daten derzeit aber nicht gesetzt werden, da die Ausgangsdaten heterogen und häufig noch wenig standardisiert erhoben wurden. Demnach besteht zunächst Handlungsbedarf, Datenbank- und Analyseansätze zu entwickeln, um später systematischere Analysen zu ermöglichen.

3.1.2 EEG-Novellen und Akteursvielfalt

Das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Kurztitel: Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG) ist das zentrale Steuerungsinstrument für den Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen und regelt die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen ins deutsche Stromnetz. Das mit der jüngsten Novelle des EEG im Jahr 2017 eingeführte Ausschreibungssystem für Erneuerbare Energien wird von verschiedenen Seiten (Länder, Umweltbundesamt, FA Wind) begleitend untersucht. In den ersten beiden Ausschreibungsrunden gingen 96 % bzw. 95 % der Zuschlagsmenge an Bürgerenergiegesellschaften (BNetzA 2017a, 2017b), die zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung benötigten. Der Großteil der Projekte, die in der zweiten Ausschreibungsrunde 2017 einen Zuschlag erhielten, ließ sich organisatorisch einem einzelnen Projektierer zuordnen (IWR 2017), sodass eine echte Akteursvielfalt kaum gegeben schien. Eine erste Anpassung der Regularien fand bereits statt: In den Ausschreibungsrunden 2018 müssen auch Bürgerenergieprojekte eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorlegen (Mieterstromgesetz). Zwar stets abhängig von der Markt- und der politischen Entwicklung, bleibt der Erhalt der Akteursvielfalt eine ständige Herausforderung und bietet entsprechende Handlungsoptionen.

3.1.3 Austauschformate zwischen Planung und Rechtsprechung

Ein geeignetes Austauschformat, wie z. B. ein Runder Tisch für (Regional- und Umwelt)-Planer und Juristen, wurde von zahlreichen Experten als wichtige Handlungsoption benannt, um Verständnis für die jeweiligen Ansätze zu entwickeln. Thematisch verwandte Dialoge wurden bereits durch den „Runden Tisch Windenergie und Recht“ der FA Wind und eine Dialogreihe des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE) angestoßen. Im Zuge der Expertengespräche wurde herausgestellt, dass die aktuelle Rechtsprechung nicht immer die planerische Umsetzbarkeit beachte und z. B. nicht ausreichend zwischen den regionalplanerischen und bauleitplanerischen Maßstäben und Abschichtungserfordernissen differenziere (vgl. auch FA Wind 2016). Dies führe zu einem nicht mehr hinnehmbaren Maß der Verrechtlichung der Planungsmethoden. Auch von der Rechtsprechung verwendete Termini, wie z. B. „weiche Tabukriterien“ für die Ausweisung von Vorrang- oder Eignungsgebieten oder das „signifikante Kollisionsrisiko“ lassen sich teilweise nur schwer sachgerecht unterfüttern.

3.1.4 Vertrauen, Wissenskommunikation und Wissensverwertung

Auch im Hinblick auf unabhängige Wissenskommunikation sind belastbare Formate gefragt: Das zunehmende Ringen um die Deutungshoheit von Forschungsergebnissen legt nahe, weniger auf Drittkommunikation zu setzen, sondern Autoren von Studien selbst zu Wort kommen zu lassen, um die eigenen Ergebnisse, deren statistische wie methodische Unsicherheiten und auch die Grenzen ihrer Interpretierbarkeit allgemeinverständlich darstellen zu können (Sullivanet al. 2006,Wolterset al. 2016). Dies könnte über die regelmäßige Integration von Kommunikationsmodulen in Forschungs- und Fördervorhaben vereinfacht werden. Oftmals wird Gutachtern in Planungs- und Genehmigungsverfahren Befangenheit unterstellt und Misstrauen entgegengebracht. Hier könnte durch (informelle) Kooperationen, die von Beginn an aufgebaut werden, mehr Vertrauen zwischen den Parteien erreicht werden (vgl.Wolterset al. 2016). Weiterhin könnten Gutachter z. B. in Modellprojekten gemeinsam von allen Beteiligten ausgewählt werden, um Ressentiments (wie Befangenheit) entgegenzuwirken. Der aktuelle rechtliche Rahmen [§ 13 Abs. 2 (2), 9. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV)]. ermöglicht es bereits, dass der Antragsteller den Gutachtenauftrag in Abstimmung mit der Behörde erteilen kann (FA Wind 2017). Eine frühzeitige und engere partnerschaftliche Zusammenarbeit kann Windenergieplanungsprozesse transparenter und inklusiver gestalten (vgl.Wolterset al. 2016).

So könnte eine gemeinsam eingerichtete Gruppe – bestehend aus verschiedenen Akteuren der Windenergiebranche, der Genehmigungsbehörden und zivilgesellschaftlicher Organisationen – gemeinsam Prozesse begleiten. Ähnlich den kanadischen Review Panels für ausgewählte Umweltverträglichkeitsprüfungen (Güntheret al. 2017) können in kollaborativen Gremien ( collaborative boards ) auch wesentliche (Zwischen-)Ergebnisse von Fachgutachten und Erhebungen einer Prüfung unterzogen werden.

Zudem stelle sich die Frage, inwiefern die Energiewende gesellschaftlich und politisch abgesichert und gewollt sei. Die politische Umsetzung der Energiewende scheint z. T. umstritten, wie das soziale Nachhaltigkeitsbarometer des IASS (2017, S. 10) zeigen konnte: „Mit der Energiewende verknüpfen die meisten Menschen eher negative Merkmale, wie ungerecht, teuer oder chaotisch, auch wenn ein Großteil [41 %] die Umsetzung unterm Strich gut findet.“ Für eine bessere und zielgruppen-gerechtere Kommunikation der Energiewende gegenüber der Öffentlichkeit ist weiterhin die Berücksichtigung aller sozialen Milieus (insbesondere vulnerabler Gruppen) wichtig. Auch die vormals allgegenwärtige NIMBY-Theorie ( not in my backyard – nicht in meinem Hinterhof, auch Sankt-Florians-Prinzip), nach der der Widerstand gegen eine politisch und ethisch grundsätzlich befürwortete Position mit zunehmender Nähe zum Projektstandort zunimmt, verliert weiter an Gültigkeit (vgl.Devine-Wright2009,Petrova2016,Reusswiget al. 2016,van der Horst2007,Wolsink2000). Zum einen organisieren sich Windenergiegegner zunehmend professionell und bilden deutschland- und europaweite Netzwerke (wie z. B. das Netzwerk „Vernunftkraft“). So lässt sich der Widerstand gegen WEA nicht allein lokal erklären. Zum anderen werde die Energiewende oftmals als solche angezweifelt (vgl.Brunnengräber2018,Eichenaueret al. 2018) oder der Wunsch nach mehr politischer (und direkter) Beteiligung am Ausbau der Windenergie an Land geäußert (IASS 2017). Es ist daher wichtig, die Motive und Argumente von aktiven Windenergiegegnern einerseits und andererseits die der „schweigenden Mehrheit“ zu kennen, um eine wirksamere Kommunikation und einen gesellschaftlichen Diskurs zur Energiewende zu ermöglichen.

3.1.5 Integration von WEA in die Landschaft

Mit zunehmender Anzahl an Windenergieanlagen und einer möglichen Gewöhnung im Laufe der Jahre stellt sich die Frage, ab wann und durch wen diese Anlagen womöglich als integrativer Teil der Kulturlandschaften des 21. Jahrhunderts wahrgenommen werden (vgl.Linke2018). Bislang wurde nicht untersucht, welche Parameter (z. B. Anzahl der WEA, Standortgestaltung, Integration in Landschaftsbild und Landschaftsästhetik) zu möglichen „Kippmomenten“ in der Wahrnehmung der Landschaft führen. Hier könnten auch das Repowering (Installation einer neuen Anlage bei gleichzeitigem Abbau einer oder mehrerer Altanlagen am Standort) und der Bau von Anlagen neuerer und größerer Dimension zunehmend wichtigere Rollen spielen.

So stellen sich etwa folgende Fragen: Tragen Repowering-Projekte zur Akzeptanzsteigerung bei, indem sie vorhandene Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes verringern oder gar beseitigen [d. h. die „Landschaft aufräumen“, wie z. B. von der Klimaschutzagentur Region Hannover (2017) undTwele & Liersch(2015) angenommen]? Entfalten größere und langsam rotierende WEA eine geringere optische Bedrängungswirkung auf Anwohner? Oder können neue Anlagendimensionen eine bisher herrschende prinzipielle Zustimmung in windenergiegeprägten Regionen möglicherweise gefährden? Entsprechende Untersuchungen zur Überprüfung von Annahmen zu den Wirkungen, Chancen und Potenzialen des Repowerings stehen noch aus.

Ebenso von Interesse ist, ob sich frühere Befürchtungen und Ängste der Betroffenen bestätigt oder relativiert haben. Die Analyse und der Vergleich solcher Nachuntersuchungen (Ex-post-Studien) können neue Erkenntnisse zu potenziellen Gewöhnungseffekten der Anwohner (etwa: Gewöhnung und Akzeptanz des Projektes oder eher Resignation) bringen und Informationen für die Planung und den Betrieb von Windenergieanlagen generieren.

Eine weitere Handlungsoption ist die gemeinschaftliche Festlegung der Rahmenbedingungen für Sichtbarkeitsanalysen bei Neuplanungen von WEA (Roßnagelet al. 2016). In einer Pilotregion wurden mit der betroffenen Bevölkerung am Beispiel von Windenergie- und Biomasseanlagen u. a. Sichtbarkeitsanalysen durchgeführt. Der gemeinsame Ansatz führte dazu, dass beide Parteien, sowohl Vorhabenträger als auch die örtliche Bürgerinitiative, die Bilder als glaubwürdig einstuften und im Verfahren anerkannten.

3.2 Modelle schaffen

3.2.1 Umgang mit Unschärfen bei Planung und Betrieb

In seinem Urteil vom 21.11.2013 räumt das Bundesverwaltungsgericht der Genehmigungsbehörde „[bei] ihrer Entscheidung über die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung“ einen Entscheidungsvorrang (auch Einschätzungsprärogative) ein für die Prüfung, ob artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllt sind [Leitsatz BVerwG-Urteil v. 21.11.2013 (7 C 40.11)]. Dieser naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative wird in der Literatur oftmals Skepsis entgegengebracht (hierzu auchGassner2013,Gellermann2014,Jacob & Lau2015), insbesondere mit Blick auf die Reichweite der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), die mit der eingeräumten Letztentscheidungsbefugnis der (Naturschutz-)Behörden teilweise eingeschränkt wird. Mit der gerichtlich eingeräumten naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative wird den Behörden ein Entscheidungsvorrang eingeräumt (s.o., BVerwG,

Urteil vom 21.11.2013, 7 C 40.11). Dieser

greift jedoch nur, sofern sich bisher keine

bestimmte Methode (etwa zur Bestandserfassung von Arten) oder kein bestimmter

Maßstab (etwa zur Risikobewertung) durchgesetzt hat (s. z. B. den Leitsatz zum

zitierten Urteil).

So bietet es sich an, auf weiterführende Strategien, beispielsweise im Sinne von Best Available Science (BAS) bzw. Wissenschaftsmandaten, zurückzugreifen. Wissenschaftsmandate verlangen von den (Naturschutz-)Behörden, die besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten zu nutzen, wissenschaftliche Berichte zu konsultieren und sich mit Wissenschaftlern zu beraten, um nachvollziehbare Entscheidungen im Umwelt- und Naturschutz zu treffen (Doremus&Tarlock2005). Auch Experteneinschätzungen und empirische Befunde sind jeweils differenziert zu kennzeichnen (Doremus1997,Doremus&Tarlock2005,Sullivanet al. 2006). Eine bewusste Ausgestaltung des Wissenschaftsmandats fehlt bislang in Deutschland, obwohl durch entsprechende Rechtsurteile (etwa EuGH, Urteil vom 07.09.2004, C 262/2, Rn. 54, und BVerwG, Urteil vom 09.07.2008, A 14.07, Rn. 6) ein Rechts- und Anwendungsrahmen für Behörden vorläge. Inwieweit können beispielsweise artspezifische Ausschlussgebiete für WEA (z. B. Radien um Nist- und Rastplätze) mit empirischen Erkenntnissen belegt werden; inwieweit beruhen diese Annahmen auf Experteneinschätzungen oder können auf empirische Belege zurückgeführt werden? Die bewusstere Unterfütterung des Wissenschaftsmandats (BAS) für Deutschland bietet folglich eine Handlungsoption. Dies könnte in der Praxis insbesondere die Länderleitfäden im Handlungsfeld der Windenergie und ihre Fortschreibungen betreffen, da diese den Stand des Wissens bündeln müssen.

Beispielsweise kann Adaptive Management (AM) einen Beitrag zum Wissenschaftsmandat (BAS) leisten, da Auswirkungsprognosen (z. B. des Kollisionsrisikos) und die Einschätzung der Wirksamkeit von Maßnahmen stets mit Unsicherheiten verbunden sind, deren Anerkennung in der Praxis bisher jedoch schwerfällt und in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nur bedingt erfolgen kann (Bulling & Köppel2017). AM kann helfen, Unsicherheiten zu bewältigen und Vermeidungsmaßnahmen nachträglich anzupassen (IEA 2016,Bulling&Köppel2017). Dabei steht auch eine Überprüfung der relevanten Rechtsnormen aus (Bulling & Köppel2017). Des Weiteren sind sektorenübergreifende Modellprojekte für AM hilfreich, die im besten Falle Win-Win-Situationen für alle Beteiligten erzielen. Denn AM bedeutet nicht zwingend nur Nachteile für die Betreiber (z. B. verlängerte Abschaltzeiten), sondern eventuell auch Vorteile (analog etwa verkürzte Abschaltzeiten), wenn relevante Monitoringergebnisse es zulassen (vgl. IEA 2016).

3.2.2 Problemlösung auf höheren Skalen

Zumindest für manche Arten (insbesondere Greifvögel) kann nicht ausgeschlossen werden, dass der vermehrte Zubau von WEA und die kumulativen Effekte lokale Populationen der Art gefährden (Bellebaumet al. 2013,Grünkornet al. 2016,Reichenbach2017). Umso wichtiger erscheint es, (über-)regionale, strategische Ansätze auf der Landschaftsebene aufzugreifen, um das Wohlergehen der Gesamtpopulationen als Ganzes zu betrachten (Mayet al. 2017). Ein Beispiel hierfür könnten US-amerikanische Habitat Conservation Plans auf überregionaler Ebene sein, die die kumulativen Wirkungen mehrerer Einzelprojekte auf der Populationsebene abschätzen (z. B. US Fish and Wildlife Service 2016b). Populationsrückgänge von Arten können zudem nicht nur auf die Errichtung von WEA zurückgeführt werden, sie beruhen vielmehr auf der geteilten Verantwortung unterschiedlicher Landnutzer. Daher sollten strategische Ansätze auf der Landschaftsebene auch nutzungsübergreifend angelegt sein, d. h. etwa die Landwirtschaft und Stromnetzbetreiber möglichst integrieren.

Demgegenüber steht die Beobachtung von derzeit in Deutschland wachsenden Populationen geschützter Arten, wie z. B. des Uhus ( Bubo bubo ) (Sudfeldtet al. 2013). Dieser ist in Deutschland rechtlich genauso streng geschützt wie andere Arten, deren Populationen jedoch stark zurückgehen. Hierzu fehlen in Deutschland bislang Konzepte; in den USA wird für einige sich erholende Arten (z. B. den Weißkopfseeadler Haliaeetus leucocephalus ) ein Potential-Biological-Removal- (PBR-)Modell angewendet, um jeweils noch tolerable Störungs- und Mortalitätsraten (sog. incidental takes ) diskutieren zu können (z. B.Diffendorferet al. 2017,Mooreet al. 2013,USFish and Wildlife Service 2016b).

Als weitere Handlungsoption wurde eine Machbarkeitsstudie herausgestellt, die prüfe, inwiefern Ersatzgeldzahlungen für die Artenschutzprogramme verschiedener Arten aufgewandt werden könnten. Aktuell liegen über den Verbleib der Zahlungen kaum Informationen vor, also darüber, wofür die Gelder aufgewendet werden, wer sie in welchen landschaftlichen Räumen einsetzt und welche Maßnahmen ergriffen werden.

3.2.3 Steuerungsansätze der Windenergie – Planungsparadigmen überdenken

Verschiedene Skalenansätze (regional vs. kommunal, räumliche Konzentration vs. gewisse Streuung) werden lebhaft in ihrem jeweiligen Für und Wider diskutiert (z. B.Nagelet al. 2014). Studien, die Vor- oder Nachteile der Konzepte empirisch belegen und den adäquateren Ansatz herausstellen, fehlen jedoch. Des Weiteren stellt sich die Frage nach alternativen Planungsansätzen, um der oft allzu bedrängenden Konzentrationswirkung in Energielandschaften entgegenzutreten. Die etablierten Planungsparadigmen und damit auch der betreffende Rechtsrahmen sollten womöglich kritisch überdacht und neue Ansätze in Szenarien durchgespielt werden. Dies könne auch Akzeptanz- und Umweltgerechtigkeitsfragen ( Environmental Justice ) umfassen. Mit dem Thema Umweltgerechtigkeit wurde in den Vereinigten Staaten früh ein Problemfeld an der Schnittstelle von Umwelt-, Sozial- und Gesundheitspolitik aufgezeigt. Die grundlegende Annahme des Umweltgerechtigkeitsparadigmas (vgl.Taylor2000) beschreibt die sozial ungleiche Verteilung von Umweltbelastungen und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit (BMUB 2016, UBA 2015).

3.2.4 Nachhaltigkeitsbewertungen

Positive Klimaschutzeffekte oder regionale Wertschöpfung in der Folge Erneuerbarer Energien (sog. Co-Benefits , vgl. IASS 2017a, 2017b,Kraemer2017,Kraemeret al. 2017) werden derzeit in den Prüfverfahren so gut wie nicht gewürdigt, da die Genehmigungsverfahren (wie gemäß dem Bundesimmissionsschutzgesetz) weitgehend auf Gefahrenabwehr ausgerichtet sind (vgl.Hooperet al. 2017). Für die Windenergie könnte eine Annäherung an Nachhaltigkeitsbewertungen und schutzgutübergreifende Bilanzierungen eine sinnvolle Ergänzung darstellen, nicht zuletzt eine Betrachtung ihrer Wirkungen hinsichtlich relevanter Ökosystemleistungen (vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE 2016). Auch sozioökonomische Abschätzungen können in der Gesamtbetrachtung Informationen für Planungsprozesse beisteuern, ohne dabei die etablierten Umweltverträglichkeits- und Artenschutzprüfungen ersetzen zu können. Ziel ist eine weitergehende, vergleichende Technikfolgenabschätzung, welche ökonomische, soziale und ökologische Themen verschiedener Energieträger integriert betrachtet – etwa um die ebenfalls anstehende Verkehrswende mit der Energiewendethematik zu verknüpfen.

3.3 Proof of Concept

3.3.1 Wirksamkeit von Vermeidungs- und Vergrämungsmaßnahmen

Im Handlungsfeld Natur- und Artenschutz stellt sich vermehrt die Frage, inwiefern Vermeidungsmaßnahmen im Einzelnen wirksam sind. Eine Vielzahl an Vermeidungsmaßnahmen ist bekannt und wird in den diversen Leitfäden der Länder vorgeschlagen (Bullinget al. 2015). Jedoch ist das Wissen um ihre Wirksamkeit begrenzt (Biehlet al. 2017,Reichenbach2017). Hierbei stellt sich die Frage, wie weit auf Expertenmeinungen vertraut werden kann und das Vorsorgeprinzip durch Vermeidungsmaßnahmen erfüllt wird. Zur Erinnerung: Das Vorsorgeprinzip ist Leitlinie der Umweltpolitik auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene. Nach dem Vorsorgeprinzip ist frühzeitig und vorausschauend zu handeln, um Belastungen der Umwelt zu vermeiden. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf Risikovorsorge gelegt, d. h. „bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit sowie Kausalität von Umweltschäden und -gefahren [ist] vorbeugend zu handeln [...]“ (UBA 2015).

Es ist weiterhin zu prüfen, inwieweit durch die Erarbeitung von Fachkonventionen zwischenzeitlich eine fachliche und rechtliche Belastbarkeit herbeigeführt werden kann, solange empirische Daten für belastbare Aussagen nicht ausreichen. Auch die vielfach anerkannten Abstandsempfehlungen des Helgoländer Papiers (LAG VSW 2015) benötigen eine stete, weitere empirische Unterfütterung. So gebe es z. B. nennenswerte Unterschiede regionaler Populationsentwicklungen (z. B. Uhu Bubo bubo , Rotmilan Milvus milvus ), was pauschale Herangehensweisen erschweren kann.

Zunehmende Abschaltzeiten für WEA zum Schutz von Fledermäusen und Vögeln, aber auch zur Vermeidung von Schattenwurf oder Lärmemissionen, legen es weiterhin nahe, den Kostenaufwand für Vermeidungs-, Minderungs-, Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen im Natur-und Artenschutz zu erheben und zu kennen; so wird bei den Maßnahmen für einen guten Gewässerzustand gemäß der europäischen Wasserrahmenrichtlinie nahegelegt, die effektivsten Maßnahmen bevorzugt anzuwenden (Artikel 9 und Anhang III WRRL).

Die Wirksamkeit von Vergrämungsmaßnahmen konnte bisher in Deutschland nicht getestet werden. Die Vergrämung beabsichtigt, Individuen, die sich im Rotorbereich aufhalten oder sich ihm nähern, durch akustische, elektromagnetische oder visuelle Impulse aus dem Gefahrenbereich zu vertreiben (Bullinget al. 2015). Geplanten Anwendungen wurde zunächst die Genehmigung versagt, da der Nachweis der Wirksamkeit der Vergrämungsmaßnahmen bislang fehlte (z. B. Bay VGH, Urteil vom 10.03.2016). Vergrämungstechnologien werden in den USA (für Fledermäuse:Arnettet al. 2013) und Schweden (für Vögel:Litsgardet al. 2017) getestet, allerdings sind dortige Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf den deutschen Raum übertragbar. Ein erstes automatisiertes Vogelerfassungssystem für Deutschland soll im Kontext der ökologischen Begleitforschung eines Windenergietestfelds auf der Schwäbischen Alb erprobt werden (BfN 2017).

3.3.2 Populationsmodellierungen

In den USA sind Populationsmodellierungen bereits weitergehend etabliert (z. B. zur Entwicklung eines Adlermanagements; US Fish and Wildlife Service 2016a), während in Deutschland das Thema nur langsam aufkommt (etwa beiGrünkornet al. 2016). Doch gerade für die Beurteilung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos an WEA sind entsprechende Modellierungen letztlich kaum entbehrlich. Diese Ansätze könnten gleichzeitig mit Artenschutzprogrammen auf höheren Landschaftsskalen (s. Abschnitt 3.2) verbunden werden.

Dazu müssten zunächst die Modellierungsgrundlagen verbessert werden, etwa mit systematischen Untersuchungen im BACI-Design ( Before-After-Control-Impact , vgl.Reichenbach2017,Reichenbachet al. 2006). Auch hier sind Kosten-Nutzen-Überlegungen möglich, so könnte beispielsweise moderne Telemetrietechnik anstelle des zeit- und kostenintensiven Einsatzes menschlicher Beobachter angewendet werden. Bei der Vorher-Untersuchung muss die Durchführung und Machbarkeit der Folgeuntersuchungen bereits mitgedacht werden (SNH 2009).

3.3.3 Fairness und Effektivität von Beteiligung

Im Verlauf der Handlungsfeldanalyse konnten wir nicht nur die Wirksamkeit von Natur- und Artenschutzmaßnahmen als wichtiges Thema herausstellen, auch der Effektivität von fairen und inklusiven Beteiligungsansätzen kam eine große Bedeutung zu. So haben die beteiligten Akteure ein berechtigtes Interesse daran zu wissen, ob z. B. eine kostenaufwendige bedarfsgesteuerte Nachtkennzeichnung, eine umfangreiche Beteiligung im Planungsprozess oder auch wirtschaftliche Teilhabe tatsächlich zu mehr projektbezogener Akzeptanz und sozialverträglicherer Windenergienutzung führen. Es zeigt sich, dass die Windenergieentwicklung weiterhin Verteilungsdebatten auslöst (vgl. IASS 2017). Dies kann lokal zu Konflikten führen, ein Umstand, der u. a. bereits von der Belletristik aufgegriffen wurde (vgl. Juli Zeh: Unterleuten, Luchterhand Literaturverlag, München, 2016). Folglich zeichnet sich Handlungsbedarf ab, um einen Ausgleich zu schaffen zwischen „Gewinnern“ (z. B. Projektierern, Investoren, Betreibern und Landeignern) und „Verlierern“ (z. B. Anwohner, die von Beschattung, Lärm oder einer veränderten Landschaft betroffen sind) (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung e.V. et al. 2016). Vielfach können diese Ungleichheiten zwischen Akteuren vor Ort festgestellt werden: So stehen sich oftmals finanziell von der Windenergie profitierende Landeigentümer und jene Landbesitzer gegenüber, deren Flächen sich nicht für den Ausbau der Windenergie eignen. Aussicht auf finanzielle Teilhabe sowohl der öffentlichen Hand als auch von Privatpersonen kann die Unterstützung von lokalen Windprojekten offenbar teilweise verbessern (Bauwenset al. 2016,Langeret al. 2017,Schweizer-Ries2008, IKEM 2018), sodass bereits verschiedene Modelle zur finanziellen Beteiligung existieren, um die Einnahmen aus der Windenergie sozialverträglicher aufzuteilen (BWE 2018).

3.4. Handlungsoptionen

Die Zusammenschau in Tab. 1 zeigt das Spektrum an Handlungsoptionen, die wir im Verlauf der Handlungsfeldanalyse aufzeigen konnten.

4 Fazit

Die Handlungsfeldanalyse liefert Anhaltspunkte, dass eine rein disziplinäre Betrachtung und Bearbeitung Lösungspotenziale nicht ausschöpft und so sogar einzelne SDGs womöglich auf Dauer zueinander in Konkurrenz verbleiben könnten. Dabei stellt sich die Frage, wie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit diesen – auch internen – Umweltkonkurrenzen ( „green vs. green “ vgl.Yonket al. 2012) umgehen können. Es zeigt sich auch, dass eine bloße Aneinanderreihung von Einzeloptionen und sektoralen Ansätzen unbefriedigend bleibt. Bislang finden akteursgruppenübergreifende Lösungsansätze (z. B.Bodin2017), die dazu beitragen könnten, der eingetretenen Polarisierung entgegenzuwirken, zu wenig Beachtung. Hierbei könnten integrierte Formate wie Reallabore sowie Verbund- und Kollegstrukturen vermehrt zum Einsatz kommen.

Aus der hier in Kürze vorgestellten Handlungsfeldanalyse ergaben sich letztlich auch Hinweise, worauf bei Vorhaben in der Folge geachtet werden kann. Tab. 2 zeigt solche Hinweise für entsprechende Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf.

Für die aufgezeigten Handlungsoptionen (Tab. 1) bedarf es also häufig kollaborativer Konstellationen. Partnerschaftliche Zusammenarbeit, wie sie etwa in den USA schon stattfindet ( National Wind Coordinating Collaborative , https://www.nationalwind.org/; Bats and Wind Energy Cooperative , batsandwind.org/ sowie weitere Kollaborationen auf Ebene der Bundesstaaten), kann hierfür ein Modell bieten. LautWondolleck & Yaffee(2000) zeichnet sich die sog. „ collaborative action“ dadurch aus, dass eine gemeinsame Vertrauensbasis geschaffen und ein gemeinsames Interesse partnerschaftlich über einen längeren Zeitraum verfolgt wird. Hierfür bedarf es einer flexiblen und positiven Haltung aller Beteiligten sowie der grundsätzlichen Bereitschaft, Risiken einzugehen, und der Fähigkeit, in Herausforderungen Chancen zu sehen. So gilt es etwa, Spielräume wo immer möglich auszuschöpfen, „bürokratische Hürden“ gemeinsam zu überwinden und die symbolische Kraft der Innovation zu nutzen. Collaborative action zeichnet sich zudem dadurch aus, dass zunächst Personen im Mittelpunkt stehen können statt lediglich Organisationen und dass der Problemlösung die ganze Aufmerksamkeit gilt anstatt dem Streit um die Schuldfrage. Vorteile der partnerschaftlichen Zusammenarbeit sind u. a. der gemeinsame Zugang zu Informationen, Daten, Projekten und Zwischenergebnissen sowie die Möglichkeit der gemeinsamen Mitteleinwerbung und Kostenteilung. Neben gemeinsamer Tatsachenfeststellung zählen auch die partnerschaftliche Ableitung von Lösungsoptionen sowie eine unabhängige wissenschaftliche Begutachtung und Ergebnisqualifizierung (z. B. durch Peer Reviews) zu den Grundvoraussetzungen. Dies heißt auch zu akzeptieren, dass trotz unterschiedlicher Ziele dennoch gemeinsame Herangehensweisen existieren, um diese Ziele zu erreichen.

Dank

Für die Förderung des Vorhabens „Innovative Ansätze zur umwelt- und sozialverträglichen Windenergieentwicklung – eine inter- und transdisziplinäre Handlungsfeldanalyse“ bedanken wir uns bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).

Ein besonderer Dank gilt auch unseren zahlreichen Gesprächspartnern und den Teilnehmern an dem Konsolidierungsworkshop und DBU-Forum „Umwelt- und sozialverträgliche Windenergieentwicklung – Ergebnisse einer Handlungsfeldanalyse“. Ihre Expertise und Anregungen haben diese Arbeit ermöglicht und erheblich unterstützt. Nicht zuletzt möchten wir dem Stockholm Resilience Centre für die Bereitstellung der Wedding-Cake-Abbildung (Abb. 1) und unseren anonymen Gutachtern für wertvolle Kommentare zum Manuskript danken.

Literatur

Aus Umfangsgründen steht das ausführliche Literaturverzeichnis unter www.nul-online.de (Webcode 2231) zur Verfügung.

Fazit für die Praxis

  • Die Handlungsfeldanalyse ergab ein breites Spektrum an Handlungsoptionen für eine umwelt- und sozialverträgliche Weiterentwicklung der Windenergie. Teils sind Fakten zur Versachlichung von Debatten erforderlich (Faktencheck ), teils bedarf es Modelllösungen (Modelle schaffen ) oder Machbarkeitsstudien (Proof of Concept ).
  • Im ClusterFaktencheck sind die Auswirkungen neuer Anlagendimensionen auf Anwohner, Landschaft und Fauna noch unbekannt. Studien zur Integration von Windenergieanlagen in die Landschaft bieten wichtige Handlungsoptionen.
  • Im ClusterModelle schaffen wird angeregt, Populationseffekten auf der Landschaftsebene zu begegnen. Verschiedene Planungsansätze (regional vs. kommunal, räumliche Konzentration vs. Streuung) werden diskutiert.
  • Im ClusterProof of Concept steht eine Erprobung etwa der Effektivität von Vermeidungs- und Vergrämungsmaßnahmen noch aus.
  • Oftmals bedürfte es akteursgruppenübergreifender und integrativer Vorhaben. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, wie sie in den USA in sog.Collaboratives geschieht, könnte hierfür ein Modell bieten.
  • Hierfür bedarf es einer Vertrauensbasis und Bereitschaft, der vielfach eingetretenen Polarisierung entgegenzuwirken.

Kontakt

Prof. Dr. Johann Köppel leitet das Fachgebiet Umweltprüfung und Umweltplanung der TU Berlin. Seit vielen Jahren werden dort Vorhaben zur umwelt- und sozialverträglichen Implementierung der Windenergie bearbeitet, u. a. die „Handlungsfeldanalyse Windenergie“ (DBU). Seit 2011 Mitglied im Scientific Committee der „Conferences on Wind Energy and Wildlife Impacts“, Herausgeber und (Ko-)Autor zahlreicher Veröffentlichungen im Handlungsfeld.

> johann.koeppel@tu-berlin.de

M.Sc. Juliane Biehl ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Umweltprüfung und Umweltplanung der TU Berlin, u. a. im Projekt „Innovative Ansätze zur umwelt- und sozialverträglichen Windenergieentwicklung – eine inter- und transdisziplinäre Handlungsfeldanalyse“ (DBU). Abschluss als M.Sc. der Umweltplanung (Environmental Planning) und B.Sc. Umwelt- und Ressourcenmanagement (Environmental and Resource Management).

> juliane.biehl@tu-berlin.de

B. Sc. Nora Sprondel machte 2016 ihren Abschluss als B. Sc. in Landschaftsarchitektur und -planung. Seit 2016 studiert sie im Masterstudiengang Environmental Planning. Studentische Mitarbeit am Fachgebiet Umweltprüfung und -planung seit 2014, u. a. in den Forschungsprojekten „Optimierung der planerischen Rahmenbedingungen zum Ausbau der Windenergienutzung“ und „Meta-Analyse von avifaunistischen Gutachten zu Windenergievorhaben“.

> nora.f.sprondel@campus.tu-berlin.de

Dr. disc. pol. Alexander Bittner M.A., Dipl.-Forstw. (Univ.)

> a.bittner@dbu.de

Dr. rer. nat. Volker Wachendörfer

> v.wachendoerfer@dbu.de

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