Von Krebsen, Libellen, Kormoranen und Schweinen – Integration als Mammutaufgabe
Integration ist eine Mammutaufgabe. Sie kann gelingen, aber auch misslingen. Sie ist ein mühsamer Prozess, dessen Ausgang von zahlreichen Faktoren abhängt. Aber sie ist unverzichtbar, um ein friedliches Miteinander der Menschen unterschiedlicher Herkunft im Lande und global zu ermöglichen. Und bei Flora und Fauna? Auch hier beobachten wir massive globale Wanderungen, ausgelöst durch Wirtschaft und Verkehr sowie zunehmend durch die Folgen des Klimawandels – übrigens auch eine Hauptursache für die Migration von Menschen. Lebensgemeinschaften (Biozönosen) verändern sich. Das zeigt Jürgen Ott anhand von invasiven Krebsen, die in südwestdeutschen Gewässersysteme einwandern und offensichtlich Libellen und andere Gewässerorganismen massiv schädigen.
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Wie gewonnen, so zerronnen?
Der Beitrag zeichnet ein düsteres Bild: Erfolge des Naturschutzes, die sich durch zunehmende Bestände ehemals gefährdeter Libellenarten zeigen, würden aktuell durch Krebse stark in Frage gestellt. Damit werde es auch schwieriger, europarechtliche Schutzerfordernisse der FFH-Richtlinie zu erfüllen. Jürgen Ott artikuliert klare Angst: „Wie gewonnen, so zerronnen“ schreibt er im Untertitel. Waren alle Schutzbemühungen umsonst? Wie ist zu reagieren?
Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Aber sie fungiert als Warnsignal, genauer hinzuschauen und über Lösungsmöglichkeiten nachzudenken. Der Artikel weist auf einen bislang kaum beachteten neuen Gefährdungsfaktor für die Biodiversität in Gewässern hin. Bürgerwissenschaft, Behörden, Büros und Hochschulen sind gefragt, solche Veränderungen zu erfassen, zu bewerten und mögliche Maßnahmen zu konzipieren. Erneut stellt sich hier die im Editorial vom November 2017 formulierte Frage: bekämpfen oder leben lassen?
Kormoran: Ruhe nach dem Sturm
Groß war der Aufschrei der Angelfischerei und Fischwirtschaft, als sich die Kormoran-Population ab den 1990er-Jahren massiv vergrößerte. Fischarten wie die Äsche würden ausgerottet – lokal mag das passieren, aber die Artexistenz überregional scheint nicht in Frage gestellt zu sein. Die Ökologie weiß: In der Natur gibt es kein grenzenloses Wachstum und kein Räuber rottet seine Beute aus. In den letzten Jahren ist es um den Kormoran ruhiger geworden: Der Brutbestand in Mitteleuropa hat sich stabilisiert.
Der „neue Kormoran“ ist der Wolf, der ebenso die Lager zwischen Befürwortern und Gegnern spaltet – und auch dessen Population wird ebenso wie die des Wildschweins nicht ins Unermessliche wachsen. Letzteres hat der Deutsche Bauernverband im Angesicht der drohenden Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest buchstäblich ins Visier genommen, indem er vorsorglich die Reduktion des Wildschwein-Bestands um 70 % forderte.
Wege der Schweinepest
Abgesehen davon, dass dieses rein praktisch unmöglich ist, lenkt er damit nur von den Kernproblemen ab: Der Sauenbestand ist auch aufgrund der Ausdehnung des Maisanbaus so stark gewachsen – in einem üppigen Maisfeld kann sich eine ganze Rotte wochenlang paradiesisch dick futtern und perfekte Deckung bietet es auch. Die Ansteckung von Hausschweinen erfolgt in den modernen, hermetisch abgeriegelten Mastanlagen wohl kaum durch Wildschweine, sondern ist systemimmanent bedingt – durch Viehtransporte, Speiseabfälle, kontaminierte Maschinen und Kleidung. Nur: Der Bauernverband mag das heutige Agrarsystem – ganz aktuell Gegenstand der Diskussionen um die nächste Agrarreform ab 2021 – keinesfalls in Frage stellen. Auch in diesem Fall dominiert die Angst – vor Veränderung und Umverteilung.
Integration lautet das Schlüsselwort hier wie dort: Kann die Integration der invasiven Krebse in die Biozönosen gelingen, ohne dass die heimischen Arten verschwinden? Und können die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Landwirte in die gesellschaftlichen Anforderungen für Nachhaltigkeit, Naturschutz und Tierwohl integriert werden? Integration ist eine Mammutaufgabe. Sie gelingt nicht immer. Aber das Bemühen um sie lohnt!
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