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Editorial

Neobiota – bekämpfen oder leben lassen?

Monitoring nötig: Bedroht die Ausbreitung von Neobiota die heimische Biodiversität? Indischem Springkraut (siehe Titelbild), Riesen-Bärenklau, Goldruten- und Staudenknöterich-Arten galten schon zahlreiche Bekämpfungs-Aktionen. Lohnender Einsatz nach dem Motto „Wehret den Anfängen“? Ein Kampf gegen Windmühlenflügel? Verschwendung von Ressourcen gegen eine Naturdynamik, die immanenter Teil jeder Kulturlandschaft mit den Wirkungen des nutzenden Menschen ist? Ein Stück Wahrheit liegt wohl in allen drei Punkten.

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nul@jedicke.de Twitter: @EckhardJedicke www.nul-online.de
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Zunächst: Eine fundierte Bewertung setzt das Monitoring von Bestandsänderungen voraus. Hierfür liefert der erste Hauptbeitrag ein Beispiel für Fließgewässer, ganz typische Ausbreitungsachsen für Neophyten. An der Ilz im Bayerischen Wald wuchs binnen sechs Jahren das von acht Neophyten-Arten bedeckte Areal von einem Sechstel auf ein Fünftel der Uferfläche – das sind 25 % Zuwachs.

Die vom Naturschutz und in Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtline auch von der Wasserwirtschaft gewünschte Redynamisierung der Fließgewässer bedeutet, dass durch Erosionsprozesse immer wieder neue Offenbodenstellen entstehen – sie sind über angespülte Samen, Sprossteile und vor allem Rhizomteile Einfallstore für die Ausbreitung von Neophyten. Ein Interessenkonflikt? Ja, doch kann die Antwort nicht lauten, deshalb auf die Förderung der Morphodynamik zu verzichten – dafür bestehen für die Renaturierung zu viele andere gute Gründe.

Wenn wir das akzeptieren, bleibt die Frage: wachsen lassen oder bekämpfen? Und, wenn die Entscheidung lautet, eine Art lokal ausrotten oder mindestens zurückdrängen zu wollen: Mit welchen Methoden soll das geschehen – und kann das überhaupt funktionieren? Können wir die Applikation von Glyphosat und Co. „für den guten Zweck“ zulassen, aber ihn in der Landwirtschaft zugleich verbieten wollen? Wohl kaum, und entlang der Gewässer verbietet sich jeder Herbizideinsatz ohnehin. Eher geeignet scheint bei einigen Arten die Beweidung als Instrument – welche aber die Agrarförderung aus der 1. Säule der GAP nicht toleriert. Mechanische Maßnahmen wie eine hohe Mahdfrequenz helfen zwar in vielen Fällen, konfligieren aber oft mit anderen Zielen (etwa dem Schutz von bodenbrütenden Vogelarten) und kosten viel Geld. Und bei den 30 invasiven Neophyten-Arten in Deutschland scheint die Bekämpfung in der Tat vielfach aussichtslos.

Globalisierte Welt

Zahlreiche Treiber bewirken heute einen viel höheren globalen Floren- und Faunenaustausch als in früheren Jahrhunderten:

  • Einen Teil der Arten führt der Mensch bewusst als Zier- oder Nutzpflanzen sowie Zootiere ein – und sie büchsen aus, wie der Götterbaum.
  • Die zweite Gruppe betrifft Arten, die als „blinde Passagiere“ unbeabsichtigt eingeschleppt werden – so der Asiatische Laubholzbock. Das weltumspannende Verkehrs- und Handelsnetz begünstigt solche Prozesse enorm.
  • Drittens wandeln Arten aus eigener Kraft ein, maßgeblich gefördert durch den Klimawandel und neu geschaffene Verbindungen wie den Rhein-Main-Donau-Kanal.

Per Definition sind Neobiota nach der Entdeckung Amerikas 1492 eingewanderte Arten; zuvor aufgetretene Neubürger sind Archäobiota. Zu Letzteren zählen viele Ackerwildkräuter, die mit der neolithischen Revolution zusammen mit den Kulturpflanzen eingeschleppt wurden – sie begründen heute eigene Schutzprogramme. Überspitzt formuliert: Werden unsere Nachfahren eines Tages Schutzprojekte für die Arten propagieren, die wir heute bekämpfen?

Dynamik ist eine Grundeigenschaft von Kulturlandschaften – und deren Erhalt in ihrer Vielfalt und mit ihren Kompartimenten ist das zentrale Ziel des modernen Naturschutzes. Sollten wir die anthropogen bedingt stark gestiegene Einwanderungs- und Etablierungsrate von Neobiota daher schlicht akzeptieren? Fred Pearce hat in seinem 2016 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Die neuen Wilden“ eindrücklich das vorherrschende Paradigma der nicht heimischen Arten kritisiert (siehe Rezension inNaturschutz und Landschaftsplanung 49 (1), 2017, 27).

Eine pauschale Antwort kann es nicht geben. Nur art- und gebietsspezifische Entscheidungen scheinen zielführend. Und um diese zu treffen, braucht es fundierte Daten. Dann ist entschlossen zu handeln. An Beidem fehlt es leider. Gut, dass die EU hier tätig geworden ist: Wie berichtet, verpflichtet sie die Mitgliedstaaten für derzeit 49 Arten zu aktiven Maßnahmen. Das aber ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Thema wird uns weiter beschäftigen!

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