Im Westen nichts Neues – Juncker unkonkret, EVP bremst Agrarreform
Sowohl die Ergebnisse des umfangreichen „Fitness Checks“ der EU-Naturschutzrichtlinien als auch die Voten aller wichtigen EU-Institutionen wie Parlament (EP), Umweltministerrat, Ausschuss der Regionen (AdR) und Europäischer Rechnungshof (ERH) haben eindringlich dargelegt, dass insbesondere die finanzielle Basis wesentlich verbessert werden muss, um die von den Staats- und Regierungschefs bereits im März 2010 beschlossenen Biodiversitätsziele bis 2020 zu erreichen. Auch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gilt als Schlüssel für spürbare Fortschritte. Der von der EU-Kommission im April vorgestellte Aktionsplan, aber auch die Ratsschlussfolgerungen der EU-Umweltminister vom Juni blieben in dieser Hinsicht leider hinter den Erfordernissen zurück. Auch das Ende Juni vorgestellte „Reflexionspapier“ der EU-Kommissare für Haushalt und Regionalpolitik ist sehr unkonkret.
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Mit Spannung wurde daher die Vorstellung des Berichts zur „Lage der Union“ von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwartet. Juncker stellt diesen Bericht seit 2015 jährlich in der Plenarsitzung des EP Mitte September in Straßburg vor; in diesem Jahr am 13. September. Die Enttäuschung auch der Parlamentarier war groß, da Juncker sich weitgehend nur am „Weißbuch zur Zukunft Europas“ und dem bekannten Fünf-Wege-Szenario abarbeitete (Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (8): 242). Die Agrarpolitik als größter Haushaltsposten der EU kam in Junckers Rede überhaupt nicht vor, auf den EU-Haushalt kam er lediglich am Schluss seiner Rede bei Vorstellung des „Fahrplans“ der Kommission zu sprechen. Dabei deutete er immerhin an, dass dieser Haushalt den „Versprechen“ (nicht etwa: den international eingegangenen Verpflichtungen) gerecht werden müsse.
Umweltpolitik Mangelware, Agrarpolitik Fehlanzeige
Aus Umweltsicht relevant waren immerhin einige Andeutungen aus Junckers Prioriäten für 2018, etwa das Bekenntnis zu mehr Transparenz und Aufrechterhaltung der Umweltstandards bei den Freihandelsabkommen sowie zu den Paris-Zielen und zur „Dekarbonisierung“. In seinem „persönlichen Szenario“ betonte Juncker zudem die drei Grundprinzipien der EU, Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtstaatlichkeit. Er wies auf die Notwendigkeit hin, den Europäischen Gerichtshof und seine Urteile als „letzte Instanz“ anzuerkennen, da ansonsten „die Bürger ihrer Grundrechte beraubt“ würden. Natürlich zielte Juncker mit diesen Aussagen auf das jüngste Urteil des EuGH zur Verteilung von Flüchtlingen. Sie können aber analog auch bei Verfolgung und Sanktionierung von Verstößen gegen das Naturschutzrecht eingefordert werden, etwa auf das inzwischen beim EuGH anhängige Verfahren gegen Polen wegen der großflächigen Abholzungen im Natura-2000-Gebiet Bialowieza.
Von seinen institutionellen Vorschlägen könnten drei für den Natur- und Umweltschutz relevant sein: erstens die Forderung nach Ersatz des Einstimmigkeitsprinzips im Rat durch Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, zweitens die Einführung einer „Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit“ unter Führung des obersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, sowie drittens die angestrebte Senkung der bürokratischen Hürden für das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI).
Bei der anschließenden Aussprache mit den Fraktionsvorsitzenden standen – erwartungsgemäß – die Fragen zu Migration, Terror, weiteren EU-Beitrittskandidaten und der Türkei im Mittelpunkt. Gianni Pitella forderte für die Sozialdemokraten (S&D) eine stärkere Führung der EU beim Klimaschutz. Philippe Lamberts (Grüne) mahnte eine umweltverträglichere Agrar- und Energiepolitik an. Unter Hinweis auf das in der EU – seit dem ersten Umweltaktionsprogramm 1973 – geltende Vorsorgeprinzip forderte er ein Verbot von Glyphosat, über das die Mitgliedstaaten voraussichtlich im Herbst entscheiden. Auch „Grünen-Urgesteín“ Claude Turmes äußerte sich enttäuscht über die Rede seines Landsmannes Juncker. Durch die nur knappe Erwähnung von Klima- und Umweltthemen könne der Eindruck entstehen, dass Klimawandel, Umwelt- und Agrarpolitik für Juncker und die EU-Kommission keine Prioritäten seien oder als „erledigt angesehen“ würden. Dies widerspreche den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger und erschwere es, deren Vertrauen wiederzuerlangen – was aber doch angeblich Junckers Bestreben sei.
EVP: Greening in die 2. Säule
Turmes‘ Befürchtungen wurden nicht zuletzt bestätigt durch ein Positionspapier der Europäischen Volkspartei (EVP), das nur wenige Tage vor Junckers Rede am 04. September verabschiedet wurde. Darin betonen die EVP-Mitglieder, dass der Agrarsektor in den kommenden Jahren stabile Verhältnisse benötige und die geplante Reform der GAP viel zu früh komme. Sie solle daher auf 2024 verschoben werden. Gerade vor dem Hintergrund des Brexit müsse erst klar sein, wie sich der EU-Agrarhaushalt langfristig – und ohne Budget-Kürzungen – entwickle, bevor man zur Diskussion einer neuen GAP-Reform bereit sei. Der öffentlichen „Kritik der Steuerzahler“ an den Agrarsubventionen wolle man mit Informations- und Aufklärungskampagnen begegnen.
Zwar bekennt sich die EVP – immerhin – grundsätzlich zur Einhaltung von Umweltstandards und den Schutz „öffentlicher Güter“ gegen „Entlohnung“, gemeint sind die Agrarsubventionen. Sie will auch das mit der letzten GAP-Reform eingeführte Greening erhalten. Allerdings solle dies ausschließlich im Rahmen der 2. Säule finanziert werden, während die Subventionen aus der 1. Säule möglichst konditionslos verteilt werden sollen. Eine Forderung, die konservative Agrarpolitiker um Albert Deß (CSU) schon bei der letzten Agrarreform erhoben hatten, dafür aber weder im Parlament noch im Ministerrat eine Mehrheit erhielten. Neu und beachtenswert an diesem Papier ist daher, dass neben einigen Agrarpolitikern aus dem EP auch maßgeblich Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) mitgearbeitet hat.
Links
- zur Rede Junckers zur „Lage der Union“:
- zum Positionspapier der EVP zur Gemeinsamen Agrarpolitik vom 4. September 2017: https: //tinyurl.com/evp-gap
Kontakt
Claus Mayr arbeitet als Direktor für Europapolitik des NABU in Brüssel. Er berichtet in dieser Kolumne regelmäßig über wichtige europäische Entwicklungen.
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