Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsaufgabe wirksam umsetzen
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Position für den Naturschutz in der 19. Legislaturperiode des Bundes: Mit Blick auf die Bundestagswahl am 24. September 2017 hat der Bundesverband Beruflicher Naturschutz (BBN e.V.) ein Forderungspapier vorgelegt. Seine Mitglieder arbeiten in Naturschutzverwaltungen des Bundes, der Länder, der Landkreise und Kommunen, an Hochschulinstituten oder sind angestellte oder freiberuflich tätige Experten in Gutachterbüros, Rechtsanwaltskanzleien und Unternehmen, die sich mit Naturschutzaufgaben befassen. Der Text ist nachfolgend redaktionell leicht bearbeitet wiedergegeben.
Der BBN stellt hier die aus seiner Sicht ausgewählten Themen dar, die eine Bundesregierung in der kommenden Legislaturperiode umsetzen soll. Sie dienen vorwiegend der Umsetzung längerfristiger Ziele. Die Bundesregierung würde mit der Umsetzung zeigen, dass sie die grundgesetzlich geregelte Staatsaufgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ verantwortungsbewusst ausfüllt.
Prolog: Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) ist mit mehr als 190 Vertragsparteien das umfassendste verbindliche internationale Abkommen im Bereich Naturschutz. Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt wurde in 2007 verabschiedet.
Die bisherigen Bemühungen, die gesteckten Ziele zu erreichen, bringen keine überzeugenden Erfolge. So konnte das für das Jahr 2010 weltweit gesetzte Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, nicht erreicht werden. Deshalb wurden die internationalen und nationalen Strategien mit dem Zeitrahmen bis 2020 neu ausgerichtet.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist die zentrale Aufgabenstellung im Naturschutz der nächsten Jahre. Hier darf es keinen weiteren Zeitverzug geben. Die Strategie soll um differenzierte Aktionspläne ergänzt werden.
Der BBN stellt in den folgenden Punkten die aus seiner Sicht besonders dringlichen Vorhaben dar.
1. Gemeinschaftsaufgabe Biologische Vielfalt einrichten
Im Ergebnis des „Fitness Check“ der EU zu den Naturschutzrichtlinien Natura 2000 hat sich gezeigt, dass es ein gewaltiges Vollzugsdefizit für die Zielerreichung der Richtlinien und die notwendigen guten Erhaltungszustände für die Biodiversität in Deutschland gibt. Insbesondere durch landwirtschaftliche Bodennutzung ergeben sich deutliche defizitäre Entwicklungen beim Artenbestand und der Lebensraumqualität für die zu schützenden wildlebenden Tier- und Pflanzenarten. Gezielte Anstrengungen zum Erhalt der Biodiversität sind auch im Wald und in den Gewässersystemen erforderlich. Die Naturschutzverwaltungen in Bund und Ländern haben derzeit nicht die notwendigen Finanzmittel und Kapazitäten zur Verfügung, um diesen Management- und Vollzugsaufgaben im Naturschutz nachzukommen.
Der BBN fordert
- eine sehr deutliche Steigerung der Naturschutzmittel auf der EU- und Bundesebene für eine effektive Aufgabenwahrnehmung auf der Bundes- und Landesebene;
- die Einrichtung eines eigenständigen EU-Naturschutzfonds insbesondere zur Umsetzung und zum Management der Zielsetzungen der europäischen Naturschutzrichtlinien im Umfang von etwa 20 Mrd. € jährlich;
- zum Erhalt der Biodiversität eine Aufstockung bei LIFE+ auf 1 Mrd. €, um gezielte Projekte hierzu auch in Deutschland umsetzen zu können;
- Einrichtung einer Gemeinschaftsaufgabe Naturschutz und Biodiversität des Bundes zur Förderung von Maßnahmen in Bund und Ländern zur Sicherung der biologischen Vielfalt, national bedeutenden Arten, Lebensräume, Gewässersysteme, Landschaften und des nationalen Naturerbes sowie von Maßnahmen zur Klimaanpassung;
- Weiterentwicklung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt sowie der einschlägigen weiteren Förderprogramme (chance.natur) zu einem zentralen Baustein und Ausstattung mit einem Etat von mindestens 300 Mio. € jährlich, auch um die ausreichende Finanzierung des Aktionsplans Schutzgebiete des Bundes sicherzustellen;
- Erarbeitung eines Aktionsplans Schutzgebiete zur Stärkung der Schutzgebiete in Deutschland in enger Abstimmung mit den Bundesländern; durch ein effektiv geschütztes und gemanagtes europäisches Netz Natura 2000 wird ein entscheidender Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt erreicht;
- Sicherung aller Flächen des Nationalen Naturerbes durch Übertragung an Vertreter des Naturschutzes;
- Umsetzung von mehr Wildnis auf öffentlichen Flächen und Festlegung von 5 % der Flächen für natürliche Waldentwicklung sowie gesetzliche Regelung der guten fachlichen Praxis einer naturverträglichen Waldbewirtschaftung.
2. Grüne Infrastruktur Deutschlands entwickeln
Die grüne Infrastruktur (GI) bildet ein wesentliches Gerüst des Naturkapitals Deutschland. Die GI ist maßgeblich für die Sicherung der biologischen Vielfalt, für die nachhaltige Ressourcennutzung und für die Erholungsvorsorge, das Naturerleben und die Qualität touristischer Destinationen in Deutschland. Daraus erwächst eine nationale Verantwortung der Bundesregierung, um die Anstrengungen in Bund, Ländern und vor allem den Kommunen zur Entwicklung der GI zu unterstützen. Im Bundeskonzept zur GI hat das Bundesamt für Naturschutz im Frühjahr 2017 die wesentlichen Aufgaben und Komponenten der GI für Deutschland dargestellt.
Der BBN fordert
- eine Beschlussfassung der Bundesregierung zum Bundeskonzept GI und Einrichtung eines eigenen Fonds zur Förderung von Projekten der Kommunen und der Länder zur GI für erste Pilotvorhaben und dann in der Verstetigung auf etwa 1 Mrd. €; die Grundlage hierfür bildet unter anderem das Weißbuch Grün in der Stadt – im BauGB sind entsprechende Regelungen zu treffen;
- finanzieller Ausbau des Programms zur Wiedervernetzung von Lebensräumen im Zusammenhang der Verkehrsanlagen des Bundes und der Bundesliegenschaften durch prozentuale Mittelbereitstellung sowie dem Bundeswald;
- Novellierung des BauGB mit Akzentuierung von Standards zur Grünstruktur und für die GI im Siedlungsbereich; die Schaffung einer eigenen städtebaulichen Förderung für Maßnahmen der GI auf Basis des Weißbuches;
- nationale Umsetzung des europäischen Programms TEN G zur europäischen Zusammenarbeit und im europäischen Kontext des Ausbaus der Grünen Infrastruktur;
- Schaffung rechtlicher und organisatorischer Voraussetzungen zur Umsetzung des Programms „Blaues Band“;
- Notifizierung und Ratifizierung der europäischen Landschaftskonvention ELC.
3. Gemeinsame Agrarpolitik neu gestalten
Der Rückgang der biologischen Vielfalt in der landwirtschaftlichen Produktionsfläche ist besorgniserregend hoch und hat die Grenzen der Belastbarkeit erreicht und z.T. überschritten. Diese immer noch zunehmende Tendenz muss dringend umgekehrt werden. Vor allem die Landwirtschaftspolitik der EU und des Bundes ist an maßgeblichen Umwelt- und Naturschutzstandards auszurichten. Die bisherigen EU-weiten Maßgaben für die 2. Säule in der GAP und das Greening sind nicht ausreichend und ungeeignet, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ist das Positionspapier der Verbändeplattform 2017 heranzuziehen.
Der BBN fordert
- eine grundlegende Neufassung der GAP und Paradigmenwechsel für die nächste Förderperiode u.a. durch Festlegung von Zahlungen nur noch für Gemeinwohlleistungen;
- die Neuausrichtung der GAP mit deutlicher Akzentuierung der Anforderungen von Naturschutzzielen in der landwirtschaftlichen Bodennutzung und eine deutliche Stärkung der 2. Säule der GAP;
- Änderung der Landwirtschaftsklausel im BNatSchG – es ist dringend erforderlich, die maßgeblichen Standards für eine umweltgerechte und naturschutzangepasste Bodennutzung in den Maßgaben der „guten fachlichen Praxis“ durch klare Grundpflichten neu zu bestimmen;
- Änderung der Zulassungsverfahren und Anwendungsbestimmungen für Pestizide und Einführung einer aufkommensneutralen Pestizidabgabe, die sich an der Giftigkeit der Mittel für wildlebende Tier- und Pflanzenarten orientiert; die eingenommenen Mittel sollen in voller Höhe an landwirtschaftliche Betriebe gehen, die Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität durchführen, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen;
- Einführung einer Stickstoffsteuer mit dem Ziel der Senkung von Einträgen in Böden und Gewässer und Umsetzung des novellierten Düngerechts zur Entwicklung von Stoffstrombilanzen;
- Streichung aller Zuschüsse zur Entwässerung organischer Böden;
- die gezielte Unterstützung des ökologischen Landbaus und Steigerung des Flächenanteils auf mindestens 20 %.
4. Klimaanpassung, Bodenschutz und Hochwasserschutz fortentwickeln
Die klimatischen Veränderungen führen zu großen Problemen nicht nur im Naturschutz. Daher sind zur Bewältigung dieser Herausforderungen konsequente Maßnahmen gegen Treibhausgasemissionen durchzusetzen. Weiterhin sind Anpassungsstrategien gegen die prognostizierten Folgen des Klimawandels zu entwickeln. Die bisherigen Anstrengungen sind bei weitem nicht ausreichend.
In diesem Zusammenhang sind für die Bewirtschaftung und Inanspruchnahme von Ökosystemen und Grünstrukturen dringend klare Vorgaben notwendig. Dies betrifft Kohlenstoffsenken und auch klimadämpfende Maßnahmen in der grünen Infrastruktur. Bodenschutzziele müssen zu einem festen Bestandteil der räumlichen Planung werden, um die Flächeninanspruchnahmen am 30-ha-Ziel effektiver auszurichten und sensible Böden wie Moorböden und Auen in ihrer Substanz zu erhalten. Die Retentionsfähigkeit der Fließgewässersysteme muss deutlich erhöht werden, Auen müssen entschieden reaktiviert werden. Die Lebensräume in Gewässern und Auen sind Hotspots der Biodiversität und müssen als solche in den Focus genommen werden.
Der BBN fordert
- die Ausrichtung der räumlichen Planung an den umweltschützenden Zielen der Klimaanpassung, des Bodenschutzes und der Gewässerentwicklung; Anpassung von Raumordnungsgesetz, Baugesetzbuch und Bundesnaturschutzgesetz;
- Stärkung des Bodenschutzes und der Grundpflichten in der Bodennutzung durch Novellierung des Bundesbodenschutzgesetzes;
- verbesserte gesetzliche Regelungen zur guten fachlichen Praxis zum Schutz des Grünlandes und strikte Einhaltung und Kontrolle des Umbruchverbots von Dauergrünland;
- höhere Bundesförderung zur Schaffung von Retentionsräumen sowie zur Wiedervernässung von Moor- und Auenböden unter Stärkung der gesetzlichen Zielbestimmungen im Wasserhaushaltsgesetz.
5. Naturschutz und erneuerbare Energien gemeinsam entwickeln
Die im internationalen Paris-Abkommen verabschiedeten Klimaschutzziele müssen in nationalen Gesetzen, Regelungen und Aktivitäten umgesetzt werden. Im Zuge der Dekarbonisierung ist insbesondere der Kohleausstieg zügig, umwelt- und sozialverträglich verbindlich umzusetzen. Die Weichen sind in Richtung strombasierte Energieversorgung zu stellen, insbesondere auch im Wärme- und Verkehrsbereich. Auch die Sektoren Industrie, Landwirtschaft und Verkehr müssen ihren Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Gleichzeitig ist der Energieverbrauch konsequent zu senken und die Energie effizient zu verwenden.
Der BBN fordert:
- Für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sind Fachstandards für einen natur- und landschaftsverträglichen Ausbau festzulegen. Die Konzentration auf die aus Naturschutzsicht geeignetsten Standorte ist dabei zentrales Anliegen. Die vorhandenen Umweltprüfungs- und Naturschutzinstrumente sind dabei zur räumlichen Steuerung einzusetzen. Energieerzeugung und -transport (Netzausbau) müssen durch geeignete Instrumente harmonisiert werden.
- Die Anlagen müssen technisch weiterentwickelt und unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung und Verminderung optimiert werden. Der in wettbewerblichen Verfahren bestehende Zwang zur Kostensenkung darf nicht zu Lasten der Planungsqualität gehen. Die Inanspruchnahme von Freiflächen für Photovoltaikanlagen soll zugunsten von Dachanlagen abgebaut werden.
- Durch Forschung und Erprobung soll die Technikentwicklung im Sinne des Naturschutzes vorangetrieben werden. Hierfür sind ausreichend Mittel bereitzustellen.
- Die baurechtliche Privilegierung der Errichtung von Windenergieanlagen soll entfallen. Durch eine Stärkung der räumlichen Steuerung durch die Länder können bereits auf der regionalen Ebene durch Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes geeignete Standorte gefunden werden.
- Eine Einschränkung der gesetzlichen Eingriffsregelungen zur Erreichung der Energiewende ist kontraproduktiv und hat zu unterbleiben.
6. Nationales Zentrum für Daten und Informationen zur biologischen Vielfalt einrichten
Der Bedarf an naturschutzrelevanten Daten und Informationen nimmt deutlich zu. Für die Fachverwaltungen wird dabei schwieriger, aktuelle und für die Entscheidungsprozesse geeignete Daten bereitzuhalten. Ein bundesweites Datenzentrum ist erforderlich, um einheitliche Datengrundlagen in Deutschland zu schaffen. Die Naturschutzverwaltungen brauchen für ihre Aufgabenwahrnehmung einheitliche abgestimmte fachliche Grundlagen zur Bewertung.
Der BBN fordert den Aufbau eines bundesweiten Datenzentrums beim Bundesamt für Naturschutz (BfN). Dieses Zentrum soll gemeinsam von Bund und Ländern eingerichtet werden, um den Aufwand für Datenerhebung und -bereitstellung zu reduzieren und den Datenaustausch zu erleichtern.
7. Stellenausstattung und Kompetenz der Naturschutzverwaltung des Bundes an Aufgaben anpassen
Immer neu hinzukommende gesetzliche Aufgaben, die Herausforderungen der Naturschutzverwaltung durch die Energiewende sowie große Infrastrukturprojekte des Bundes erfordern eine wesentliche personelle Stärkung der Naturschutzverwaltung des Bundes.
Der BBN fordert
- 100 neue Stellen für die Naturschutzverwaltung des Bundes einzurichten,
- die Stärkung der Naturschutzbelange bei Entscheidungen des Bundes durch eine Einvernehmensregelung zur Naturschutzverwaltung des Bundes im Bundesnaturschutzgesetz und einschlägige Verordnungen auch zur besseren Rechtssicherheit von Entscheidungen.
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