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Tagungsberichte

Fünf Jahre Ökokonto in Baden-Württemberg

Ökokonten ermöglichen vorgezogene Maßnahmen der Kompensation: Heute reali­sierte Maßnahmen werden für später durchgeführte Eingriffe verwendet. Baden-Württemberg blickt auf fünf Jahre Praxis seiner Ökokonto-Verordnung zurück – der Berufsverband Landschaftsökologie Baden-Württemberg e.V. hat bei seiner Verbandstagung in Stuttgart kritisch Bilanz gezogen.

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Streuobstwiesen zu optimieren, ist in baden-württembergischen Ökokonten wirtschaftlich eher unattraktiv – Beispiele wie dieses sammelte eine Tagung in Stuttgart.  © Heike Seehofer
Streuobstwiesen zu optimieren, ist in baden-württembergischen Ökokonten wirtschaftlich eher unattraktiv – Beispiele wie dieses sammelte eine Tagung in Stuttgart. © Heike Seehofer
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Bilanz und Ausblick bei Jahrestagung des BVDL

Für die freiberuflich tätigen Landschaftsökologen, Planer- und Gutachterbüros liefert die Eingriffsregelung einen stetigen Arbeitsbereich: Gebaut wird immer und Eingriffe in den Naturhaushalt sind damit auszugleichen. Seit Novellierung des BNatSchG 2010 können Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bevorratet werden (§ 16 Abs. 1): „Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die im Hinblick auf zu erwartende Eingriffe durchgeführt worden sind, sind als Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen anzuerkennen [...]“.

Das Instrument des Ökokontos bietet die Möglichkeit, solche vorgezogen durchgeführten Maßnahmen zu dokumentieren und verwalten, bis sie einem Eingriff zugeordnet und vom Konto „abgebucht“ werden. Diese Umsetzung ist Länderaufgabe. Baden-Württemberg hat dazu eine Ökokonto-Verordnung (ÖKVO) erlassen, die seit 01. April 2011 in Kraft ist. Fünf Jahre Praxiserfahrungen in der Umsetzung waren für den Berufsverband Landschaftsökologie Baden-Württemberg e.V. (BVDL) Anlass, im Rahmen seiner Jahrestagung in Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Landes­anstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, LUBW, Bilanz zu ziehen. Die Zeitschrift Naturschutz und Landschaftsplanung gestaltete als Medienpartner die Tagung mit.

Themen im Überblick

Einführend stellte Thomas Breunig (Institut für Botanik und Landschaftskunde, Karlsruhe) die Grundlagen der Ökokonto-Regelung in Baden-Württemberg vor („Von der Ökologie zur Ökonomie und zurück“). Manfred Schmidt-Lüttmann (LUBW, Sachgebiet Landschaftsplanung/ Eingriffsregelung) erläuterte erste Überlegungen zu einer Evaluation der Verordnung. Darauf aufbauend lieferten sechs Kurzstatements Bei­spiele aus der Praxis, die gleichermaßen Chancen und Schwierigkeiten der Umsetzung darstellten: Josef Kiechle (Büro für ökologische Landschaftsplanung, Gott­madingen-Randegg) formulierte kritische Fragen zur Bewertung von Baggerseen und Feldhecken. „Vergessen wir bei allem Rechnen den Kern der Eingriffsregelung?“, fragte Dipl.-Ing. Norbert Menz (menz + weik GbR Landschaftsarchitekten und Ingenieure, Tübingen), der sich auf die Sanierung von Streuobstwiesen bezog. Daran knüpfte Prof. Dr. Christian Küpfer (Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Landschaftsplanung) mit Vorschlägen an, wie Maßnahmen im Bereich Streuobst und von Gewässern differenziert bewertet werden könnten.

Besondere Herausforderungen bei der Anwendung des Ökokontos zur Wiedervernässung von Mooren beschrieb Dr. Alois Kapfer (Ingenieurbüro Dr. Kapfer Landschaftsplanung + Landentwicklung, Tuttlingen). Am Beispiel des Braunkehlchens demonstrierte Dipl.-Biol. Mathias Kramer (Tübingen) die Ökokonto-Anwendung, während Dr. Klaus-Jürgen Maier (Büro für Gewässerökologie, Fischerei- und Umweltfragen, Maselheim) Bewertungsaspekte und Aufwertungspotenziale für Kraftwerkskanäle demonstrierte. Prof. Dr. Eckhard Jedicke (Hochschule Geisenheim und Redaktion Naturschutz und Landschaftsplanung) zog ein Resümee der Tagung, die durch lebhafte Diskussionen, moderiert von Markus Mayer, gekennzeichnet war, und fasste einige Ergebnisse zusammen.

Bewährt, aber optimierbar

Das Instrument des Ökokontos hat sich grundsätzlich bewährt – darüber herrschte Einigkeit. Es hilft, ökologische Kosten zu internalisieren. 3 % Verzinsung sind mit Blick auf den Kapitalmarkt derzeit attraktiv. Rund 320 Ökokonto-Maßnahmen wurden seit 2011 bis Dezember 2015 gemäß LUBW-Statistik genehmigt und gut 130 davon auch umgesetzt. Hinsichtlich der Wirkungsbereiche dominieren unter den genehmigten Maßnahmen solche zur Verbesserung der Biotopqualität und die Schaffung höherwertiger Biotoptypen (zusammen 64 % ). Die weiteren Wirkungsbereiche haben nachgeordnete Bedeutung: 14 % betreffen Wiederherstellung und Verbesserung von Bodenfunktionen, 11 % Förderung spezifischer Arten, 6 % Verbesserung der Grundwassergüte und 4 % punktuelle Biotop-Maßnahmen. Die zugrundeliegende Biotopwertliste enthält 223 Biotoptypen mit einer Wertspanne von 1 bis 64 Ökopunkten/m².

Mit dem entwickelten methodischen Vorgehen könnte – und sollte – das Ökokonto-Handwerkszeug auf die gesamte Eingriffs-Ausgleichs-Regelung angewendet werden, denn es gibt klare Regeln für Schutzgüter und Wirkungsbereiche, Maßnahmenbereiche und besonders den Ablauf des Bewertungsverfahrens mit einem Punktesystem vor. Diese gelten jedoch nur für die Anwendung des Ökokontos gemäß BNatSchG – also nicht für die Anwendung der Eingriffsregelung nach §§1a und 35 BauGB in der Bauleitplanung.

Nach fünf Jahren Praxis plant die LUBW nun eine Evaluierung durch einen externen Auftragnehmer, um Stärken und vor allem Schwächen der ÖKVO zu identifizieren – eine Anregung der Umweltverbände, wie Manfred Schmidt-Lüttmann erläuterte. Sie soll insbesondere das Verfahren, die ökokontofähigen Maßnahmen und die auf fachlichen Konventionen beruhenden Bewertungsfahren unter die Lupe nehmen. Die Evaluation sollte, so ein Wunsch in der Diskussion, den Weg zur Schaffung eines Kompensations-Komplettsystems ebnen:

Auch das methodische Vorgehen, um die Erheblichkeit eines geplanten Eingriffs zu klären, sollte beschrieben werden – denn die fundierte Klärung ist der erste Schritt, der absolviert sein muss, um das Öko­konto anwenden zu können.

Bereits die Bewertung des Eingriffs ­sollte in derselben Verordnung geregelt werden.

Neben Arten und Biotopen, Wasser und Boden sollten künftig schrittweise andere Felder der Eingriffsregelung wie Landschaftsbild und klimatische Funktionen integriert werden.

Aus fachlicher Sicht wäre eine Erweiterung der Gültigkeit der VO auch für das Ökokonto im Rahmen der Bauleitplanung wünschenswert.

Dabei sollte auch die überordnete naturschutzfachliche Zielstellung diskutiert werden, um die Effizienz der ÖKVO zu verbessern. Die bei der Tagung vorgestellten Beispiele und Diskussionsbeiträge lieferten zahlreiche konkrete Hinweise, wo die Evaluatoren besonders prüfen sollten. Einige Beispiele aus Tagungsbeiträgen und Diskussion sind nachfolgend genannt.

Umsetzungsdefizite und Schwierig­keiten

Verschiedene Bewertungen der geltenden ÖKVO wurden auf der Tagung hinterfragt:

Die ÖKVO sieht die Anlage von Feld­hecken nur im Rahmen von naturschutzfachlichen Planungen vor, damit indivi­duell entschieden werden kann, ob eine Hecke eine Strukturanreicherung bewirkt oder aber, z.B. in Wiesenbrütergebieten, negativ zu werten ist. Die Vorgabe der naturschutzfachlichen Planung wird nicht immer angewandt. Im Vergleich zu einer Fettwiese erhält eine Feldhecke bisher nur eine geringfügig bessere Bewertung – hier scheint der Maßstab zu korrigieren sein.

Für das Streuobst sind vielfältige Maßnahmen ökokontofähig. Von den Referenten wurde folgende Problematik aufgeworfen: Aufwertungsmaßnahmen bestehender Obstbaumbestände auf mittel- bis hochwertigen Biotoptypen lohnen in der Regel ökonomisch nicht; die Schaffung eines Tümpels oder einer Hochstaudenflur bringt stets mehr Ökopunkte mit erheblich geringerem Aufwand. Manche Maßnahmen sind wirtschaftlich gesehen unattraktiv und finden daher in der Praxis kaum Berücksichtigung. Ein Beispiel: Die Instandsetzung von Streuobstwiesen ist aufwändig und kostet zwischen 0,85 und 1,70 € pro Ökopunkt. Die Extensivierung einer Grünland-Nutzung hingegen erfordert lediglich einen Aufwand von 0,37 € je Ökopunkt. Wenn aber eine Maßnahme z.B. naturschutzfachlich besonders hochwertig ist, sollte in Relation zur Aufwändigkeit der Maßnahme ein Zuschlag an Ökopunkten möglich sein. Entsprechend sollte die Bewertung der verschiedenen Biotoptypen hinsichtlich ihrer faunistischen Bedeutung überprüft werden. Daher wurde eine vergrößere Wertspanne für Maßnahmen im Bestand hinsichtlich Bestandsgröße, Baumdichte, Baumartenspektrum und Vitalität der Bäume vorgeschlagen.

Bei punktuellen Maßnahmen an Gewässern sollten die Kriterien der Gewässer-Strukturkartierung Eingang in die Bewertung finden.

Geht es um die Förderung ausgewählter Arten, so stehen verschiedene potenzielle Schwierigkeiten im Raum, für die noch bessere Lösungen gefunden werden müssen. Zu beachten ist etwa, dass in bestehenden Vorkommensgebieten Sogwirkungen ausgelöst werden können: Die Art verlagert ihre Vorkommen in verbesserte Flächen, erhöht aber nicht ihren Bestand im Gebiet insgesamt. Offen ist, wie externe Effekte in der Bewertung berücksichtigt werden, wenn etwa das Braunkehlchen allein aufgrund überregional wirksamer Ursachen zurückgeht. Generell bedarf es zur Bilanzierung des Maßnahmenerfolgs bei Arten weiterer Erfahrungen und deren Integration in die Richtlinie – werden z.B. Brutreviere oder spezifischer Bruterfolg gewertet? Auch eine Gretchenfrage wurde gestellt: Ist die Berücksichtigung von Einzelarten in der Ökokonto-Regelung überhaupt sinnvoll oder gäbe es Alternativen? Andererseits werden bei vielen Eingriffen die Habitate verschiedener Einzelarten mit differenzierten Habitat- und Raumansprüchen zerstört. Deshalb ist es sinnvoll, hier durch die ÖKVO auch umfänglich und nicht allein für eine Einzelart Ersatz zu schaffen.

In der Ökokontoverordnung ist die Berücksichtigung der Kosten nur für punktuelle Maßnahmen vorgesehen. Die Forderung nach einer höheren Bewertung aufgrund ökonomischer Nicht-Effizienz führt zu einer Verquickung von ökologischer Bewertung und naturschutzpolitischen Forderungen. Die ÖKVO ist weder ein Förder­programm noch ein Steuerungsin­strument des Naturschutzes. Aufgrund der nicht unbeträchtlichen Ressourcen, die mit­tels der ÖKVO umgesetzt werden, sollte dieser Punkt in der Evaluation betrachtet werden. Von den Umweltverbänden wurde auch kritisch bemerkt, dass das Ausmaß der bevorrateten Ökopunkte das Ausmaß an Biotopzerstörung an anderer Stelle ­zulässt.

Manche Verfahrensfragen offen

Nur im Wald stattfindende Eingriffe sollten auch im Wald ausgeglichen werden. In der Praxis aber lenken die Kommunen in vielen Fällen Ökokonto-Maßnahmen grundsätzlich auf Waldflächen, weil diese hier billiger realisierbar erscheinen.

Für Maßnahmen an Gewässern bedarf es einer genaueren Definition punktförmiger Maßnahmen.

In der Praxis können die großen Wertspannen bei den Biotopbewertungen, die in begründeten Ausnahmefällen sogar noch überschritten werden dürfen, angewendet werden, um den Einzelfällen lokal gerechter werden zu können.

Maßnahmen zur Moorregeneration erscheinen im Rahmen eines Ökokontos nur dann zielführend, wenn sie jeweils den gesamten Moorkörper berücksichtigen – hier bedarf es einer Verzahnung des Ökokontos mit der Moorschutzkonzeption des Landes. Dies kann im Rahmen der erforderlichen naturschutzfachlichen Planungen erfolgen.

Nicht allein für Moor-Maßnahmen, auch für andere schwierig zu realisierende, aber fachlich besonders hochwertige Maßnahmen fragt die Praxis nach „Rahmenkon­zepten“ wie eine Moorschutzkonzeption, so dass Planung und Realisierung fundiert und effektiviert werden.

Zwingend erforderlich erscheint die verpflichtende Einführung einer Umsetzungs- und auch Erfolgskontrolle – die dafür ­prädestinierten Unteren Naturschutzbehörden sind dazu personell entsprechend auszustatten. Aus rechtlicher Sicht ist jedoch die Erfolgskontrolle nicht zwingend vorschreibbar. Diese Thematik sollte in der geplanten Evaluation der ÖKVO aufgrund ihrer hohen Bedeutung für die Effizienz besonders beachtet werden.

... und wenn der Erfolg ausbleibt?

Wird erst einmal ernsthaft kontrolliert, ob geplante Maßnahmen realisiert wurden und den vorgesehenen Erfolg erzielen, so rückt eine ganz zentrale Frage endlich in den Fokus: Was passiert, wenn eine Maßnahme zwar umgesetzt wurde, aber das Ziel nicht erreicht wurde oder zumindest aktuell nicht? Denn die Funktionsfähigkeit muss über (mindestens) 25 Jahre gewährleistet werden.

So stieß die Tagung eine für die Zukunft des Ökokontos wie der Eingriffsregelung insgesamt sehr wichtige Diskussion an. Bleibt zu hoffen, dass diese im Zuge der Evaluation unter intensiver Einbindung der Praktiker fortgesetzt und intensiviert wird – und dass dann die notwendigen Schlussfolgerungen über eine Novellierung der Verordnung und weitere Unterstützung durch das Land umgesetzt werden. Denn die Situation des Naturhaushalts ist zu schlecht, um inkonsistent mit den Kompensationsmitteln umzugehen!

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