Wiedervernetzungsmaßnahmen an Straßen zur Stärkung des Biotopverbunds
Abstracts
Mit dem Landeskonzept Wiedervernetzung an Straßen und mit dessen sukzessiver Umsetzung leistet Baden-Württemberg einen wichtigen Beitrag dazu, das Biotopverbundsystem zu stärken und die biologische Vielfalt zu sichern. Die Ausarbeitung des Fachkonzepts stützte sich in wesentlichen Teilen auf das Bundesprogramm Wiedervernetzung (2012), den Fachplan „Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg“ (2012) sowie den Generalwildwegeplan des Landes (2010). Wesentliche Bestandteile des Konzepts sind die Identifizierung und Priorisierung von Wiedervernetzungsabschnitten im Straßennetz. Die Straßenbauverwaltung erhält hierdurch eine Planungsgrundlage, um die Vernetzung von Lebensräumen bei Neu-, Ausbau- und Erhaltungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Auf das Konzept kann zudem zurückgegriffen werden, wenn für Bundesfernstraßen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen oder im Land Mittel für Wiedervernetzungsmaßnahmen ausgewiesen werden. Schließlich kann das Konzept dazu dienen, Wiedervernetzungsmaßnahmen zu identifizieren, die zur Kompensation umgesetzt werden können.
Connectivity measures along roads to strengthen the ecological networks – the new state concept of the Ministry for Traffic and Infrastructure Baden-Württemberg
The state concept ’Connectivity Measures along Roads‘ and its successive implementation provides an important contribution to the strengthening of the existing network of biotopes and to the safeguarding of biological diversity. The development of the concept mainly bases on the ‘Federal Programme ‘Connectivity’ (2012)’, on the sectoral plan ‘State-wide Biotope Network Baden-Württemberg’ (2012) as well as on the ‘General plan of wild corridors in Baden-Württemberg’ (2010). Major components of the concept are the identification and prioritization of sections in the road network which need to be re-linked. The concept provides a planning base to maintain or re-establish the linking of habitats in the context of new constructions, restorations or maintenance measures. The concept can also help to identity connectivity measures which can serve as compensation measures.
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1 Bausteine des Landeskonzepts Wiedervernetzung
Das Landeskonzept Wiedervernetzung in Baden-Württemberg setzt sich aus drei Bausteinen zusammen:
einer Reihung der im Bundesprogramm Wiedervernetzung enthaltenen prioritären Wiedervernetzungsabschnitte,
der Aktualisierung und Priorisierung von Amphibienwanderstrecken mit Straßenquerung
und der Auswahl und Priorisierung von Konfliktstellen auf Basis des Fachplans „Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg“ und des Generalwildwegeplans.
Auf den letztgenannten Baustein wird im Folgenden näher eingegangen. Für die Umsetzung der Wiedervernetzungskonzepte des Bundes und des Landes Baden-Württemberg war mit Beginn der laufenden Legislaturperiode ein interministerieller Arbeitskreis unter Beteiligung des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg (MVI) sowie des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) gegründet worden.
2 Beitrag zum gesetzlich verankerten Biotopverbund
Das rechtliche Erfordernis von Wiedervernetzungsmaßnahmen ergibt sich sowohl aus den Vorgaben des europäischen als auch des nationalen Natur- und Artenschutzrechts. Auf europäischer Ebene ordnet die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH-Richtlinie) in Art. 3 Abs. 3 an, dass die ökologische Kohärenz von Natura-2000-Gebieten verbessert werden soll.
Kohärenz kann vor allem auch dadurch erlangt werden, dass Wanderwege von Tieren aufrechterhalten bzw. wiederhergestellt werden. Solche Maßnahmen zur Wiedervernetzung können zur Erreichung dieses Ziels einen entscheidenden Beitrag leisten.
Im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist die dauerhafte Sicherung der biologischen Vielfalt als ein grundlegendes Ziel enthalten. Hierzu sind insbesondere lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und der Austausch zwischen den Populationen sowie Wanderungen und Wiederbesiedlungen zu ermöglichen. Der Biotopverbund (§21 BNatSchG) ist ein wichtiges Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.
Das jüngst novellierte Naturschutzgesetz Baden-Württemberg konkretisiert die Zielvorgabe dadurch, dass es den Fachplan Landesweiter Biotopverbund einschließlich des Generalwildwegeplans (GWP) als Grundlage für die Schaffung des Biotopverbundes benennt (§22 NatSchG, Drucksache 15/7033 des Landtags von Baden-Württemberg).
Als ein Baustein trägt das Landeskonzept Wiedervernetzung an Straßen des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg wesentlich zur Realisierung des geforderten landesweiten Biotopverbunds bei, indem es Konfliktstellen an Straßen aufzeigt und damit die Grundlage für deren Beseitigung legt.
Die Anlage von Tierquerungshilfen auf Basis dieses Konzepts soll darüber hinaus auch der Reduzierung oder abschnittsweise der vollständigen Vermeidung von Wildunfällen und somit der Verkehrssicherheit dienen.
3 Landesweiter Fachplan zum Biotopverbund einschließlich Generalwildwegeplan als Auswertungsbasis
Die fachliche Grundlage für die Auswahl und Priorisierung von Wiedervernetzungsabschnitten an bestehenden Straßen wurde für das Offenland anknüpfend an den Fachplan „Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg“ erarbeitet (s. http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/ 216969/), zu dem die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg bereits einen Arbeitsbericht und eine Arbeitshilfe herausgegeben hat (LUBW 2014a, b). Ziel des Fachplans ist es, heimische Arten, Artengemeinschaften und ihre Lebensräume des Offenlands nachhaltig zu sichern sowie funktionsfähige Wechselbeziehungen in der Landschaft zu bewahren, wieder herzustellen und zu entwickeln. Der Biotopverbund fördert u.a. Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungsprozesse, die auch im Hinblick auf die durch den Klimawandel hervorgerufenen Arealverschiebungen bei einer Reihe von Arten von besonderer Bedeutung sind.
In den Fachplan integriert wurde der von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) im Auftrag des MLR entwickelte GWP mit den dort enthaltenen Wildtierkorridoren für den Verbund von Waldflächen und Großsäugerpopulationen.
Der Fachplan Landesweiter Biotopverbund und der GWP haben im Jahr 2015 mit der Aufnahme in das novellierte Naturschutzgesetz Baden-Württemberg sowie in das novellierte Jagd- und Wildtiermanagementgesetz eine konkrete gesetzliche Grundlage erhalten. Beide Fachpläne sind hiernach als Informations-, Planungs- und Abwägungsgrundlage bei raumwirksamen Vorhaben zu berücksichtigen.
4 Analyseschritte
Im Rahmen des Projekts standen Straßenabschnitte im Fokus, an denen eine Entschärfung oder Beseitigung der bestehenden Trennwirkung besonders bedeutsam für die Stärkung des Biotopverbunds ist bzw. sein kann. Entsprechende Maßnahmen können z.B. der Bau einer Grünbrücke oder die Optimierung von bestehenden Brücken- oder Unterführungsbauwerken sein.
Um entsprechende Wiedervernetzungsabschnitte zu ermitteln, wurde eine Abfragetabelle zu bekannten oder potenziell naturschutzfachlich hochwertigen Tierquerungsabschnitten an Straßen erstellt. Diese wurde mit der Bitte um Bearbeitung an die unteren Verwaltungsbehörden und Regierungspräsidien sowie an die Landesnaturschutzverbände verschickt. Die Tabelle beinhaltete u.a. auch Fragen nach Arten des Zielartenkonzepts des Landes. Weiterhin wurde die Datengrundlage des Fachplans Landesweiter Biotopverbund und des GWP für weitergehende Auswertungen herangezogen.
Als besonders bedeutsame Räume des Biotopverbunds im Offenland wurden diejenigen ausgewählt, die landesweit und auf Naturraumebene die höchste Flächensumme an Kernflächen des Fachplans Landesweiter Biotopverbund aufweisen. Die Kernflächen stellen das essenzielle Gerüst des Verbundraums dar und setzen sich schwerpunktmäßig aus den gesetzlich geschützten Biotopen, den Flächen des Artenschutzprogramms, besonderen Grünlandflächen in FFH-Gebieten und den Streuobstgebieten zusammen. Im Sinne des Fachplans wurde dabei getrennt nach Kernräumen feuchter, mittlerer und trockener Standorte. Die bedeutendsten Verbundräume wurden mit dem relevanten Straßennetz verschnitten, so dass die maßgeblichen Straßenabschnitte, die zu einer Zerschneidung der Verbundflächen führen, extrahiert werden konnten. Als relevante Straßen wurden dabei alle Bundesfernstraßen und darüber hinaus Landes- und Kreisstraßen mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsbelastung (DTV) von ≥5000 Kfz/24h eingestuft.
Als Grundlage für die weitergehende Auswahl und die Priorisierung der Wiedervernetzungsabschnitte im Offenland wurde berechnet, welcher mögliche absolute und prozentuale Zugewinn an Kernfläche in einem Verbundraum erzielt werden kann, wenn an dem betroffenen Straßenabschnitt eine Wiedervernetzungsmaßnahme realisiert wird. Im weiteren Verlauf wurden vorrangig diejenigen Abschnitte in die Betrachtung einbezogen, an denen möglichst durch einzelne oder wenige Wiedervernetzungsmaßnahmen ein relevanter Zugewinn an Kernflächen erreicht werden kann. Als weitere wesentliche Kriterien wurden die Nähe von Kernflächen zu einer potenziellen Querungsstelle, die konkrete naturschutzfachliche Bedeutung auf Basis einer Einschätzung der Fachgutachter sowie der mögliche Beitrag zur ökologischen Kohärenz von Natura-2000-Gebieten herangezogen.
Die in diesem Arbeitsschritt ermittelte Vorauswahl sowie weitere potenziell interessante Abschnitte wurden vor dem Hintergrund der örtlichen Umfeldsituation (Wald, Siedlung, Topgraphie, ggf. Hinweise auf standörtliche Ausprägung, parallel verlaufende Gewässer, bereits vorhandene Brücken- und Unterführungsbauwerke u.a.) anhand einer Luftbildsichtung und ggf. mittels weiterer Quellen näher geprüft. Ungeeignet erscheinende Bereiche wurden dabei ausgeschieden.
Im Hinblick auf die großräumige Verbundsituation für den Lebensraum Wald sowie für wildlebende mobile Säugetiere konnte auf die im GWP (Stand 2010) bereits enthaltene Priorisierung von Straßenabschnitten für die Wiedervernetzung zurückgegriffen werden. Darauf aufbauend hat die FVA eine verfeinerte Auswahl der im Landeskonzept Wiedervernetzung an Straßen vorrangig zu berücksichtigenden Querungsabschnitte vorgenommen. In einem ersten Schritt wurde dafür zunächst die maßstäbliche Bedeutung des Korridors (international, national oder landesweit) in Verbindung mit der Eignung für ein engeres (Wald bewohnende Säugetiere) bzw. ein breiteres Artenspektrum (multifunktional) herangezogen. Außerdem wurde die Barrierewirkung abhängig von der Verkehrsstärke (am höchsten: Autobahnen; Bundes-, Landes- und Kreisstraßen mit einer DTV von >15000 Kfz/24h) berücksichtigt.
Auf diese Vorauswahl wurden anschließend weitere Kriterien angewendet. Dazu zählen vor allem eine räumliche Beziehung zu einem der zwölf prioritären Abschnitte des Bundesprogramms Wiedervernetzung oder zu einer Engstelle des Korridors zwischen Siedlungsbereichen, Vorkommen und Ausbreitungsräume seltener Arten wie z.B. der Wildkatze (Felis silvestris), eine hohe erwartete Effizienz durch Maßnahmen an nur einem Straßenabschnitt sowie die Ergebnisse der landesweiten Erhebung der Wildunfallschwerpunkte. Die Schutzgebietskulisse war bereits bei der Herleitung der Korridore berücksichtigt worden, wurde als Effizienzkriterium aber nochmals überprüft und einbezogen.
5 Ergebnisse
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurde eine Liste mit den 125 wichtigsten Konfliktstellen im Land erstellt. Aus dieser Liste wurde wiederum eine Tabelle mit den vorrangigsten 25 Wiedervernetzungsabschnitten erarbeitet (Kartenübersicht in Abb. 1).
Da das bereits vorliegende und in Baden-Württemberg in Umsetzung befindliche Bundesprogramm mit den prioritären Abschnitten in erster Linie der Wiedervernetzung der Lebensräume Wald bewohnender Arten zu Gute kommt und damit dem Grundgedanken der Biodiversität noch nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, wurden die ersten fünf Plätze in der Tabelle des Landesprogramms mit Maßnahmenbereichen im Offenland belegt. Danach wurde abwechselnd jeweils eine Konfliktstelle des GWP und des Offenlandes gereiht. Damit berücksichtigt die Reihung die unterschiedlichen Kriterien aus dem GWP und der Fachplan-Analyse.
Für alle gereihten Maßnahmenbereiche liegen Einzelkarten vor, in denen der jeweilige Abschnitt vor dem Hintergrund der topographischen Karte und des umgebenden Ausschnitts der Verbundraumkulisse des Fachplans Landesweiter Biotopverbund bzw. des GWP dargestellt sind. Für die vorrangigsten 25 priorisierten Wiedervernetzungsabschnitte existieren darüber hinaus Steckbriefe und eine Übersichtskarte, die auch die prioritären Wiedervernetzungsabschnitte des Bundesprogramms nachrichtlich beinhaltet. Die genannten Unterlagen können auf der Internetseite des MVI eingesehen werden: http://mvi.baden-wuerttemberg.de/de/mensch-umwelt/massnahmen-fuer-den-naturschutz/wiedervernetzungskonzepte/.
6 Ausblick
Im vierten Quartal 2015 wird das MVI eine umfassende Arbeitshilfe zum Landeskonzept Wiedervernetzung an Straßen veröffentlichen. Diese wird neben einer detaillierten Projektbeschreibung und den Prioritätenlisten samt Steckbriefen verschiedene Übersichts- und Detailkarten sowie Hinweise zur Anwendung des Landeskonzepts bei der Standortfindung und Planung von Wiedervernetzungsmaßnahmen enthalten.
Für die Funktionalität einer Tierquerungshilfe ist auch deren Anbindung an das direkte Umfeld und an die Lebensräume im Hinterland von großer Bedeutung. Hieran zeigt sich, wie wichtig es ist, Wiedervernetzung als gemeinsame Querschnittsaufgabe aufzufassen. Das MVI wird daher an das MLR herantreten, um zu klären, wie die einzelnen Beiträge seitens des Naturschutzes, der Forstverwaltung, der Flurneuordnung sowie der Landschaftsplanung noch besser aufeinander abgestimmt werden können, um im Hinterland Vernetzungselemente innerhalb der Biotopverbund- und Wildtierkorridore anzulegen und dauerhaft zu sichern.
Das Landeskonzept Wiedervernetzung ist zukünftig in Ergänzung zu den Wiedervernetzungskonzepten auf Bundes- und Landesebene bei Straßenbauvorhaben bereits in einem frühen Planungsstadium zu berücksichtigen. Aufbauend auf dem Landeskonzept sind zukünftig in Abhängigkeit von den Erhebungen vor Ort und der örtlichen Situation entsprechende Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen vorzusehen. Zusätzlich kann durch die Umsetzung von Kompensationsmaßnahmen in den Verbundkorridoren und im Bereich von Amphibienwanderstrecken ein wichtiger Beitrag zur Wiedervernetzung und zum Artenschutz geleistet werden.
Das MVI hat sich zum Ziel gesetzt, ab 2016 mit dem Bau mindestens einer Wiedervernetzungsmaßnahme pro Jahr und Regierungsbezirk zu beginnen. Um nachhaltig an die Thematik herangehen zu können, ist es erforderlich, dass im Bundes- und Landeshaushalt entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das MVI wird sich hierfür einsetzen.
Literatur
LUBW (Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, Hrsg., 2014a): Fachplan Landesweiter Biotopverbund. Arbeitsbericht. 2. überarb. Aufl. Karlsruhe, 69S.
– (2014b): Fachplan Landesweiter Biotopverbund. Arbeitshilfe. Karlsruhe, 64 S.
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