Öffentliche Konsultation zu den Naturschutzrichtlinien beginnt
Der „Fitness Check“ der EU-Naturschutzrichtlinien im Rahmen des REFIT-Prozesses geht in die nächste Runde. Wie in Heft 3 beschrieben, hatte die EU-Kommission zunächst ab Mitte Januar nur die Mitgliedstaaten in einem ausführlichen Fragebogen zu den fünf Eckpunkten Effektivität, Effizienz, Kohärenz, Relevanz und EU-Mehrwert befragt. Anschließend erhielten die in Brüssel akkreditierten Dachorganisationen von Industrie, Landnutzerverbänden und Umweltverbänden ähnliche Fragebögen, zudem ausgewählte Verbände auf nationaler Ebene. Ab April folgen mehrtägige Workshops mit Experten der Kommission, den externen Beratungsbüros und nationalen Organisationen in zehn Mitgliedstaaten, darunter Schweden, Frankreich, Deutschland, Malta, die Niederlande, Polen und Großbritannien.
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Ende April soll eine öffentliche Online-Konsultation starten, bei der innerhalb der kommenden zwölf Wochen alle Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung zur Bedeutung und Zukunft der Naturschutzrichtlinien abgeben können. Der Fragebogen soll zu diesem Zweck in einen mehr allgemeinen Teil und speziellere Fragen für fachkundige Teilnehmer differenziert werden. Da bei dieser Konsultation mit einer starken Teilnahme von Landnutzern und Industrieverbänden zu rechnen ist, hoffen auch die Naturschutzverbände auf einen hohen Mobilisationsgrad bei ihren Mitgliedern.
Einerseits ist zwar beruhigend, dass sich Umweltkommissar Karmenu Vella kürzlich erneut für die Beibehaltung hoher Schutzstandards ausgesprochen hat, wie schon bei seiner Anhörung im Umweltausschuss des Europaparlamentes am 24. Februar [Naturschutz und Landschaftsplanung 47 (4): 98]: Bei einem informellen Rat der Umwelt- und Energieminister vom 14. bis 16. April in Riga hob er den Wert der biologischen Vielfalt deutlich hervor und mahnte eine faire Balance zwischen dem Schutz der Biodiversität und dem Ausbau der erneuerbaren Energien an. Der Rat befasste sich auf Vorschlag der lettischen Ratspräsidentschaft mit dem Schwerpunktthema Biodiversität und erneuerbare Energien.
Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nutzte diese Gelegenheit, auf die Bedeutung der Naturschutzrichtlinien hinzuweisen. Andererseits formiert sich gerade in Deutschland auch bereits massiver Widerstand. Die Anfrage einiger deutscher Europaabgeordneter der CDU aus Niedersachsen und Sachsen im Oktober, ob man denn nicht den Wolf von Anhang IV der FFH-Richtlinie nehmen könne, war nur der Anfang. Im November 2014 verabschiedeten CDU-Umweltpolitiker aus den Bundesländern die sogenannte „Rügener Resolution“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Artenschutz durch Evaluierung und Novellierung des EU-Naturschutzrechts weiterentwickeln“, in der sie angesichts der positiven Bestandsentwicklung von Arten wie „Biber, Fischotter, Wildgänsen und Kormoran“ unter anderem die Novelle der Richtlinien und eine „Evaluierung“ der „Verfahren zur Änderung der Richtlinienanhänge“ fordern.
Bei den aktuellen Diskussionen über die Novellen der Landesjagdgesetze in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen fielen diese Forderungen auf fruchtbaren Boden und wurden von der CDU-Opposition in den Landtagen aufgegriffen, die prompt die Herausnahme einiger „Problemarten“ wie Wolf, Biber und Kormoran aus den Listen der streng geschützten Arten und eine Überführung ins Jagdrecht forderten.
Anfang April gab der Deutsche Bauernverband (DBV) an, er habe mit dem niederländischen Bauernverband (LTO) und dem Boerenbond aus Flandern (Belgien) ein gemeinsames agrarpolitisches Positionspapier verabschiedet, das sich schwerpunktmäßig dem Bürokratieabbau in der Landwirtschaft widme. Dabei gehe es insbesondere um das Greening, das als „zu aufwändig und praxisfremd“ bezeichnet wird, aber auch um Probleme bei der Umsetzung der Nitrat-Richtlinie und der Naturschutzrichtlinien. „Bei der Überprüfung der FFH-Richtlinie“, so die entsprechende DBV-Pressemeldung vom 08. April wörtlich, „regten die drei Bauernverbände an, den Naturschutz auf freiwilliger Basis beizubehalten, da er sich als der konstruktivste und erfolgreichste Ansatz erwiesen habe. In Natura-2000-Gebieten müssten Landbesitzer und nutzer bei allen Vorhaben frühzeitig eingebunden werden.“
Inzwischen zieht dieser Protest auch kuriose Kreise: So wetterte in Wild und Hund, Heft 7/2015, Redakteurin Silke Böhm unter dem markigen Titel „Gleich einem Füllhorn“ über die angebliche finanzielle Bevorteilung der in Brüssel akkreditierten Umweltverbände durch die EU-Kommission. Sie bezieht sich dabei auf eine mehrere Jahre alte, inzwischen mehrfach hinterfragte „Studie“, und vermengt diese mit Kritik an den zehn großen Umweltverbänden, den „Green 10“. Zum einen offenbart der Artikel ein massives Wissensdefizit hinsichtlich des Politikgeschehens in Brüssel, wenn etwa den Verbänden attestiert wird: „Ihre Aufgabe liegt darin, EU-Richtlinien zu formulieren und auf ihre Umsetzungen einzuwirken.“ Noch entlarvender ist der Satz: „Die Europäische Kommission muss sich von zivilgesellschaftlichen Gruppen beraten lassen, bevor sie eine Entscheidung treffen kann“.
Hier fehlt sowohl die Kenntnis, dass EU-Richtlinien und Verordnungen nicht von der Kommission, sondern in einem demokratischen Verfahren vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten verabschiedet werden, als auch das Zugeständnis, dass die Jagdverbände, wie alle anderen Nutzerverbände („stakeholder“), im Vorfeld von Gesetzesentscheidungen genauso beteiligt werden wie Umweltverbände. So wurden beispielsweise die Vogelschutz- und die FFH-Richtlinie von den Mitgliedstaaten – übrigens beide einstimmig – erst nach einem mehrjährigen Diskussions- und Beratungsprozess verabschiedet (das EP hatte seinerzeit nur eingeschränkte Abstimmungsrechte), in den selbstverständlich auch Jagdverbände, Bauernverbände, Privatwaldbesitzer und Fischereiverbände einbezogen waren. Diese konnten sich sowohl zu den Inhalten der Richtlinien als auch zu deren Anhängen genauso äußern wie die Umweltverbände.
Zudem wäre ein Blick in die von der EU-Kommission jährlich veröffentlichten Förderberichte hilfreich gewesen. Ihnen hätte Silke Böhm entnehmen können, dass nicht nur die „Green 10“, sondern vor allem kleine Umweltorganisationen wie Clean Europe, der EU-Zweig von Wetlands International (jeweils 70 %) oder Eurosite (67 %) höhere Zuwendungen bekommen.
Dagegen erhalten große, demokratisch organisierte Organisationen wie BirdLife Europe, der Dachverband des NABU, nur eine relativ geringe Ko-Förderung (27 %). Sie finanzieren die Arbeit ihrer Brüsseler Büros im Wesentlichen durch die Beiträge ihrer Mitglieder und Spenden aus eigener Tasche. Und sie hätte auch gesehen, dass FACE, der Dachverband der Jagdverbände, also auch des DJV, ebenfalls von diesem „Füllhorn“ profitiert: 2014 zwar nur mit 23 % Ko-Finanzierung, aber im Jahr 2013 in exakt derselben Höhe wie BirdLife Europe, mit 27 %. Da fällt mir eigentlich nur der alte Spruch ein: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!“.
Link zur Website der EU-Kommission zum Fitness Check der Naturschutzrichtlinien: http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/fitness_check/index_en.htm
Link zu den Jahresberichten der EU-Kommission zur Förderung von NGO (inklusive FACE, dem Dachverband der Jagdverbände): http://ec.europa.eu/environment/life/funding/ngos/list_ngos.htm
Hintergrundinformationen zum Fitness Check: http://www.NABU.de
Claus Mayr, NABU, Direktor Europapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de
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