Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald
Abstracts
Für die Ausweisung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald beschreitet Rheinland-Pfalz einen ergebnisoffenen und von Beginn an partizipativen Verfahrensansatz, der in mehrere Entscheidungsstufen gegliedert war. In Phase 1 konnten fünf naturschutzfachlich geeignete Regionen signalisieren, ob das Vorhaben für sie in Frage kommt. Die Region Hochwald im westlichen Hunsrück meldete Interesse an. In Phase 2 wurden in Dialogen die Erwartungen der Region aufgenommen. Aufbauend darauf entwickelte das Land ein Konzept zur Ausweisung des Nationalparks und Entwicklung der Nationalparkregion. Ende 2013 fassten über drei Viertel aller Ortsgemeinden der Region, alle betroffenen Verbandsgemeinden und Kreistage Beschlüsse zum Landeskonzept. Die Zustimmung lag sowohl mit Gewichtung nach Flächenbetroffenheit als auch nach Bevölkerungszahl bei über 80 %. Mit diesem positiven Votum der Region wurde als Phase 3 im Jahr 2014 das rechtsförmliche Verfahren eingeleitet. Der von Mitwirkung und Mitbestimmung geprägte Ansatz war neben den gemeinsam entwickelten Perspektiven zur Regionalentwicklung der zentrale Erfolgsfaktor. Er wird sich auch im zu erstellenden Regelwerk zum Nationalpark niederschlagen.
Das Gebiet erstreckt sich über die westlichen Hunsrückhöhen mit dem Schwerpunkt im Schwarzwälder Hochwald. Die natürliche Waldgesellschaft ist überwiegend das Luzulo-Fagetum. Daneben wechseln sich Blockschutthalden und Hangmoore auf engem Raum ab.
National Park “Hunsrück-Hochwald“ – Participative selection process and nature conservation quality of the first national park in the federal states Rhineland-Palatinate and Saarland
With the designation of the first national park in Rhineland-Palatinate the region contributes to the target of the German National Biodiversity Strategy that 10 % of the state forest should be left for natural development. The regional government opted for a participatory approach right from the start. The decision-making process consisted of three phases: In step 1 five regions were selected as suitable for hosting a national park. Being asked to indicate general interest one of them did raise the hand. In step 2 the government organised extensive dialogues in the local communities in order to identify expectations and interests of the citizens in the region. The Rhineland-Palatinate government included the results of this phase in the subsequent elaboration of a concept for the designation of the national park area and the development of the entire region. This concept was then submitted to the local communities, asking for a positioning in principle. The majority of communities opted for a voting in their local councils, a few organised referenda. The result was celebrated at the end of 2013: a majority of all local communities voted for the establishment of a national park in their region: the Western part of the Hunsrück. The final step 3, which is the legislative procedure, has been started in 2014.
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1 Ausgangssituation
Rheinland-Pfalz ist mit 835558 ha Waldfläche und 42 % Bewaldung das relativ waldreichste Bundesland (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2004). Etwa ein Viertel der Waldfläche bildet Staatswald mit Schwerpunkten in der Eifel, dem Hunsrück, dem Pfälzerwald und dem Bienwald. Rund 50 % des Waldes befinden sich in kommunalem Eigentum. Die Verzahnung zwischen staatlichen und kommunalen Waldflächen ist oft sehr eng.
Auf über 90 % der Waldfläche sind Fageten, meist das Luzulo-Fagetum, die natürliche Waldgesellschaft. Rheinland-Pfalz liegt im Zentrum des Verbreitungsgebietes der Rotbuche. Der aktuelle Anteil der Baumartengruppe Buche beträgt 21,3 %, der Anteil der über 140-jährigen Buchen 3,4 % an der gesamten Waldfläche im Land. Als weitere regionalspezifische Waldformen sind die warm-trockenen Waldgesellschaften in den Durchbruchstälern der großen Flüsse, die Rheinaue, der Bienwald-Schwemmfächer und geologisch geprägte Sonderstandorte wie Bruchwälder und Blockschutthaldenwälder zu nennen. In Rheinland-Pfalz wurde bislang kein Nationalpark ausgewiesen.
Die Landesregierung verfolgt das Ziel, die in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2007) im Zusammenhang mit der Vorbildfunktion des Staates genannte Marke von 10 % natürlicher Entwicklung im Wald der öffentlichen Hand im Staatswald zu erreichen.
Der Anteil der Flächen mit natürlicher Waldentwicklung liegt im Staatswald ausweislich der Forsteinrichtungsdaten bei 4,4 %. Hierzu zählen vor allem die Kernzonen im Biosphärenreservat Pfälzerwald, die Naturwaldfläche im Bienwald, die Naturwaldreservate sowie Waldrefugien, die im Zuge des 2011 eingeführten Biotopbaum-, Altbaum- und Totholzkonzepts ausgewiesen wurden. Mit der Gründung eines Nationalparks kämen perspektivisch weitere knapp 4 % Prozessschutzfläche hinzu. Auch die Ausweisung der Waldrefugien dauert noch an. Hier ist mit weiterem Flächenzuwachs in Richtung des 10- %-Ziels zu rechnen, den man gezielt zur Sicherung und Entwicklung von „hot spots“ und zum Biotopverbund nutzen kann.
Im 2011 zwischen den Regierungsparteien geschlossenen Koalitionsvertrag (SPD und Bündnis90/Die Grünen Rheinland-Pfalz 2011) ist festgehalten: „Die Suche nach einem geeigneten Gebiet für einen Nationalpark wird wieder mit dem Ziel aufgenommen, innerhalb der Legislaturperiode eine geeignete Region zu finden und die notwendigen Schritte auf den Weg zu bringen. Mögliche Gebiete werden innerhalb der nächsten zwei Jahre unter wirtschaftlichen, naturschutzfachlichen und unter Aspekten der regionalen Entwicklung und der Akzeptanz untersucht. Dies erfolgt unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und der Kommunen vor Ort.“
Neben den engeren naturschutzfachlichen Vorgaben sind damit gleichzeitig die Aspekte der Regionalentwicklung und Bürgerbeteiligung als gleichrangiger Auftrag formuliert. Dies hat klare Auswirkungen auf den Gesamtprozess.
2 Der Prozess der Ausweisung
2.1 Ziele des Gesamtprozesses, erste Vorklärungen
Mit Blick auf die Aufgabenstellung aus dem Koalitionsvertrag wurde im Umweltministerium ein Gesamtfahrplan entworfen. Einerseits mussten fachliche Vorklärungen angestoßen werden, andererseits galt es, die relevanten Akteure und Gruppen zu identifizieren sowie die verschiedenen Phasen des Prozesses zu beschreiben.
Als fachliche Ziele und Kennzahlen für ein geeignetes Gebiet wurden neben den nach Bundesnaturschutzgesetz geltenden Standardkriterien genannt:
Fläche ausschließlich im staatlichen Eigentum,
Mindestgröße 8000 bis 10000 ha [zum damaligen Zeitpunkt 2011 lag noch nicht der Evaluierungsbericht zur Managementqualität der deutschen Nationalparks (Europarc Deutschland e.V. 2013) vor],
besondere Bedeutung für den Biotopverbund,
weitgehende Unzerschnittenheit,
nach spätestens 30 Jahren soll auf mindestens 75 % der Fläche natürliche Entwicklung möglich sein.
Somit gab es keine Festlegung, wo der Nationalpark entstehen sollte. De facto wurde aber aufgrund der Wald- und Waldbesitzstrukturen eine Vorabselektion in Richtung der großen staatswaldgeprägten Bereiche getroffen. Das Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht wurde beauftragt, anhand dieser Kriterien geeignete Räume zu suchen und in einer Kurzcharakteristik zu beschreiben. Insgesamt 19 Regionen wurden analysiert, von denen am Ende fünf in die engere Wahl für eine intensivere Befassung kamen.
Parallel dazu wurde ein mehrstufiges Verfahren entworfen, in welcher Form die Landesregierung sich mit den Regionen austauschen wollte. Die neue Vorgehensweise und der partizipative Ansatz sollten Modellcharakter auch für andere Planungsvorhaben entfalten. Es bestand Einigkeit, dass bislang geübte top-down-Standardverfahren wie beispielsweise „Entwurf einer Rechtsverordnung/Beteiligung Träger öffentlicher Belange und Offenlage“ bei solch komplexen Vorhaben erhebliche Widerstände erzeugen würden. Auch die erwünschte Identifikation der Menschen mit einem Nationalpark als ihr Projekt wäre ungleich schwerer zu erreichen, wenn der Eindruck des Überstülpens entstehen würde. Man wählte also den Weg, zunächst zu prüfen, gemeinsam das Notwendige und Machbare zu verhandeln und erst im letzten Schritt quasi als Kodifizierung des Vereinbarten mit dem rechtsförmlichen Verfahren zu beginnen.
Drei Phasen wurden definiert:
Phase 1: Interessensbekundung;
Phase 2: Dialog mit der Region;
Phase 3: förmliches Verfahren.
Dem Schritt in die nächsthöhere Phase sollte jeweils ein positives Votum der Region vorausgehen. Ein „Ausstieg“ für die Gebiete, die zunächst lediglich ein Interesse bekunden würden, wäre also jederzeit möglich gewesen.
Für viele Menschen und auch Kommunalpolitiker war diese Vorgehensweise neu. Später sollte sich zeigen, dass die Erläuterung des Prozesses größtes Gewicht haben muss. Häufig musste klar gemacht werden, dass die Zustimmung zum Dialog noch nicht die Zustimmung zur Einrichtung des Nationalparks ist. Skeptiker in der Bevölkerung äußerten mitunter, es sei doch ohnehin schon alles entschieden. Der intensive Dialog auf Augenhöhe und die Transparenz der Vorgehensweise entwickelten sich zu Schlüsselfaktoren.
2.2 Phase 1: Interessensbekundung
Im September 2011 wurde offiziell die Phase der Interessensbekundung gestartet. Es wurden insgesamt fünf in die engere Wahl kommende Gebiete vorgestellt:
Pfälzerwald: hier vor allem der südwestliche Bereich mit dem Schwerpunkt um Hinterweidenthal;
Truppenübungsplatz Baumholder;
Saargau im westlichen Hunsrück;
Hoch- und Idarwald im Hunsrück;
Soonwald im östlichen Hunsrück.
Im weiteren Verlauf des Prozesses wurde sehr schnell deutlich, dass das Vorhaben im Bereich Baumholder wegen des fortgeführten militärischen Übungsbetriebs und im Saargau aufgrund der Gemengelage der Waldbesitzarten keine Aussicht auf Erfolg haben würde.
Die Arbeiten konzentrierten sich somit auf den Pfälzerwald, den Soonwald und den Hochwald, wobei sich zwei Haupt-Arbeitsfelder herauskristallisierten: (a)die Kommunikation mit den Regionen und Interessensgruppe, (b) die tiefergehende Grundlagenerhebung nebst Variantenstudien. Eine Arbeitsgruppe des Umweltministeriums unter Einbindung des Tourismusreferats im Wirtschaftsministerium, des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück und der Personalvertretung von Landesforsten Rheinland-Pfalz trat regelmäßig zusammen. Als erste Informationsebene für Bürgerinnen und Bürger entstand die Homepage http://www.nationalpark.rlp.de. Ein persönlicher Ansprechpartner stand frühzeitig über ein Info-Telefon zur Verfügung. Dem folgte später als mediale Dialogebene der Online-Blog.
Erste große „klassische“ Informationsveranstaltungen noch in der Phase der Interessenbekundung für die Öffentlichkeit nahmen unterschiedliche Verläufe:
Im Pfälzerwald wurde recht früh sehr massiver Widerstand deutlich. Nach einer nahezu tumultartigen Veranstaltung, die im Vorfeld auch über Social Media angeheizt worden war, gab der örtliche Landrat den Hinweis, das Vorhaben habe dort keine Aussicht auf Realisierung und man wolle kein Interesse an einem Fortgang bekunden. Wesentlich später, als die Dialogphase im Hochwald schon begonnen hatte, kam ein Vorschlag aus dem Bereich Kaiserslautern, dort bestünde Bereitschaft, sich mit der Ausweisung eines Nationalparks zu beschäftigen. Angesichts des dort vorhandenen Schwerpunkts an wertvollen (sekundären) Eichenwäldern, die bei freier Dynamik zugunsten der Buche untergehen würden, hat man diesen Ansatz nicht weiter verfolgt.
Das Stimmungsbild im Soonwald war geteilt. In den nördlichen Bereichen war überwiegende Zustimmung vorhanden, im südlich gelegenen und flächenmäßig größeren Bereich des Kreises Bad Kreuznach standen sich Befürworter und Gegner gegenüber. Sowohl eine Initiative für als auch eine gegen den Nationalpark traten vehement für ihre Anliegen ein. Sehr schnell verhärteten sich die Fronten. Auch die Frage, wer denn nun für den Soonwald spreche – Bürgerschaft, Initiativen oder Kommunen – trug nicht dazu bei, ein einheitliches Bild zu erzeugen. Insbesondere die Frage nach Brennholz geriet in den Fokus und entwickelte sich zum „K.O.-Kriterium“. Auch ein in Auftrag gegebenes Brennholzkonzept, welches die erforderlichen Mengen für die örtliche Bevölkerung analysierte und die Versorgungssicherheit untermauerte, vermochte es nicht, die Skepsis in den Gremien zu nehmen. Im Bereich einer an das waldarme Rheinhessen angrenzenden Verbandsgemeinde fassten 27 von 32 Ortgemeinden ablehnende Beschlüsse. Zwei der drei an der Nahe gelegene Kurstädte verhielten sich bis zuletzt zurückhaltend, eine dritte deutlich positiv. Ein eindeutiges Votum für eine erste Interessensbekundung des Kreistages Bad Kreuznach ließ auf sich warten.
Zeitgleich meldeten sich zunehmend auch Verbände (Sägewerke, Waldbesitzer) mit aktiven und nicht mehr aktiven, aber prominenten Vertretern, die das Vorhaben Nationalpark, insbesondere im Soonwald, in Frage stellten.
Ende 2011 fand eine Informationsveranstaltung für die Region Hochwald/Idarwald im Umweltcampus Birkenfeld statt. Hier wurde ausgesprochen sachlich diskutiert. Durch den Abzug der Bundeswehr in Birkenfeld erlangte die Frage, wie die Entwicklung in einer besonders strukturschwachen und vom demographischen Wandel betroffenen Region weiter laufen solle und ob ein Nationalpark nicht eine große Chance sei, besondere Bedeutung. Es entstand ein reger Diskussionsprozess auf kommunaler Ebene. Der Naturpark Saar-Hunsrück betonte sein Interesse und richtete einen Arbeitsausschuss ein. Hierdurch wurde der Weg für einen gemeinsamen grenzüberschreitenden Ansatz zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz vorbereitet. Es formierte sich eine Bürgerinitiative pro Nationalpark und es wurden von unterschiedlichen Gruppen und Personen bereits Varianten zur Ausformung des Gebietes vorgeschlagen. Im Bereich des Kreises Bernkastel-Wittlich und der Gemeinde Morbach stieß das Projekt mit Blick auf die dort gelegenen Sägewerke nicht auf Zustimmung. Letztlich überwog aber in den kommunalen Gremien die positive Beschlusslage, Interesse an einem Fortgang des Prozesses zu bekunden.
2.3 Phase 2: Dialog mit der Region
Ende Mai 2012 wurde im Rahmen einer weiteren Pressekonferenz vor Ort die Dialogphase mit der Hochwald-Region eingeleitet. Seitens des Ministeriums wurden zwei Gebietsvarianten vorgestellt, die sozusagen den Korridor der möglichen Ausformung darstellen sollten. Angesichts der Option, gemeinsam mit dem Saarland das Gebiet ausweisen zu können, wurde zunächst betont, sich an der kleineren Variante zu orientieren.
Auch gegenüber dem Soonwald blieb die Landesregierung offen. Von dort wurden inzwischen unterschiedliche Vorschläge ausgearbeitet, wie eine Verbundlösung über den Hunsrück hinweg mit Teilen im Hochwald, im Lützelsoon und im Soonwald aussehen könnte. Von „Kombi-Variante“ und „Perlenketten-Variante“ war die Rede. Die vorgeschlagenen Teilgebiete lagen je nach Variante bis zu 30 km auseinander und hatten im Bereich des Soonwaldes zu geringe Flächen, um den Kriterien nach zusammenhängenden und unzerschnittenen Waldgebieten zu genügen. Hinzu kam, dass die Region Hochwald auf eine eigenständige Gebietskulisse gemeinsam mit dem Saarland bestand. Ein Beschluss des Kreistags in Bad Kreuznach, ein den Standards genügendes eigenständiges Gebiet im Sinne einer Interessensbekundung zu verfolgen, wurde nicht gefasst. Für eine Fortsetzung des Projekts im Soonwald gab es somit faktisch keine Grundlage. Das Projekt konzentrierte sich fortan auf den Hochwald.
Auf Ebene des Umweltministeriums wurde eine Projektgruppe formal installiert, die bis zur Gründung des Nationalparks Bestand haben soll. Sie bündelt die verschiedenen Fachstränge innerhalb des Ministeriums, mit den nachgeordneten Bereichen und zwischen den anderen betroffenen Fachressorts. Fünf Teilprojektgruppen arbeiten der Hausleitung unmittelbar zu. Ein Lenkungskreis ist eingerichtet und tritt nach Bedarf zusammen. Die Teilprojektgruppen bearbeiten die Aufgabenfelder:
Regelwerk – Gesetz – Verordnung;
Entwicklung und Zonierung des Gebietes – Forschung und Monitoring – Waldschutz – Wildbestandsregulierung;
Kommunikation – Umweltbildung – Naturerlebnis;
Haushalt – Personal – Organisation;
Regionalentwicklung.
Die Projektgruppe hält den Kontakt zum Bundesamt für Naturschutz und zu den Kolleginnen und Kollegen im Umweltministerium in Saarbrücken und zum SaarForst Landesbetrieb.
In den Jahren 2012 und 2013 fand eine fast nicht mehr zu beziffernde Zahl an Einzelgesprächen auf kommunaler Ebene, mit Verbänden, Vereinen, Kammern, Parteien, Vertretern der Behörden und Betrieben statt. Vorträge wurden gehalten und Versammlungen besucht. Zunächst konzentrierten sich die Fragen auf Themenfelder wie Zugangsmöglichkeiten in das Gebiet, Borkenkäfer, Brennholz, Pilze sammeln und Jagd. Sehr schnell wurde dann aber deutlich, dass neben dem eigentlichen Vorhaben, ein großes Schutzgebiet auszuweisen, insbesondere der Aspekt der Entwicklung des ländlichen Raumes herausragende Bedeutung erhielt – angesichts des Umstands, dass zwei Bundesländer mit zusammen vier Landkreisen betroffen sind, eine Herausforderung.
Die Bürgerinitiative pro Nationalpark entwickelte sich zum Verein Freundeskreis Nationalpark Hunsrück e.V. weiter. Sie gestaltet ein aktives bürgerschaftliches Engagement und versteht sich als Multiplikator der Nationalpark-Idee. Zehn Monate nach Beginn der Dialogphase gründete sich der Verein der Gegner „Ja zur Natur – Nein zum Nationalpark“, der über Anzeigen in den Medien und Plakataktionen Stimmung gegen das Nationalpark-Projekt erzeugt.
Der Mitarbeiterdialog mit den Bediensteten von Landesforsten wurde intensiviert. Die Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Forstämtern sind wesentliche Multiplikatoren. Ihre frühzeitige Information und das Aufzeigen von Perspektiven in der jeweiligen individuellen beruflichen Situation sind wichtig, um Ängste zu vermeiden und sie für das bislang unbekannte Vorhaben gewinnen zu können. Im Rahmen der insgesamt sehr stark nach außen gerichteten Kommunikation eine Aufgabe, die schnell droht, vernachlässigt zu werden; hier wäre – im Nachgang betrachtet – noch mehr Engagement erforderlich gewesen. Mehrere Fachexkursionen mit den Belegschaften beispielsweise in den Nationalpark Eifel waren eine große Hilfe, ebenso die unmittelbare Zusammenarbeit mit den Revierleitern bei der Ausarbeitung der Zonierung und der Erarbeitung eines Brennholzkonzepts. Letzteres wurde, wo erbeten, für jedes einzelne Dorf erstellt und vorgetragen.
Auch mit den Naturschutzverbänden wurde ein intensiver Dialog begonnen. Die Diskussion um die Eignung, Ausformung, Größe, Zonierung und Behandlung des Gebietes in der Übergangsphase spielten hierbei eine wesentliche Rolle.
Es zeigte sich, dass die verschiedenen Interessens- und Anspruchsgruppen unterschiedlich auf das aktive Beteiligungsangebot reagierten. Für die Jugendlichen der Region wurde im Sommer 2013 eine Exkursion in den Bayerischen Wald organisiert.
Neben der in den beschrieben Phasen sich vollziehenden stufenweisen, ergebnisoffenen und stets rückkoppelnden Vorgehensweise und der von der ersten Stunde an interdisziplinären Ausrichtung gilt insbesondere der partizipative Ansatz mit folgenden Handlungsfeldern als Alleinstellungsmerkmal:
Der Naturpark Saar-Hunsrück hat ein umfassendes kommunales Eckpunktepapier erstellt, in dem alle wesentlichen Bereiche vom Gebietszuschnitt bis hin zur Organisation der Regionalentwicklung beschrieben sind. Es ist ein Papier, in dem ausgewählte Vertreter der Kommunen ihre Vorstellungen zum Nationalpark gegenüber den Landesregierungen formulierten. Der Entwurf des Papiers wurde im Dezember 2012 vorgestellt und danach in den Kommunen beraten. Nach der ersten Befassung im Zusammenhang mit der Interessensbekundung standen nun ein zweites Mal Beschlüsse im Zusammenhang mit dem Nationalpark an. Im Mai 2013 wurde das Papier (Naturpark Saar-Hunsrück 2013) dann offiziell den Umweltministerinnen des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz in Birkenfeld übergeben.
Das Umweltministerium beauftragte einen Verein für Bürgerbeteiligung, den Bürgerbeteiligungsprozess in Zusammenarbeit mit der Kreisvolkshochschule Birkenfeld durchzuführen. Dieser Bürgerdialog-Prozess sollte einerseits Informationen vermitteln, anderseits aber auch die Betroffenheit der Bürgerschaft in Erfahrung bringen, um diese im weiteren Gestaltungsprozess einzubinden. Es fanden insgesamt zwölf Dialogveranstaltungen statt, zu denen jeweils die Bürgerschaft von drei Dörfern sowie der Städte Idar-Oberstein und Birkenfeld eingeladen war. An zehn Thementischen standen Experten Rede und Antwort. In einem Dialog auf Augenhöhe wurden Ängste, Sorgen, Nöte, aber auch Ideen, Wünsche und Anregungen gesammelt. Aus den Dialogen entwickelten sich moderierte Bürger-Arbeitskreise, die im März 2013 ihre Ergebnisse (Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten 2013a) zur Entscheidungsvorbereitung in Kempfeld der rheinland-pfälzischen Umweltministerin und ihren Mitbürgern vorstellten.
2.4 Das Landeskonzept
Mit der zunehmend intensiven Befassung der Region mit dem Vorhaben und einer täglichen Berichterstattung in den Medien stiegen die Erwartungen an das Landeskonzept erheblich. Viele Kommunen hatten in ihren Beschlüssen zum kommunalen Eckpunktepapier noch ergänzende Forderungen aufgestellt. Das seinerzeit genannte Zeitziel, bis zum Sommer 2013 das Landeskonzept zum Nationalpark vorzustellen, konnte nicht gehalten werden – insbesondere auch aufgrund des Umstands, dass weitere Ressorts eingebunden waren und Fachbeiträge liefern mussten.
Um über den Sommer 2013 hinweg einen durchgehenden Informationsfluss zu gewähren, wurden so genannte Nationalpark-Foren eingerichtet. Somit konnten erste Teilergebnisse im Zuständigkeitsbereich des Umweltministeriums vorgestellt und alle beteiligten Gruppierungen, Entscheidungsträger und Bürgerinnen und Bürger gleichzeitig informiert werden. In fünf Nationalparkforen wurde zu den Themen
Gebietskulisse,
Regelwerk/Gesetz,
Waldschutz/Wildbestandsregulierung,
Entwicklung der Natur und
Umweltbildung
berichtet. Der Zulauf war groß und die Medien zeigten reges Interesse. Diesen Themen wurde der Aufbau des Online-Dialogs, der zuvor den Schwerpunkten der Dialogveranstaltungen entsprach, angepasst.
Nach Vorliegen aller Beiträge wurde das vollständige Konzept zusammengestellt und im August 2013 nach der Ressortabstimmung im Ministerrat beschlossen. Am 26. September 2013 wurde das „Konzept zur Einrichtung eines Nationalparks im Hunsrück und zur zukunftsfähigen Entwicklung der Nationalparkregion“ (Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten 2013b) durch Ministerpräsidentin Dreyer und Umweltministerin Höfken in einer von ca. 700 Personen besuchten Veranstaltung in Kirschweiler vorgestellt. Zeitgleich informierte das Saarland die Medien zum dortigen Planungsstand. Das Konzept umfasst fünf Kern-Kapitel:
Entwicklung der Natur,
gesellschaftliche Entwicklung,
Entwicklung der Region,
Regelwerk des Nationalparks,
Organisation des Nationalparks.
Auch hier setzt sich in der Struktur der Dialogprozess fort. Alle Kapitel gleichen sich in der Gliederung, indem sie die Ausgangslage, die Erwartungshaltung der Region, Ziele und Grundsätze der Landesregierung und in Folge kurz-, mittel- und langfristige Vorhaben beschreiben. Die Bürgerschaft und die kommunalem Gremien sollen abgeholt werden und sich im Konzept wiederfinden.
Zu den verschiedenen Themenbereichen trafen sich die Bürgerinnen und Bürger in den Arbeitskreisen, um einen Abgleich zwischen ihren in Kempfeld vorgestellten Beiträgen und den Inhalten des Landeskonzepts zu vollziehen. Die entsprechende Rückmeldung sollte den anstehenden Entscheidungen der Gremien vor Ort eine Hilfe bei der eigenen Vorbereitung sein.
Ein weiterer wesentlicher Baustein ist neben den Planungen zum Nationalpark selbst die Ausrichtung auf die Nationalparkregion. Diese umfasst die vom Gebiet betroffenen Gesamtflächen der Verbandsgemeinden sowie die Stadt Idar-Oberstein und die Verbandsgemeinde Rhaunen (Abb. 1).
Die Region steht im Mittelpunkt der Anstrengungen zur Regionalentwicklung und auch zur touristischen Entwicklung. Die interkommunale Zusammenarbeit soll gestärkt werden. Bestehende Gebietsgrenzen und auch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen regionalen Planungsgemeinschaften mit wiederum ganz anderen Ballungsbereichen dürfen keine Barrieren sein. Die Nationalparkregion benötigt eine klare eigene Identität. Hier sollen die endogenen Potenziale gestärkt und regionale Wirtschaftskreisläufe angestoßen werden. Die Region wird im Gesetz zum Nationalpark formal verankert, damit in Förderprogrammen des Landes eine prioritäre Behandlung des Gebiets zulässig wird. Das dort vorgesehene Zusammenspiel von besonderer Fachberatung in Verbindung mit Priorisierung und Vernetzung von Fördervorhaben soll modellhafte Wirkung auch für andere strukturschwache Regionen des Landes entfalten.
2.5 Das Votum der Region
Nach der Vorstellung des Landeskonzepts war die Region aufgefordert, sich zu positionieren und ein Votum abzugeben. Dies galt sowohl für kommunale Gremien als auch für Gruppen, die sich im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements gebildet haben. Die kommunale Ebene befasste sich somit nach der Interessensbekundung und nach den Beschlüssen zum Eckpunktepapier des Naturparks ein drittes Mal mit dem Thema.
Mitte Dezember war der „Beratungsmarathon“ abgeschlossen. Von 101 Ortsgemeinden und Städten in der Region fassten 84 einen Beschluss, davon 69 einen positiven. Alle vier unmittelbar berührten Verbandsgemeinderäte stimmten positiv. Zusätzlich fasste der Verbandsgemeinderat im angrenzenden Bereich Rhaunen einen einstimmigen Beschluss, das Vorhaben zu unterstützen und der Nationalparkregion beitreten zu wollen. Zwei der drei Kreistage auf Seiten von Rheinland-Pfalz stimmten für den Nationalpark. Die Zustimmung lag somit bei über 80 %; bezogen auf die Einwohnerzahl und Flächenbetroffenheit der so genannten Belegenheitsgemeinden sogar bei knapp 90 %. Die oftmals als zu aufwändig beschriebene Kleinteiligkeit der kommunalen Strukturen in Rheinland-Pfalz hat auf der anderen Seite sichergestellt, dass sich allein auf dieser Ebene ca. 1000 gewählte Repräsentanten mit dem Nationalpark befasst haben.
Im Saarland stimmten die beiden betroffenen Gemeinden sowie der Kreistag in St. Wendel für das Projekt. Im Landtag in Saarbrücken unterstützten alle Fraktionen das Vorhaben. In Mainz wurde ein Entschließungsantrag zur Einrichtung des Nationalparks durch die regierungstragenden Fraktionen mehrheitlich gefasst. Die Mitgliederversammlung des Naturparks Saar-Hunsrück stimmte bei einer Gegenstimme für das Projekt. Der Verein Freundeskreis Nationalpark Hunsrück gab eine positive Stellungnahme mit weiteren wichtigen Hinweisen zur Ausgestaltung ab. Er überreichte nahezu zeitgleich mit dem Verein „Ja zur Natur – Nein zum Nationalpark“ eine Unterschriftenliste der Ministerpräsidentin, wobei die Liste der Befürworter den Umfang der Liste des Vereins der Gegner überstieg.
2.6 Phase 3: rechtsförmliches Verfahren, Aufbau des Nationalparks
Nach dieser positiven Positionierung der Region wurde zu Beginn 2014 ein Gesetzgebungsverfahren zur Ausweisung des Nationalparks in beiden Bundesländern initiiert. Auch dieser Weg war neu. Nach den bislang geltenden Landesnaturschutzgesetzen wird ein Nationalpark durch Rechtsverordnung der Landesregierung ausgewiesen. Da nun aber – erstmalig in Deutschland – ein von Beginn an grenzüberschreitender Nationalpark gegründet werden sollte, wurde ein Staatsvertrag entworfen, der Organisation, Abgrenzung, Zonierung und Regeln des Nationalparks beinhaltete. Nach Anhörung von über 100 Verbänden und Organisationen sowie der kommunalen Ebene und der Beratung in den Landtagen wurde der Staatsvertrag am 04. Oktober 2014 durch die Ministerpräsidentinnen unterzeichnet. Zuvor war das Benehmen mit der Bundesumwelt- und dem Bundesverkehrsministerium hergestellt worden. Der Landtag in Saarbrücken hat den Staatsvertrag durch Zustimmungsgesetz bereits beschlossen. Der entsprechende Beschluss im Mainzer Parlament wird Anfang 2015 erwartet. Durch diese Vorgehensweise und insbesondere auch die Befassung mit den Entwürfen des Staatsvertrags wurde es möglich, auch die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der gesamten Bevölkerung in den Prozess einzubinden. Nach Inkrafttreten der Zustimmungsgesetze ist in den ersten Monaten des Jahres 2015 mit der offiziellen Gründung zu rechnen. Die Eröffnungsfeier ist für Pfingsten 2015 geplant.
Parallel zum Anstoß des Gesetzgebungsverfahrens wurde ein Starter-Team vor Ort aufgebaut.
Der partizipative Ansatz wird über die Anbahnungs- und Gründungsphase hinaus gesetzlich verankert fortgesetzt. So werden ein Bürgerforum und ein Beirat eingerichtet. Weiterhin sollen bei der Entscheidungsvorbereitung und der Ausgestaltung von Projekten Bürger in Arbeitskreisen und Projektgruppen mitwirken können. Mit der zu gründenden kommunalen Nationalparkversammlung soll Einvernehmen bei der Erstellung des Nationalparkplans und des Wegeplans erzielt werden. Darüber hinaus soll das Nationalparkamt die Region in die Entwicklung explizit einbinden und eine Mitgestaltung ermöglichen.
2.7 Resümee zum Prozess
Der Nationalpark muss Freude bereiten, er muss Aufbruchsstimmung erzeugen, er muss mit den Menschen und nicht (gefühlt) gegen sie entwickelt werden. Verbote grenzen aus. Das bloße Verfassen von Rechtsnormen an weit entfernten Schreibtischen im Glauben, durch die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und durch Offenlage wäre man doch vor Ort, führt nicht weiter.
Der Nationalpark ist ein emotionales, bedürfnisorientiertes und zunächst abstraktes Thema, bei dem sehr schnell und sehr tief vergessen geglaubte Urängste vor Wildnis geweckt werden. Es bedarf eines hohen Maßes an Empathie für die dort lebenden Menschen. „Nicht gegen den Willen einer Region“ bedeutet auch, die Bevölkerung in ihrer Lebenssituation und -perspektive abzuholen und mit den Menschen gemeinsam zu gehen, zum Nachdenken und Handeln anzuregen. Insbesondere in strukturschwachen Gebieten wäre es fatal, den Menschen eine Misere ihres Umfelds vor Augen führen zu wollen, um sie für einen anderen Weg zu begeistern – sie würden sich abschotten. Es bedarf neuer Perspektiven, die in kleinen Schritten nachvollziehbar sind und in denen man eine Rolle für sich und sein persönliches Umfeld erkennt; „weniger ist dabei mehr“. Hochglanzbroschüren, traumhafte Prognosen, blumige Versprechen von „Herrschaften in Nadelstreifen“ sind kontraproduktiv. Hingegen erscheinen Zuhören, das Gespräch auf Augenhöhe und die Ehrlichkeit der Motivation und die Ehrlichkeit, nicht alles wissen zu können, überaus wichtig. Hierzu zählt auch, dass man offen ist und die Argumente von Gegnern nicht nur meint, widerlegen zu müssen, sondern dass man sie ernst nimmt und versucht, gemeinsam mit ihnen Lösungen zu finden. Man muss mit allen Gruppen sprechen und das eigene Handeln transparent werden lassen.
Mit einer dreimaligen Befassung in den Kommunalparlamenten, mittlerweile über 800 Presse-Fundstellen, intensivem bürgerschaftlichem Engagement und einer neuen Form der breiten mehr als konsultativen Bürgerbeteiligung ist es bereits jetzt gelungen, die Region in einen Diskussionsprozess zu führen, den es bislang in dieser Form und Intensität nicht gab. Das Naturschutzvorhaben hat bewirkt, dass eine Region aktiv wird.
Dennoch ist nicht zu unterschätzen, dass weite Teile der Bevölkerung nach wie vor nicht erreicht werden. Unabhängig von den gerne zitierten Stammtischen, die Gemeinschaft auch durch ihre Ablehnung des Nationalparks finden, sind es die Gruppen, die beispielsweise aufgrund beruflicher Belastung schlichtweg keine Zeit haben, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Das gilt gleichermaßen für die Gruppe „ich habe keine Zeit für den Quatsch“ als auch die Unterstützer, die denken, es laufe doch alles bestens und man müsse sich nicht gesondert engagieren. Für dieses Dilemma ist derzeit noch keine Lösung in Sicht.
Es zeichnet sich aber ab, dass man auch über Umwege weitere Gruppen der Bevölkerung für das Thema interessieren kann. Ein solcher Weg ist der Zugang zu den Eltern über die Kinder. Eine gemeinsam mit dem Naturpark Saar-Hunsrück durchgeführte Veranstaltung „Nationalpark mach Schule“ war sehr gut besucht. Viele Pädagoginnen und Pädagogen haben großes Interesse, den naturwissenschaftlichen Unterricht um nationalparkbezogene Themen zu ergänzen. Der Nationalpark quasi als großes Freilandlabor vor den Toren der Schule wirkt attraktiv. Ein anderer erfolgreicher Ansatz ist die Einführung einer Vortragsreihe, die unter dem Namen „Nationalpark-Akademie“ gestartet wurde. Hier werden in einem interdisziplinären Ansatz Themen behandelt, die sich mit dem Natur- und Kulturraum im umfassenden Sinne beschäftigen und letztlich eine Art Heimatkunde oder Studium generale darstellen. So haben zum Beispiel Vorträge über archäologische Funde, die neue Erkenntnisse zur Bedeutung der Region für Kelten und Römer liefern konnten, sehr großen Zuspruch erfahren. Auch Themen wie Geologie, Bodenschätze, Frühindustrie und die Entwicklung der Edelsteinregion um Idar-Oberstein zog Menschen an, die man mit dem Nationalpark allein noch nicht erreicht hätte.
Man muss den Natur- und den Kulturraum und seine Historie von Beginn an betrachten. Die Frage, wo die Natur herkommt und wo sie sich hin entwickeln wird, kann nur im Kontext einer langfristigen Zeitfolge betrachtet werden, in der auch die menschliche Einflussnahme Teil des Seins ist. Der Prozess und der Prozessschutz sind letztlich entscheidend. Viele Gespräche um die Eignung eines Gebiets sind geprägt von der aktuellen Habitat- und Artenausstattung. Das ist ja auch richtig, wenn man an Rückzugsräume, Autochthonie und den Grad quasi sichtbarer Natürlichkeit denkt. Wenn man jedoch alte Kartenwerke betrachtet und sieht, dass dort, wo vor 120 Jahren noch die Buche vorherrschte, heute sich bereits wieder auflösende Fichtenbestände stehen, stellt sich die Frage: Wieviel Buche besteht noch im heutigen System – und zwar in allen Bestandteilen einschließlich der Bodenlebewelt – und wie wird sie sich ihr Territorium wieder erschließen oder welchen Weg geht das System? Wie weit ist menschliches Wirken irreversibel? Diese Fragen haben nicht allein einen natur-philosophischen Hintergrund, sondern können mit Blick beispielsweise auf Waldbaustrategien im Forstbetrieb sehr konkrete wirtschaftliche Verbindungen haben. Solche Fragen wurden nicht nur im wissenschaftlichen Zusammenhang gestellt, sondern kamen auch im „World Cafe“ bei den Bürgerdialogen auf. Die Behandlung der Fichte und wie weit ein „Laufen-Lassen“ durch eine Vorab-Entnahme beeinflusst werden muss oder kann, war in der Dialogphase bereits ein zentrales Thema. Die Diskussion wird anhalten und auf allen Ebenen geführt werden – sei es der Touristiker, der Sorge hat, das Landschaftsbild nicht mehr vermitteln zu können, sei es der benachbarte Waldbesitzer, der Angst vor Borkenkäfern hat, sei es der Sägewerker in Versorgungsnöten, sei es der fiskalische Haushälter oder sei es jemand, der den Prozess analysieren will. Das Gebiet Hochwald birgt ein großes Potenzial an Fragen, denen man nachgehen wird.
Sehr schwer zu ertasten ist die Nahtstelle zwischen dem intensiven Dialogprozess vor Ort und dem sich anschließenden parlamentarischen Verfahren im Landtag. Die Exekutive – also im Wesentlichen alle Kolleginnen und Kollegen des Projektteams – hat über nahezu zwei Jahre fachübergreifend einen Weg ausgelotet, den die lokalen Gremien und Gruppen mittragen. Dieses war der Weg zum bisherigen Erfolg. Die Legislative in Mainz ist hingegen frei und unabhängig, ihre Rechte wahrzunehmen und übergeordnete Gesichtspunkte – sei es im Flächenzuschnitt oder im Regelwerk – durchzusetzen. Hier wird es erforderlich sein, ein großes Maß an Sensibilität zu entfalten und den mit der Region ausgearbeiteten Weg zu schätzen.
3 Das Gebiet
Das im Landeskonzept vorgeschlagene Gebiet des Nationalparks Hunsrück hat eine Gesamtgröße von über 10200 ha. Hiervon liegen ca. 940 ha im Saarland. Mit Ausnahme geringer Flächen im Nachbarbundesland handelt es sich ausschließlich um Staatswald. In Abb. 2 sind die Lage und Umgrenzung sowie die gesamte Waldverteilung im westlichen Hunsrück dargestellt. Man erkennt, dass das Gebiet eingebettet ist in weitere größere Waldflächen, die gegenüber anderen Landnutzungsformen eine Art Puffer darstellen. Es wird auch deutlich, dass der nördlich gelegene Idarwald nicht in die Gebietskulisse aufgenommen wurde. Dieser Wald liegt unmittelbar vor den Toren der Morbacher Sägeindustrie und zeichnet sich durch deutlich höhere Anteile von Fichte und Douglasie aus.
Aufgrund der langgestreckten Höhenzüge hat das Gebiet eine West-Ost-Ausdehnung von 27 km. Im Kernbereich beträgt die Breite ca. 7 km, an den schmalsten Stellen jedoch nur 2,5 km. Zwei Bundesstraßen mit zerschneidender Wirkung (>1000 Fahrzeugbewegungen am Tag) tangieren den südlich gelegenen Höhenzug auf jeweils recht kurzer Strecke. Im Zentrum liegen kleinere Siedlungen bzw. Rodungsinseln. Dort leben wenige Hundert Menschen. Bei den Wiesen dort und auch den Wiesen oder Leitungsflächen im Wald handelt es sich oft um Arnikawiesen und Borstgrasrasen, Beerstrauch- und Calluna-Heiden. Es ist beabsichtigt, hier eine Pflegezone auszuweisen und sie in Teilen in Verbindung mit dem Auszug von Fichten noch weiter zu entwickeln. Aufgrund der Ausformung wird diese Variante „Gitarren-Variante“ genannt, da sie an ein Musikinstrument erinnert.
Der Höhengradient im Gebiet reicht von 380m üb. NN am Idarbach bei Kirschweiler bis auf 816m üb. NN. am Erbeskopf als höchsten Punkt in Rheinland-Pfalz. Damit einhergehend unterscheiden sich die mittleren Jahrestemperaturen um knapp 3°C. Die mittleren jährlichen Niederschläge reichen von 820 bis 1100 mm. Es finden sich viele Quellen und Bäche. Das Gebiet ist Wasserscheide in Richtung der drei Flüsse Saar, Mosel und Nahe. Es bildet eine Art zentrale Drehscheibe für den Biotopverbund im westlichen Hunsrück und zählt zu den vom Bundesamt für Naturschutz benannten „Hotspots der biologischen Vielfalt“.
Aus meist devonischem Taunusquarzit als geologischem Ausgangsmaterial entstanden überwiegend basenarme Braunerden. Die natürliche Waldgesellschaft ist bis in die Hochlagen der Hainsimsen-Buchenwald. Die Quarzit-Schutthalden ziehen sich über den gesamten Höhenzug hinweg. Die Kelten haben die exponierte Lage und die Möglichkeit genutzt, mit den Steinen Befestigungsanlagen zu bauen. Eine ganze Kette von Fliehburgen und Kultstätten zieht sich vom Ringwall in Otzenhausen bis hin zur Mörschieder Burr im Osten.
Innerhalb der Kulisse liegen auf Seiten von Rheinland-Pfalz 529ha Naturschutzgebiete. Auf 2273ha wurden FFH-Gebiete ausgewiesen. Die Fläche der kartierten Biotoptypen beträgt 2115ha. Hierbei sind Hangmoore (Hangbrücher; Abb. 3), Silikatschutthalden (Rosselhalden; Abb. 4) und altholzreichen Laubwälder von besonderer Bedeutung. Es gibt nach wie vor Vorkommen autochthoner Moorbirken. Der Umfang und die Ausprägung der im Hochwald meist generalisierend als Hangbrücher bezeichneten Biotope ist ein Alleinstellungsmerkmal in den westlichen Mittelgebirgen.
Das Gebiet ist ein zentraler Verbreitungsschwerpunkt der Wildkatze. Aber auch Schwarzstorch, Rotmilan, Feuersalamander und Bechsteinfledermaus kommen regelmäßig vor.
Im rheinland-pfälzischen Teil beträgt nach den Zahlen der Forsteinrichtung der Laubbaumanteil 56 %. Hierbei hat die Buche mit 49 % den höchsten Anteil. Die Baumart Fichte ist noch mit 37 % vertreten. Nennenswerte Teile dieser Flächen sind bereits mit Buche unterbaut. Auf mehreren hundert Hektar stockt die Fichte auch auf den Moor-Standorten, wo sie in der Übergangsphase im Zuge von Renaturierungsmaßnahmen (vor allem Wiedervernässung durch Grabenverschluss und Wegerückbau) herausgezogen werden soll. Auf insgesamt 2883 ha sind die Bäume älter als 120 Jahre.
Der westliche Hunsrück ist eine sehr raue Landschaft und eine arme Region. Manche Menschen sprechen auch davon, er läge „zentral abseits“. Viele Bürgerinnen und Bürger haben erkannt, die Natur und hier speziell die Landschaft prägenden Wälder als Kapital zu verstehen. Die Ausweisung eines großen Wildnisgebiets bedeutet eben nicht, die Region und die dort lebenden Menschen aufzugeben. Es wird vielmehr die Chance geboten, in einen Entwicklungsprozess einzusteigen und sich noch stärker mit der Natur auseinanderzusetzen. Der bereits erfolgreich arbeitende Naturpark wird ergänzt um ein Schutzgebiet besonderer Qualität. Naturentwicklung und Regionalentwicklung können sich ergänzen. Es wird ein langer Weg und ein Weg in kleinen Schritten sein.
Literatur
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2004): Bundeswaldinventur 2, alle Ergebnisse und Berichte. Internet: http://www.bundeswaldinventur.de.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2007): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, 3. Aufl., Stand Oktober 2007, 178S.
Europarc Deutschland e.V. (2013): Managementqualität deutscher Nationalparks. Ergebnisse der ersten Evaluierung der deutschen Nationalparks. Berlin, 88S.
Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten (2013a): Miteinander im Dialog zum Nationalpark in Rheinland-Pfalz. Ergebnisse der Arbeitskreise der Bürgerinnen und Bürger. Kempfeld 14.03.2013. 24S. Internet: http://www.nationalpark.rlp.de.
– (2013b): Nationalpark Hunsrück. Konzept der Landesregierung zur Einrichtung eines Nationalparks im Hunsrück und zur zukunftsfähigen Entwicklung der Nationalparkregion. 1. Aufl., Mainz, September 2013, 147S. Internet: http://www.nationalpark.rlp.de.
Naturpark Saar-Hunsrück (2013): Kommunales Eckpunktepapier zur Gründung eines Nationalparks „Hochwald-Idarwald“. 44S. Internet: http://www.naturpark.org.
SPD und Bündnis90/Die Grünen Rheinland-Pfalz (2011): Koalitionsvertrag 2011 bis 2016, „Den sozial-ökologischen Wandel gestalten“. Mainz, 101S.
Anschrift des Verfassers: Dr. Harald Egidi, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten, Kaiser-Friedrich-Straße 1, D-55116 Mainz, E-Mail harald.egidi@mulewf.rlp.de.
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