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Aktuelles aus Brüssel

Erste Schlappe für Timmermans, Bündnis für Umwelt formiert sich

Die in der letzten Ausgabe beschriebene Deregulierungswelle von Jean-Claude Juncker und seinem obersten Vizepräsidenten Frans Timmermans hat eine erste „Schlappe” erlitten. Mitte November setzten sich das Europaparlament und der Ministerrat gegenüber Timmermans bei der Verabschiedung der neuen Ziele zur Eindämmung der Plastiktüten-Flut in der EU durch. Noch eine Woche vorher hatte Timmermans die von Parlament und Rat erzielten Ergebnisse als „Überregulierung“ bezeichnet und angekündigt, die Gesetzesinitiative zu stoppen. Nach den EU-Verträgen hätte Timmermans dies gekonnt. Die EU-Kommission hat derzeit als einzige Institution das Initiativrecht für neue Gesetzesinitiativen und kann den Gesetzgebungsprozess auch in einem solch späten Stadium durch Verweigerung der Zustimmung noch stoppen.

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Die Kehrtwende Timmermans war nach Informationen von Insidern allerdings nicht der Einsicht in die Umwelt- und Gesundheitsproblematik von Plastiktüten geschuldet, sondern Timmermans wurde von Juncker persönlich an seinem Veto gehindert. Wohl auch, weil Juncker sich nach seiner „Luxleaks“-Affäre weder weitere öffentliche Kritik noch Ärger mit dem Europäischen Parlament einhandeln wollte, in dem zu dieser Zeit ein Misstrauensantrag vorbereitet wurde. Dennoch könnte dieser Vorgang ein ermutigendes Zeichen sein, dass zumindest Juncker inzwischen erkannt hat, dass er Umweltthemen nicht weiter vernachlässigen darf, und dass er seinen Versprechungen vor dem Europäischen Parlament am 22. Oktober und den nachgebesserten Arbeitsaufträgen an Timmermans und seine Fach-Kommissare auch Taten folgen lassen muss.

Hinsichtlich der Pläne für das Arbeitsprogramm der Kommission im Jahr 2015 haben sich inzwischen nach den Umweltverbänden auch die Umweltminister von elf Mitgliedstaaten an Juncker und Timmermans gewandt, um vor einer Marginalisierung des Umweltschutzes zu warnen. Nachdem bekannt wurde, dass in dem Schreiben von Juncker und Timmermans vom 07. November an die neuen EU-Kommissare auch die Möglichkeit der Zurücknahme etlicher bereits eingeleiteter Gesetzgebungsverfahren angedeutet worden war, warnten die Umweltminister vor allem davor, die Gesetzespakete zur Kreislaufwirtschaft und zur Verringerung der Luftverschmutzung zu stoppen. Unter den Absendern finden sich die deutsche Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks, ihre französische Kollegin Ségolène Royal, der Vertreter der derzeitigen Ratspräsidentschaft, der italienische Umweltminister Gian Luca Galletti, sowie u.a. die Umweltminister aus Belgien, Luxemburg, Portugal, Schweden, Slowenien und Spanien. Sie verwiesen, wie schon Hendricks in ihrem Schrei­ben Ende September an Juncker, auf die enormen Chancen des Kreislaufwirtschaftspaketes für den Arbeitsmarkt und den schonenden Umgang mit Rohstoffen. Auch die andauernde Luftverschmutzung in den Mitgliedstaaten sei eine erhebliche ökonomische, ökologische soziale und gesundheitliche Belastung für die Bürgerinnen und Bürger der EU.

Eine Reaktion in die ent­gegengesetzte Richtung ließ ­dagegen erneut aufhorchen. „BusinessEurope“, der Dachverband der europäischen Wirtschaftsunternehmen, präsentierte Juncker und Timmermans eine umfangreiche Wunschliste dessen, was nach Auffassung der Industrie die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern würde. Darin wurde nicht nur der Abbau oder zumindest die „Flexibilisierung“ von Umweltstandards gefordert, sondern z.B. auch von gender-Forderungen wie der Frauenquote in Unternehmensvorständen und geplante Verbesserungen des Mutterschutzes. Auffällig war auch, dass „BusinessEurope“ diese Forderungen ziemlich unverblümt stellte, während die deutschen Industrieverbände in Berlin, etwa der BDI, bei der fast parallelen nationalen Diskussion um Frauenquoten in Unternehmen eher moderate Kritik äußerten. Das könnte wieder ein warnender Hinweis darauf sein, dass manche Lobbygruppen hoffen, durch die „Hintertür“ in Brüssel Ziele – auch unbemerkt von den meisten Medien – erreichen zu können, deren Forderung auf nationaler Ebene Proteststürme hervorrufen würde.

Im vorliegenden Fall hat die Industrie aber den Bogen ganz offensichtlich überspannt. Als Reaktion auf das Schreiben von „BusinessEurope“ haben sich Anfang Dezember auch Gewerkschaften, Verbraucherschutzverbände, Entwicklungshilfeorganisationen, Organisationen für Frauenrechte und Transparency International dem Protest der Umweltverbände angeschlossen und in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis Juncker und Timmermans gewarnt, auf die Wünsche der Industrielobby einzugehen.

Nicht zuletzt erhoffen die Umweltverbände wie BirdLife International, das Europäische Umweltbüro (EEB) und der WWF, dass dieses breite Bündnis auch hilft, negative Veränderungen an den Naturschutzrichtlinien der Europäischen Union zu verhindern, die inzwischen einige Landnutzerorganisationen im Rahmen des geplanten „Fitness Check“ fordern (Naturschutz und Landschaftsplanung 45 (12), 2013: 353f.). Wie die Lobbyverbände der Industrie wittern sie jetzt offenbar „Morgenluft“ und präsentieren Forderungen, die seit Jahren als längst überholt angesehen wurden. Und dies mit Behauptungen und Mythen über die angebliche Blockade der wirtschaftlichen Entwicklung durch Natura-2000-Gebiete und streng geschützte Arten, die längst widerlegt wurden.

Auch für den Naturschutz gilt also, wachsam zu sein und die Arbeit der neuen EU-Kommission, aber auch die der Lobbyorganisationen in Brüssel und ihrer Unterstützer im Europäischen Parlament, intensiv und kritisch zu begleiten. Die von den Staats- und Regierungschefs im März 2010 beschlossenen Ziele zum Stopp des weiteren Verlustes von biologischer Vielfalt und zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme bis zum Jahr 2020 sind noch lange nicht erreicht!

Link zum Brief des breiten gesellschaftlichen Bündnisses an Juncker und Timmermans vom 04. Dezember 2014, veröffentlicht u.a. Internetportal EurActiv:

http://www.euractiv.com/files/civil_society_response_to_businesseurope-final.pdf

Claus Mayr, NABU, DirektorEuropapolitik, Brüssel, Claus.Mayr@NABU.de

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