Naturschutz in der Agrarlandschaft
Zwei ähnliche Buchtitel thematisieren ein Kern-Aufgabenfeld des Naturschutzes, beide geschrieben von namhaften Emeriti: „Landwirtschaft und Naturschutz“ titelt Wolfgang Haber, „Kulturlandschaft und Naturschutz“ Ulrich Hampicke. In beiden Büchern steht die Agrarlandschaft mit der Frage im Mittelpunkt, wie Ziele des Naturschutzes mit der agrarischen Nutzung bestmöglich vereinbart werden können.
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Dabei konstatiert Wolfgang Haber, dass es eine nicht umweltbelastende Landwirtschaft nicht geben kann – mit dem Leitbild einer multifunktionalen Landwirtschaft formuliert er sein bekanntes Modell einer differenzierten Landnutzung. Er geht von einer eher landschaftsökologischen Sicht aus, während Ulrich Hampicke stärker (aber nicht ausschließlich) auf die Artenvielfalt und – seiner Expertise entsprechend – auf die ökonomischen Konzepte fokussiert.
Beide Autoren liefern eingangs eine Analyse der Kulturlandschaftsentwicklung. Haber zeichnet ein ausführlicheres Bild, indem er auf rund 120 Seiten sehr differenziert untergliedert die Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Menschheits- und Gesellschaftsentwicklung skizziert, die vor- und frühgeschichtliche Landwirtschaft Mitteleuropas mit der Entstehung von Landnutzungstraditionen sowie die Entwicklung vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert mit Entstehung der „Landschaft“ und der Grundlagen des Naturschutzes beschreibt, sodann Ende und Umbruch der vormodernen Landwirtschaft, die Modernisierung der Landwirtschaft und das Erwachsen des Naturschutzes aufzeigt und schließlich die moderne Landwirtschaft im Konflikt mit der Natur thematisiert. Damit schafft er eine sehr fundierte Grundlage, deren Kenntnis wichtig ist, um die Genese der (durch landwirtschaftliche Nutzung bestimmten oder beeinflussten) Schutzgüter ebenso wie der Naturschutzkonzepte zu verstehen.
Mit 67 Seiten sehr detailliert fällt Habers Ist-Analyse aus: „Die agrarpolitische Wende – zum Vorteil der Natur?“, fragt er und beschreibt nachhaltige Entwicklung, biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen als neue politische Einflussgrößen, die multifunktionale Landwirtschaft als „neue“ (alte) Idee; er zieht einen Vergleich zwischen Agrarumweltpolitik und Naturschutzpolitik, beleuchtet Beiträge verknüpfter Agrar- und Naturschutzforschung und beschreibt für Ackerwildkräuter und Ackerfauna sowie ausführlicher für Wiesen und Weiden Naturschutzerfahrungen (und -erwartungen) in der landwirtschaftlichen Praxis. Kritisch ließe sich anmerken, dass die „agrarpolitische Wende“ im Widerspruch zur offiziellen Sprache der Agrarpolitik bisher noch nicht wirklich vollzogen ist – weit stärker noch müsste umgesteuert werden. Dafür legt Haber in den folgenden Kapiteln zu Vorschriften, Strategien und Wunschbildern des Naturschutzes, mit einer grundsätzlichen Betrachtung zum Verhältnis von Landwirtschaft und Naturschutz und vor allem mit seiner Kompromiss-Strategie zum Abschluss hilfreiche Vorschläge vor. Einleuchtend seine Analyse, dass die Landwirtschaft über eindeutige Ziele verfüge (unter dem Oberziel der Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und anderen biologisch erzeugbaren lebenswichtigen Stoffen, von Fasern bis zu Energieträgern) – der Naturschutz aber nicht; die Uneindeutigkeit und Vielfalt seiner Ziele benachteilige ihn.
Und dennoch: Haber hält eine weitgehende Zusammenführung der Aktivitäten von Landwirtschaft und Naturschutz für notwendig und möglich. Sein Konzept hierzu ist über 40 Jahre alt und scheint dringender und aktueller denn je: die differenzierte agrarische Landnutzung, welche die Anforderungen des Naturschutzes flexibel integriert – ein Gegenmodell zur herrschenden vereinheitlichten Landnutzung. Innerhalb einer Naturraumeinheit darf eine intensive Landnutzung, insbesondere Ackerbau, nicht die gesamte Fläche mit einer einheitlichen Kultur beanspruchen, sondern muss in sich diversifiziert werden – durch gleichzeitigen Anbau unterschiedlicher Kulturen oder Kombination mit Grünlandflächen. Die Schlaggröße sollte eine Obergrenze von durchschnittlich 25 ha nicht überschreiten. In einer Raumeinheit mit intensiver Nutzung müssen mindestens 10 % der Fläche möglichst netzartig für naturbetonte Bereiche reserviert werden (so wie es das BNatSchG mit 10 % Biotopverbund fordert).
Haber interpretiert die Beschlüsse zur neuen Agrarförderperiode der EU von 2014 bis 2020 als sich abzeichnenden schrittweisen Übergang zu differenzierter Landnutzung. Nach Drucklegung des Buches sind die Greeninganforderungen leider weiter stark verwässert worden. Möge sein Ansatz bei den jetzt beginnenden Vorbereitungen für die nächste Agrarreform ab 2021 endlich umfassend Berücksichtigung finden!
Hampicke startet zwar ähnlich mit einem Abriss des „Werdens“ der mitteleuropäischen Landschaft und ihres heutigen Bildes und bewertet heutige und historische Kulturlandschaft vergleichend. Doch bereits nach 40 Seiten kommt er zum Kern der Ziele, Mittel, Konzepte und Einwände und fokussiert, ausgehend von den Teilzielen Naturschutz und Wohlergehen, auf das Teilziel Artenschutz – was er mit der Zielbestimmung im BNatSchG begründet. Als leitende Prinzipien hebt er die Existenz von Begleitstrukturen (lokaler Biotopverbund), Säume und Gradienten (Ökotone), den Vorrang der Erhaltung (gegenüber Neuschaffung), Belastbarkeit (gemeint ist die Erlebbarkeit von Natur durch den Menschen), Landschaftswasserhaushalt (mehr Wasser in die Landschaft) und Synergien (des Artenschutzes mit dem abiotischen Ressourcenschutz) hervor.
Drei Hauptkapitel mit insgesamt 104 Seiten bearbeiten die Themenstellung von ihrer ökonomischen Seite: Betriebswirtschaft und Kosten des Naturschutzes, Kulturlandschaftsökonomie, Landwirtschaft in der Volkswirtschaft (Agrarökonomie und -politik). Hierin spiegelt sich Hampickes jahrzehntelange Forschungsexpertise wider. Biodiversitätsleistungen der Landwirtschaft kosten etwas, aber es fehlt der Markt für diese Leistungen. Er kann in dem gegenwärtigen System nur durch Honorierung durch den Steuerzahler vor allem im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik geschaffen werden. Dazu legt das Buch viele wichtige Details vor – Pflichtlektüre für alle Programmierer in den Bundesländern, welche derzeit die neuen Förderprogramme kalkulieren!
„Pflicht“ ist das folgende Kapitel überschrieben, in dem Hampicke die bestehenden Anforderungen wie gute fachliche Praxis, Cross Compliance und Agrarumweltprogramme darstellt und Vorschläge für eine Neuorientierung formuliert. Im Abschnitt „Anreiz und Nachfrage“ plädiert er dafür, die „Produktion“ von Artenvielfalt als vollgültige Parallele zur Produktion herkömmlicher Agrargüter anzusehen. Die Diskussion um die Frage, wie viel der Naturschutz für Leistungen der Landwirtschaft zu zahlen bereit ist, sieht er noch lange nicht als abgeschlossen an; in fortschrittlichen Konzepten werde die ergebnisorientierte Honorierung eine große Rolle spielen. Als „Sonderprobleme“ geht er auf Eingriffsregelung, Energiepflanzen und Ökolandbau ein und zum Schluss versucht er, „in die Köpfe der beteiligten Menschen zu blicken“.
Zwei Bücher also mit ähnlicher Themenstellung, aber doch sehr unterschiedlicher Blickrichtung – landschaftsökologisch das eine, artenschützerisch und ökonomisch das andere, und doch blicken beide erfreulich weit über den Tellerrand des eigenen Arbeitsbereichs hinaus. Haber ein Tick visionärer, Hampicke dafür detaillierter als Handreichung für die ökonomische Bearbeitung der „Agrarwende“. So machen beide Bücher ihren Sinn und sind jedem im Doppelpack zu empfehlen, der sich mit Naturschutz in Agrarlandschaften und mit der „Agrarwende“ befasst; sie liefern wichtige Argumente und Ideen. Denn nach der Reform ist bekanntlich vor der Reform.
Eckhard Jedicke
Landwirtschaft und Naturschutz. Von Wolfgang Haber. IX + 298 Seiten mit farbigen Abbildungen. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 2014. Kartoniert. 49,90 €. ISBN 978-3527336807.
Kulturlandschaft und Naturschutz. Probleme – Konzepte – Ökonomie. Von Ulrich Hampicke. XVI + 337 Seiten mit Schwarzweiß-Abbildungen und Farbtafeln. Springer Spektrum, Wiesbaden 2013. Kartoniert. 34,95 €. ISBN 978-38348127 66.
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